Einleitung
Unter der Bezeichnung "Responsibility to Protect" hat sich in den vergangenen Jahren ein Konzept entwickelt, das darauf abzielt, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Der Grundgedanke besteht darin, dass jeder Staat verpflichtet ist, seine eigene Bevölkerung vor solchen Verletzungen zu schützen. Darüber hinaus soll aber auch die internationale Gemeinschaft in der Verantwortung stehen. Ihr fällt die Aufgabe zu, die Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Schutzfunktion zu unterstützen und gegebenenfalls kollektive Maßnahmen zu ergreifen, um Völkermord und vergleichbar schwere Verbrechen zu verhindern.
Die Aufnahme der "Responsibility to Protect" in das Abschlussdokument des Weltgipfels der Vereinten Nationen (UN) im September 2005 hat eine erneute Diskussion über Inhalt und Umfang des Konzepts entfacht. Unklar scheint insbesondere, inwieweit die Idee einer Schutzverantwortung bereits verbindlich im Völkerrecht verankert ist bzw. zu einer Weiterentwicklung internationaler Rechtsnormen führen kann.
Souveränität als Verantwortung
Zu den tragenden Säulen der internationalen Ordnung und des Völkerrechts zählen neben dem Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten auch das Interventionsverbot und das Gewaltverbot. Diese Normen haben allesamt in Artikel 2 der UN-Charta von 1945 ihren Niederschlag gefunden. Danach ist jeder Staat verpflichtet, Eingriffe in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu unterlassen. Aber auch die Vereinten Nationen sind grundsätzlich an das Interventionsverbot gebunden. Ausgenommen sind lediglich Situationen, in denen der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta Zwangsmaßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beschließt (Art. 2 Ziffer 7).
Unter Berufung auf die Souveränität wurde und wird in der Staatenwelt immer wieder versucht, bestimmte kritische Bereiche hoheitlichen Handelns gegen eine Einmischung von außen abzuschirmen. Mitunter sollen dadurch auch Repressalien gedeckt werden, die sich gezielt gegen Teile der eigenen Bevölkerung richten. Umso dramatischer ist die Lage in Staaten, die durch interne bewaffnete Konflikte so stark geschwächt sind, dass sich nichtstaatliche Gewalt, organisierte Kriminalität, Hungersnöte und Seuchen ungehindert ausbreiten können. Welches Ausmaß solche Situationen annehmen können, belegen unter anderem die humanitäre Katastrophe in Somalia 1992/93, der Völkermord 1994 in Ruanda, das Massaker von Srebrenica in Bosnien 1995 sowie die aktuellen Verbrechen in Darfur. Dass staatliche Souveränität einer Regierung nicht als Vorwand dienen kann, um im Innern ungehindert Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht zu verletzen, scheint aus heutiger Sicht selbstverständlich. Dabei kann es im Prinzip keinen Unterschied machen, ob der Staat selbst an der Gewaltanwendung beteiligt ist oder ob er das brutale Vorgehen nichtstaatlicher Akteure auf seinem Territorium toleriert.
Eine der Grundfunktionen des Staates besteht seit jeher darin, die Sicherheit seiner Angehörigen zu gewährleisten. Diese Verantwortung spiegelt sich auch in zahlreichen Verpflichtungen wider, insbesondere im Rahmen des Menschenrechtsschutzes und des humanitären Völkerrechts. Gerade in diesen Bereichen und bei der Friedenssicherung dringt das Völkerrecht immer tiefer in die staatliche Domäne vor und wird zu einem begrenzenden Faktor für die Ausübung von Souveränität. Denn der Staat wird damit für sein Verhalten auch gegenüber den anderen Mitgliedern der Staatengemeinschaft verantwortlich. Je umfassender und konkreter die aus dem Völkerrecht erwachsenden Bindungen sind, desto kleiner wird der Bereich ausschließlicher nationaler Zuständigkeit. Insoweit zeichnet sich durchaus ein Paradigmenwechsel ab. Der allmähliche Wandel in der Konstruktion staatlicher Souveränität wurde in den vergangenen Jahren auch durch den UN-Sicherheitsrat befördert. Seit den 1990er Jahren stuft der Sicherheitsrat Bürgerkriege, humanitäre Krisen und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts ebenfalls als Friedensbedrohung im Sinne von Artikel 39 der Charta ein. In solchen Situationen können sich die Staaten eben nicht mehr uneingeschränkt auf ihre Souveränitätsrechte und das Interventionsverbot berufen, um Eingriffe von außen abzuwehren. Militärische Maßnahmen, die nicht durch ein Mandat des Sicherheitsrats gedeckt sind, werfen jedoch nach wie vor gravierende völkerrechtliche Probleme auf, selbst wenn sie politisch und moralisch legitim erscheinen. Am Beispiel der NATO-Operation im März 1999 im Kosovo wurde die Kontroverse über die Rechtfertigung und Legitimität humanitärer Interventionen besonders deutlich. Letztendlich waren diese Ereignisse der Auslöser dafür, dass im Dezember 2001 erstmals ein umfassenderes Konzept vorgestellt wurde, das sich eingehend mit dem Spannungsverhältnis zwischen Souveränität, Verantwortung und Intervention beschäftigt: der Bericht einer internationalen Kommission zur "Responsibility to Protect".
