Einleitung
Der Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 markiert einen Wendepunkt in der globalen Klimapolitik. Die Hoffnung, zügig zu einem Abkommen zu kommen, das die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen in absehbarer Zeit wirksam reduzieren könnte, hat sich zerschlagen. Doch das Elend von Kopenhagen hat auch sein Gutes: Die Erwartungen an die internationale Klimadiplomatie können gesenkt werden, sodass die Vielzahl an kompetenten und engagierten Regierungsvertretern, die es sehr wohl gibt, lösbare Aufgaben anpacken können; gleichzeitig können andere Zugänge zu einer globalen Emissionsreduktion gesucht werden, die weitere Akteure ins Spiel bringen.
Eine bedenkenswerte Einschätzung des enttäuschenden Klimagipfels von Kopenhagen stammt aus der Blogosphäre: "Man kann es auch positiv sehen: Das 2-Grad-Ziel setzt sich in den Köpfen fest, die Öffentlichkeit verfolgt die Klimaentwicklung aufmerksam und es gibt einige Länder, die schon konkrete Schritte zum Klimaschutz eingeleitet haben (unter ihnen Deutschland)."
Das Zwei-Grad-Ziel besagt, dass die globale Erwärmung langfristig auf höchstens zwei Grad Celsius (2°C) über der globalen Mitteltemperatur vor der Industrialisierung beschränkt werden soll. Warum aber 2°C? Die Antwort lautet ganz ähnlich wie bei der Frage, warum die Geschwindigkeit von Autos im Stadtverkehr normalerweise auf 50 Kilometer pro Stunde begrenzt wird. Würden die Autos viel schneller fahren, wäre das viel zu gefährlich, würden sie viel langsamer fahren, käme der Verkehr zum Erliegen, und vernünftigerweise setzt man eine runde Zahl als Grenzwert. Mit anderen Worten: Auf Dauer profitieren alle davon, wenn sie sich so koordinieren.
Deshalb ist zu begrüßen, dass sich die Klimakonferenz in Kopenhagen wenigstens dazu durchringen konnte, die folgende, ebenso schwerfällige wie wichtige Formulierung festzuhalten: "Um das letztliche Ziel der Konvention, die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf einem Niveau, das eine gefährliche Störung des Klimasystems vermeidet, zu stabilisieren, zu erreichen, werden wir, in Anerkennung der wissenschaftlichen Sicht, wonach der Temperaturanstieg unter 2° Celsius bleiben sollte, auf der Grundlage von Fairness und im Rahmen nachhaltiger Entwicklung, unser langfristiges Handeln zur Bekämpfung des Klimawandels verstärken."
Die Kopenhagener Erklärung, aus der diese Formulierung stammt, ist ebenso wenig ein völkerrechtlich bindendes Dokument wie die Erklärung, in der die G8-Regierungen 2009 feststellten: "Wir erkennen die weit verbreitete wissenschaftliche Sicht an, dass der Anstieg der globalen Mitteltemperatur über vorindustrielle Werte 2°C nicht übersteigen sollte."
Die Rahmenkonvention ist von fast allen Ländern der Welt - auch von den USA - ratifiziert worden, also nicht nur von den Ländern, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben. Sie ist geltendes Völkerrecht. Und auch wenn die Verbindlichkeit des Völkerrechts sehr viel weniger festgefügt ist als die nationaler Gesetze, bleibt das alte römische Prinzip pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten) eine Regel, an welche sich die Weltgemeinschaft im gemeinsamen langfristigen Interesse halten sollte. Deshalb hat die Frage, wie der Ausdruck "gefährliche Störung des Klimasystems" zu interpretieren sei, eine erhebliche Tragweite. Schon deshalb ist es wichtig, einen Überblick über die Debatte zum Zwei-Grad-Ziel zu gewinnen. Darüber hinaus ist diese Debatte von grundsätzlicher Bedeutung für die weltweite klimapolitische Herausforderung, die eines der großen Themen des 21. Jahrhunderts sein wird.
