Nach fast fünf Jahren Dauer hat der Konflikt im Jemen das Land um etwa 20 Jahre zurückgeworfen.
Frühling: Die Proteste von 2011
Es begann alles so hoffnungsvoll, um wie auch in anderen Ländern des "Arabischen Frühlings" so gewaltsam und tragisch zu enden: Bereits im Januar 2011 begannen die ersten Proteste im Jemen, die stark inspiriert waren von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten. Sie gewannen deutlich an Zulauf, beginnend mit dem 11. Februar 2011, dem Tag des Rücktritts des ägyptischen Präsidenten Muhammad Husni Mubarak. Dessen "Sturz" schürte die Hoffnung in weiten Teilen der Bevölkerung im Jemen, dass das scheinbar Unmögliche auch hier möglich sei: der Sturz des Regimes von Präsident Ali Abdullah Salih. Auf dem von den Protestierenden so benannten "Platz des Wandels" in der Hauptstadt Sanaa fanden sich nun Angehörige von drei sehr unterschiedlichen Gruppierungen wieder: die Jugend, die Huthis und die Südliche Bewegung. Diese teilten jedoch wichtige Schnittmengen miteinander: die Erfahrung politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung, die Empörung und Frustration angesichts des Nepotismus und der Korruptheit der politischen Eliten sowie die Überzeugung, dass Hoffnung für sie persönlich, aber auch für die Zukunft der gesamten jemenitischen Gesellschaft, nur in einem grundlegenden Wandel des politischen Systems liegen könne.
Die "Jugend" wird bis heute als die ursprünglich tragende Kraft der Proteste von 2011 gesehen. Unter diesem Begriff versammeln sich jedoch nicht (allein) junge Menschen nach westlichen Altersvorstellungen. Wie der Literaturwissenschaftler Abdulsalam al-Rubaidi herausgearbeitet hat, bezieht sich dieser Begriff im Jemen weniger auf eine Altersgruppe als auf eine Position in der Gesellschaft und umfasst Männer und Frauen, deren Leben unter der Autorität einer Vaterfigur steht und die damit nicht unabhängig ihre eigenen Entscheidungen treffen können.
Zu den Protesten der Jugend stießen rasch zwei weitere Akteursgruppen hinzu: die Huthis und die Südliche Bewegung. Die Huthis, die die Bezeichnung "Ansar Allah" (Anhänger Gottes) vorziehen, hatten sich zwischen 2004 und 2010 sechs Runden eines immer wieder aufflammenden und zunehmend brutalen Krieges mit der jemenitischen Regierung geliefert.
Ebenso logisch, weil als Protestbewegung dem "Arabischen Frühling" vorgängig, war der Anschluss der Südlichen Bewegung an die Proteste. Auch im Süden wendeten sich die seit 2007 andauernden Proteste gegen die Marginalisierung dieser Landesteile gegen Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit, sodass ein Anschluss an die landesweite Dynamik ein natürlicher Schritt war.
Diese Kooperation endete jedoch jäh, als am 18. März 2011 Heckenschützen die oppositionellen Demonstranten auf dem "Platz des Wandels" ins Visier nahmen, mindestens 53 von ihnen töteten und zahlreiche weitere verletzten. Dies führte zum Bruch vieler bislang weiterhin Salih und seine Partei, den Allgemeinen Volkskongress (AVK), stützender Persönlichkeiten mit der Regierung. Zu ihnen zählte auch einer der engsten Vertrauten Salihs, General Ali Muhsin al-Ahmar,
Mit diesem Wechsel zentraler, das Regime bislang stabilisierender Kräfte auf die Seite der Demonstrierenden änderte sich der Charakter der "jemenitischen Revolution" nachhaltig. Die Proteste wurden nun zunehmend von der oppositionellen Islah-Partei
Die Konflikte waren nun von einer Pattsituation zwischen den Sicherheitskräften geprägt, die in kurzfristigen Gewaltausbrüchen zwischen den konfligierenden Parteien und in einem andauernden niedrigschwelligen Gewaltniveau gegenüber den Demonstrierenden resultierte, insbesondere in Taizz und Sanaa. Weder der Bombenanschlag auf die Moschee in Salihs Palastanlage am 3. Juni und seine darauffolgende Ausreise zur Behandlung nach Riad noch seine überraschende Rückkehr am frühen Morgen des 23. September trugen zu einer signifikanten Veränderung dieser Grundkonstellation bei. Erst am 23. November 2011, nach neunmonatigen Protesten, unterzeichnete Ali Abdullah Salih im Gegenzug für Immunität die sogenannte Golfkooperationsratsinitiative (GKR-Initiative), die seinen Rücktritt und den nachfolgenden Transitionsprozess festlegte.
