Einleitung
Sterben ist heute ein allgegenwärtiges Geschehen, das sich in Institutionen und in kleinen Kreisen unmittelbar Betroffener leise und weitgehend unbemerkt für andere ereignet. Obgleich jedes Jahr viele Menschen sterben, etwa ein Prozent der Bevölkerung, ist dies kein Thema, mit dem sich die Bürgerinnen und Bürger unbedingt beschäftigen müssen.
Sterben und Tod werde - so eine ältere, noch weit verbreitete Sichtweise - in der modernen Gesellschaft verdrängt und tabuisiert:
Der Tod ist notwendig und unverständlich, sagt der Philosoph, und das ist unabhängig von den jeweils Betroffenen. Der Tod ist die "metaempirische Tragödie", eine Leere, die plötzlich "aufbricht" und "das Seiende, das wie durch eine wundersame Verfinsterung plötzlich unsichtbar wird, stürzt auf einmal durch die Falltüre des Nicht-Seins".
Es bleibt immer eine Frage der Perspektive, des Getroffenseins oder Nichtgetroffenseins. "Mein Tod ist für mich das Ende aller Dinge... das Ende des ganzen Universums... für das Universum (aber) keine allzugroße Katastrophe, er bleibt ein unbemerkter Vorfall und ein bedeutungsloses Verlöschen, das die Ordnung der Dinge nicht stört."
Dieses nicht behebbare Dilemma der Perspektiven findet sich in den öffentlichen Thematisierungen wieder. Es ist falsch zu sagen, über Sterben und Tod werde nicht gesprochen. Wir sehen vielmehr eine Teilung des Themas: Zum Tod gibt es in unserer Gesellschaft tatsächlich wenig zu sagen: Er ist das unverständliche Nicht-Sein, bleibt wesentlich auf sich beruhen. Dafür wird zum Sterben sehr viel gesagt, es ist ein weithin besprochenes: ein öffentliches Thema. Mit Sterben sind Verläufe und Verfahren angesprochen, Sterben wird als eine Phase des Lebens verstanden und gefürchtet. Der Tod wird heute - seit den 1970er Jahren - vor allem als dieses Verlaufsphänomen diskutiert. Seine Thematisierung ist eng mit den Ideen der Hospizbewegung verknüpft.
An das Sterben können Forderungen gestellt werden: Sterben soll human, würdig und gut sein. Das ist Konsens im öffentlichen Diskurs. Sterbeprozesse können analysiert und in Sinn- und Handlungsoptionen gebende Phasen eingeteilt werden, wie es etwa Elisabeth Kübler-Ross getan hat.
Sterben ist das, vor dem die Menschen heute Angst haben; Interviews und Umfragen bestätigen das.
Die Widersprüche sind hier deutlich genug. Im öffentlichen Diskurs wird fast ausschließlich das Sterbeideal eines begleiteten Sterbens im Sinne der Hospizbewegung vertreten. Demgegenüber sind bei der Mehrzahl der deutschen Bevölkerung keineswegs Vorstellungen eines bewussten Erlebens der letzten Lebensphase, des Sterbens als Lebenserfahrung vorherrschend, sondern der Wunsch, dass der Tod schnell und komplikationslos eintreten möge.
In dieser Hinsicht sind die sehr einmütigen Willensäußerungen, zu Hause sterben zu wollen, weniger zu verstehen als Wunsch nach einer gut funktionierenden ambulanten Pflegeversorgung, ggf. einer Palliativpflege, sondern als Hoffnung, wenn denn schon gestorben werden muss, möglichst direkt aus dem Alltag gerissen zu werden. Die Wendung: "Ich habe nichts gegen das Sterben, ich will nur nicht dabeisein, wenn es soweit ist." (Woody Allen)
Wandlungen des Sterbens
Das Sterbegeschehen in Deutschland, wie in den westlichen Industriestaaten, hat sich in den letzten 100 Jahren grundlegend verändert. Um 1900 zeigt die Mortalitätsverteilung in Deutschland einen starken Sockel der Säuglings- und Kindersterblichkeit und ein niedrigeres, ungefähr gleichbleibendes Sterberisiko in den folgenden Altersgruppen. Das Ergebnis war ein Bevölkerungsaufbau als Pyramide, in der auf einer hohen Geburtenziffer die folgenden Altersgruppen bis zur Spitze relativ gleichmäßig abnahmen. Heute zeigt die Mortalitätsverteilung eine rasant gestiegene mittlere Lebenserwartung: eine niedrige Säuglings- und Kindersterblichkeit, bei drastisch gesunkenen Geburtenzahlen, mit ebenfalls niedrigem Sterberisiko in den folgenden Altersgruppen. Sterben und Tod sind also auf die hohen Lebensalter verdichtet, der Bevölkerungsaufbau ähnelt perspektivisch immer mehr einem Kegel.