Eine frühe Intuition
Der erste Vorschlag, 2°C als kritische Grenze für die Klimapolitik zu verwenden, kam 1975 von William D. Nordhaus. Der inzwischen international einflussreichste Klima-Ökonom schrieb damals: "Als erste Annäherung scheint es vernünftig, zu verlangen, dass die Klimawirkungen von Kohlendioxid innerhalb des normalen Bereichs langfristiger Klimaveränderungen bleiben sollten. Gemäß den meisten Quellen liegt der Variationsbereich zwischen verschiedenen Klimaregimes in der Größenordnung von ±5°C, und gegenwärtig befindet sich das globale Klima am oberen Ende dieses Bereiches. Würden die globalen Temperaturen um mehr als 2 oder 3°C über die heutige Mitteltemperatur steigen, so würde dies das Klima außerhalb des Bereichs der Beobachtungen, die für die letzten mehreren hunderttausend Jahre gemacht wurden, führen."
Nordhaus ist Amerikaner, doch er entwickelte diese Überlegungen während eines Gastaufenthalts am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Österreich. Damit erklärt sich, warum er in Celsius und nicht in Fahrenheit rechnete. Sonst würden wir heute vielleicht vom Vier-Grad-Ziel reden und Fahrenheit meinen. Das entspräche 2,2°C und wäre - wie wir noch sehen werden - von der Sache her genauso gut wie das Celsius-Ziel. Nordhaus aber blieb auch später beim Celsius-Maß und illustrierte 1977 mit einem Diagramm, wie ohne wirksame Klimapolitik das Zwei-Grad-Ziel schon vor 2040 überschritten würde (siehe Abbildung 1 der PDF-Version). Dieses Diagramm beweist eindeutig, dass es das Zwei-Grad-Ziel schon seit 25 Jahren gibt und nicht erst seit 1995, wie teilweise prominent behauptet worden ist.
Nordhaus glaubte damals, eine Erwärmung um 2°C sei etwa gleichbedeutend damit, die vorindustrielle CO2-Konzentration zu verdoppeln, und nahm diese Verdoppelung als vorläufige Bezugsgröße. Das tat auch die große Mehrheit der Modellierer, die in den Folgejahren für den Weltklimarat IPCC immer neue Schätzungen der Auswirkungen einer solchen Verdoppelung produzierten. Die Formulierung des Zwei-Grad-Ziels war aber keineswegs Nordhaus' zentrales Anliegen, er war auch gar nicht sicher, ob seine "erste Annäherung" Bestand haben würde. Vielmehr erklärte er ausdrücklich, "dass der Weg, auf dem in diesem Abschnitt Standards gesetzt werden, sehr unbefriedigend ist".
Ein Jahrzehnt, nachdem Nordhaus seine erste Vermutung veröffentlicht hatte, wurden genauere Schätzungen vergangener Temperaturen möglich. Dazu wurde in der Antarktis und anderswo Eis aus verschiedenen Schichten gebohrt, da dieses kleine Lufteinschlüsse aus weit zurückliegenden Epochen enthält. Die daraus gewonnenen Daten unterstützen die These, dass die globale Durchschnittstemperatur in den vergangenen 100000 Jahren nie viel mehr als 2°C über denen um 1800 lag.
Idee der Klimakatastrophe
Während mehr als eines Jahrzehnts fristete Nordhaus' Intuition ein unauffälliges Dasein in zwei Arbeitspapieren und der einen oder anderen Diskussion unter Wissenschaftlern. Das änderte sich 1990, im Jahr, in dem der IPCC seinen ersten Sachstandsbericht veröffentlichte. Allerdings war es keineswegs der Weltklimarat, der das Zwei-Grad-Ziel in die breitere Diskussion brachte. Bis auf den heutigen Tag gibt es kein einziges IPCC-Dokument, das dieses Ziel vertreten bzw. begründen würde - dazu ist das Thema viel zu nahe an der politischen Entscheidungsfindung, zu welcher der IPCC gemäß seinem Mandat einen gebührenden Abstand halten soll. 1990 wurde jedoch auch ein einflussreicher Bericht der Advisory Group on Greenhouse Gases (AGGG) veröffentlicht, der entschieden für das Zwei-Grad-Ziel eintrat.
