Einleitung
Gerechtigkeit ist im modernen Bewusstsein vorrangig verteilende Gerechtigkeit. Die Kooperationspartner teilen ein Gut unter sich auf, nach Kriterien, in denen sich ihre produktive Beteiligung an diesem Gut ausdrückt. Zu verteilen ist in der verteilenden Gerechtigkeit das, was gemeinsam produziert wird, global gesehen das Bruttosozialprodukt eines Landes. Soweit die Politik mit Gerechtigkeitskriterien argumentiert, bezieht sie sich, wenn es ums Verteilen geht, auf den Mix der normativen Begriffe, mit denen die Rolle der Bürger im gemeinsamen Produktionsprozess lokalisiert werden kann: Verdienst, Bedürftigkeit, Rechte, Freiheiten, Gleichheit usw. Dass Gerechtigkeit und Fairness überwiegend nicht als moralische, sondern als kooperativ-rationale Werte empfunden werden, fördert die Funktion von Gerechtigkeit als der bedeutendsten sozialen Moralstruktur, in der die Beteiligten mit minimalem moralischem Motivationsaufwand zu individuell und kollektiv befriedigenden Ergebnissen gelangen. In ihrer Reichweite begrenzt wird diese Moralstruktur jedoch durch ihren eingebauten Bezug auf die gemeinsame Produktion. Die Naturbedingungen der Produktion sind nicht gemeinsam hergestellt, weshalb es nicht ganz einfach ist, "ökologische Gerechtigkeit" in den üblichen Gerechtigkeitskanon einzuordnen.
Den Vertretern einer Naturethik, wie sie in Reaktion auf die Umweltkrise entstanden ist, galt deshalb Gerechtigkeit als das ungeeignetste Ideal, mit dem unser naturverbrauchendes Handeln beurteilt werden könnte. Für die Umweltpolitik schien eher ein Begriff angemessen, der anders als Gerechtigkeit die transzendente Macht der Natur anerkennt und ihr die menschlichen Ziele unterstellt, statt die Natur noch länger menschlichen Zwecken zu unterwerfen. Nicht zufällig passt der einzige umweltpolitische Begriff, der in den vergangenen Jahrzehnten in unser Bewusstsein getreten ist, zu diesen Anforderungen: derjenige der "Nachhaltigkeit". In der "nachhaltigen Nutzung", die nach der Brundtland-Formel die Bedürfnisse der Gegenwärtigen erfüllt, ohne die Bedürfniserfüllung der Zukünftigen zu gefährden, wird die Natur als Grenze menschlicher Produktivität explizit anerkannt.
Politisch realistisch war die Brundlandt-Formel allerdings nur deshalb, weil sie sich auch mit der Idee einer "nachhaltigen Entwicklung" arrangierte und damit den Status quo des gegenwärtig ungleichen Naturverbrauchs im Nord-Süd-Verhältnis zur Disposition stellte. Stillschweigend war damit bereits ein Schritt getan, die Umweltprobleme im Gerechtigkeitskosmos zu verankern, denn Zugeständnisse wie die der höheren Verantwortung des Nordens und der nachholenden Entwicklung des Südens sind solche der Gerechtigkeit. Es empfiehlt sich deshalb, die Idee der Nachhaltigkeit in die präzisere Terminologie der ökologischen Gerechtigkeit zu übersetzen.
