Einleitung
Als das politische Tauziehen um den insolventen Handelskonzern Arcandor im Juni 2009 auf dem Höhepunkt angekommen war, erschien in vielen Zeitungen ein eindrucksvolles Foto: Eine Karstadt-Verkäuferin demonstriert gemeinsam mit ihrem Sohn, der ein Transparent in die Kamera hält, auf dem steht: "Mama braucht ihre Arbeit". Das Bild dokumentiert einen kulturellen Wandel: Nicht nur Papa braucht seine Arbeit - auch Frauenjobs sind wichtig und rettungswürdig. Das ist neu, denn früher war die öffentliche Aufmerksamkeit nur dann groß, wenn die Arbeitsplätze männlicher Ernährer gefährdet waren. Bei einem Frankfurter Baukonzern ließ sich Ende der 1990er Jahre Gerhard Schröder als Retter feiern. Unter lautem Jubel sprach der damalige Kanzler von den "Holzmännern und ihren Familien", denen der soziale Absturz erspart bleibe (eine voreilige Prognose, wie sich bald herausstellte). Ein kerniger Malocher mit Schutzhelm schilderte damals in der "Tagesschau" seine Lebenssituation als Familienernährer: Die Frau mache sich Sorgen, zwei Kinder habe er, und eine Hypothek aufs Reihenhaus. Das Fernsehen war auch live dabei, wenn die Bergarbeiter im Ruhrgebiet um ihre Jobs kämpften: Echte Kerle, die sich wehrten, mit ihren Motorrädern auf dem Weg in die Schaltzentralen der Macht! Hunderttausende von Frauenarbeitsplätzen in den neuen Bundesländern verschwanden dagegen still und heimlich - wie auch die von weiblichen Beschäftigten geprägte westdeutsche Textilindustrie. Das interessierte gerade mal die Regionalpresse.
Der "arbeitslose Familienvater" galt seit jeher als besonderes Symbol für den Schrecken der Arbeitslosigkeit. Mütter ohne Job waren nicht arbeitslos, sondern Hausfrau und "nicht berufstätig". Wenn Frauen gekündigt wurde, war das weniger bemerkenswert. Hauptsache, der Mann hatte eine gute Stelle, und die Grundversorgung der Familie blieb gesichert. Den Arbeitsmarkt beeinflusst ein versteckter Geschlechterkonflikt, von dem in Politikerrunden fast nie die Rede ist. Die im Rückblick idealisierte Vollbeschäftigung zwischen 1960 und Mitte der 70er Jahre war eine Vollbeschäftigung für Männer. Sie beruhte darauf, dass Frauen massenhaft zu Hause blieben, ihren Partnern den Rücken freihielten - und nebenbei auch noch die Arbeitslosenstatistik entlasteten. Das männliche Erwerbskonzept - "ein Leben lang ohne Unterbrechung Vollzeit" - ist angewiesen auf ein weibliches Pendant, das derweil die Aufgaben des Alltags erledigt. Zumindest wenn sie Kinder haben, brauchen Männer eine (Ehe)Frau, die sich um alles kümmert, was sie vom Geldverdienen abhalten könnte.
Der Beruf war und ist elementarer Bestandteil des männlichen Lebensentwurfes. Er bildet ein Gegengewicht zur eher weiblich geprägten Privatsphäre. Am Arbeitsplatz versuchen Männer traditionell einzulösen, was ihre Umgebung von ihnen erwartet. Nach der Diskreditierung der soldatischen Männlichkeit in zwei Weltkriegen verstärkte sich die Bedeutung der Erwerbsarbeit sogar noch - während andere Eckpfeiler männlicher Identität und Selbstdarstellung ins Wanken gerieten: Der starke Mann, der Feinde und Natur besiegt; der mutige Beschützer von Frauen, Alten und Kindern; der Erfinder, Eroberer und Erbauer; der Bestimmer in Gemeinde und Verwandtschaft, der Werte vorgibt und diese interpretiert - all diese Rollen verloren ihre Selbstverständlichkeit.