Sommer: Der Transitionsprozess 2012/13
Der Transitionsprozess wurde eingeläutet mit der Vereidigung einer Übergangsregierung, bestehend aus der ehemaligen Regierungspartei AVK und den wichtigsten Oppositionsparteien, allen voran der Islah-Partei, Anfang Dezember 2011, der Verabschiedung des Immunitätsgesetzes für Salih und seine Familie im Januar 2012 und der Wahl von Salihs ehemaligem Stellvertreter, Abd Rabbuh Mansur Hadi, zum Übergangspräsidenten, die ohne Gegenkandidaten im Februar 2012 stattfand. Des Weiteren sah der Exekutivmechanismus der GKR-Initiative drei Säulen für den Transitionsprozess vor, der abschließend in einer neuen Verfassung inklusive Referendum sowie Neuwahlen enden sollte: erstens eine Sicherheitssektorreform mit dem vornehmlichen Ziel, die Spaltung der Armee zu überwinden, zweitens ein Transitional-justice-Prozess, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für den Tod und das Verschwinden von Zivilisten verantwortlich waren, und drittens eine Nationale Dialogkonferenz, um unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln, der in eine neue Verfassung münden sollte.
Von diesen drei zentralen Säulen verlief die Nationale Dialogkonferenz sicherlich am erfolgreichsten. Hier kamen zwischen März 2013 und Januar 2014 ein Großteil aller soziopolitischen Akteure in der Hauptstadt Sanaa zusammen, um in neun Arbeitsgruppen gemeinsam Empfehlungen für ein neues politisches Miteinander zu erarbeiten. Jedoch erkennen bis heute große Teile der Südlichen Bewegung die Nationale Dialogkonferenz und die daraus resultierenden Ergebnisse nicht an.
Die Umsetzung der zweiten zentralen Säule der GKR-Initiative, transitional justice, gestaltete sich am schwierigsten. Das lag vor allem an der Immunitätsgarantie für den ehemaligen Präsidenten und seine Familie, aber auch an der fortgesetzten Einbindung der alten Eliten in die Regierung, die an einem solchen Prozess kein verstärktes Interesse hatten.
Die Umsetzung der ersten Säule des Transitionsprozesses beschränkte sich letztendlich auf einige symbolträchtige Veränderungen an der Spitze wichtiger Einheiten. Die für das Innen- und Verteidigungsministerium initiierten Reformprozesse konnten bis zum Beginn des Krieges kaum substanzielle und vor allem dauerhafte Veränderungen vorweisen.
Folgende zentrale Probleme stellten den Transitionsprozess vor anhaltende Herausforderungen: Zum einen wurden bei der Aushandlung der GKR-Initiative wichtige neue politische Akteure, etwa die Jugend, die Huthis und die Südliche Bewegung, zugunsten der alten Eliten vernachlässigt. Dem gesamten Prozess mangelte es daher von Vorneherein an Legitimität in weiten Teilen der politisierten Bevölkerung. Dies konnte nur teilweise durch die Nationale Dialogkonferenz kompensiert werden, da sich hier vor allem auch wichtige Akteure aus der Südlichen Bewegung nicht beteiligten.
Zum anderen war ein Großteil der Akteure mit Ausnahme der Jugend und dem Großteil der Südlichen Bewegung bewaffnet und bereit, die eigenen Interessen gegebenenfalls auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Darüber hinaus standen alle Akteure einander misstrauisch gegenüber. Dies führte dazu, dass man zwar bereit war, im Rahmen der Nationalen Dialogkonferenz miteinander zu verhandeln, gleichzeitig jedoch versuchte, sich auf lokaler Ebene durch Waffengewalt und auf diskursiver Ebene durch Propaganda in eine möglichst einflussreiche Position zu bringen. Parallel zur Konferenz in Sanaa kam es daher immer wieder zu bewaffneten Konfrontationen, vor allem auch zwischen Angehörigen der Huthi-Rebellen und mit der Islah-Partei affiliierten Stammesmilizen.