Drei Dimensionen und Bereiche der Nachhaltigkeit
Abgesehen von solchen aufgrund ihrer Abstraktheit notorisch strittigen Erklärungen muss den Freunden der Nachhaltigkeitsrhetorik auch gezeigt werden, dass ökologische Gerechtigkeit die inhaltlichen Anwendungsbereiche des Nachhaltigkeitsdiskurses aufzunehmen vermag. Ein zweiter, leichter nachvollziehbarer Hinderungsgrund einer präzisen Rede von Nachhaltigkeit liegt in der unbegrenzten Anwendung des Prinzips. Ergab sich der ursprüngliche Urteilsmaßstab aus der gleichbleibenden menschlichen Nutzung eines begrenzten Stücks Natur wie der Wald- oder Fischbestand, vermag die Naturressource von sich aus keinen Maßstab zu liefern, wenn sie entweder nicht-erneuerbar ist, wie fossile Brennstoffe, oder wenn sie sowieso bereits kulturell geformt ist, wie große Teile der Umwelt in "zivilisierten" Ländern. Die Mensch-Natur-Interaktion ist in verschiedenen Bereichen von so unterschiedlichen Interessen durchzogen, dass es schwer fällt, auch nur "Familienähnlichkeiten" in der Anwendung desselben Prinzips der Nachhaltigkeit zu erkennen. Ein stark vereinfachender Vorschlag zu diesem Zweck unterscheidet drei Wertdimensionen unseres Naturbenutzens und entsprechend drei Arten von Ressourcen sowie drei Arten von Nachhaltigkeit (vgl. die Tabelle der PDF-Version). Es ist schwer denkbar, dass Nachhaltigkeit sowohl für Güter, die wie Rohstoffe notwendig ökonomisch verbraucht werden, als auch für Lebewesen und Arten, die mindestens teilweise einem moralischen Schutz unterliegen, und für kulturabhängige Naturlandschaften, die ästhetisch betrachtet werden, derselben normativen Logik folgen soll. Nachhaltigkeit muss in diesen Bereichen vielmehr ganz unterschiedliche Kriterien erfüllen - wenn man von der humanökologischen Einsicht ausgeht, wonach Nachhaltigkeit eine Qualität der Umwelt unter menschlichen Interessen ist und außerdem berücksichtigt, dass diese Interessen bereichsspezifisch verschiedene sind.
Nach dieser Einteilung sind erstens Tauschressourcen ersetzbar und deshalb geeignete Güter von Märkten, die für die optimale Substitution dieser Güter besser als alternative Institutionen sorgen. Zweitens sind diejenigen Güter, die nicht ersetzbar sind, wie etwa schwindende Wasservorräte oder Arten, ebenso als kritische Ressourcen zu schützen wie moralisch berücksichtigenswerte Güter wie Tiere und Arten. Drittens sind ästhetische Naturgüter nicht ersetzbar. Ihr Verlust verletzt allerdings nicht die Moral, sondern nur das ästhetische Empfinden.
Auf diese Weise erhalten wir zwar eine konkretere Vorstellung davon, was unter Zuhilfenahme welcher Wertkriterien Gegenstand einer nachhaltigen Politik sein kann. Mit der Unterscheidung zwischen materieller, moralischer und ästhetischer Nachhaltigkeit beginnen wir zu verstehen, dass der Leistungsaustausch mit der Natur in verschiedenen Segmenten einer je unterschiedlichen Logik folgt. Dass dieser Austausch "nachhaltig" sein soll, liefert aber keine brauchbare zusätzliche Information angesichts der Notwendigkeit, dass der Austausch die Umwelt verändernd und verbrauchend sein muss. Rohstoffe müssen unweigerlich verbraucht, Arten unweigerlich zerstört und Landschaften unweigerlich umgebaut werden. Ist das nicht selbst eine Art Nachhaltigkeit? Vieles spricht also dafür, dass ökologische Gerechtigkeit das einzige angemessene normative Feld ist, in dem die vagen Erwartungen einer nachhaltigen Politik artikuliert und debattiert werden können.
Ein Grundprinzip ökologischer Gerechtigkeit
Aufgrund der Dominanz der Nachhaltigkeitsterminologie ist der Begriff "Umwelt-" oder "ökologische Gerechtigkeit" bisher kaum üblich und jedenfalls nicht genügend scharf umrissen. "Environmental justice" fungiert in den USA seit den 1970er Jahren als Kampfvokabel benachteiligter Gruppen im Protest gegen schlechte Wohnverhältnisse, was unser Vorurteil in Europa verstärken mag, ökologische Gerechtigkeit sei nur ein marginaler Aspekt sozialer Gerechtigkeit. Die Forderungen nach ökologischer Gerechtigkeit können auch in einer anderen Hinsicht leicht bagatellisiert werden. Im Augenblick ist unklar, inwieweit Umweltgerechtigkeit mit dem liberal-demokratischen System verträglich ist oder nicht vielmehr mit einigen seiner Grundprinzipien kollidiert. Da es uns völlig unmöglich erscheint, Umweltgerechtigkeit außerhalb des demokratischen Systems herzustellen, muss man den Widerständen ins Auge sehen, die von Seiten unseres politischen Denkens einer effizienten Umweltgerechtigkeit im Weg stehen. Zu diesen Widerständen gehören der zu eng ausgelegte (etwa rein ökonomische) Anthropozentrismus, der zu kurze Zeithorizont des politisch Legitimierbaren sowie der nur unter Einbußen regelbare kapitalistische Markt. Diese drei Widerstände erschweren eine nachhaltige Umweltpolitik und schränken möglicherweise ihren Erfolg langfristig erheblich ein.