Das einst im Bürgertum gerühmte Ideal, wie in Friedrich Schillers "Lied von der Glocke" drinnen die "züchtige Hausfrau" walten zu lassen, während der Mann ins "feindliche Leben" hinausgeht, war auch eine Vision der Arbeiterschaft. Viele Jahrzehnte konnten sich nur wohlhabende Kreise diese Freistellung der Gattin erlauben. Im "Unterschichtsmilieu" war weibliche Erwerbstätigkeit ein Zwang und keine Wahl. Erst im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswunders entwickelte sich der Alleinverdiener zum allgemeinen Leitbild. In dem Spruch "Die Frau des Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten" drückte sich proletarischer Ernährerstolz aus. Es wurde zu einer Frage der männlichen Ehre, der Partnerin ein Leben ohne Erwerbsarbeit zu bieten. Frauen verdienten bestenfalls dazu, um sich eine größere Wohnung, den Urlaub oder den Zweitwagen leisten zu können. "Mamas Zubrot" ist mittlerweile bis weit in die Mittelschichten hinein im Budget fest eingeplant. Manche Frauen erzielen dabei inzwischen höhere Einkommen als ihre Männer; Alleinerziehende müssen ohnehin selbst für sich sorgen.
Heterogenität und Unübersichtlichkeit prägen die individualisierten Lebensstile der Moderne - und damit auch die Geschlechterverhältnisse. Mal sind beide Partner beruflich erfolgreich, mal sind beide arbeitslos und leben von "Hartz IV". Es gibt Singles und Kinderlose, Ledige und Verheiratete, harmonisch getrennt Lebende und im Streit Geschiedene; zudem Stief-, Pflege- und Adoptiveltern; gleichgeschlechtliche Paare und Regenbogenfamilien; türkische Väter und russlanddeutsche Mütter, die in anderen Kulturen mit anderen Werten aufgewachsen sind. Pauschale Urteile über "die Männer" und "die Frauen" greifen deshalb nicht; ebenso lässt sich kaum generalisierend über "die Väter" oder "die Mütter" reden. Der breiten Palette der Lebensmuster entspricht eine breite Auswahl an Optionen - im Rahmen der (ebenfalls sehr unterschiedlichen) Ressourcen und Möglichkeiten. Diese Vielfalt wird in der geschlechterpolitischen Debatte oft vergessen.
Bewegung, keine Starre
Befinden sich die Männer tatsächlich im "Zeugungsstreik"? Und taugt die viel zitierte "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre", die Ulrich Beck vor fast einem Vierteljahrhundert ironisch beschrieb,
Zumindest in bestimmten Milieus stellen Väter alte Rollenbilder in Frage. Sie sind interessiert an einem bunten, durch Kinder bereicherten Leben, das den Horizont erweitert und eine neue Sicht auf die Welt bietet. Es gebe "erstaunliche Veränderungen bei jungen Familien, die ihr Leben sehr variabel, kreativ und stressig gestalten", berichten Karsten Kassner und Anneli Rüling in einem Forschungsbericht für das Hessische Sozialministerium.
Das frühere "Gesetz des Vaters" ergab sich aus dem männlichen Gewaltmonopol, seiner festgeschriebenen Machtposition gegenüber Frau und Kindern. Inzwischen werden die Regeln in den meisten Familien demokratischer ausgehandelt. Wenn Männer zu Hause etwas zu sagen haben wollen, müssen sie sich auskennen. Sie müssen mit ihren Kindern auch ohne mütterliche Vermittlung kommunizieren können. Dafür brauchen Väter Zeit, Gelegenheiten und ein gutes Gedächtnis. Kinder durchschauen sofort, ob ihre Papas wirklich kompetent sind oder nur eine Art fortwährendes Praktikum absolvieren. In den ersten Wochen nach der Geburt sind Mütter angewiesen auf einen gelassenen und geduldigen Assistenten. Das Zeug zum späteren Teilhaber aber hat nur, wer sich langfristig engagiert - auch wenn die Windeln zum Himmel stinken und das Gebrüll eines Säuglings nach einem anstrengenden Arbeitstag die Nerven auf eine harte Probe stellt. Auf Spielplätzen und in Kinderarztpraxen sind Männer weiterhin deutlich in der Minderheit, beim Babyschwimmen bilden sie zumindest an den Wochenenden eine nennenswerte Masse.
Für Väter zwischen 30 und 50 Jahren gilt in besonderem Maße die Devise "Hauptsache Arbeit",
Sackgasse Gleichstellungspolitik
Zu Beginn ihres beruflichen Weges unterscheiden sich die Geschlechter in ihrem Status kaum. Mit zunehmendem Alter aber wachsen die Unterschiede, und die Männer dominieren die leitenden Positionen. Neben der Ausgrenzung durch die "gläserne Decke" spielt dabei eine Rolle, dass für viele Frauen im Alter zwischen 30 und 35 Jahren Lebensziele wie Partnerschaft und Familiengründung gegenüber einer ausschließlich professionellen Orientierung an Gewicht gewinnen. Zwar werden nur relativ wenige Akademikerinnen bereits in der Ausbildung schwanger, und fast ein Drittel der Frauen bleibt ohnehin kinderlos. Bedeutsam ist aber, dass fast alle die Perspektive Mutterschaft in ihre beruflichen Überlegungen einbeziehen. Damit wächst das Risiko, für die eigene Karriere strategische Fehlentscheidungen zu treffen.