Ferner war die Regierung der Nationalen Einheit, die sich seit Dezember 2011 bis September 2014 zur Hälfte aus ehemaliger Regierungspartei und ehemaliger Oppositionskoalition zusammensetzte, zu sehr mit den eigenen Grabenkämpfen beschäftigt, um sich in einem für die Bevölkerung spürbaren Maße um die alltäglichen Regierungsgeschäfte kümmern zu können. Während sich der Transitionsprozess und die Diskussionen in der Nationalen Dialogkonferenz also hinzogen, verschlechterte sich die wirtschaftliche und humanitäre Lage der Bevölkerung zunehmend, die daraufhin immer mehr das Vertrauen in den Prozess verlor.
Hinzu kam, dass Präsident Hadi – jenseits der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft – nicht den notwendigen (militärischen) Einfluss hatte, um sich gegenüber den anderen politischen Akteuren nachhaltig durchsetzen zu können. Nach dem Vorbild seines Vorgängers versuchte er daher, die unterschiedlichen Akteure gegeneinander auszuspielen, um durch deren Schwächung sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Darüber hinaus kommunizierte er nicht ausreichend mit der Bevölkerung, um diese in dem politischen Übergangsprozess mitzunehmen und den Menschen zu erklären, warum dieser Prozess so lange dauerte, warum er aber letztendlich so wichtig war.
Herbst: 2014
Am 21. Januar 2014 kam die Nationale Dialogkonferenz unter großem internationalen Druck – und sechs Monate später als ursprünglich geplant – zu ihrem Ende. Etwa 1800 Empfehlungen für einen neuen Gesellschaftsvertrag gingen aus den neun Arbeitsgruppen hervor. Am gleichen Tag wurde mit dem "Garantiedokument" Hadis Präsidentschaft, die auf zwei Jahre angelegt eigentlich im Februar geendet hätte, um ein weiteres Jahr verlängert. Die Ergebnisse der Konferenz sind bis heute für viele Jemeniten – und auch für viele der derzeit am Krieg beteiligten Akteure – weiterhin zukunftsweisend und bindend. Die Konferenz stellt daher einen wichtigen Meilenstein in der jüngeren Geschichte des Jemen dar.
Die eine zentrale Frage jedoch – nämlich wie in Zukunft das politische System des Jemen strukturiert sein sollte – konnte dort nicht gelöst werden. Zwar hatte man sich grundsätzlich auf die Einführung eines föderalen Systems geeinigt, war jedoch zu keinem Kompromiss mit Blick auf die Aufteilung der föderalen Regionen gekommen. Diese Frage ließ Präsident Hadi dann kurz nach Ende der Nationalen Dialogkonferenz von einem von ihm bestimmten und daher nicht politisch repräsentativen Gremium entscheiden. Die Huthis, die hier nicht vertreten waren, waren besonders unzufrieden mit dem Ergebnis, zerstörte es doch ihre Hoffnung auf eine semi-autonome Region unter ihrer Kontrolle im Norden des Landes.
Präsident Hadi trieb den Transitionsprozess jedoch weiter voran und gab Anfang März die Mitglieder des Komitees zum Schreiben der neuen Verfassung bekannt. Dieses war nun mit der komplexen Aufgabe betraut, aus den rund 1800 Empfehlungen der Nationalen Dialogkonferenz eine neue Verfassung auszuarbeiten und diese gleichzeitig in ein föderales System zu gießen. Dass keineswegs alle Mitglieder dieses Komitees Experten in rechtswissenschaftlichen Fragestellungen waren, machte die Sache nicht leichter. Während sich das Komitee in den darauffolgenden Monaten seiner herausfordernden Aufgabe widmete, destabilisierte sich die wirtschaftliche und politische Lage im Jemen zunehmend. Nicht nur die Bevölkerung verlor immer mehr ihr Vertrauen in den Transitionsprozess, von dem sie nichts mitbekam, der jedoch offensichtlich ihre Lage nicht verbesserte, sondern auch die Akteure, die sich in der Nationalen Dialogkonferenz und in den nachfolgenden Gremien und Entscheidungen nicht ausreichend repräsentiert gefühlt hatten.