Versuchen wir die Idee einer ökologischen Gerechtigkeit zunächst mit einem sehr allgemeinen Prinzip zu fassen, so ergibt sich eine Formulierung wie die folgende: Ökologische Gerechtigkeit herrscht in einer Gesellschaft aktuell und längerfristig dann, wenn alle ökologisch relevanten Güter und Lasten, Freiheiten und Pflichten aktuell und längerfristig gerecht unter den Beteiligten verteilt sind.
Dieses allgemeine Prinzip stößt auf folgende Einwände: erstens auf den Vorwurf des Anthropozentrismus. Die akademische Ethik hat vor allem deshalb bis heute keine Theorie der ökologischen Gerechtigkeit ausgearbeitet, weil sie lange Zeit der Meinung war, dass die Natur nicht auf menschliche Interessen an der Natur reduziert werden darf, und weil sie wie viele andere das Ausmaß und die Schnelligkeit der Verknappung der Naturgüter verkannte. Die Antwort auf diesen Einwand lautet, dass es für uns Naturrealisten in der westlichen Kultur keine rationale Alternative dazu gibt, die Natur unter dem Aspekt menschlicher Interessen zu betrachten.
Ein zweites Bedenken kann sich gegen die individualistischen Konnotationen von Gerechtigkeit richten. Wie wir wissen, spielen kollektive Akteure (Staaten, NGOs, internationale Organisationen) mit der Globalisierung der Umweltprobleme eine zunehmend größere Rolle. Fallen sie aus der Gerechtigkeit heraus? Die Antwort ist, dass von Gerechtigkeit immer dann sinnvoll geredet werden kann, wenn zwischen an einem Kooperationsspiel Beteiligten entschieden werden soll. Sind kollektive Akteure an einem solchen Spiel beteiligt, dann fallen sie auch unter Gerechtigkeit.
Nach einem dritten Bedenken meint ökologische Gerechtigkeit solche innerhalb von Gesellschaften, während wir mit dem Klimawandel Verteilungsprobleme großen Stils zwischen Gesellschaften vor uns sehen. Dieser Einwand stößt allerdings auf die nicht zu verändernde Tatsache, dass verteilende Gerechtigkeit nur innerhalb eines kooperativen Sozialsystems herstellbar ist und nicht ohne solche sozialen Voraussetzungen auskommt. Gerechtigkeit ist eine Form des gegenseitigen Austauschs und darf nicht mit Solidarität oder Altruismus verwechselt werden. Das Problem des weltweiten Bedarfs beispielsweise an Klimagerechtigkeit kann deshalb nur so gelöst werden, dass die sozialen Bedingungen eines kooperativen Systems schrittweise hergestellt werden.
Während diese drei Einwände das Verständnis von ökologischer Gerechtigkeit eher erleichtern als erschweren, wirft das genannte Prinzip, wenn es anwendbar sein soll, folgende Präzisierungswünsche auf:
Wie weit oder wie eng sind die ökologisch relevanten Güter und Lasten zu fassen? Was genau ist es, das zu verteilen ist?
Wie konflikthaft sind Forderungen ökologischer Gerechtigkeit, sowohl intern als auch extern?
Auf welchen sozialen und normativen Bindungen soll die längerfristige Verteilung aufbauen? Muss ökologische Gerechtigkeit auch intergenerationell gedacht werden?
Inwiefern finden sich in diesem Konzept der ökologischen Gerechtigkeit die zunächst mit dem Prinzip Nachhaltigkeit verbundenen Erwartungen wieder?
Drei Dimensionen ökologischer Gerechtigkeit
Vor dem Hintergrund unseres Schemas von drei Typen der Nachhaltigkeit liegt es nahe, drei Arten von Gütern zu unterscheiden, um deren gerechte Verteilung es dabei geht: materielle, kritische und ästhetische Güter. Eine erste Antwort darauf, wann ökologische Gerechtigkeit in Bezug auf diese Güter hergestellt ist, kann ungefähr so lauten: Ein gesellschaftlicher Zustand ist ökologisch gerecht, wennjeder dieselben Chancen hat, knappe Umweltressourcen zu erhalten (ökologische Chancengleichheit);
die moralisch begründeten Rechte hinsichtlich kritischer Güter (gesunde Umwelt) erfüllt sind (ökologische Menschenrechte);
die Gestaltung der Umwelt den ökologisch-ästhetischen Standards der Gemeinschaft entspricht (ökologische Gestaltungsrechte).
