Einleitung
Sicherheit ist der zentrale Wertbegriff unserer Gesellschaft. Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren konkurrierten die Begriffe "Sicherheit" und "Frieden" um den Vorrang in Strategiedebatten und Parteiprogrammen. Heute ist "Sicherheit" der Goldstandard nationaler und internationaler Politik, und vom Frieden wird fast nur noch in politischen Sonntagsreden gesprochen. Darin zeigt sich eine veränderte Wahrnehmung politischer Probleme und das, was man den Wandel der Sicherheitskultur nennen kann. Unter "Sicherheitskultur" soll die Summe der Überzeugungen, Werte und Praktiken von Institutionen und Individuen verstanden werden, die darüber entscheiden, was als eine Gefahr anzusehen ist und wie und mit welchen Mitteln dieser Gefahr begegnet werden soll. Dieses Verständnis verbindet zwei Forschungsstränge, nämlich technikwissenschaftliche Ansätze zu safety culture und politikwissenschaftliche Ansätze zu strategic culture.
Ursprünglich geht der Begriff der Sicherheitskultur auf eine Expertengruppe zurück, die im Auftrag der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) 1986 den Reaktorunfall von Tschernobyl untersuchte. Im Anschluss daran werden in der technischen Sicherheitsforschung die institutionellen Grundlagen des Sicherheitsmanagements und das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Organisation als "Sicherheitskultur" bezeichnet.
Diese Sicherheitskultur, so das zentrale Argument dieses Beitrags, wandelt sich und stellt die Sicherheitspolitik zunehmend vor Aufgaben, die kaum noch zu erfüllen sind. Es besteht gegenwärtig ein Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnis und der Fähigkeit staatlicher und internationaler Akteure, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Dabei ist nicht so sehr die absichtsvolle Dramatisierung von politischen Problemen von Seiten politischer Entscheidungsträger, das häufig als die "Versicherheitlichung" (securitization) bezeichnet wird,
Der Wandel der Sicherheitskultur lässt sich anhand der graduellen Erweiterung des Sicherheitsbegriffs in den vergangenen fünfzig Jahren darstellen. Dabei lassen sich vier Dimensionen unterscheiden. Die erste Dimension betrifft das Referenzobjekt, also die Frage, wessen Sicherheit gewährleistet werden soll. Die zweite Dimension ist die Sachdimension, also die Frage, in welchem Problembereich der Politik Sicherheitsgefahren festgestellt werden. Die dritte Dimension betrifft die Raumdimension, mithin die Frage, für welches geografische Gebiet Sicherheit angestrebt wird. Die vierte Dimension betrifft schließlich die Gefahrendimension, also die Frage, wie das Problem konzeptualisiert wird, auf das Sicherheitspolitik antworten soll (vgl. Abbildung in der PDF-Version).
Von der nationalen zur menschlichen Sicherheit
Zunächst stellt sich die Frage, auf wen sich Sicherheitspolitik - sei es die eines Staates oder einer internationaler Organisation - eigentlich bezieht, oder besser: Wessen Sicherheit soll gewährleistet werden? Historisch ist der Sicherheitsbegriff eng mit der Konsolidierung des Staates als Akteur der internationalen Politik verbunden. In der frühen Neuzeit etablierte sich der Nationalstaat als Garantiemacht für die Sicherheit seiner Untertanen. Ohne eine weltpolitische Zentralmacht blieb die Sicherheit des Staates allerdings prekär. Sicherheit bedeutet deshalb in der Lesart des politischen Realismus der 1950er und 1960er Jahre vor allem die Sicherheit des Staates und die Verteidigung seiner Souveränität gegenüber anderen Staaten.
Diese Vorstellung blieb jedoch nicht unwidersprochen. Liberale Theoretiker wie John Locke betonten, dass der Staat vor allem ein Instrument sei, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten und das eigentliche Referenzobjekt folglich die Gesellschaft sein müsse. Gesellschaftliche Sicherheit (social security), wie liberale Theoretiker seit den frühen 1970er Jahren sie im Anschluss an Locke konzipiert haben, zielt demnach auf eine Situation, in der ein Kollektiv von Bürgerinnen und Bürgern in Frieden und Freiheit leben und Produktivität und Wohlstand entwickeln kann.
