Einleitung
"Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist."
Hannah Arendt
Wie der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch betont, kann der Verfall demokratischer Prozesse mitsamt einer Stärkung strukturell privilegierter Eliten und der damit einhergehenden Reduktion egalitärer Auseinandersetzungen nicht allein den Massenmedien angelastet werden - wenn auch er durchaus der wachsenden Bedeutung von professioneller Public Relations (PR) eine wichtige Rolle beimisst.
Natürlich ist es zunächst nicht den oft als "vierte Gewalt" idealisierten Medien anzulasten, wenn sie als Vehikel von Lobbyisten, PR-Managern und Spin Doctors ausersehen und eingespannt werden.
Einflussnahme auf die "vierte Gewalt"
Auch Journalistinnen und Journalisten kritisieren den Druck seitens Interessengruppen wie auch die Angepasstheit und Konformität in den eigenen Reihen: So beschreibt Andreas Zumach, Korrespondent für Printmedien und Hörfunk bei den Vereinten Nationen in Genf, in seinen Vorträgen regelmäßig Versuche der Einflussnahme auf Journalisten seitens politischer Institutionen. Gerade das Internet verführe dazu, eher sekundäre Medienrecherche im Netz statt Recherche vor Ort zu betreiben, ohne dies für die Rezipierenden transparent zu machen. Besonders stark davon betroffen sei die Berichterstattung über internationale Konflikte: "Die große Masse derjenigen, die überhaupt noch über diese Themen berichten, orientieren sich vorrangig oder ausschließlich an den für Krieg und den gewaltsamen Austrag von Konflikten verantwortlichen politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs. Die meisten sind unkritische, oftmals überforderte MitläuferInnen mit mangelnder professioneller Distanz zu den Mächtigen."
Ulrich Tilgner, ehemaliger Leiter des ZDF-Büros in Teheran, verlängerte im Jahr 2008 seinen Vertrag mit dem ZDF nicht und führte als Begründung an, dass sich die Arbeit eines Korrespondenten deutlich verändert habe: "Vor sechs oder acht Jahren wollte man wissen: Was haben die Leute vor Ort zu sagen? Heute werden Beiträge nur zu oft in den Redaktionen zusammengebaut und der Sendeablauf wird designed."
Entwertung verantwortungsvoller Berichterstattung
Der spanische Journalist und Medienwissenschaftler Ignacio Ramonet zog bereits 2005 im Hinblick auf die Wirkungen von Medien folgende Bilanz: "In vielen Ländern sind die Medien, die lange als charakteristische Elemente der Demokratie - quasi als Barometer der Demokratie - angesehen wurden, selber zum Hauptproblem für die Demokratie geworden. Insbesondere das mediale Verhalten gegenüber der Information ist zum Problem geworden, und viele BürgerInnen sind daran, dies zu begreifen. (...) Heute haben die großen Medien diese Funktion [der "vierten Gewalt"] immer weniger. Warum? Die Dynamik der Globalisierung hat zu einem Zusammenschluss zwischen den Interessen der Medien, der Konzerne und der Politik geführt. (...) Sie verfolgen nur ein Ziel: die Rentabilität. Dabei haben sie ihren zivilen Auftrag vergessen, sie haben vergessen, dass sie die vierte Macht sein sollten. Die Information ist nur noch eine Ware - eine Ware, die man immer häufiger gratis verkauft. (...) Die Information wird vereinfacht, damit möglichst viele Menschen sie verstehen. Zudem wird der Sensationsgehalt hervorgehoben."
Kritiker wie Ramonet oder auch Gesine Schwan weisen auf folgende Trends hin, welche eine fortschreitende Entwertung verantwortungsvoller Berichterstattung andeuten,
Die immer engere Verzahnung zwischen privaten Interessen und den Medien, welche durch eine fortschreitende Medienkonzentration begünstigt wird,
die Durchkommerzialisierung und Ökonomisierung der Informationen sowie öffentlichen Aufklärung,
die Reduktion der Komplexität und Vielschichtigkeit von Sachverhalten und gesellschaftlichen Problemlagen sowie
der daraus folgende Negativismus und Effekthascherei statt Meinungsbildung.