Wenn junge Mütter sich austauschen, sprechen sie entgegen gängiger Klischees keineswegs pausenlos über ihren Nachwuchs. Ein ganz wichtiges Gesprächsthema bildet die Arbeit - der Beruf, den Frauen ausgeübt haben, bevor sie Mutter wurden. Viele berichten dabei vom Scheitern, von der vergeblichen Anstrengung, eine Balance zwischen Job und Familie zu finden. Die Rede ist von fiebrigen Kindern, wenig einfühlsamen Chefs und nervenaufreibenden Autofahrten auf den letzten Drücker. "Es war einfach zu stressig", heißt es dann mit einem gewissen Bedauern. Für die beruflichen Möglichkeiten von Müttern ist von großer Bedeutung, ob sich Väter an der Familienarbeit in nennenswertem Umfang beteiligen. Eine Frau kann in ihrem Unternehmen nach allen Regeln der Gleichstellungspolitik gefördert werden. Wenn zugleich von ihrem Partner an dessen Arbeitsplatz 150 Prozent Leistung und die vollkommene Ausblendung privater Interessen erwartet werden, sind die Erfolgsaussichten dieser Frauenförderung eher gering - zumindest, wenn das Paar Kinder hat oder haben möchte.
Weibliche Lebensentwürfe können sich nur dann verändern, wenn sich auch männliche Lebensentwürfe verändern. Ein Konzept von Gleichstellung, das sich darauf beschränkt, männliche Arbeit in ihrer herkömmlichen Form auch Frauen zugänglich zu machen, kann nur wenig Anziehungskraft entfalten. Der Arbeitsstil von Männern, der betrieblichen Belangen absolute Priorität einräumt, ist vielen Frauen kein lebenswertes Vorbild. Sie weigern sich aus verständlichen Gründen, beim kräftezehrenden "Rattenrennen" in männerdominierten Strukturen mitzumachen, wollen sich nicht vollkommen davon vereinnahmen lassen. Auch deshalb wählen sie von vornherein andere Berufe - und bezahlen den Preis, dass diese ein geringeres Sozialprestige haben, weniger Aufstiegschancen bieten und schlechter entlohnt werden.
Dilemma des Versorgers
Alte männliche Rollen wie die des starken Beschützers oder strengen Bestimmers mögen sich weitgehend aufgelöst haben, das Leitbild des Versorgers aber hat nach wie vor eine große Bedeutung. Stabile wirtschaftliche Verhältnisse sind Männern (und Frauen) sehr wichtig. Erwerbsarbeit hat für beide Geschlechter ein nie bekanntes Prestige erlangt. So geraten Paare in eine Zwickmühle zwischen familiären Anforderungen und beruflichen Zwängen. Das moderne Dilemma beginnt gleich nach der Ausbildung: Statt klarer Berufswege verläuft ein biografischer Zickzackkurs. Das Leben führt keineswegs stufenweise immer nach oben. Hochschulabsolventen machen unbezahlte Praktika und arbeiten über Jahre mit befristeten Verträgen. Das Zeitfenster ist schmal: Manchmal vergeht ein Jahrzehnt, bevor junge Akademiker eine feste Stelle finden. Dann beginnt das, was Familienforscher treffend die "Rush hour in der Mitte des Lebens" genannt haben:
Gerade Väter leisten freiwillig und ohne Bezahlung Mehrarbeit, machen Überstunden am Wochenende oder bleiben bis spät abends im Büro. Sie trauen sich nicht, die Sitzung am späten Nachmittag mit der Begründung zu verlassen, sie wollten ihre Kinder noch sehen. Wenn auf dem Rückweg vielleicht der Regionalexpress noch Verspätung hat oder sie in einen Stau geraten, ist der größte Teil des Familienlebens längst gelaufen, wenn sie zu Hause ankommen: Alltagserfahrungen einer missglückten Balance zwischen Kind und Karriere.