Die Geburt eines Konzepts
Bereits 1998 hatte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die Staatengemeinschaft eindringlich aufgerufen, sich intensiver mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Dilemmata humanitärer Interventionen aufzulösen seien.
Die Entscheidung über militärische Interventionen als Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen sollte nach Vorstellung der ICISS an bestimmte Kriterien gebunden sein: Zunächst müsse die Bedrohungslage ein extremes Ausmaß erreichen, damit ein militärisches Einschreiten überhaupt zu rechtfertigen sei (just cause). Dies betreffe neben Fällen von Massensterben auch "ethnische Säuberungen". Darüber hinaus müsse der primäre Zweck der Intervention darin bestehen, menschliches Leiden zu beenden (right intention); Gewalt dürfe nur dann angewendet werden, wenn alle nichtmilitärischen Optionen ausgeschöpft seien (last resort); die Maßnahmen müssten hinsichtlich ihres Umfangs, ihrer Dauer und Intensität auf das erforderliche Minimum begrenzt sein (proportional means); und schließlich müsse das Vorgehen Aussicht auf Erfolg haben, wobei die Konsequenzen des Handelns nicht nachteiliger sein dürften als die Folgen eines Nichthandelns (reasonable prospects).
Darüber hinaus beschäftigte sich die ICISS auch mit dem Problem der Autorisierung solcher Interventionen (right authority). Obwohl der Bericht ausdrücklich die primäre Verantwortung des Sicherheitsrats unter Kapitel VII der Charta betont, wird zugleich auf dessen funktionale Defizite hingewiesen, insbesondere auf die unausgewogene Zusammensetzung des Organs und die Vetoproblematik. Daher werden verschiedene Optionen diskutiert, die zum Zuge kommen könnten, sofern der Sicherheitsrat im Falle einer humanitären Katastrophe blockiert ist. Denkbar sei danach etwa ein an die Generalversammlung gerichtetes Ersuchen um politische Unterstützung oder ein Eingreifen regionaler Organisationen innerhalb ihres jeweiligen Verantwortungsbereichs.
Rezeption im Rahmen des UN-Reformprozesses
Im Zuge der Vorbereitungen auf den UN-Weltgipfel, der im September 2005 in New York stattfand, wurde die Vorlage der ICISS zunächst von einer hochrangigen Gruppe aufgegriffen, die von Generalsekretär Kofi Annan eingesetzt worden war, um Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Weltorganisation zu erarbeiten (High-level Panel on Threats, Challenges and Change).
Um einer einseitigen, auf militärische Aspekte verengten Rezeption des Konzepts der "Responsibility to Protect" entgegenzuwirken, entschloss sich Annan dazu, die Schutzverantwortung in seinem eigenen Reformbericht unter der Überschrift "Freiheit, in Würde zu leben" in den Kontext der "Herrschaft des Rechts" einzuordnen und nichtmilitärische, kooperative Elemente stärker zu betonen.
