Einleitung
Bildschirmmedien wie Fernsehen und elektronische Spiele nehmen im Alltag von Jugendlichen (vor allem bei Jungen) einen hohen Stellenwert ein, wie sich etwa anhand der Ergebnisse der alljährlichen JIM-Studie zur Mediennutzung von 12- bis 19-Jährigen in Deutschland ablesen lässt.
Dieser Beitrag betrachtet Medien mit gewalthaltigen Inhalten aus der Sicht der sozialpsychologischen Aggressionsforschung und greift damit aus der Vielzahl möglicher Medienwirkungen diejenigen heraus, die weithin als problematisch betrachtet werden. Nicht berücksichtigt werden an dieser Stelle andere potenzielle Wirkungen speziell gewalthaltiger Darstellungen wie erhöhte Angstzustände
Ist hier von Aggression die Rede, ist damit absichtliches, zielgerichtetes Verhalten gemeint, mit dem eine andere Person körperlich oder auch psychisch geschädigt werden soll, wobei Studien den Fokus oft auf physische Aggressionsformen gelegt haben. Dabei werden nur sehr selten schwere Formen der körperlichen Aggression oder Gewalt erfasst, meist ist hierunter eher alltäglich zu beobachtendes Verhalten zu verstehen wie verbale Attacken (z.B. beleidigen, beschimpfen) oder Handgreiflichkeiten (z.B. schubsen, treten, schlagen). Es geht in der Forschung also weniger um die Frage, ob Personen, die viel mediale Gewalt konsumieren, auch zu Gewalttätern werden, als darum, zu untersuchen, wie der Konsum solcher Inhalte dazu beiträgt, dass sich gerade Kinder und Jugendliche im Alltag schrittweise immer aggressiverer Konfliktlösungsstrategien bedienen und Aggression als legitimes und erfolgreiches Mittel zur Erreichung ihrer Ziele ansehen.
Das Risiko der aggressionsfördernden Wirkung von Mediengewalt wird für Kinder und Jugendliche (im Vergleich zum Risiko für Erwachsene) als besonders gravierend eingeschätzt. Kinder und Jugendliche zeichnen sich nicht nur durch ein intensives Nutzungsverhalten aus, sondern befinden sich auch in einer sensiblen Entwicklungsphase im Hinblick auf aggressionsbezogene Normen und Einstellungen. Demzufolge besteht ein besonderer Bedarf an längsschnittlich angelegten Untersuchungen, welche die Auswirkungen des Gewaltkonsums über die Zeit hinweg verfolgen und klare Aussagen zum Verlauf der Kausalität treffen können. Entwicklungspsychologische Untersuchungen zeigen, dass zwischen 11 und 15 Jahren die Aggressivität bei Jugendlichen ansteigt. Das Mediennutzungsverhalten im Hinblick auf eine wachsende Vorliebe für gewalthaltige Inhalte zeigt einen parallelen Verlauf.
Im Folgenden soll ein Überblick über den aktuellen Stand der psychologischen Forschung zu den kurz- und langfristigen Auswirkungen des Konsums gewalthaltiger Medieninhalte auf das Aggressionspotenzial gegeben werden, wobei theoretische Annahmen zu Wirkmechanismen mit empirischen Studienbefunden verknüpft werden. Dabei liegt allen zitierten Forschungsarbeiten ein multikausales Verständnis der Aggressionsentstehung zugrunde: Aggression im Kindes- und Jugendalter ist meist ein Produkt verschiedener sich wechselseitig bedingender Faktoren.
Die ermittelten Effektstärken des Zusammenhangs von Gewaltkonsum und Aggression sind Meta-Analysen zufolge in ihrer Höhe als schwach bis mittel stark einzustufen.
Kurzfristige Auswirkungen
Die kurzfristige Wirkung der Beschäftigung mit gewalthaltigen Medieninhalten wird zum einen durch die Theorie der Erregungsübertragung erklärt, die auf die durch den Medienkonsum ausgelöste Erregung abhebt. Danach kommt es im Anschluss an den Medienkonsum zu einer Intensivierung emotionaler Reaktionen, da uns während des Zuschauens oder Spielens in der Regel keine Möglichkeit geboten wird, unsere Emotionen vollständig zu durchleben. Die Erregungsreaktion überdauert so die eigentliche Filmszene oder Spielepisode, die sie ausgelöst hat, und verstärkt folglich das Gefühlserleben in nachfolgenden Szenen oder auch in Situationen im Anschluss an den Medienkonsum.
In empirischen Studien ist vielfach belegt worden, dass gerade Gewaltdarstellungen kurzfristig physiologisch erregend wirken.
Eine andere Erklärung kurzfristiger Wirkungen bietet die Stimulationsthese, die sich auf die Erhöhung der kognitiven Zugänglichkeit aggressionsbezogener Gedanken bezieht. Sie besagt, dass ein gewalthaltiger Medieninhalt bereits vorhandene aggressive Gedanken oder/und Gefühle in unserem Gedächtnis aktiviert.