2005 waren von der Gesamtzahl der 830 000 Verstorbenen 88 Prozent 60 Jahre alt und älter bzw. 47,6 Prozent 80 Jahre alt und älter. Entsprechend der höheren Lebenserwartung der Frauen starben in der Altersgruppe: 85 bis 90 Jahre 2,3 und in der Altersgruppe: 90 und älter 3,5 mal so viele Frauen wie Männer. Die Säuglingssterblichkeit (bis zu einem Jahr), die um 1900 im Gebiet des Deutschen Reiches bei etwa 20 Prozent lag, beträgt heute (2005) etwa 0,39 Prozent der Lebendgeborenen.
Der enorme Anstieg der mittleren Lebenserwartung ging mit dem Wandel des Krankheits- bzw. Todesursachenspektrums einher. Der Tod tritt heute nicht mehr aufgrund von Infektionskrankheiten ein, wie sie um 1900 dominierten, sondern in der Regel als Folge langer chronisch-degenerativer Krankheitsprozesse, wobei in den höheren Altern mehrere Krankheiten gleichzeitig bestehen ("Multimorbidität"). 2005 starb fast jeder zweite an einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, wobei dieser Todesursachenkomplex die Hochaltrigen stärker betraf als die jüngeren Alten. An bösartigen Neubildungen, die etwa ein Viertel aller Todesfälle ausmachen, starben häufiger die jüngeren Alten. Dabei verweist der hohe Anteil der Todesursachen aus dem Formenkreis der Herz-Kreislauf-Erkrankungen darauf, dass trotz der langen chronischen Verläufe der Tod auch heute oft plötzlich eintritt.
Entsprechend diesem Morbiditätspanorama dominieren bei den unter 35-Jährigen die so genannten äußeren Todesursachen. Das sind vor allem bei den jungen Männern Tod durch Verkehrsunfälle und Suizid; bei jungen Frauen nähert sich ab 30 Jahren das Sterberisiko durch bösartige Neubildungen dem durch äußere Todesursachen an. Das Sterberisiko in diesen Altersgruppen ist - wie nach dem Vorstehenden zu erwarten - sehr niedrig: Etwa 0,04 bis 0,06 Prozent der Altersgruppen starben. Insgesamt starben 2005 8 280 Personen im Alter von 15 bis 35 Jahren, damit entfiel etwas weniger als ein Prozent der Gesamtmortalität auf diese Altersgruppen.
Der schon lange andauernde Trend der Medikalisierung und Institutionalisierung der Krankheitsverläufe wird unterstützt unter anderem durch die gestiegene medizinische Kompetenz - vor allem bei Tumorerkrankungen -, Krankheitsverläufe besser zu prognostizieren. Hierdurch ist die Entwicklung der neuen Angebote der Palliativ- und Hospizversorgung ermöglicht worden. Krankheitsverläufe können frühzeitig als Sterbeverläufe verstanden werden, bevor tatsächlich das Finalstadium eintritt. Damit kann von einer Verlängerung der Sterbeverläufe gesprochen werden: durch die Beherrschbarkeit von Infektionen, durch Pflegefortschritte, die es oft ermöglichen, Leben bis auf letzte Reste auszuschöpfen, und eben durch die frühe Sterbeprognose. So hat Sterben eine, sich unter Umständen lang hinziehende Verlaufsdynamik; Sterben stellt daher eigene Arbeitsaufgaben.