Nach dieser Einteilung ist ökologische Gerechtigkeit keine vollständig separierbare Gerechtigkeitsform, sondern Bestandteil sozialer Gerechtigkeit. Ökologische Chancengleichheit und Menschenrechte sind Bestandteil von sozialer Chancengleichheit und sozialen Menschenrechten. Außerdem ist sie keine in sich homogene Gerechtigkeit, sondern zerfällt entsprechend den drei Arten von Gütern in drei Bereiche. Hier einige skizzenhafte Hinweise darauf, welche Themen unter diese drei Begriffe der Gerechtigkeit fallen:
Ökologische Chancengleichheit: gleiche Chancen auf das Leben in einer natürlichen Umwelt, auf Erwerb von Grund und Boden, auf den Genuss von Naturgütern (biologische Lebensmittel, natürliche Materialien, Baustoffe, etc.) und den Konsum von Ressourcen (Rohstoffe, Energie).
Ökologische Menschenrechte: Rechte auf Mindeststandards für eine gesunde und ungefährliche Umwelt (Luft, Wasser, Strahlung, Lärm etc.).
Ökologische Gestaltungsrechte: Partizipation an Entscheidungen über den Erhalt und die Gestaltung von Kulturlandschaften, Erhalt oder Wiedergewinnen von Naturdenkmälern, an Entscheidungen über das Verhältnis zwischen Ressourcenverbrauch und ästhetischer Gestaltung der Umwelt, an Entscheidungen über Industrieansiedlungen, Mülldeponien, Atomkraftwerke, Staudämme etc.
Diese Forderungen nach Gerechtigkeit haben das Ziel, ökologische Deprivation von einzelnen Bürgern und ökologische Zerstörung zu verhindern. Während die ersten beiden Formen eher individuelle Rechte betreffen, richtet sich die letzte eher auf die kollektive Naturnutzung und ist deshalb prozedural bzw. ein Teil der prozeduralen Gerechtigkeit. Die ökologischen Gestaltungsrechte müssen einzelne Bürger in Verbindung mit anderen Bürgern in kollektiven (demokratischen) Entscheidungsprozessen wahrnehmen.
Gerechtigkeit bedeutet auch Gleichheit, und ökologische Gleichheit wird nach diesem Vorschlag auf drei verschiedene Weisen interpretiert; erstens als qualifizierte Gleichheit im Sinn von Chancengleichheit. Dass alle dieselben Chancen auf das Leben mit Naturgütern besitzen, besagt nicht, dass alle diese Chancen wahrnehmen wollen und tatsächlich wahrnehmen und damit die Naturgüter in gleichem Ausmaß besitzen. Der Staat ist demnach auch nicht dazu verpflichtet, einen effektiv gleichen Gebrauch der materiellen Naturgüter sicherzustellen oder zu unterstützen. Zu bedenken ist immerhin, dass in einer modernen Gesellschaft verschiedene Einstellungen gegenüber der Umwelt vorherrschen und die Bürger den Umweltinteressen unterschiedliche Dringlichkeit einräumen. Die ökologische Chancengleichheit bietet den dafür nötigen individuellen Spielraum. Dass jemand die Chance hat, biologische Lebensmittel zu konsumieren, gentechnisch veränderte Produkte zu meiden oder Solaranlagen in sein Haus einzubauen, bedeutet nicht, dass er diese Chance wahrnehmen muss. Er kann seine Präferenzen anders auslegen.