Trotz der erkennbar "guten Absicht", Sicherheitspolitik stärker in den Dienst menschlicher Bedürfnisse zu stellen, ist diese Erweiterung vielfach kritisiert worden. Der Begriff "menschliche Sicherheit" sei so vage, dass er kaum praktikabel sei und Entscheidungsträgern, die zwischen konkurrierenden politischen Zielen wählen müssten, keine Hilfestellung böte.
In welchem Maße sich diese Verantwortung in konkreten, rechtsverbindlichen Ansprüchen von Individuen völkerrechtlich niederschlagen wird, hängt von der Bereitschaft der sicherheitspolitischen Akteure ab, ihrer Rhetorik Taten folgen zu lassen. Allerdings hat das Völkerrecht in großen Teilen immer schon appellativen Charakter gehabt und gemeinsame Ziele und Werte mehr beschworen als durchgesetzt.
Von der militärischen zur ökologischen Sicherheit
Die Ausdehnung des Sicherheitsverständnisses vom Staat über die Gesellschaft auf das Individuum hat auch Auswirkungen auf die Politikbereiche, in denen Gefahren identifiziert und Sicherheit gewährleistet werden soll. Traditionell sind Sicherheitsprobleme als militärische wahrgenommen worden. Der Grund dafür ist, dass für den Staat lange Zeit die größte Gefahr ein militärischer Angriff und der Verlust politischer Selbstbestimmung war. Deshalb bedeutet nationale Sicherheit zunächst Schutz vor militärischen Bedrohungen. Dieser Gedanke setzte sich nicht zufällig mit dem Politischen Realismus zu Beginn des Kalten Kriegs durch, als es galt, die Konsequenzen aus dem Scheitern idealistischer Projekte wie dem Völkerbund und der Beschwichtigungspolitik gegenüber dem "Dritten Reich" zu ziehen. Angesichts des Sicherheitsdilemmas und struktureller Anarchie, so das realistische Credo, sei Machtpolitik das einzig wirksame Mittel und das höchste politische Gut militärische Sicherheit.
Diese Position wurde erst erschüttert, als - vor dem Hintergrund politischer Entspannung - in den 1970er Jahren neue Probleme wahrgenommen wurden. Die Ölkrisen der Jahre 1973 und 1979 machten den Menschen klar, dass ihr Wohlergehen nicht nur von militärischen Bedrohungen, sondern auch durch wirtschaftliche Verwundbarkeit gefährdet war. Der Sicherheitsbegriff wurde folglich erweitert und umfasste fortan auch den Zugang zu Öl oder anderen "strategischen Ressourcen".
Eine weitere Ausdehnung erfuhr der Sicherheitsbegriff durch die Einbeziehung ökologischer Aspekte. 1987 betonte der "Brundtland-Report", dass die Zerstörung der Umwelt dazu führe, "die Sicherheit im globalen Maßstab zu bedrohen".
Die jüngste Erweiterung erfuhr der Sicherheitsbegriffs jedoch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts durch die Forderung nach "humanitärer Sicherheit" (humanitarian security). Damit war nach der Militär-, Wirtschafts- und Umweltpolitik der letzte große Politikbereich - nämlich die Menschenrechtspolitik - in den Bannkreis des Sicherheitsbegriffs gezogen. Humanitäre Sicherheit bezieht sich nicht nur auf die Sicherung von Schutzzonen und Katastrophenhilfe in Krisenregionen, sondern auch auf die Gewährleistung elementarer Menschenrechte im Rahmen einer allgemeinen Schutzverantwortung (responsibility to protect) der internationalen Gemeinschaft. Dabei macht die Nähe zum Konzept der "humanitären Intervention" deutlich, wie leicht durch die begriffliche Verbindung von Menschenrechten und Sicherheit zumindest die Möglichkeit eröffnet wird, auch militärisch humanitär zu handeln oder sogar, wie es während des Irakkriegs hieß, "humanitäre Kriege" zu führen.