Laut Zumach kommen weitere politische und strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen hinzu, welche das journalistische Arbeiten erschweren, wie den "regierungs- und elitenfixierten Meutenjournalismus bei außen- und sicherheitspolitischen Themen" im Sinne einer fehlenden Unabhängigkeit und professionellen Distanz, der sich vor allem dann durchsetze, wenn das eigene Land an einem internationalen Konflikt beteiligt ist; die "immer raffiniertere Kriegspropaganda sowie die Einbindung von JournalistInnen und Medien in Kriegsvorbereitung und Kriegsführung"; die "Diktatur der modernen Online-Kommunikationstechnologien", welche Recherchezeiten immer weiter einschränke, sowie die "Privatisierung der elektronischen Medien und Kostendruck", welche den Konkurrenzdruck verschärfe und zu einer Abnahme der journalistischen Qualität geführt habe.
Diskrepanz zwischen Demokratievermittlung und Wirtschaftlichkeit
Diese Grundproblematiken im Wirken der Medien wurden im Jahr 2005 durch die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) in ihrer Generalversammlung aufgegriffen. Sie schlug ein "Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen"
Damit macht das EU-Parlament auf ein weiteres strukturelles Defizit in der gegenwärtigen Funktionsweise von Medien aufmerksam: Während Medien eine öffentliche Rolle im Sinne von Information, Meinungsbildung, Bürgerbeteiligung und Demokratievermittlung zugeschrieben wird, müssen sie vor allem wirtschaftlich reüssieren. Dies gilt für die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten zwar nur eingeschränkt, dennoch können auch sie sich der Marktlogik nicht komplett entziehen. Die Diskrepanz zwischen Demokratievermittlung und Wirtschaftlichkeit wird in Zeiten zunehmender Konkurrenz und Sparzwängen wie auch kostenloser Informationsangebote (vor allem im Internet) immer offensichtlicher - ohne jedoch behaupten zu wollen, dass Medien zu Zeiten boomender Wachstumsphasen ihrer Kontrollfunktion besser nachgekommen wären.
Möglichkeiten des kritischen Journalismus
Angesichts der fortschreitenden Entwertung verantwortungsvoller Berichterstattung, der Kommerzialisierung und Medienkonzentration herrscht eine gewisse Ratlosigkeit im Hinblick auf die Umsetzungs- und Finanzierungsmöglichkeiten von kritischem Journalismus.
Etwas grundsätzlicher lassen sich die Forderungen von einigen im Mediensektor tätigen Akteuren und Institutionen lesen wie die Deutsche Journalisten-Union oder der Deutsche Journalisten-Verband. Um einer fortschreitenden Pressekonzentration und Monopolbildung, welche die journalistischen Arbeitsbedingungen zur Oberflächlichkeit verurteilten, entgegenzuwirken, brauche es eine stärkere Inpflichtnahme von Medieninhabern, da ihnen eine "enorme demokratische Verantwortung" zukomme, eine "Renaissance" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens als Garantie für mehr "Unabhängigkeit, Qualität, Meinungsvielfalt und Offenheit für alle gesellschaftlichen Gruppen", gleiche Zugangs- und Beteiligungschancen für möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen, ein "freieres, zornigeres, couragierteres journalistisches Selbstverständnis", das auch dafür Sorge trage, dass die mediale Überrepräsentation der Interessen der Mittelschicht
Mehr Mitgestaltung durch neue Medien?
Wenn der politische Gestaltungswille der Bürgerinnen und Bürger nicht primär in Wahlbeteiligung gemessen würde, sondern beispielsweise anhand von Äußerungsplattformen im Internet, die das Schreiben des klassischen Leserbriefs ergänzen, dann ließe sich aus der rasanten Entwicklung der Akzeptanz des Internets auch bei älteren Semestern schließen, dass insgesamt mehr (Beteiligungs-)Wünsche als Möglichkeiten vorhanden sind. Ein Indikator sind Mikromedien im und außerhalb des Internets wie SMS-Abonnements, E-Mail und Twitter, die rege genutzt werden:
Die Angebote der neuen Medien verdrängen zwar nicht das Fernsehen oder andere klassische Medien wie Tageszeitungen, die mittlerweile ebenfalls im Internet vertreten sind. Doch haben sie auch Nachteile. So übersehen die Nutzerinnen und Nutzer häufig die "Spuren", die sie etwa im Internet hinterlassen: Viele Angebote sind nur vermeintlich kostenlos, sie (re-)finanzieren sich häufig über das Sammeln von Nutzerdaten
Hinzu kommt, dass die Fülle an medialen Ausdrucksformen bei den Nutzerinnen und Nutzern Illusionen einer Mitgestaltung, Mitsprache und Beteiligung nähren kann ("Placebo-Debatten") wie etwa bei Online-Petitionen, welche zur Einberufung einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses mindestens 50000 Unterstützer brauchen. Zwar kann in kurzer Zeit eine sichtbare Masse von Menschen und Meinungen mobilisiert werden, es kann Druck aufgebaut werden, aber die in der Petition erhobenen Forderungen haben keinerlei legale Bindungskraft.