Nordhaus hatte das Zwei-Grad-Ziel mit einer natürlichen Variationsbreite vergangener Klimaschwankungen begründet. In der von ihm betrachteten Zeitspanne war es aber sowohl zu einer dicken Eisdecke über großen Teilen Europas gekommen als auch zu Schwankungen des Meeresspiegels von über 100 Metern und in Grönland zu Temperatursprüngen von über 15°C innerhalb weniger Jahrzehnte - lauter Entwicklungen, welche sich die wenigsten Menschen für die Zukunft wünschen dürften. Entsprechend zog der AGGG-Bericht ein neues Kriterium zur Begründung des Zwei-Grad-Ziels heran: Eine Erwärmung um 2°C sei eine obere Grenze, jenseits welcher die Risiken schwerer Schäden für Ökosysteme voraussichtlich schnell ansteigen würden.
Während der AGGG-Bericht unter Klimaexperten erhebliche Beachtung fand, entfaltete das Zwei-Grad-Ziel auch durch diesen Bericht keine nennenswerte politische Wirkung. Das änderte sich, als Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des 1992 gebildeten Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und später Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WBGU), das Thema aufgriff: Im Anschluss an die erste Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention 1995 in Berlin, die von der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel geleitet wurde, prägte Schellnhuber die Stellungnahme des WBGU mit einer einflussreichen Argumentation zum Zwei-Grad-Ziel.
Die These, wonach es eine globale Mitteltemperatur gibt, jenseits welcher wichtige Risiken plötzlich anwachsen, hat die Idee einer "Klimakatastrophe" geprägt. Während das emotionale Gewicht dieser Idee offensichtlich ist, gibt es eine weniger offensichtliche Verbindung zur mathematischen Katastrophentheorie. In dieser Theorie werden Systeme untersucht, bei denen eine allmähliche Veränderung eines kritischen Parameters zunächst das Systemverhalten geringfügig verändert, aber an einem bestimmten Punkt - manchmal tipping point genannt - zu einer schlagartigen, "katastrophalen" Veränderung des Systemverhaltens führt. Abbildung 2 (siehe Abbildung 2 der PDF-Version) illustriert diese Situation am Beispiel einer Kugel, die sich in einer Mulde hin und her bewegen kann, die aber plötzlich abstürzt, wenn sie einen kritischen Rand überschreitet.
Ein wichtiges Beispiel für die Verbindung zwischen Klimawandel und mathematischer Katastrophentheorie ist ein Muster, das Ozeanographen "die Katastrophenstruktur der thermohalinen Konvektion" genannt haben.
Solche Argumente verliehen dem Zwei-Grad-Ziel wachsende Plausibilität. So empfahl 2005 eine internationale Gruppe von hochrangigen Entscheidungsträgern und Experten (beraten durch Rajendra Pachauri, dem späteren Vorsitzenden des IPCC), die International Climate Change Taskforce, dass "ein langfristiges Ziel gesetzt wird, um zu verhindern, dass die globale Mitteltemperatur mehr als 2°C (3,6°F) über das vorindustrielle Niveau ansteigt".
Wettbewerb von Kosten-Nutzen-Analysen
Nordhaus selbst entwickelte seine Überlegungen zum Klimaproblem in eine andere Richtung. Er versuchte, die Vor- und Nachteile unterschiedlicher klimapolitischer Optionen abzuschätzen, um so jene Optionen zu identifizieren, bei denen die Vorteile die Nachteile am stärksten überwiegen würden. Den Hauptvorteil jeglicher Klimapolitik sah er darin, dass ein größeres Sozialprodukt erwirtschaftet werden könne, wenn Klimaschäden entfallen. Dabei transformierte er nichtmonetäre Schäden (etwa den Verlust einer beliebten Landschaft) in monetäre Größen (zum Beispiel, indem er sich fragte, wie viel die Menschen zu bezahlen bereit wären, um den jeweiligen Schaden zu vermeiden). Den Hauptnachteil wiederum sah er darin, dass klimapolitische Maßnahmen Ressourcen binden würden, die dann nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung stünden (das gilt auch für fossile Energieträger, die nicht mehr genutzt werden können), wodurch das mögliche Sozialprodukt verkleinert würde. Das führte ihn dazu, eine Klimapolitik als optimal zu empfehlen, die im Jahr 2100 schon deutlich mehr als 2°C und im folgenden Jahrhundert noch höhere Werte zulässt.