Die häufig geäußerte Befürchtung, dass mit der Erweiterung der Sachdimension zwar nicht-militärische Gefahren in das politische Bewusstsein gehoben werden könnten, aber die Möglichkeit bestehe, dass diese vom traditionellen Sicherheitsdenken gleichsam "kontaminiert" und in eine militärische Logik integriert würden, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings hat eine allgemeine "Militarisierung der Außenpolitik" bislang nicht stattgefunden. Tendenziell führt aber die Unterordnung von bislang getrennten Politikbereichen unter den Begriff "Sicherheit" zur Aufhebung traditioneller Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie zwischen militärischen und zivilen Sphären der Politik. Das wiederum hat Auswirkungen sowohl auf die institutionelle wie operative Umsetzung von Sicherheitspolitik (innenpolitisch wie außenpolitisch). Die immer wieder aufflammende Diskussion darüber, ob angesichts drohender Terrorgefahren die Bundeswehr auch im Inneren der Bundesrepublik eingesetzt werden dürfe, wird durch die Entdifferenzierung des Sicherheitsbegriffs begünstigt. Zwar liegt die Hilfe von Bundeswehrsoldaten zum Beispiel bei Überschwemmungen wie im April 2006 an der Elbe nahe und erfreut sich großer Beliebtheit. Aber der Einsatz des Militärs bei Großdemonstrationen oder zum Schutz sensibler ziviler Infrastruktur wirft verfassungsrechtliche Fragen auf und würde eine Änderung des Grundgesetzes erfordern.
Auch in der operativen Umsetzung wie etwa in Friedenseinsätzen führt die Vermischung ziviler und militärischer Komponenten zu Schwierigkeiten. Die Übernahme von polizeilichen Aufgaben durch militärische Einheiten der KFOR in Kosovo oder von ISAF in Afghanistan unterminiert die Bemühungen, im Rahmen der Sicherheitssektorreform die Trennung von Polizei und Militär sowie ihre politische Kontrolle in diesen Ländern verfassungsrechtlich zu verankern. Zudem widerspricht es den expliziten Forderungen der so genannten Brahimi-Kommission, die im Jahre 2000 eine klarere Trennung von zivilen und militärischen Aspekten bei internationalen Friedenseinsätzen gefordert hatte.
Von der territorialen zur globalen Sicherheit
Eine dritte Erweiterung des Sicherheitsbegriffs betrifft das geografische Gebiet, für das Sicherheit gewährleistet werden soll, also die Raumdimension. Traditionell bezieht sich Sicherheit auf das nationale Territorium eines Staates. Vertreter des Politischen Realismus betonen, es sei unsinnig nach Sicherheit jenseits des Nationalstaates zu streben, weil es keine Möglichkeit gäbe, globale Probleme auch global zu lösen.
Der Begriff der "globalen Sicherheit" geht auch hier noch einen Schritt weiter. Er bezieht sich nicht länger auf das Staatensystem und die Möglichkeit einer internationalen Staatengesellschaft (international society), sondern auf die Menschheit als Ganzes und die Aussicht auf eine globale Weltgesellschaft (world society) freier Individuen. Insofern ist er eng mit den Begriffen der menschlichen und humanitären Sicherheit verknüpft und unterstreicht, dass das Recht auf menschenwürdige Lebensverhältnisse nicht nur für die Menschen in unserer Nähe, sondern prinzipiell für alle Menschen auf der Welt gilt.
Wenn man das Konzept der globalen Sicherheit ernst nimmt, dann stellt sich die Frage, wer für ihre Gewährleistung verantwortlich ist. Nationale Sicherheit wird vom Nationalstaat garantiert; für regionale Sicherheit zeichnen Regionalorganisationen verantwortlich (seien es Unterorganisationen der VN im Sinne von Kapitel VIII der VN-Charta, Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union (AU), Allianzen zur kollektiven Verteidigung wie die NATO oder regionale Dialogforen wie die ASEAN); internationale Sicherheit ist das Ziel internationaler Organisationen und internationaler Regime; aber globale Sicherheit, so scheint es, hat noch keinen institutionellen Träger gefunden. Zwar liegt es nahe die VN für globale Sicherheit zuständig zu halten, zumal der Begriff auch in ihrem Rahmen propagiert worden ist. Doch sind ihre Ressourcen bekanntermaßen begrenzt, so dass Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinander klaffen.