Der Begriff der Chancengleichheit ist umstritten und schwankt zwischen einer negativen und einer positiven Interpretation des Begriffs "Chancen". Nach der ersten ist es verboten, den Bürgern bei der Befriedigung ihrer ökologischen Präferenzen Hindernisse in den Weg zu legen, etwa indem man das Erzeugen biologischer (gentechnisch veränderter?) Lebensmittel gesetzlich untersagt. Nach der zweiten ist es geboten, das Befriedigen ökologischer Präferenzen darüber hinaus zu unterstützen, etwa das Erzeugen von biologischen Lebensmitteln zu subventionieren. Vor allem bei Chancen, die für ein ganzes Leben prägend sind, wie bei Chancen auf Bildung, Gesundheit und positive Freiheit, sind wir meist der Meinung, dass eine enge, negative Interpretation der Chancen, wie sie vor allem Marktliberalisten vertreten, nicht ausreicht. Biologische Lebensmittel gehören jedoch nicht zu diesen Chancen, sofern industrielle Lebensmittel nicht gesundheitsschädigend sind, was sie nach der zweiten Forderung der ökologischen Menschenrechte nicht sein sollten. Dieses Beispiel ist aber nicht repräsentativ, weshalb die ökologischen Güter genauer nach solchen mit lebensprägender Relevanz und solchen der individuellen Lebensgestaltung unterschieden werden müssen. Für die ersten gilt dann ein positiver, für die zweiten ein negativer Chancenbegriff.
Strikte Gleichheit wird, zweitens, bei den ökologischen Menschenrechten gefordert. Das sind Rechte auf überindividuelle Güter der Gesundheit und Freiheit, die typischerweise durch Leben und Wirtschaften anderer beeinträchtigt werden, und über die zu verfügen für alle individuellen Lebensgestaltungspläne notwendige Voraussetzung ist. Diese Pläne werden deshalb durch die kritischen Güter und die in ihnen angestrebte Gleichheit nicht eingeschränkt, sondern unterstützt.
Gleichheit in Bezug auf ökologische Gestaltung ist, drittens, als eine prozedurale Gleichheit zu verstehen. Kraft der öffentlichen Prozeduren sind die Bürger gleichberechtigt, den Gestaltungsprozess zu beeinflussen. Diese Gleichheit setzt ein entsprechendes Umweltrecht voraus, in dem etwa ausgeschlossen ist, dass bedeutende Naturareale privat genutzt und verbraucht werden können. Beispielsweise sollten Naturdenkmäler oder Naturreservate auch dann, wenn sie in privatem Besitz sind, nicht privat zerstört oder verändert werden können. Mit öffentlichen Prozeduren sind die öffentliche Debatte und Meinungsbildung sowie der politische Willensbildungsprozess gemeint. Die Umweltgestaltung ist ihm deshalb ausgesetzt, weil es für das ästhetische Gestalten der Umwelt, aber teilweise auch für den Erhalt natürlicher Ressourcen und Phänomene, keine allgemeinverbindlichen Standards gibt, sich die werthafte Besetzung der Natur vielmehr fortwährend ändert.Ökologische Gerechtigkeitskonflikte
Zwischen den drei Formen von Gerechtigkeit entstehen Konflikte. Gerade wenn man zunächst davon ausgeht, dass ökologische Chancengleichheit, Menschenrechte und Gestaltungsrechte von gleicher Gewichtigkeit sind, fordern Konflikte zwischen diesen Rechten dazu heraus, Prioritäten einzuführen. Aufgrund der Güter, die von den Rechten geschützt werden, haben die ökologischen Menschenrechte sicher Vorrang; immerhin werden durch sie Gesundheit und Leben unmittelbar geschützt. Ökologische Chancengleichheit betrifft diese Güter zwar ebenfalls, aber nur längerfristig und in Verbindung mit einer Eigenverantwortung der Individuen. Die Gestaltungsrechte sind so zu verstehen, dass sie von diesen beiden Rechten restringiert werden.
Auch mit dieser allgemeinen Vorrangsregel an der Hand ist es nicht einfach, die konkreten Konflikte innerhalb wie außerhalb ökologischer Gerechtigkeit zu entscheiden. Die eigentlich brisanten Konflikte sind die externen, in denen ein ökologisches Recht mit anderen Rechten, insbesondere solchen des Erwerbs und des Nutzens von materiellen Gütern, unvereinbar ist. Da ich die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen ebenfalls zur ökologischen Chancengleichheit zähle, tauchen in dieser Darstellung bekannte Konflikte als interne Konflikte auf, typischerweise dann als öffentliche Guts-Konflikte. Wenn jeder die Chance haben soll auf ein Haus im Grünen, verringern sich die individuellen Chancen auf solche Häuser. Hält man den individuellen Hauskauf für eine nicht-ökologische Chancenwahrnehmung, muss man solche Beispiele als externe Konflikte beschreiben, vergleichbar mit der irrealen Chance auf zugleich billige und biologische Lebensmittel. Den Erwerb von Grund und Boden aus der ökologischen Chancengleichheit auszugliedern hätte allerdings die Folge, dass gegen den Privatbesitz einmaliger Naturareale, insbesondere auch gegen deren Zerstörung, nichts einzuwenden wäre. Deshalb liegt es näher, diese Konflikte als öffentliche Guts-Konflikte zu betrachten und die unbesiedelte Natur als öffentliches Gut auch den möglichen individuellen Nutzern gegenüber zu schützen.