In der Phase der Familiengründung warten auf beide Geschlechter Stolpersteine. Männer wie Frauen fürchten Nachteile am Arbeitsplatz, wenn sie in Elternzeit gehen oder ihre Stundenzahl reduzieren. Der stark eingespannte Alleinernährer hat wenig Gelegenheit, seine familiären Beziehungen zu pflegen - und läuft Gefahr, diese private Randständigkeit nach der Scheidung in einem viel zu teuren Ein-Zimmer-Apartment dokumentiert zu sehen. Umgekehrt gehen Mütter hohe berufliche Risiken ein, wenn sie "vorläufig" aus ihrem Job ausscheiden, um sich ausschließlich um Haushalt und Kinder zu kümmern. In weniger traditionellen Geschlechterarrangements sind die zugeschriebenen Aufgaben nicht so klar festgelegt. Männer wie Frauen entwerfen ihre Rollen je nach Situation und Lebensphase neu. Die Arbeitsteilung wird ständig in Nuancen umdefiniert. Das kann anregend, aber auch anstrengender sein als das althergebrachte Modell.
Beharrlich hält sich in der geschlechterpolitischen Debatte das Zerrbild vom Mann als alltagsvergessenes "faules Geschlecht",
Die Welle
Die Absolventen der "Papamonate" merken bald, dass Kinderaufziehen nicht ein paar Monate, sondern 20 Jahre dauert. Männer lernen die öffentlichen Institutionen kennen, die sich mit ihrem Nachwuchs beschäftigen. Eine Welle der "aktiven Väter" - mit ganz anderen, neuen Erfahrungen als die Männer der Vorgängergenerationen - läuft auf diese Einrichtungen zu. Familienbildungsstätten, Krippen, Kindergärten, Jugendämter, Beratungsstellen und Schulen müssen auf diese kulturelle Veränderung reagieren. Es reicht zum Beispiel nicht mehr, Väter zum kostengünstigen Renovieren von Räumen einzuspannen oder sie zum Grillexperten beim Sommerfest zu ernennen, sonst aber zu ignorieren. Elternratssitzungen, früher eine rein weibliche Veranstaltung, sollten nicht um drei Uhr nachmittags stattfinden, sondern zu einem Zeitpunkt, den auch Vollzeit arbeitende Väter und Mütter wahrnehmen können. Männer, die phasenweise allein für ihr Kind verantwortlich waren, wollen von Erzieherinnen, Beraterinnen oder Lehrerinnen beachtet und ernst genommen werden. Schon in die Ausbildung dieser weiblich geprägten Berufsgruppen gehören Seminare und Module, die sich mit Väterarbeit beschäftigen.
Viele Männer wollen mit ihren Kindern auch "ihr eigenes Ding machen". Doch trotz der Erfolgsmeldungen beim Elterngeld haben sie oft Schwierigkeiten, Gleichgesinnte zu finden. Treffpunkte für Mütter gibt es selbst in kleineren Orten, für Väter fehlen sie weitgehend. In einigen Großstädten gibt es inzwischen Väterzentren als Alternative zur herkömmlichen Familienbildung und als neues Element von Gemeinwesenarbeit. Die Familienbildungsstätten hießen früher "Mütterschulen": Zielgruppe waren ausschließlich Frauen, die dort Rückbildungsgymnastik betrieben oder sich über Trends bei der Babypflege informierten. Väter, wie auch ein Teil der Mütter, fühlten sich in diesen weiblich geprägten Runden oft deplatziert. Auch deshalb entwickeln Väter jetzt eigene Netzwerke. So hilft zum Beispiel das Hamburger Väterzentrum seit 2001 bei der Vereinbarkeit von Job und Privatleben. Hier entstand der Internet-Auftritt "vaeter.de", denn ein Teil der Männer scheut das direkte Beratungsgespräch, sucht Informationen lieber im Netz. Auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es inzwischen Vätertipps online.
Entscheidender noch als die notwendigen Veränderungen in Kindertagesstätten oder Bildungseinrichtungen ist das Umdenken in den Betrieben. Schaffen Firmen und Behörden Spielräume für weniger Anwesenheitspflicht, für reduzierte Arbeitszeiten, für den Ausbau der Teleheimarbeit? Heißt die in Sonntagsreden bemühte "Familienfreundlichkeit" in der Praxis auch "Väterfreundlichkeit"? Gesellschaftliche Normen, politische Regularien und berufliche Hindernisse legen beide Geschlechter oft für Jahre auf die traditionelle Arbeitsteilung (oder abgeschwächte Varianten davon) fest. Vielfältige Blockaden stehen Rollenexperimenten besonders in Unternehmen und Institutionen im Wege. Keineswegs überall gilt Familie als ein "Erfolgsfaktor", wie die Beraterzunft optimistisch behauptet.