Zumindest im öffentlichen Diskurs gibt es einen breiten Konsens darüber, was gutes Sterben und welches dementsprechend der beste Sterbeort ist. Seit in den 1970er Jahren das Sterben im Krankenhaus ins Gerede gekommen ist, wird geäußert, lieber im vertrauten Kreis, das heißt zu Hause sterben zu wollen. Meist herrscht dabei ein romantisiertes Bild des Sterbens vor, wie es der Vergangenheit zugeschrieben wird: Sterben im intimen, sicheren Kreis der Lieben. Entsprechend negativ werden in der Regel die heute bestehenden Sterbeumstände bewertet: In Deutschland, wie in den westlichen Industriestaaten, wird ganz überwiegend in Institutionen gestorben.
Für Deutschland fehlen Angaben zum Sterbeort, aber die Rahmenverhältnisse sind klar: Entgegen früheren Erwartungen hat die Häufigkeit des Sterbens im Krankenhaus nicht zu-, sondern vielmehr seit den 1990er Jahren abgenommen. 2005 starben 47,3 Prozent aller Verstorbenen im Krankenhaus. In Pflegeeinrichtungen wird der Anteil auf 20 bis 30 Prozent geschätzt, womit der Anteil des Sterbens in der eigenen bzw. in der Wohnung von Verwandten bei 20 bis 30 Prozent liegt. Erwartet wird ein weiteres Sinken des Anteils Sterbender in Krankenhäusern und ein Ansteigen in Pflegeeinrichtungen, während der Anteil des häuslichen Sterbens stabil bleiben wird.
Sterben im Krankenhaus
Die moderne Krankenhausmedizin hat sich bekanntlich darauf spezialisiert, Krankheitszustände zu diagnostizieren, zu lindern, ggf. zu heilen, und damit vor allem darauf, Leben zu erhalten. Jegliche Kenntnisentwicklung, Routinen und Vorkehrungen sind auf diese Ziele gerichtet. Todesfälle werden als unumgänglich hingenommen; man lässt sie auf sich beruhen. Damit ist gemeint, dass Todesfälle kein Anlass dafür sind, sterbebegleitende und palliativmedizinische Routinen zu entwickeln. Tatsächlich sind Todesfälle Sonderereignisse im Stationsalltag, die das herrschende sachfunktionale, auf ununterbrochenen Durchfluss von "Patientengut" eingestellte Milieu nicht ernsthaft beeindrucken oder irritieren. Krankenhauspersonal ist keineswegs dauernd mit Sterben und Tod konfrontiert, wie häufig angenommen wird. Das Schichtsystem, die Verkürzung der Liegezeiten der Patienten und die Erhöhung der Fallzahlen halten das persönliche Risiko, an einem Sterbefall beteiligt zu sein, auf den meisten Stationen klein. Selbst auf Stationen der Inneren Medizin mit ihren bei weitem höchsten Sterbeziffern kommt auf 22 Behandlungsfälle nur ein Sterbefall.
Die Kritik am institutionalisierten Sterben im Krankenhaus formierte sich in den 1960er und 1970er Jahren und wurde durch einen vorhergehenden kräftigen Modernisierungsschub verursacht. Die Stichworte dazu lauten: Trend zu Großkliniken, Einführung von Hochtechnologie, insbesondere der neuen Intensivmedizin, aber auch (vor allem in Deutschland) weitere Professionalisierung der Pflege und Einführung des Dreischichtsystems, mit dem damit einhergehenden Verschwinden von Ordensschwestern und Diakonissen aus der Pflege, Personen, die in der Regel ein umfassenderes Tätigkeitsideal repräsentierten.
Die Kritik bezieht sich auf eine Apparatemedizin, die nicht Sterben lässt, und auf eine Betriebsorganisation, die Sterben zu einem Nichtereignis macht, das in Randbereiche wie Abstellkammern und Baderäume verdrängt werden kann, wobei nach festgestelltem Tod der oder die Verstorbene unverzüglich in die Kühlräume verbracht wird. Die landläufige These der Verdrängung von Sterben und Tod hat hier ihren wesentlichen institutionellen Rahmen: Der moderne Tod findet dieser Sichtweise zufolge hinter undurchlässigen Krankenhausmauern statt, in denen Sterbende an Apparaten hängen, unter Ausschluss öffentlicher Verantwortung, ohne Chance, Bitten äußern zu dürfen, weder als Angehöriger noch als Sterbender. Sterben im Krankenhaus steht seither für einsames Sterben, ohne Zuspruch und Anteilnahme. Philippe Ariès und Ivan Illich sind in den 1970er Jahre Treiber dieser Kritik.