Politische Verankerung
Im Unterschied zu den eher konzeptionellen Arbeiten der ICISS und des High-level Panels musste der Bericht des Generalsekretärs im Vorfeld des Weltgipfels bereits wesentlich stärker die politischen Realitäten in den Blick nehmen. Denn das Ziel bestand darin, ein möglichst substantielles Abschlussdokument im Konsens zu verabschieden. Einige Staaten, darunter etwa Algerien, Iran, Kuba und Pakistan, hatten sich zunächst gegen eine Aufnahme der "Responsibility to Protect" gewandt. Der Begriff sei zu vage und leiste missbräuchlichen Interventionen Vorschub. Aus ähnlichen Gründen steht im Übrigen auch China einer Ausweitung dieses Konzepts kritisch gegenüber.
Auf der anderen Seite wurde von den USA vorgebracht, dass eine entsprechende Verantwortung der internationalen Gemeinschaft - im Gegensatz zur individuellen Verantwortung eines jeden Staates zum Schutz seiner eigenen Bevölkerung - nicht im geltenden Völkerrecht wurzele, sondern sich allenfalls aus moralischen Argumenten ableite. Hinter dieser Argumentation steht vor allem die Motivation, dem Sicherheitsrat einen möglichst großen politischen und rechtlichen Handlungsspielraum zu erhalten. Daraus erklärt sich auch die grundsätzliche Ablehnung der USA und anderer ständiger Mitglieder des Sicherheitsrats gegen die Einführung von Kriterien, die den Prozess der Entscheidungsfindung innerhalb dieses Organs in irgendeiner Form beeinflussen könnten. Dementsprechend wurde im Gipfeldokument auch an keiner Stelle auf die von der ICISS und dem High-level Panel vorgeschlagenen Kriterien zur Legitimierung militärischer Maßnahmen Bezug genommen.
Trotz zahlreicher Bedenken und Widerstände ist es dennoch gelungen, die "Responsibility to Protect" im Gipfeldokument politisch zu verankern. Dieser Schritt stellt durchaus einen großen Erfolg dar, auch wenn der Wortlaut in entscheidenden Punkten eine deutliche Skepsis und Zurückhaltung erkennen lässt. Immerhin wurden die betreffenden Passagen vom Sicherheitsrat bereits in einer Resolution zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten ausdrücklich bekräftigt.
Anwendungsbereich
Den Anwendungsbereich der "Responsibility to Protect" haben die Staaten im Gipfeldokument ausdrücklich auf vier Fälle beschränkt, nämlich auf Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eine solche Zuspitzung der Schutzverantwortung ist grundsätzlich sinnvoll, um die Alarmfunktion und das Mobilisierungspotential des Konzepts auf einem möglichst hohen Niveau zu halten. Würden nach und nach weitere Aspekte menschlicher Sicherheit in das Konzept einfließen, wären rechtliche Unsicherheiten und politische Unstimmigkeiten bei der praktischen Umsetzung kaum zu vermeiden. Wann einer der vier Fälle vorliegt, lässt sich anhand der im Völkerstrafrecht entwickelten Verbrechenstatbestände zumindest in der Theorie einigermaßen konkret bestimmen. Lediglich der Ausdruck "ethnische Säuberung" stellt keinen Rechtsbegriff dar, sondern beschreibt ein tatsächliches Verbrechensphänomen, das im Einzelfall möglicherweise unter den Tatbestand des Völkermordes zu subsumieren ist. In der Praxis schrecken Staaten und internationale Organisationen angesichts der weitreichenden politischen und rechtlichen Konsequenzen allerdings häufig davor zurück, eine Situation offiziell als Völkermord einzustufen.
Durch die restriktive Formulierung des Anwendungsbereichs der "Responsibility to Protect" hebt sich das Abschlussdokument des Weltgipfels deutlich vom ursprünglichen Konzept der ICISS ab. In ihrem Bericht von 2001 hatte die Kommission neben Völkermord, ethnischer Säuberung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nämlich auch Prozesse des Staatszerfalls in Verbindung mit Hungersnöten oder Bürgerkriegen als möglichen Anlass für eine Intervention in Betracht gezogen - ebenso Naturkatastrophen, in deren Verlauf das Leben einer großen Zahl von Menschen bedroht sei und der betroffene Staat untätig bleibe. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde beispielsweise im Mai 2008 äußerst kontrovers darüber diskutiert, ob unter Berufung auf die Schutzverantwortung militärisch gestützte Hilfsoperationen in Myanmar durchgeführt werden könnten, um die Opfer der Zyklonkatastrophe notfalls gegen den Widerstand ihrer eigenen Regierung mit humanitären Gütern zu versorgen.