Soziale und kulturelle Ressourcen
Den von den meisten Männern praktizierten, um den Beruf kreisenden Lebensstil hat in der Vergangenheit nur eine Minderheit der Frauen übernommen. Ihre selbstverständliche Möglichkeit zur Teilhabe an der Welt der bezahlten Arbeit ist der größte gesellschaftliche Wandel seit der Industrialisierung - eine kulturelle Revolution, die gewichtiger ist als alle technischen Neuerungen. Die meisten Frauen betrachten Erwerbsarbeit nicht mehr als Zwischenspiel vor Heirat und Familiengründung. Mutterschaft ist nur noch einer von mehreren Bausteinen weiblicher Identität; eine relativ kurze Unterbrechung weiblicher Biografien, die sich den männlichen annähern.
Auf diesen Wandel reagieren Männer je nach Bildungsstand, sozialer und kultureller Kompetenz sehr verschieden. Die jüngste Studie der Kirchen macht in ihrer Typologie neben "modernen" und "teiltraditionellen" Männern eine Mehrheit von "Balancierern" und "Suchenden" aus.
Den stolzen Ernährern geht die (gesicherte) Arbeit aus. Das Band der Treue zwischen paternalistischem Unternehmertum und fleißiger Belegschaft ist zerrissen. Einst ermöglichte die Industriearbeit unqualifizierten jungen Männern, vom halbstarken Jugendlichen zum ehrbaren Familienvater aufzusteigen. Ihre Männlichkeit bewiesen sie dadurch, dass sie mit "ihrer Hände Arbeit" für die hungrigen Mäuler zu Hause sorgen konnten. Der Bedeutungsverlust von traditionell männlichen Qualitäten wie physischer Kraft oder handwerklichem Geschick schwächt ihren Status im traditionellen Gefüge. Das "uralte Verfahren, wodurch Männer in der Ehe zivilisiert werden", funktioniert nicht mehr: "Sie bleiben in einer Peter-Pan-Welt des gelegentlichen Sex und der Kriminalität stecken."
Mama wird gebraucht
Frauen ohne Job sind Mütter oder Hausfrauen; Männer ohne Job sind nutzlos und machen Schwierigkeiten. Der traditionelle Geschlechtervertrag zwischen Männern und Frauen funktionierte nach einem ähnlichen Muster wie der Pakt, den die Männer in den 1950er und 60er Jahren mit ihrem Arbeitgeber geschlossen hatten. Beide Kontrakte beruhten auf lebenslanger Loyalität gegen das Versprechen lebenslanger finanzieller Sicherheit. Diese Versprechen gelten nicht mehr. Männliche Beschäftigte werden schlicht "freigesetzt", und auch im Privatleben können sie keine bedingungslose Unterstützung erwarten, wenn sie den Ansprüchen an Versorgung und Vorzeigbarkeit nicht genügen.
Arbeitslose Männer verfügen kaum über allgemein anerkannte Alternativen, jenseits von Erwerbstätigkeit und Ernährerrolle Sinn zu finden. Ein Leben als Hedonist, Hausmann oder Hinzuverdiener können oder wollen sich nur wenige Paradiesvögel leisten. Der Bedarf an Berg-, Bau- oder Werftarbeitern sinkt, und auch eine gute Ausbildung ist kein Garant mehr für Wohlstand. Die Folgen der Finanzspekulation treffen derzeit den Kern der deutschen Industrie. Gut qualifizierten und ganz überwiegend männlichen Facharbeitern droht die Entlassung, trotz der sie privilegierenden Gegenmaßnahmen wie der Verlängerung der Kurzarbeit. Die aktuelle Krise ist vorrangig eine Krise der Männerbranchen.
Kehren wir deshalb noch einmal zurück zum Fall Arcandor. Die Insolvenz des Kaufhauskonzerns folgte auf den ersten Blick den erwartbaren Mustern: Frauenarbeitsplätze schienen weniger wichtig als die Männerjobs bei Opel oder Continental. Doch die Aufmerksamkeit für Karstadt und Quelle hielt an - ein Zeichen dafür, dass die alten Prioritäten nur noch eingeschränkt gelten. Lassen wir den seit langem kriselnden Einzelhandel beiseite, gilt ein ökonomisches Fazit, das die Lebensentwürfe im 21. Jahrhundert prägen dürfte: Mit der Informationsgesellschaft kommt Bewegung in das Geschlechterverhältnis. Die körperlich anstrengende "Maloche", das zweifelhafte Privileg der Industrie-Arbeitsmänner, verliert an Bedeutung. Frauen sind besser vorbereitet auf die Anforderungen der Serviceökonomie. Sie sind stärker vertreten in jenen Jobs, die auch in schwierigen Zeiten einfach gemacht werden müssen. Sie produzieren keine Autohalden, sondern pflegen, erziehen, erbringen Dienstleistungen. "Mama braucht ihre Arbeit" - und Mamas Arbeit wird gebraucht.