In vielen Bereichen der Umweltpolitik ist die Kosten-Nutzen-Analyse als Standardverfahren vorgeschrieben, und ihre Anwendung auf die Klimapolitik durch Nordhaus hat die Klimadebatte massiv verändert. Insbesondere in den USA ist es praktisch unmöglich, eine Klimapolitik erfolgreich zu vertreten, wenn nicht Kosten und Nutzen nach dem angegebenen Muster abgeschätzt werden. Manche Verfechter des Zwei-Grad-Ziels reagierten darauf, indem sie zu zeigen versuchten, dass diese Marke das Kriterium der Kosten-Nutzen-Analyse erfüllt. Der umfassendste Versuch zu einer Kosten-Nutzen-Analyse, die eine deutlich niedrigere Zieltemperatur ergibt als jene von Nordhaus, ist der Stern-Report (benannt nach seinem Verfasser, dem britischen Ökonomen Sir Nicholas Stern).
Der Stern-Report von 2007 besagt, dass es etwa ein Prozent des globalen Sozialprodukts kosten würde, das 550-ppm-Ziel zu erreichen. Gleichzeitig würde dadurch aber ein Nutzen von 5 bis 20 Prozent des globalen Sozialprodukts entstehen. Wenn das zutrifft, dann ist die von Stern vorgeschlagene Klimapolitik natürlich besser als gar keine Klimapolitik. Die Frage ist allerdings, ob das die einzigen beiden Möglichkeiten sind. Hier ist nicht der Ort für eine umfassende Diskussion des Stern-Reports.
Es ist auch keineswegs gesagt, dass die Kosten-Nutzen-Analyse eine sinnvolle Methode zur Beurteilung globaler Klimapolitik ist. Vielmehr gibt es gewichtige Gründe, das zu bezweifeln.
Ein zweiter Grund ist die Tatsache, dass Menschen keineswegs wohldefinierte Präferenzen für alle erdenklichen Ereignisse haben. Vielmehr entwickeln und verändern wir unsere Wünsche, Bedürfnisse und ethischen Überzeugungen im Laufe unseres Lebens durch die Auseinandersetzung mit neuen Problemen. In diesem Sinne ist es angesichts des Klimaproblems mindestens so wichtig, die Bildung neuer Präferenzen in gemeinsamen Lernprozessen zu fördern, wie zu versuchen, aus bestehenden Präferenzen eine optimale Klimapolitik abzuleiten.
Ein ernstes Koordinationsspiel
Die Vielzahl unterschiedlicher Präferenzen, die bei einer Kosten-Nutzen-Analyse des Zwei-Grad-Ziels zu berücksichtigen wären, bietet auch einen Schlüssel zur Beantwortung der Frage, wieso dieses Ziel schrittweise immer breiter akzeptiert worden ist. Dazu ist es wichtig, sich ein Koordinationsspiel zu vergegenwärtigen: Stellen wir uns vor, zwei Dutzend Leute aus der ganzen Welt, die sich nicht kennen, erhalten folgende Information: Nächsten Samstag werden Sie einzeln nach Paris geflogen und an unterschiedlichen Orten dieser Stadt abgesetzt. Wenn Sie es schaffen, sich Sonntagmittag zu treffen, erhält jeder ein Rückflugticket und eine Million Euro. Wenn nicht, erhalten Sie nichts und müssen ihren Heimweg auf eigene Faust antreten. Was ist in dieser Situation zu tun?
Die Chance, dass sich die Gruppe Sonntagmittag unter dem Eiffelturm treffen wird, ist bemerkenswert groß. Spieltheoretiker nennen den Eiffelturm in diesem Zusammenhang einen "fokalen Punkt". Die zu Beginn erwähnte Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 Kilometer pro Stunde in vielen Städten ist ebenfalls ein fokaler Punkt. Eine einheitliche Geschwindigkeitsbeschränkung ist sinnvoll, um Unfälle zu vermeiden, und die Erfahrung zeigt, dass eine solche Beschränkung sinnvoller Weise nicht gut unter 30 oder über 70 Stundenkilometern liegen sollte. 50 ist dann einfach eine runde Zahl, die den Zweck erfüllt - und dadurch Menschenleben rettet.