Im September 2014 nahmen die Huthis dann mithilfe ihres ehemaligen Erzfeindes und nun Verbündeten Ali Abdullah Salih nach zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen und einer mehrwöchigen Eskalationsstrategie die Hauptstadt Sanaa ein. Ein in der Folge unter Mitwirken des UN-Sondergesandten ausgehandeltes Friedens- und Nationales Partnerschaftsabkommen wurde am 21. September unterzeichnet. Es sah den schrittweisen Rückzug der Huthis aus der Hauptstadt im Gegenzug für folgende Maßnahmen vor: die Ernennung zweier zusätzlicher Präsidentenberater – jeweils ein Repräsentant der Huthis und der Südlichen Bewegung – und eines neuen, politisch neutralen Premierministers; die Bildung einer neuen Technokraten-Regierung unter Beteiligung der Huthis und der Südlichen Bewegung; die teilweise Wiedereinführung der Energiesubventionen, die Ende Juli erheblich gekürzt worden waren; sowie die Bekämpfung von Korruption und die forcierte Umsetzung der Empfehlungen der Nationalen Dialogkonferenz. Anfang November wurde tatsächlich eine neue Technokraten-Regierung unter Premierminister Khalid Bahah eingesetzt, die jedoch aufgrund der fortgesetzten Besetzung der Ministerien und anderer wichtiger staatlicher Institutionen durch die Huthis kaum in der Lage war, die Amtsgeschäfte schnell zu übernehmen und mit dem notwendigen Druck zu führen.
Als Mitte Januar 2015 der inzwischen fertiggestellte Verfassungsentwurf, der trotz gegenteiliger vorheriger Absprachen einen Paragrafen zur Festlegung der umstrittenen föderalen Aufteilung des Landes in sechs Regionen enthielt, in der Hauptstadt Sanaa vorgestellt werden sollte, eskalierte dort die militärische Lage. Am 22. Januar traten Regierung und Präsident Hadi zurück und wurden sofort von den Huthis unter Hausarrest gestellt. Am 6. Februar gaben die Huthis im Rahmen einer "Verfassungsdeklaration" die Einrichtung eines nationalen Übergangsrates mit 551 Mitgliedern sowie eines Präsidentschaftsrates unter Leitung von Muhammad al-Huthi, einem Cousin Abd al-Malik al-Huthis, bekannt und vollendeten damit ihre Machtübernahme. Am 21. Februar, also genau an dem Tag, an dem seine Präsidentschaft formal geendet hätte, gelang Hadi die Flucht aus seinem Hausarrest in die südliche Hafenstadt Aden, wo er von seinem Rücktritt zurücktrat und die Bildung einer neuen Regierung ankündigte. In den folgenden Tagen jedoch rückten die Huthi/Salih-Kräfte mit ihren Truppen Richtung Aden vor und zwangen Hadi zur Flucht nach Saudi-Arabien.
Winter: 2015 bis heute
Am 25. März griff dann die saudisch geführte Koalition in den Jemen-Konflikt ein, der seitdem am besten als Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung beschrieben werden kann. Dieses Eingreifen der Koalition wurde nachträglich im April 2015 vom UN-Sicherheitsrat mit Resolution 2216 legitimiert. Bereits im Sommer 2015 gelang es Kämpfern des südlichen Widerstands mit Unterstützung der Koalition und hier vor allem der Vereinigten Arabischen Emirate, Aden von der Huthi/Salih-Allianz zu befreien, Ende 2015 war die Allianz dann aus dem Großteil des ehemaligen Südjemen zurückgedrängt worden. In den folgenden zwei Jahren blieben die Fronten mehr oder weniger statisch. Eine wirkliche Veränderung in der Dynamik resultierte erst aus dem Bruch der Huthi/Salih-Allianz und dem Tod Salihs durch die Huthis Anfang Dezember 2017. Im Vorfeld hatte Salih angesichts eines zunehmenden Machtverlustes innerhalb der Allianz vorsichtig seine Fühler zur Gegenseite ausgestreckt und sich indirekt zu einem Bruch mit den Huthis bereit erklärt. Nach seinem Tod wandten sich einige seiner Familienmitglieder und Anhänger von den Huthis ab, während andere sich den Huthis anschlossen oder von diesen inhaftiert wurden. Diese Schwächung der Gegenseite wollte die Anti-Huthi-Koalition zum Vorstoß auf al-Hudaidah, die seit 2015 unter Huthi-Kontrolle stehende Hafenstadt am Roten Meer, nutzen und rückte im Laufe des Jahres 2018 zunehmend gen Norden vor.