Dass es tatsächlich kurz nach dem Konsum gewalthaltiger Filme oder Spiele zu einer erhöhten Verfügbarkeit aggressiver Gedankeninhalte kommt, konnte wiederholt empirisch nachgewiesen werden. Häufig werden dazu in Laborstudien Reaktionszeitexperimente genutzt. Diese zeigen, dass Testpersonen im Anschluss an den meist nur wenige Minuten andauernden Gewaltkonsum schneller auf aggressives Wortmaterial reagieren, welches ihnen am Computer dargeboten wird, als auf neutrale Texte.
Wenn solche Aktivierungseffekte auch hauptsächlich als sofortige Auswirkung gelten, so können sie doch auch langfristig eine Veränderung der kognitiven Strukturen bewirken. Eine häufig wiederholte Aktivierung aggressiver Gedankeninhalte führt über die Zeit zu einer Art chronischer Verfügbarkeit der entsprechenden Wissensstrukturen und kann so die Wahrnehmung und Interpretation der betreffenden Person in vielen sozialen Situationen nachteilig beeinflussen.
Langfristige Auswirkungen
Zur Erklärung der langfristigen Wirkung des habituellen Gewaltkonsums sind vor allem zwei Prozesse von Bedeutung: soziales Lernen und emotionale Abstumpfung. Grundlage der Anwendung sozial-kognitiver Lerntheorien
Die Skripttheorie,
Eine Studie an deutschen Jugendlichen der siebten und achten Klassenstufe hat unter anderem gezeigt, dass diejenigen, die häufig und gewohnheitsmäßig Gewaltspiele in ihrer Freizeit nutzten, in der Interpretation kurzer fiktiver Geschichten die Absicht der Hauptfiguren als feindseliger und aggressiver einschätzten als diejenigen, die solche Spiele nicht konsumierten. Sie gaben außerdem öfter als die anderen an, mit aggressiven Verhaltensweisen reagieren zu wollen, wenn sie sich in die Rolle der Hauptperson hineinversetzen sollten.
Den Normen wird zudem eine Art Filterfunktion zugeschrieben, in dem Sinne, dass sie unangebrachte Verhaltensweisen aus dem Verhaltensrepertoire einer Person ausschließen. Wenn ein Kind also erst einmal an eine aggressive Verhaltensweise als mögliche Handlungsalternative gedacht hat, wird es diese - bei entsprechender Ausprägung der eigenen Normen - mit geringerer Wahrscheinlichkeit wieder verwerfen und friedliche Konfliktlösungen immer seltener ausprobieren.
Neben der Auswirkung auf kognitive Interpretationsmuster schlägt sich der intensive Konsum von Gewaltmedien auch auf der Ebene der emotionalen Reaktionen nieder. Das Konzept der Desensibilisierung beschreibt den Prozess der Abstumpfung gegenüber emotional erregenden Reizen, die sich sowohl auf der Ebene des erlebten Gefühls (z.B. reduziertes Angsterleben) als auch auf der Ebene der körperlichen Erregung zeigt.
Eine Desensibilisierung führt schrittweise zu einer Veränderung in den emotionalen Reaktionen (Abschwächung negativer Gefühle; Abnahme des Einfühlungsvermögens) und in den Kognitionen (Gewalt wird als normal und weit verbreitet betrachtet sowie als effektives Mittel zur Zielerreichung). Gewalthaltige Bildschirmspiele beispielsweise bekräftigen aggressive Handlungen (durch Belohnungen wie Punkte oder das Erreichen des nächsten Levels), und Gewalt wird als akzeptabel dargestellt, da sie nicht real, sondern nur in einer virtuellen Welt ausgeführt wird. Empathie mit den Opfern ist nicht notwendig, da diese ja nicht tatsächlich leiden und keinen Schmerz empfinden können.
Studien in den USA konnten sowohl an Kindern als auch an Studierenden zeigen, dass intensiver Gewaltspielkonsum mit einer Abnahme des Mitgefühls mit Menschen in Notsituationen und Opfern von Gewalthandlungen im realen Leben einhergeht.
Kausalitätsfrage: Selektion oder Wirkung?
Gerade die Längsschnittuntersuchungen sind geeignet, eine weitere, konkurrierende Hypothese zu testen: die sogenannte Selektionsthese. Diese geht von einer umgekehrten Kausalität zwischen Mediengewaltkonsum und Aggression aus und besagt, dass die Personen, die (aus einer Vielzahl von Gründen) besonders aggressiv sind, sich stärker zu Gewaltinhalten hingezogen fühlen und diese verstärkt nutzen. Da in den wiederholten Befragungen zu allen Zeitpunkten sowohl der Konsum als auch das Verhalten gemessen werden, können beide Wirkrichtungen geprüft werden. Die Befundlage dazu ist heterogen; möglicherweise verändert sich im Laufe der kindlichen Entwicklung aber auch die Richtung des Zusammenhangs.