Es ist lehrreich, sich die Rolle von Wissenschaftlern bei der Festlegung von Geschwindigkeitsbegrenzungen zu vergegenwärtigen. Wissenschaftler können vielfältige Erkenntnisse und Vermutungen zu den Auswirkungen unterschiedlicher Geschwindigkeiten beisteuern, und das ist zweifellos nützlich und oft unentbehrlich. Hingegen ist es ganz unnötig, eine wissenschaftliche Begründung für den exakten Wert der Geschwindigkeitsbegrenzung zu finden, die über das Verständnis fokaler Punkte in Koordinationsspielen hinausgeht. So haben während mehrerer Jahrzehnte Intuitionen, Einwände und Einsichten dazu geführt, dass 2°C ein fokaler Punkt in der Klimadebatte geworden ist. 4° Fahrenheit wären genauso gut, aber 1,5°C oder eine Verbindung mit weiteren Indikatoren wie Temperaturanstieg pro Dekade wären weniger geeignet. 1°C scheint unsinnig, weil völlig unklar ist, was wir dann tun sollten, da wir schon 0,7°C hinter uns haben und die verbleibenden 0,3°C kaum mehr zu beeinflussen sind. 5°C scheint doppelt unsinnig: Dies würde für mehrere Jahrtausende einen immer weiter ansteigenden Meeresspiegel um letztlich 50 und mehr Meter bedeuten, und es gibt dann gar keinen Handlungsbedarf, also auch kein Koordinationsproblem. 2°C hingegen ist eine deutliche Aufforderung zum Kurswechsel, und wird auch so verstanden.
Zum Eiffelturm zu fahren, wenn man schon einmal in Paris ist, ist keine große Kunst, und dabei noch eine Million Euro zu verdienen, wäre ein hübsches Spiel. Doch das Klimaproblem gehört in diesem Jahrhundert zum Ernst des Lebens, und das Zwei-Grad-Ziel wird nur auf einem Weg mit vielen Hindernissen und Überraschungen zu erreichen sein. Dazu braucht es keinen festgefügten Masterplan, sondern eine Strategie, welche die eigene Lernfähigkeit bewusst einsetzt.
Fünf Elemente einer Strategie für 2°C
Ein Hauptgrund für das Debakel von Kopenhagen liegt darin, dass alle maßgebenden Akteure die globale Klimapolitik für die unmittelbare Zukunft als Nullsummenspiel betrachten. Konkret heißt das, dass jede Nation und Nationengruppe davon ausgeht, dass Emissionsreduktionen kurzfristig zu Wohlstandsverlusten führen. So werden die Klimaverhandlungen zu einem Schwarzer-Peter-Spiel, bei dem derjenige den Schwarzen Peter zieht, der die größten Emissionsreduktionen akzeptieren muss. So ergibt sich eine weitgehende Blockierung der internationalen Klimapolitik.
Zweifellos gibt es Länder, für die eine kurzfristige Emissionsreduktion schnell zu Wohlstandsverlusten führt, man denke etwa an das kohlereiche Polen. Und es gibt wohl kein Land, das von heute auf morgen seine Emissionen auf Null reduzieren könnte, ohne drastische Wohlstandsverluste hinnehmen zu müssen. Aber das heißt keineswegs, dass es keine Länder gibt, die einen Reduktionspfad im Sinne des Zwei-Grad-Ziels gehen und dabei ihren Wohlstand steigern können. Mit anderen Worten: Es gibt Länder, denen klimapolitische Win-win-Strategien offenstehen. Deutschland ist ein solches Land.
Ein geeigneter Ansatz für die Erreichung des Zwei-Grad-Ziels ist deshalb das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung, das in Paragraph 3 der Klimarahmenkonvention wie folgt formuliert wird: "Die Parteien sollen das Klimasystem für das Wohl der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen der Menschheit schützen, auf der Basis von Fairness und in Übereinstimmung mit ihren gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortungen und jeweiligen Fähigkeiten. Dementsprechend sollen die entwickelten Länder die Führung im Kampf gegen den Klimawandel und dessen Folgeschäden übernehmen."
1. Die Führungsrolle wird von den Nationen und sonstigen Akteuren übernommen, denen es gelingt, Win-win-Strategien der Emissionsreduktion zu entwickeln.