Will man allein die groben Konfliktlinien nachzeichnen, so stehen sich heute auf der einen Seite die Huthis und auf der anderen Seite eine Anti-Huthi-Koalition unter nomineller Führung der international anerkannten Regierung gegenüber. Die Huthis werden unterstützt von Iran und dessen regionalen Partnern, vor allem der Hisbollah. Der Umfang dieser Unterstützung ist – auch in Form von Waffenlieferungen – im Laufe der Kriegsjahre gewachsen, allerdings ist Iran gegenüber den Huthis keineswegs weisungsbefugt. Iran kann Ratschläge erteilen, die Entscheidungen treffen jedoch die Huthis.
Die Lage auf der Gegenseite ist weitaus komplexer: Hier finden sich zum einen die international anerkannte Regierung und Präsident Hadi. Letzterer lebt seit 2015 in Riad. Eine wichtige Rolle spielt hier unter anderem die Islah-Partei, die mit Vizepräsident Ali Muhsin, durch den ein Großteil des saudi-arabischen Geldes zur Unterstützung der Kämpfe im Jemen fließt und der die im Norden gegen die Huthis kämpfenden Truppen befehligt, sowie mit Shaykh Sultan al-Aradah, dem populären Gouverneur der Boom-Region Marib, großes Gewicht in der Regierung hat. Teil der Anti-Huthi-Koalition sind zum anderen wichtige Akteure der Südlichen Bewegung, von denen viele weiterhin einen eigenständigen südarabischen Staat anstreben. An vorderster Front steht hier der Südübergangsrat, der von sich behauptet, die legitime politische Vertretung aller Südjemeniten zu sein. Der Südübergangsrat wurde im Mai 2017 gegründet; sein Präsident ist der vorherige Gouverneur von Aden, Aydarus al-Zubaidi, sein Vize der Salafi Hani Ali bin Braik. Letzterer steht dem "Sicherheitsgürtel" vor, eine Ansammlung von mit dem Südübergangsrat affiliierten und von den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgebildeten und unterstützten Milizen.
Außerdem umfasst die Anti-Huthi-Koalition eine Vielzahl weiterer Akteure, darunter Anhänger der Südlichen Bewegung, die sich nicht vom Südübergangsrat repräsentiert fühlen, Milizen- und Stammesführer, die auf lokaler Ebene vor allem für ihre eigenen Interessen gekämpft haben, Anhänger von al-Qaida und dem sogenannten Islamischen Staat und viele mehr. Es ist hier auch wichtig zu betonen, dass viele Männer auf beiden Seiten kämpfen, weil dies die einzige Möglichkeit ist, an ein regelmäßiges Einkommen zu gelangen. So rekrutiert zum Beispiel Saudi-Arabien schon seit Längerem diejenigen, die an der eigenen Grenze gegen die Huthis kämpfen, aus der Bevölkerung des südlichen Jemen.
Unterstützt wird die Anti-Huthi-Koalition von der saudisch geführten Koalition, wobei sich hier auch recht schnell unterschiedliche Interessen, Prioritäten und auch Brüche bemerkbar gemacht haben. Saudi-Arabien unterstützt vor allem die international anerkannte Regierung und Präsident Hadi und ist im Jemen eher in den nördlichen Regionen aktiv sowie in al-Mahra an der Grenze zu Oman. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben seit 2015 große Ressourcen in den Aufbau des "Sicherheitsgürtels" und anderer mit ihnen affiliierter Milizen im Süden des Landes sowie in die Unterstützung des Südübergangsrates gesteckt. Ihr Augenmerk lag hierbei nicht nur auf den strategisch wichtigen Häfen von Aden und al-Mukalla entlang des Golfs von Aden, sondern auch auf der gezielten Eindämmung des Einflusses der Muslimbrüder, die durch die Islah-Partei in den vergangenen Jahrzehnten breiten Rückhalt in der südlichen Bevölkerung erfahren haben und welche von den Vereinigten Arabischen Emiraten als Terroristen betrachtet werden.
Das Engagement der saudisch geführten Koalition im Jemen wäre nicht möglich ohne die militärische und materielle Unterstützung aus dem (westlichen) Ausland. An vorderster Front stehen hier die USA und Großbritannien, aber auch Frankreich, Deutschland und weitere Länder haben durch die lukrativen Waffenhandelsverträge mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten am Sterben im Jemen mitverdient.