Die Absicherung des Apparates gegen Patienten und Angehörige hat heute andere Formen als vor 30 Jahren. Es wäre jedoch naiv anzunehmen, dass es die kritisierten Sterbeumstände nicht mehr gäbe. Heute geht der weit reflexiver gewordene Krankenhausapparat in der Regel elastischer mit Wünschen und Einflussnahmen um, nicht zuletzt weil Partizipation selbst initiiert wird und daher Einflusswünsche besser steuerbar sind.
Untersuchungsergebnisse
Im Folgenden sollen in aller Kürze Ergebnisse einer eigenen Untersuchung des Sterbens im Krankenhaus angeführt werden.
Palliativstationen
Die Kritik am institutionalisierten Sterben war die Kritik am Krankenhaus an sich, ein Sterben in Würde war nur außerhalb von Institutionen vorstellbar. Hospize
Die Vorstellungen der Sterbebegleitung beinhalten die Zuweisung einer Sonderrolle, die im Rahmen der stationären Versorgung in deutlichem Gegensatz zu der allgemeinen Praxis steht, Sterbende in der Patientenrolle aufzufassen und wie "Heilbare" zu behandeln. Das ist oben angesprochen worden. Die Sterberolle,
Aus unseren Untersuchungen
Die Bereitstellung der beschriebenen Leistungen auf Palliativstationen hängt von territorialer Abgrenzung, vom Stationscharakter der Palliativmedizin des jeweiligen Krankenhauses ab; zugleich wird dabei von der Akzeptanz von Spezialisierungen profitiert. Beide Aspekte führten dazu, dass überhaupt ein distinktes Milieu entstehen konnte, in dem bestimmte Regeln gelten, auf deren Einhaltung aufgrund von Regelungshoheit geachtet werden kann. Die Bedeutung der Sterberolle wurde bereits angesprochen: Die Zuweisung der Sterberolle - als institutioneller Status von Rechten und Pflichten - basiert auf dem Territorialprinzip durchsetzungsfähiger Regeln. Dem entspricht, dass Palliativstationen ihre Besonderheit, wo immer möglich, symbolisieren; sie kennzeichnen etwa ihre Eingänge zu den jeweiligen Stationen stärker als andere, etwa Geburtshilfestationen; und wo das weniger gut möglich ist, finden sich besonders stark ausgeprägte, rhetorische Abgrenzungen: die unentwegte Vergegenwärtigung des Unterschieds von "wir" und "denen": von den Nachbarstationen, von der Normalversorgung.
Die Palliativversorgung steht für Sterbendürfen und Sterbeerleichterung, und sie ist zunächst einfach ein Korrektiv oder eine Ausdifferenzierung des medizinischen Systems, Ergänzung auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Sie repräsentiert und verrichtet eine gesellschaftlich notwendige Arbeit. Zu helfen, dass sterbende Menschen "ordentlich aus dem Leben kommen", ist eine solidarische Leistung. Diese solidarische Leistung, wie sie in der Sterberolle angelegt ist, beinhaltet eine Reaktivierung oder Inszenierung des Sterbenden als soziales Wesen und ihre förmliche Verabschiedung aus der Gesellschaft. Es wird erwartet und daran gearbeitet, dass soziale Rollen eingenommen werden, in der Regel familiale Rollen, und es werden Hilfen für Abschiedsrituale angeboten. Hier, in der Palliativversorgung verschwindet niemand einfach so, hier wird für eine soziale Existenz ein soziales Ende hergestellt.
Bei alle dem übernimmt die Palliativstation die gesellschaftliche Verantwortung. Sie ist die Bühne und die Überwachungsinstanz für das gute Sterben. Die Last wird vom Personal übernommen im Bewusstsein ihrer Verantwortung und mit dem starken Selbstbewusstsein, existentielle solidarische Leistungen zu erbringen. Es ist eine voll professionalisierte Arbeit: Niemand stirbt mit den Sterbenden, aber es ist eine Arbeit mit unverstelltem Blick auf die eigene Sterblichkeit. In dieser Funktion und mit diesem Blick ist die Station kein beliebiger Ort, in dem ein Mensch seinen Tod findet, wie etwa ein Alten- und Pflegeheim oder eine Normalstation. Sie ist eine gesellschaftliche Gewährleistungsinstanz, vor der das "Aus-dem-Leben-treten" selbst einen sozialen Charakter bekommt.