Weniger schwierig erscheinen interne Konflikte in den Dimensionen Menschenrechte und Gestaltungsrechte. Wenn eine Gemeinde entweder die Wasserqualität verbessern oder die Lärmbelästigung durch eine Straße verringern will, kann sie sich an medizinische Informationen halten. Wenn sie eine Kunstschneeanlage bauen oder der Artenvielfalt dienen will, kann sie eine demokratische Entscheidung herbeiführen. Die meisten dieser Konflikte laufen allerdings mehr oder weniger schnell auf den einen externen Zentralkonflikt hinaus: dem zwischen einem ökologischen und einem ökonomischen Gut. Die Gemeinde hat wirtschaftliche Nachteile zu befürchten, wenn sie den Verkehr beruhigt, der Pistenunternehmer überlässt das ökologische Dorf seinem wirtschaftlichen Winterschlaf. Wenn wir annehmen, dass sich (was nicht ganz realistisch ist) die Grenzwerte für ökologische Menschenrechte objektiv auf der Basis medizinischer Urteile einrichten lassen, sind es vor allem die erste und die dritte Dimension - die Chancengleichheit und die Gestaltungsrechte -, in denen sich eine endemische ökologische Selbstschädigung völlig unbemerkt installieren kann, so dass in der Konsequenz auch strittig ist, ob sich die Bürger tatsächlich schädigen. In die ökologische Chancengleichheit ist das Problem der kollektiven Chancenverringerung durch individuellen Gebrauch, in das ökologische Gestaltungsrecht das Problem der ökologischen Kurzsichtigkeit eingebaut.
Beide Probleme sind wohl notwendige Begleiterscheinungen unseres liberal-ökonomischen Gesellschaftsverständnisses und deshalb nur begrenzt lösbar. Beide sind auch unmittelbar mit den rechtlichen Voraussetzungen kapitalistischen Wirtschaftens verbunden, so dass sich an ihnen ein tiefgehender Widerspruch zwischen unseren materiellen Wohlstandserwartungen und den ökologischen Wünschen manifestiert. Ohne eine relativ freie Verfügbarkeit über materielle Rohstoffe, Boden und Produktionsbedingungen ist unser Wohlstandniveau nicht denkbar. Und ohne demokratische Prozeduren, die (mit Ausnahme ökologischer Menschenrechte) wirtschaftlichen Interessen einen gleichen Status einräumen wie ökologischen, wären wir nicht in der Lage, einen ökologischen Lebensstil frei zu wählen. Ökologische Ideale sollen keine Weltanschauungsqualität besitzen und dürfen deshalb auch nur begrenzt dem politischen Prozess vorgeordnet werden. Das wäre allerdings nicht nötig, wenn nicht soziale Ungleichheiten dazu zwängen, materielle Interessen entgegen den eigenen ökologischen Idealen zu verfolgen.Ökologische Gemeinschaft als Variante von Gerechtigkeit
Der vielleicht wichtigste Grund, der Übersetzbarkeit von Nachhaltigkeit in Gerechtigkeit gegenüber skeptisch zu bleiben, entspringt dem Bestandserhaltungsgedanken in der Nachhaltigkeitsvision. Verteilende Gerechtigkeit ist synchron angelegt, sie ist eine zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechte Verteilung. Die typisch diachrone Gerechtigkeit ist nicht die verteilende, sondern die korrektive oder strafende, bei der es um die gerechte Strafe für vergangene Taten geht. Zwar kommt im Rahmen der internationalen Debatten über Klimagerechtigkeit diese Variante auch zur Sprache; ob Nachhaltigkeit in Gerechtigkeit übersetzt werden kann, fragen wir uns aber doch weniger angesichts der Vergangenheit als vielmehr der Zukunft. Kann es eine ökologische Gerechtigkeit zwischen den Generationen geben? Meine Antwort ist: Im Prinzip nein, aber ein wirksames System der ökologischen Gerechtigkeit in der Gegenwart würde sich auf die Interessen der Zukünftigen ebenfalls vorteilhaft auswirken.