In diesem Sinne ist es zum Beispiel sinnvoll, wenn die EU ihre Emissionen bis 2020 tatsächlich um 30 Prozent reduziert, und zwar einerseits unabhängig davon, was andere tun, und andererseits so, dass in Europa zusätzliche Beschäftigung und Wohlstand geschaffen werden. Das Zwei-Grad-Ziel bedeutet aber nicht einfach irgendwelche Emissionsreduktionen, sondern langfristig Reduktionen auf beinahe Null. Denn die globale Mitteltemperatur kann nur dann stabilisiert werden, wenn wir jährlich nicht mehr Treibhausgase emittieren, als die Ozeane pro Jahr aufnehmen können. Schon heute sind jedoch die globalen Emissionen etwa viermal so groß. Deshalb ist das zweite Element der gesuchten Strategie:
2. Die Aufgabe der führenden Akteure ist es, Win-win-Strategien für eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 Prozent und mehr zu entwickeln.
Solche Strategien sind volkswirtschaftlich möglich, wenn eine Wirtschaft erhebliche ungenutzte Ressourcen hat, die durch eine kluge Klimapolitik mobilisiert werden können. Für die Welt als Ganzes ist das offensichtlich der Fall, da von rund vier Milliarden Menschen, die in der Lage wären, in der heutigen Weltwirtschaft aktiv mitzuwirken, kaum die Hälfte real zum Zuge kommt. Über zwei Milliarden Menschen leben in einem Zustand der Unterbeschäftigung oder der ungeschützten Arbeitslosigkeit in wirtschaftlich stagnierenden ländlichen Gebieten oder in den Elendsvierteln ungezählter Städte.
Doch auch in einem Land wie Deutschland ist die Arbeitslosigkeit viel größer, als sie sein müsste, die Investitionen geringer, als sie sein sollten. Da der technische Fortschritt im Wesentlichen an learning by doing durch Investitionen gebunden ist, bestehen in Deutschland auch beträchtliche ungenutzte Kapazitäten zur Know-how-Entwicklung.
3. Nach der Finanzkrise 2008/2009 kann in manchen Ländern die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung genutzt werden, um durch geeignete Anreize einen Investitionsschub auszulösen.
Nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 hat die Perspektive des Wettrüstens und dann des Krieges die notwendige Ankurbelung der Investitionen auf verhängnisvolle Weise realisiert. Zum Glück gibt es heute dazu eine sehr viel sinnvollere Alternative: die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung.
4. Es muss für den Fall vorgesorgt werden, dass im Laufe dieses Jahrhunderts CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden muss.
Es ist möglich, die globalen Treibhausgasemissionen innerhalb weniger Jahrzehnte praktisch auf Null zu reduzieren, so wie es möglich ist, im selben Zeitraum eine weitgehende nukleare und konventionelle Abrüstung zu realisieren. Beides ist aber ähnlich unwahrscheinlich. Deshalb muss eine Strategie für das Zwei-Grad-Ziel auch für den Fall vorsorgen, dass wir im Laufe dieses Jahrhunderts CO2 aus der Atmosphäre entnehmen müssen - etwa durch Aufforstung, durch Verbrennen von Biomasse mit Abscheidung und unterirdischer Speicherung des dabei entstehenden CO2 und durch andere, zum Teil noch unbekannte Verfahren.
5. Treibhausgasemissionen müssen einen Preis haben. Die damit verbundenen Erlöse müssen genutzt werden, um emissionssenkende Innovationen zu entwickeln und die Herausforderungen realer Klimaveränderungen zu meistern.
Wie sich der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten im Einzelnen auswirken wird, ist kaum vorherzusagen. Doch man weiß, dass über die kommenden Jahrhunderte eine Erwärmung um wenige Grad den Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen lassen kann. Auch ist bekannt, dass es zwar einzelne Gegenden gibt, die von den Klimaveränderungen vermutlich profitieren werden, viele Gebiete aber vor große Herausforderungen gestellt werden. Diese lassen sich meistern, doch dazu braucht es Ressourcen, die von sozialer Solidarität über technisches Know-how bis zu Finanzmitteln reichen.
Die entscheidende Aufgabe besteht darin, zu zeigen, dass Nationen, Städte, Branchen, Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen so reduzieren können, dass sie eben dadurch wirtschaftlich besser dastehen. Ein globales Klimaregime wird sich als ein komplexes System entwickeln, das globale Abkommen mit regionalen und sektoralen Initiativen verbindet. Nach einigen Jahrzehnten mag dann der fokale Punkt aufgrund neuer Erfahrungen neu definiert werden. Doch um die nötigen Erfahrungen zu sammeln ist das Zwei-Grad-Ziel nicht nur gut genug, sondern auch der beste Fokus, der gegenwärtig verfügbar ist.