Ausblicke
Es gibt keinen Königsweg zum guten, würdigen Sterben. Selbst Hospize und Palliativstationen können das nicht garantieren, entgegen den landläufigen Idealisierungen aus der Perspektive der Hospizbewegung. Das gilt besonders vor dem Hintergrund stark abweichender Sterbeideale. Die Idee des begleiteten, verabschiedenden Sterbens stellt hohe Ansprüche an alle Beteiligten.
Die besondere Kultur des Sterbens, wie wir sie in der stationären Palliativversorgung kennengelernt haben, ist nach innen gefährdet durch Ökonomisierung, je nach Finanzierungsumfang im Rahmen der DRG-Regelungen.
Die technisch operative Seite der Palliativmedizin, Therapieabbruch und Sedierung, ist dem Krankenhaus natürlich nicht fremd. Dagegen hat bisher in der Hausarztmedizin Symptomkontrolle nur geringe Anwendung gefunden. Diese Entwicklung wäre also eine Modernisierung der Medikalisierung des Sterbens. Sie würde eine bessere medizinische Beherrschung von Verlaufsprozessen bedeuten, aber die jetzigen Palliativideen blieben auf der Strecke.
Ähnlich problematisch zu beurteilen ist auch die Diffusion der Palliativmedizin in Pflegeheime. Hier konfligiert die Sterberolle zwar nicht mit einem inkompatiblen Kurationsmilieu, aber mit ähnlichen Gleichbehandlungsmaximen, die durch enge Personalausstattung habitualisiert sind. Selbst der bekannte Satt-Sauber-Sicher-Standard wird offenbar in Pflegeheimen nicht generell realisiert. Die Sterberolle bedeutet, neben allen Kooperationspflichten, vor allem Privilegierungen gegenüber allen anderen Patienten- oder Bewohnerrollen. Aufmerksamkeit und Zuwendungsbereitschaft, das Kommunikationsmilieu von Palliativstationen insgesamt sind wie "Geschenke", Geschenke ausgeteilt aufgrund übergeordneter Solidaritäts- und Pflichtennormen, die oben angesprochen worden sind. Wir haben schon in Normalstationen Habitualisierungen gefunden, die erkennen lassen, wie wenig Stationsbedienstete ihre Klientel für solche Privilegien geeignet halten. In Pflegeheimen gibt es hierfür noch weniger Rezeptoren und Motivationen. Hinzu kommt, dass Sterbeverläufe aufgrund der vielfältigeren Multimorbidität der Klientel schlecht prognostizierbar und entsprechend schlecht "organisierbar" sind. Wenn etwa Heime sehr zögerlich sind, ehrenamtliche Hospizdienste zuzulassen,
Auch in der ambulanten Palliativversorgung befinden sich Palliativideen auf fremdem Territorium. In der Wohnung der Sterbenden sind alle Dienste zu Gast, und spätestens im Finalstadium ist hier der Hoheitsbereich der Angehörigen. Aus der stationären Palliativversorgung wissen wir, wie sehr Angehörige durch Sterbeverläufe hindurch begleitet werden müssen und wie wenig sie oft die Interessen der Sterbenden zu vertreten vermögen. Vieles kann hier sehr kompliziert werden und den Palliativideen gänzlich widersprechen. Die prinzipielle Gestaltungsschwäche in der ambulanten Palliativversorgung wird in der neuen Gesetzgebung weiter belastet, indem sie den Bedingungen und Bedürfnissen der Hausarztmedizin untergeordnet wird. Kritisch ist weiter, dass psychosoziale Kompetenzen nicht in die vorgesehenen Palliativteams, die aus ärztlichem und Pflegedienst bestehen, integriert werden. Diese gelten als nachrangige Leistungen, die über ehrenamtliche Hospizdienste eingebunden werden sollen. Da die Palliativteams Kommunikations- und Zuwendungskultur nicht herstellen, sondern nur punktuell unterstützen können, wird diese durch Ehrenamtlichkeit getragen werden müssen. Große Erfolge sind so in diesem Bereich nicht zu erwarten. Es ist zu hoffen, dass Sterbende wenigstens von der technischen Seite einer besseren Symptomkontrolle profitieren werden.