Umfang der Schutzverantwortung
Ausgangspunkt der "Responsibility to Protect" ist die Verantwortung eines jeden Staates, seine Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen etc. zu schützen und solche Verbrechen zu verhüten. Die Aufnahme dieses Grundsatzes in die Abschlussresolution des Weltgipfels stellt jedoch keine neue Errungenschaft dar. Denn im Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht sind darauf abzielende Verpflichtungen schon lange - zum Teil seit sechzig Jahren - verwurzelt. Einschlägig sind vor allem die Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes, die Genfer Abkommen zum humanitären Völkerrecht, die Völkermord-Konvention und das Völkerstrafrecht. Dem ausdrücklichen Bekenntnis der Staaten zu dieser Verantwortung kommt damit in erster Linie eine politische Signalwirkung zu.
Eine weitere zentrale Dimension der "Responsibility to Protect" ist die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft. Nach der Formulierung im Gipfeldokument sind die Staaten offenbar der Ansicht, dass diese Verantwortung in einzelnen Bereichen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Zunächst ist davon die Rede, dass die internationale Gemeinschaft die Staaten gegebenenfalls ermutigen und ihnen bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung behilflich sein solle. Dies betrifft insbesondere auch den Aufbau von Kapazitäten in geschwächten Staaten. Entsprechend der relativ vagen Wortwahl handelt es sich dabei jedoch lediglich um eine schwache politische Forderung. Dass die Staaten außerdem aufgerufen werden, die Vereinten Nationen bei der Schaffung einer Frühwarnkapazität zu unterstützen, stellt jedoch durchaus einen Fortschritt dar. Traditionell herrscht nämlich ein gewisses Misstrauen gegenüber präventiven Beobachtungsmechanismen - viele Staaten sehen darin die Vorstufe für eine Einmischung in innere Angelegenheiten.
Konkreter formuliert ist dagegen die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft im Hinblick auf Situationen, in denen sich die Gefahr eines Völkermordes oder der Begehung der anderen genannten Verbrechen bereits abzeichnet. Hier sollen im Rahmen der UN geeignete diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel ergriffen werden, um beim Schutz der Bevölkerung zu helfen. Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang auf die Kapitel VI und VIII der Charta verwiesen, welche die friedliche Beilegung von Streitigkeiten und die Einbindung regionaler Organisationen regeln. In der Auseinandersetzung mit der Problematik militärischer Gewaltanwendung haben die Staaten zumindest ihre Bereitschaft erklärt, im Einzelfall kollektive Maßnahmen durch den Sicherheitsrat und im Einklang mit Kapitel VII der Charta zu ergreifen, falls sich friedliche Mittel als unzureichend erweisen und die betroffenen Staaten offenkundig dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen etc. zu schützen. Soweit im Gipfeldokument auf die Befugnisse des Sicherheitsrats verwiesen wird, ist darin ebenfalls nicht mehr als eine Bestätigung geltenden Völkerrechts zu sehen. Eine rechtlich verbindliche Verpflichtung zum Einschreiten trifft jedoch weder den Sicherheitsrat noch die internationale Gemeinschaft als solche.
Im Übrigen trägt die Formulierung im Gipfeldokument nicht zur Legitimation unmandatierter humanitärer Interventionen bei. Anders als die ICISS haben die Staaten keinerlei Optionen für den Fall einer Blockade des Sicherheitsrats in Betracht gezogen. Auf der anderen Seite sieht die Resolution jedoch davon ab, solche unilateralen Interventionen ausdrücklich zu verurteilen. Stattdessen wird schlicht auf die Prinzipien der UN-Charta und des Völkerrechts verwiesen. Die Frage der Rechtmäßigkeit und Legitimität des Gewalteinsatzes wurde damit in dem Dokument letztlich nicht angetastet.
Weiterentwicklung des Völkerrechts?