Diese unterschiedlichen Haltungen innerhalb der saudisch geführten Koalition gegenüber den Muslimbrüdern in der Anti-Huthi-Koalition haben zum Beispiel dazu geführt, dass sich Taizz, die drittgrößte Stadt des Jemen, seit 2015 in einem katastrophalen Belagerungszustand befindet und die Huthis hier aufgrund der Spaltung innerhalb der Anti-Huthi-Koalition bislang nicht zurückgedrängt werden konnten. Noch gravierender jedoch sind die tiefen Gräben zwischen der international anerkannten Regierung, die den Anspruch erhebt, das gesamte jemenitische Territorium zu kontrollieren, und dem Südübergangsrat, der mittel- und langfristig einen eigenständigen Staat anstrebt. Diese Spannungen haben immer wieder – und zuletzt im August/September 2019 – zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen auf der Seite der international anerkannten Regierung stehenden Truppen und jenen des "Sicherheitsgürtels" in Aden und den umliegenden Gouvernoraten geführt. In der Folge dieser Kämpfe musste die in der temporären Hauptstadt Aden sitzende Regierung zeitweise das Land verlassen.
Ausblick
Welche Chancen auf Frieden gibt es angesichts dieser Vielfalt und Komplexität der Akteure?
Größere Hoffnungen setzt die internationale Gemeinschaft nun in neuere Dynamiken, die unter anderem aus den Auseinandersetzungen zwischen der international anerkannten Regierung und dem mit dem Südübergangsrat affiliierten "Sicherheitsgürtel" resultieren. Um eine weitere Eskalation der im August ausgebrochenen Kämpfe in Aden und das Auseinanderbrechen der Anti-Huthi-Koalition zu verhindern, brachte Saudi-Arabien die Konfliktparteien zunächst in Dschidda und später in Riad zusammen. Das am 5. November 2019 unterzeichnete Riad-Abkommen sieht nun die Bildung einer neuen Regierung vor, bestehend jeweils zur Hälfte aus Ministern aus dem Norden und dem Süden, sowie die Eingliederung der mit dem Südübergangsrat affiliierten Milizen in die Sicherheitsstrukturen der Regierung. Darüber hinaus wird der Südübergangsrat in Zukunft Teil der Regierungsdelegation bei möglichen Friedensverhandlungen mit den Huthis sein. Saudi-Arabien hat zur Stützung des Abkommens Truppen nach Aden geschickt und übernimmt damit von den Vereinigten Arabischen Emiraten, die nach eigenen Angaben ihre Truppen im Laufe des Jahres 2019 aus dem Süden zurückgezogen haben, auch militärisch die regionale Vorherrschaft im Süden des Landes. Darüber hinaus führen die Saudis auch Gespräche mit weiteren hochrangigen Politikern aus anderen Fraktionen, um die Anti-Huthi-Koalition weiter zu einen.
Neben dem Riad-Abkommen stimmen aber auch die direkten Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthis vor allem über die Sicherheit der saudisch-jemenitischen Grenze die internationale Gemeinschaft hoffnungsvoll, dass es im Laufe von 2020 zu umfassenden Friedensgesprächen kommen könnte. Die aktive Rolle, die Saudi-Arabien hier in den verschiedenen Gesprächssträngen einnimmt, verweist zumindest auf das große Interesse des Königreiches, diesen Krieg zu einem Ende zu bringen. Viele Hürden und Fragezeichen bleiben jedoch bestehen: Nicht nur ist das Riad-Abkommen – wie auch das Stockholm-Abkommen – in Teilen vage formuliert und kann daher auch durchaus noch an der Umsetzung scheitern. Auch ist das Misstrauen zwischen den Huthis und der vielgesichtigen Gegenseite groß – bis zu einem umfassenden Friedensabkommen ist es daher noch ein langer, steiniger Weg.
Sollte es doch zu einem Friedensabkommen kommen, so wird die nachfolgende (erneute) Transitionsphase geprägt sein von Akteuren, die sich nicht an das Abkommen gebunden fühlen und in diesem keinen Vorteil sehen, vom (gewaltsamen) Geschacher der Konfliktparteien um eine möglichst vorteilhafte Position für mögliche Neuwahlen und von einer hungernden Bevölkerung, die wieder verzweifelt darauf wartet, dass das Leiden und die Hoffnungslosigkeit endlich ein Ende haben. Deutschlands Einfluss auf die ersten zwei Gefahren wird merklich gering sein. Was wir jedoch tun können, ist, uns in unseren Plänen und Strategien bereits jetzt auf eine Post-Konfliktphase vorzubereiten, sodass die Bevölkerung dann möglichst schnell die Vorteile des Friedens zu spüren bekommt. Nur wenn dies geschieht, hat der Jemen eine Chance auf nachhaltigen Frieden.