Der Effekt, der dabei auftritt, kann als Verantwortungsdiffusion beschrieben werden, ein Phänomen, das in der Organisationssoziologie mit Kompetenzüberschneidungen und der Inkongruenz von Rolle und Aufgabe einer Organisation erklärt wird. Dabei kommt es trotz einer im Prinzip hinreichenden Zahl zuständiger Akteure zu Situationen, in denen offensichtlich notwendige Aufgaben und Verantwortlichkeiten nicht wahrgenommen werden. So könnte man die lange Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft angesichts der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien auf den so genannten bystander effect zurückführen, der nicht nur in der interinstitutionellen Konkurrenz zwischen VN, NATO, OSZE und EU, sondern auch dem Missverhältnis von institutioneller Kompetenzbehauptung und Verantwortungsübernahme begründet lag. In dem Maße, in dem sich viele Akteure "im Prinzip" zuständig fühlen, steigt auch die Neigung, kostspielige Entscheidungen auf andere abzuwälzen.
Einen solchen Effekt kann man auch bei internationalen Friedenseinsätzen nachweisen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts war die Zahl der VN-Friedenseinsätze zunächst schlagartig gestiegen. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich die informelle Natur des peacekeeping als flexibel genug erwies, um an die neuen Bedingungen angepasst zu werden. Relativ schnell wurde jedoch deutlich, dass die VN aus finanziellen und organisatorischen Gründen nicht in der Lage sein würde, immer mehr und immer umfangreichere Friedensmissionen durchzuführen. Aus diesem Grund sollten zunehmend Regionalorganisationen in die Verantwortung genommen und in die Lage versetzt werden, Friedensmissionen selbstständig durchzuführen und in einem kosmopolitischen Sinne die Human-security-Agenda der VN zu stärken.
Von der Bedrohungsabwehr zur Risikovorsorge
Die vierte und vielleicht folgenreichste Dimension der Ausdehnung des Sicherheitsbegriffs betrifft die Art und Weise, wie Gefahr verstanden und Unsicherheit konzeptualisiert wird. Traditionell werden Sicherheitsprobleme als Bedrohungen wahrgenommen und auf der Grundlage relativ sicheren Wissens über feindliche Akteure, ihre Absichten und ihre Militärpotenziale eingeschätzt. So war es paradigmatisch während des Kalten Kriegs, als sich Ost und West bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden. Dieses Konzept von (Un-)Sicherheit wurde allerdings problematisch, als in den 1970er Jahren diffusere Gefahren für das Wohlergehen der Gesellschaften wahrgenommen wurden. In Zeiten wachsender gesellschaftlicher und ökonomischer Interdependenz musste man feststellen, dass ernsthafte Gefahren nicht notwendigerweise feindliche Akteure und militärische Kapazitäten voraussetzen. Unsicherheit musste dementsprechend anders konzeptionalisiert werden, zum Beispiel als "Verwundbarkeit" gegenber externen Effekten (externalities), was immer ihre Ursachen sein mochten. Damit erweiterte sich der Fokus der Sicherheitsdebatte über die Bekämpfung der Stärken des Gegners hinaus auf die Reduzierung der eigenen vermeintlichen Schwächen.
Ein weiterer Schritt zur Ausweitung des Gefahrenspektrums - und folglich des Sicherheitsbegriffs - ist die Bezeichnung von Sicherheitsproblemen als "Risiken" nach dem Ende des Kalten Kriegs.
Warum ist dieser Begriffswandel so bedeutsam? Weil mit ihm existenzielle Gefahren in den Blick geraten, die noch gar keine sind, die aber die Möglichkeit haben, welche zu werden. Mit dieser ultimativen Ausdehnung des Unsicherheitsverständnisses auf Ungewisses (uncertainties) verändern sich die Anforderungen an die Sicherheitspolitik abermals. Denn wenn Sicherheitspolitik Risiken begegnen soll, kann sie nicht länger reaktiv bleiben wie während des Kalten Kriegs, sondern muss proaktiv werden und Gefahren identifizieren, bevor sie sich zu Bedrohungen auswachsen.