Die im Abschlussdokument des Weltgipfels verkörperte Erklärung zur "Responsibility to Protect" begründet aus sich heraus keine völkerrechtlichen Rechte oder Pflichten, weder für einzelne Staaten noch für die internationale Gemeinschaft. Zunächst ist davon auszugehen, dass die betreffende Resolution, wie alle Beschlüsse der Generalversammlung, völkerrechtlich keine unmittelbare Bindungswirkung entfaltet. Generalversammlungsresolutionen können zwar zur Weiterentwicklung des Völkerrechts beitragen, indem sie etwa einer für das Gewohnheitsrecht relevanten Rechtsüberzeugung der Staaten Ausdruck verleihen oder Anstoß zu einer bestimmten Staatenpraxis geben. Eine solche kollektive Rechtsüberzeugung lässt sich mit Blick auf die "Responsibility to Protect" jedoch allenfalls in Ansätzen erkennen. Denn an einigen Stellen verweisen die einschlägigen Passagen im Gipfeldokument lediglich auf das bestehende Völkerrecht. An anderen Stellen zeigt die Wortwahl an, dass die Staaten nur bereit waren, moralische und politische Forderungen und Bekenntnisse zu formulieren.
Das High-level Panel hatte die "Responsibility to Protect" in seinem Bericht von 2004 noch als eine "sich herausbildende Norm" (emerging norm) bezeichnet - eine Formulierung, die später auch von Generalsekretär Annan aufgegriffen wurde. Das Gipfeldokument bleibt dahinter jedoch deutlich zurück. Die Staaten haben es nämlich sorgsam vermieden, im Zusammenhang mit der "Responsibility to Protect" von einer "Norm" oder auch nur von einem "Konzept" zu sprechen. Eine pauschale Charakterisierung als emerging norm wird der Vielschichtigkeit der "Responsibility to Protect" ohnehin kaum gerecht. Denn sie greift insofern zu kurz, als einzelne Elemente bereits fest im Völkerrecht verankert sind. Andererseits geht sie dort zu weit, wo der Wunsch nach Schaffung zusätzlicher Rechte und Pflichten nicht die nötige Unterstützung der Staatengemeinschaft findet. Gleichwohl ist es durchaus denkbar, dass einige der im Gipfeldokument formulierten politischen Forderungen Impulse für eine Fortentwicklung des Völkerrechts geben. Der Blick auf die eher zurückhaltende und konservative Auseinandersetzung mit der "Responsibility to Protect" im Gipfeldokument sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche, insbesondere europäische Staaten durchaus einem progressiveren Verständnis der Schutzverantwortung anhängen. Dies wurde in den vergangenen Jahren vor allem an vielen positiven Reaktionen auf das ICISS-Konzept und den High-level Panel-Bericht deutlich.
Der völkerrechtliche Rahmen für militärische Interventionen unter dem Dach der "Responsibility to Protect" dürfte sich indes auf absehbare Zeit kaum verändern. Eine mögliche Erweiterung der bestehenden Tatbestände zur Rechtfertigung der Anwendung militärischer Gewalt wurde im Abschlussdokument des Weltgipfels nicht einmal im Ansatz thematisiert. Stattdessen haben die Staaten ausdrücklich bekräftigt, dass die einschlägigen Bestimmungen der Charta ausreichen, um auf das gesamte Spektrum von Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu reagieren.
Ebensowenig bestehen derzeit Anzeichen für die Herausbildung einer völkerrechtlichen Norm, die es Staaten gestatten würde, in bestimmten Extremfällen humanitäre Militäreinsätze ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat durchzuführen. Zwar hat sich die Afrikanische Union - ohne auf die Autorität des UN-Sicherheitsrats zu verweisen - in ihrem Konstitutivakt von 2000 das Recht vorbehalten, in Fällen von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Mitgliedstaaten zu intervenieren. Zur Entstehung neuen Völkergewohnheitsrechts bedarf es jedoch einer einheitlichen Übung, die über einen gewissen Zeitraum praktiziert und von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten getragen wird. Gerade in diesem sensiblen Bereich, der die Souveränitätsinteressen aller Staaten im Kern berührt, sind an die Herausbildung oder Veränderung gewohnheitsrechtlicher Normen hohe Anforderungen zu stellen. Die Tatsache, dass die USA auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite einer völkerrechtlichen Verankerung der "Responsibility to Protect" im Sinne eines umfassenden Konzepts aus unterschiedlichen Gründen in der Tendenz ablehnend gegenüberstehen, lässt kaum erwarten, dass sie ihre Praxis ausgerechnet in Fragen der humanitären Intervention künftig an einem gemeinsamen Ideal ausrichten werden.