"Demokratische Zensur"?
Es wäre kurzsichtig, den neuen Formaten im Netz eine inhärente Fähigkeit zur Stärkung von Demokratie zuzusprechen. Die neuen Medien (vor allem das Internet) bieten in der Tat viele Potenziale zur breiteren Partizipation und Steigerung der Transparenz von Entscheidungs- und Diskussionsprozessen. Doch, ob und wie sie genutzt werden, steht auf einem anderen Blatt. Hinzu kommt, dass der Niedrigschwelligkeit, ein Angebot zu erstellen, die Schwierigkeit folgt, Aufmerksamkeit auf sein Angebot zu lenken. Der Aufmerksamkeitsökonomie kommt damit eine noch zentralere Bedeutung zu als bisher. Ignacio Ramonet spricht in dem Zusammenhang von einer "demokratischen Zensur", die sich dadurch auszeichne, dass sich eine Fülle von Informationen über die Interessierten ergieße, deren Zeit aber begrenzt sei.
Ramonet schlägt vor, dass sich "diese anderen, die unabhängigen Medien, die Gegeninformation bringen, die eine wirklich demokratische Information verbreiten, alle diese Akteure (...) zusammenschließen, um eine fünfte Macht zu bilden. Die Qualität der Demokratie hängt von der Qualität der demokratischen Debatte ab. Und die funktioniert nur, wenn unabhängige Medien, die vor ökonomischen Repressalien keine Angst haben, ihr eigenes Informationskonzept entwickeln können."
Zweifelsohne ist es nötig, für eine unabhängige Aufgabenbewältigung auch finanzielle Unabhängigkeiten zu schaffen - dafür gibt es aber bisher keine Modelle, die nicht wiederum neue Abhängigkeiten kreieren. Möglichkeiten wie das Genossenschaftssystem der Tageszeitung (taz), Recherchestiftungen oder auch ein öffentlich-rechtlichtes System für Print- und Online-Journalismus könnten erfolgversprechend sein, da immer mehr Bürgerinnen und Bürger Missstände beklagen und bereit sind, sich für eine Verbesserung einzusetzen.
Verantwortung der Mediennutzer für eine lebendige Demokratie
Doch Medienschaffende tragen nicht alleine die Verantwortung für die medialen Erscheinungsbilder. Auch Mediennutzer tragen durch ihre Nachfrage und ihren Medienkonsum dazu bei, dass bestimmte Themen, Sichtweisen und Analyseraster dominieren, wodurch die Trends zur Ökonomisierung der öffentlichen Aufklärung und zur Vereinfachung komplizierter Zusammenhänge angetrieben werden. Ein Erklärungsfaktor dafür könnte eine unzureichende Medienkompetenz der Konsumentinnen und Konsumenten mitsamt einer unzureichenden Förderung der Reflexion von Meinungsbildungsprozessen sein. Dies allerdings setzt mindestens folgende Fähigkeiten voraus:
Hintergrundwissen über das Wirken von Medienmachern sowie über die Auswahl und Bearbeitung von Medienmaterial,
Sensibilität für metaphorische Konzepte zur Idealisierung oder Dämonisierung von Menschengruppen und Rollenstereotype,
Fähigkeit zum Erkennen offener, aber noch mehr subtiler Werbung,
Fähigkeit zur kritischen Quellenbewertung.
Der Bildungssektor scheint in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den hier aufgeworfenen Problematiken hinterher zu hinken. So stehen weder eine systematische Sprachreflexion noch eine echte Medienbildung oder Reflexion von Meinungsbildungsprozessen in den evaluierten Inhalten von Lehrplänen, obwohl immer mehr interpretative Dekonstruktionsleistungen erbracht werden müssen, um die öffentlich geäußerten Botschaften zu dechiffrieren.
Dagegen scheint sich in Hinblick auf die öffentlichen Diskussionen und Lehrinhalte an Schulen die "Heilsbotschaft der Technik" durchzusetzen.