Die Anwendung unseres üblichen Modells der Verteilungsgerechtigkeit auf die Beziehungen zwischen den Generationen stößt auf zwei Schwierigkeiten. Gerechtigkeit heißt dann, dass ein gemeinsames Gut nach einem oder mehreren Kriterien (Rechte, Verdienst, Bedürfnis, Chancen, Mittel) verteilt wird. Dieses gemeinsame Gut zu finden, ist mit Blick auf die Zukünftigen aber schwierig. Soll es der augenblickliche Naturbestand sein? Dann könnten wir keine materiellen Ressourcen mehr verbrauchen, was schon aufgrund der nachteiligen Folgen für die Zukünftigen unsinnig scheint. Soll es der augenblickliche Kapitalbestand sein? Aber wie und warum sollte man den in die Zukunft verteilen? Verteilen würde heißen, das jetzige Kapital für die Zukünftigen anzulegen, etwa einen Fonds für sie zu bilden. Dagegen spricht einerseits, dass sich wichtige Teile der Umwelt gerade nicht so übermitteln lassen, weil sie nicht ökonomisch bewertbar sind, andererseits, dass sich umgehend die Motivationsfrage stellt, warum man das tun sollte. Auch wenn man dabei irgendwie die Mitte zwischen "Naturkapital? und "echtem Kapital? findet, ist die Frage naheliegend, warum ein Verteilen auf uns und die Zukünftigen sinnvoll sein soll. Was haben die Zukünftigen mit unserem Kapital zu tun? Geben wir den Zukünftigen aber noch eine Chance, indem wir sie aus der Sicht von Fairness betrachten. Das entsprechende Fairnessprinzip könnte lauten: Diejenigen ökologischen Güter, die wir in unserer Generation von anderen erhalten haben, und diejenigen ökologischen Schäden, die wir in unserer Generation gerne nicht erhalten hätten, sollten wir auch den nächsten Generationen erhalten bzw. ersparen.
Dieses intergenerationelle Fairnessprinzip wirft zwei Probleme auf. Erstens ist es eine Art moralisches Dogma, von dem erst gezeigt werden müsste, warum es gelten soll und inwiefern man entsprechend motiviert sein sollte. Ein generelles Problem mit der Goldenen Regel und ähnlichen universellen Prinzipien ist deren Abstraktheit. Dass sie in unserer Kultur oft beschworen werden, sagt nicht viel darüber, ob sie auch tatsächlich befolgt werden oder befolgt werden sollten. Woher dieses abstrakte Prinzip seine Motivation beziehen sollte, ist nicht zu erkennen.
Zweitens wirft das Prinzip erhebliche Anwendungsprobleme auf, die sich generell mit Blick auf die Relativität der drei Bewertungsdimensionen veranschaulichen lassen. In welchem Verhältnis steht die Konkurrenz der materiellen, moralischen und ästhetischen Standards aus unserer heutigen Sicht im Verhältnis zu den uns vorangegangenen Generationen? Sind nicht sogar in unserer Gesellschaft die materiellen und postmateriellen Präferenzen unterschiedlich, korrelierend mit dem Wohlstandsniveau? Können wir annehmen, dass die Zukünftigen einen niedrigen oder einen hohen Wohlstand besitzen? Wird es für sie besser sein, die Mittel für materiellen Wohlstand zu verbessern, oder besser, die ästhetischen Naturgüter zu bewahren?
Meines Erachtens bleibt deshalb die Forderung nach intergenerationeller Gerechtigkeit bloße Rhetorik. Stattdessen sollten wir uns eher am Ideal einer ökologischen Gemeinschaft orientieren, das, für die Gegenwart erfüllt, auch in Zukunft helfen würde. Diejenigen ökologischen Güter, die wir heute idealerweise bewahrenswert finden, sollten wir zu Idealen einer ökologisch informierten Gesellschaft erheben, die auch in die Zukunft hinein realisierbar ist.
Dieses Prinzip beruht auf der Intuition, dass ein Zustand, den wir ideal nennen, als solcher Bestand haben sollte. Angesichts von Zuständen wie der blitzschnellen Einsicht oder der überraschenden freudigen Begegnung wäre es widersinnig, wenn man sie für gut hielte, aber gleichgültig wäre gegenüber ihrer Wiederholung. Anders gesagt scheint es widersinnig, in der Gegenwart einen bestimmten Umgang mit der Natur anzustreben, ihn aber für die Zukunft als verzichtbar zu halten. Als Ausdruck einer verzweifelten Lebenshaltung ist das zwar denkbar, aber für ein mit Idealen verbundenes Leben ist die Gleichgültigkeit gegenüber dem späteren Bestand unsinnig.