Für Deutschland liegen bislang folgende Befunde vor: Eine Studie an Grundschulklassen brachte Ergebnisse, welche die Selektionsthese stützen;
Das letzte Ergebnis reiht sich in Resultate aus der amerikanischen Forschung ein: Im Hinblick auf die aggressionsfördernde Wirkung des Gewaltfernsehens konnte dort anhand von Studien, die ihre Teilnehmer bis zu 30 Jahre begleiteten, die Auswirkung des Konsums im Kindesalter (erste Messung im Alter von acht Jahren) auf aggressives und delinquentes Verhalten im mittleren Erwachsenenalter nachgewiesen werden.
Betrachtet man dieses Wirkgefüge genauer, drängt sich die Frage auf, inwieweit nicht auch der (niedrige oder hohe) Gewaltkonsum und die persönliche Ausprägung der Aggressivität gemeinsam eine Wirkung auf das zukünftige Verhalten entfalten. Eine Reihe von Studien aus den USA kam diesbezüglich zu folgendem Ergebnis: Je aggressiver ein Mensch bereits ist, desto mehr beeinflusst die Darbietung von Mediengewalt sein aggressives Verhalten.
Jüngere Untersuchungen an deutschen Jugendlichen ergaben jedoch, dass gerade diejenigen, die zunächst wenig aggressiv waren, bei hohem Gewaltkonsum stärkere Auswirkungen auf das aggressive Verhalten zeigen, als Jugendliche, deren Aggressionspotenzial von vornherein höher war.
Zusammenfassung und Ausblick
Über die potenziell aggressionsfördernde Wirkung des regelmäßigen Konsums gewalthaltiger Medieninhalte wird in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert, wobei das Spektrum der vertretenen Positionen von der monokausalen Verursachung extremer Gewalttaten, etwa von Amokläufen an Schulen, bis hin zur Leugnung jedweder Beziehung zwischen Gewaltkonsum und Aggressionsbereitschaft reicht.
Dieser Beitrag hat einerseits gezeigt, dass es mittlerweile eine Vielzahl von Belegen für einen Zusammenhang zwischen Gewaltkonsum und Aggression gibt und die vermittelnden Prozesse, insbesondere der Erwerb aggressiver Verhaltensdrehbücher und die emotionale Abstumpfung, zunehmend klarer hervortreten. Andererseits ist aber auch deutlich geworden, dass der Konsum gewalthaltiger Medien nur einer von vielen Faktoren ist, die mit aggressivem Verhalten in Beziehung stehen oder es gar kausal bestimmen.
Die nachgewiesenen Effektstärken sind von moderater Größenordnung, und die Frage, welche anderen Variablen in der Person oder dem sozialen Umfeld die Effekte des Gewaltkonsums verstärken oder mindern können, ist noch nicht hinreichend geklärt. Offen ist auch die Frage der möglicherweise unterschiedlichen Wirkkraft von Gewalt in Filmen und Gewalt in Spielen. Die wenigen Einzelstudien, die hierzu bislang vorliegen, zeichnen noch kein klares Bild. Weiteren Forschungsbedarf gibt es im Hinblick darauf, welches Wirkpotenzial verschiedene Darstellungsformen oder neue Techniken haben (z.B. Gewaltspiele auf Konsolen wie etwa der "Wii", die durch körperliche Bewegung gesteuert werden).
Angesichts der weltweiten Verbreitung gewalthaltiger Medien und der hohen Nutzungsintensität gerade im Jugendalter ist die Größenordnung der Effekte allerdings als bedeutsam anzusehen und wirft die Frage nach wirksamen Interventionsansätzen auf.
Jenseits der Konsumreduktion sind Ansätze Erfolg versprechend, welche die Fähigkeit der Kinder und Jugendlichen zur Selbstregulation und eine kritische Reflexion der Darstellung und Bewertung von Gewalt in der fiktionalen Realität der Filme und Bildschirmspiele fördern. Trainingsstudien, die auf die Förderung dieser spezifischen Facette der Medienkompetenz abzielen, gibt es allerdings nur sehr wenige und sind fast ausschließlich für Kinder im Grundschulalter konzipiert. Da gerade im frühen Jugendalter der Konsum gewalthaltiger Inhalte stark ansteigt, sollte diese Altersgruppe aber dringend stärker in den Fokus solcher Interventionsmaßnahmen rücken. Dass sich auch in der Adoleszenz noch positive Effekte solcher (klassenbasierten) Trainings nachweisen lassen, konnte in einer unlängst abgeschlossenen deutschen Evaluationsstudie gezeigt werden.