Proaktive Sicherheitspolitik kann sich dabei entweder auf die Ursachen oder die Effekte von Risiken richten, also vorbeugend oder vorsorgend sein. Vorbeugende - oder präventive - Sicherheitspolitik zielt darauf, dass ein ungewisser Schaden nicht eintritt. Vorsorgende - präkautive - Sicherheitspolitik ist demgegenüber darauf gerichtet, die Auswirkungen des Schadens zu minimieren, falls sich der Schadensfall nicht verhindern lässt. Vorbeugende und vorsorgende Sicherheitspolitik können wiederum mit diplomatischen Mitteln oder mit militärischem Zwang betrieben werden und so ergeben sich vier idealtypische Strategien proaktiver Sicherheits- oder besser: Risikopolitik.
Hier ist nicht der Ort, auf die Möglichkeiten und Grenzen proaktiver Sicherheitspolitik einzugehen.
Die Erweiterung des Sicherheitsverständnisses auf die Reduzierung internationaler Risiken erfordert eine Politik, die aktiver und offensiver ist als eine Politik, die auf Sicherheitsbedrohungen antwortet und eine, die über die Reduzierung eigener Verwundbarkeit hinausgeht und die Ursachen der Gefahr angreift. Ein gutes Beispiel dafür ist die Antiterrorstrategie der USA. Um das Risiko des Terrorismus - insbesondere des Nuklearterrorismus - zu reduzieren, ist eine proaktive Sicherheitspolitik entwickelt worden, die diplomatische Präventivmaßnahmen ebenso vorsieht wie präventive Kriegführung. In der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2002 hieß es programmatisch: "Die Vereinigten Staaten haben sich seit langem die Option präemptiver Aktionen offen gehalten, um gegen eine hinlängliche Bedrohung vorzugehen. Je größer die Bedrohung, desto größer ist das Risiko der Untätigkeit - und desto zwingender die Notwendigkeit, antizipatorische Maßnahmen zu unserer Verteidigung zu ergreifen, selbst wenn eine Ungewissheit hinsichtlich der Zeit und des Orts des gegnerischen Angriffs bestehen bleibt. Um solche feindlichen Akte durch unsere Gegner zu verhindern oder ihnen zuvorzukommen, werden die Vereinigten Staaten, wenn notwendig, präemptiv handeln".
Und genau hier liegt die Problematik proaktiver Sicherheitspolitik, die dadurch, dass sie früher zu einem Eingreifen gezwungen ist als reaktive, die normativen Grundlagen traditioneller Sicherheitspolitik verlässt - national wie international. Denn eine Politik, die auf Risiken fokussiert und vom Abwehr- zum Präventionsparadigma übergeht, erfordert neue politische und rechtliche Rahmenbedingungen mit denen traditionelle Rechte außer Kraft gesetzt werden. Innenpolitische Grundrechte sind zunächst als Freiheits- und Abwehrrechte gegenüber dem Staat konzipiert. Mit dem Übergang zum Präventionsparadigma, so plausibel es zunächst klingt, werden diese Grundrechte jedoch zur Rechtfertigung für das vorbeugende und vorsorgliche Eingreifen auch in bürgerliche Freiheitsrechte. Damit werden Grundfreiheiten und Abwehrrechte gegenüber dem Staat "in primäre Schutzpflichten des Staates und damit in Eingriffsermächtigungen umgedeutet".
Schließlich wird das Argument, dass zur Vorbeugung vor Risiken traditionelle Freiheitsrechte kontraproduktiv sind, auch in der internationalen Politik verwendet. Angesichts asymmetrischer Kriegführung und des Risikos, dass transnationale Terrororganisationen in den Besitz von Nuklearwaffen gelangen könnten, sei das bestehende Völkerrecht geradezu dysfunktional.
Ansprüche und Ressourcen demokratischer Sicherheitspolitik
Das Argument dieses Beitrags ist nicht, dass es nicht neue, ernstzunehmende Gefahren gäbe, auf welche die Sicherheitspolitik reagieren muss; es ist auch nicht, dass sich die Sicherheitspolitik auf die traditionellen Aufgaben militärischer Verteidigung zurückziehen sollte. Das Argument ist vielmehr, dass die Wahrnehmung dessen, was als Gefahr angesehen wird, von einem sich stetig verstärkenden Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und dem sich beständig ausweitenden Sicherheitsversprechen des Staates geprägt wird. Daraus ergibt sich ein Wandel der Sicherheitskultur, der sich an der sukzessiven Erweiterung des Sicherheitsbegriffs ablesen lässt. Noch sind die Mechanismen dieses Wandels nicht genau erforscht,