Wie aber ist es, wenn in einer Gesellschaft gerade der exzessive materielle Verbrauch zum Ideal erhoben wird? Auch wenn in unserer Gesellschaft der exzessive Verbrauch stellenweise im Vordergrund steht, wäre sie unzutreffend als eine Gesellschaft mit dem entsprechenden Ideal beschrieben. Wie ist es, wenn ein solcher gemeinschaftlicher Vorschlag mit den Strukturen der modernen Politik nicht mehr vereinbar ist? Eine Gemeinschaft wird hier minimal als eine Gesellschaft verstanden, die ein Ideal ausbilden kann und ihre Politik an diesem Ideal ausrichtet. Nicht wenige Analytiker moderner Gesellschaften halten das für unmöglich; ihnen scheinen nur Rechte als Mittel geeignet, um uns voreinander zu schützen und für einen Minimalbestand an sozialer Gerechtigkeit zu sorgen. Mir scheint, dass sich heute, im Unterschied zum Beginn der Umweltkrise, bereits abzeichnet, dass sich alle Naturgüter als soziale Güter, alle ökologischen Defizite als soziale Defizite ausdrücken, so dass es zunehmend überflüssig wird, ökologische Ideale als Sonderpräferenzen zu betrachten. Wie man an der ökologischen Deprivation der Schlechtestgestellten sehen kann, bräuchte man nur soziale Gleichheit zu verbessern, dann verbesserte sich auch die Lage der Umwelt.Ökologische Gerechtigkeit als bessere Nachhaltigkeit
Mein Vorschlag war, Nachhaltigkeit in Prinzipien der ökologischen Gerechtigkeit zu übersetzen. Dass Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit dieselben normativen Forderungen oder Ziele haben könnten, erscheint auf den ersten Blick stark kontraintuitiv. Nachhaltigkeit suggeriert die Bestandserhaltung einer natürlichen Umwelt, Gerechtigkeit verspricht die Verteilung von lebenswichtigen Gütern. Die beiden Ideen scheinen sich eher zu widersprechen, denn das Verteilen von Naturgütern dürfte nicht zu deren Bestandserhaltung beitragen. Den Wald zu verteilen bedeutet, den Wald zu verkleinern und zu verbrauchen. Aber sind solche Beispiele wörtlich zu nehmen? Nach dem Anthropozentrismus wird der Wald dann verbraucht, wenn das den längerfristigen Interessen der Waldbesitzer am besten nutzt; gilt das Gegenteil, wird er nicht verbraucht. Die Existenz des Waldes selbst enthält als solche keinen Imperativ, ihn zu erhalten; Forderungen nach seinem Erhalt können nur den idealen Interessen der menschlichen Benutzer entspringen.
Der Versuch, Nachhaltigkeit in Gerechtigkeit zu übersetzen, ist ein Vorschlag, einen ontologischen, religiösen, werthaften und gegenständlichen Begriff in einen subjektiven, aufgeklärten, psychologischen und sozialen Begriff zu übersetzen. Mit Begriffen dieser zweiten Art kennen wir uns aus, mit Begriffen der ersten Kategorie haben wir unsere Mühe, auch wenn sie beliebte rhetorische Mittel in der intellektuellen Auseinandersetzung sind. An einem nicht übersetzbaren Prinzip der Nachhaltigkeit festzuhalten bedeutet soviel wie die antike Distinktion Natur/Kultur als exklusiv aufrechtzuerhalten. Es bedeutet auch, weiter an einem endlosen Klären teilzuhaben, was Nachhaltigkeit heißen könnte. Demgegenüber sollten wir akzeptieren, dass Natur nur innerhalb einer Kultur ihren Sinn gewinnt. Deshalb ist dasjenige nachhaltig, was wir auf der Grundlage unserer idealen Interessen als nachhaltig definieren, oder (nur eine Nuance anders) was sich auf dieser Grundlage als nachhaltig herausstellt. Nachhaltigkeit ist dann bestenfalls ein Nebeneffekt einer gerechten Verteilung. Wie wir gerecht verteilen sollten, haben wir seit einiger Zeit gelernt. Warum es also nicht tun?