Durch Digitalisierung ist in den vergangenen Jahren vieles in Bewegung geraten: Lernende beugen sich in der Bibliothek über Laptops und arbeiten kooperativ Referate aus. Der Klassenraum erfährt eine Ausweitung, indem nicht nur Informationen im Internet recherchiert werden, sondern über Social Media auch Expertise von außen einbezogen wird. Die Vorlesung findet auf Youtube oder dem hochschuleigenen Streamingdienst statt, während der Hörsaal für kooperatives Arbeiten und individuelle Betreuung genutzt wird. Digitalisierung in Schulen lässt sich nicht auf Smartphones oder das Lernen von Programmiersprachen, in Hochschulen nicht auf das Einstellen von Materialien auf Lernplattformen reduzieren.
Einer aktuellen Studie zufolge werden "innerhalb der nächsten fünf Jahre rund 700.000 Menschen mit speziellen technologischen Future Skills" fehlenund "mehr als 2,4 Millionen schon Erwerbstätige in Schlüsselqualifikationen (…) befähigt werden" müssen.
Digitale Kompetenz muss heute folglich zu den zu vermittelnden Grundkompetenzen gehören.
In diesem Beitrag diskutieren wir zentrale Bedarfe, Herausforderungen und Potenziale, die sich durch die Digitalisierung für die Hochschule(n) ergeben. Grundlage ist dabei eine Unterscheidung zwischen Automatisierung und digitaler Transformation: Während Erstere "versucht, bestehende Prozesse und Geschäftsbereiche mit digitalen Tools und Prozessen zu ergänzen, abzubilden und zu ersetzen", strebt Letztere "darüber hinaus neue Ziele an, bei deren Erreichung die Digitalisierung neue Prozesse ermöglicht".
Innovationstreiber Digitalisierung?
Die Digitalisierung hat an den Hochschulen bislang kaum zu disruptiven Innovationen oder großen strategischen Änderungen in der Bildung geführt.
Schule und Hochschule im traditionellen Sinn basierten vor allem auf dem geschriebenen Wort, vermittelt durch Lehrtexte und Bücher oder durch Frontalunterricht und Vorlesungen. Diese Formen der Stoffvermittlung wurden didaktisch verändert, etwa durch Seminare mit hoher Beteiligung der Studierenden oder durch Gruppenarbeit und offenen Unterricht in der Schule. Die Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben (können), gehen jedoch weiter. Es wird nicht mehr ausreichen, Bewährtes in moderne Formen zu bringen. Vielmehr müssen Hochschulen einüben, jenseits bestehender Lehr- und Lernformate zu agieren.
In den Hochschulen existieren unterstützende Einrichtungen wie Rechenzentren, Zentren für Medien und IT oder E-Learning-Stellen mit Schulungsangeboten und mediendidaktischer Beratung. Die Bereitschaft, derartige Angebote anzunehmen, steigt. Die Erkenntnis, dass es arbeitsteilige Teams zur Realisierung von Lehrmitteln und zur Konzeption didaktischer Szenarien braucht, kann mit dieser Entwicklung allerdings nicht Schritt halten. Auch die Einsicht, dass sich längst neue pädagogische Schnittstellen entwickelt haben, beispielsweise in Bereichen der Lernbegleitung und Mediendidaktik, und sich die Rolle der Lehrenden verändert, hat sich bisher noch nicht flächendeckend durchgesetzt.
Heterogene Studierendenschaft
Die geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die "noch nie dagewesene Diversität von Studierenden" sind bislang selten Gegenstand universitärer Diskurse im Hinblick auf die Bildungsziele der Hochschule.
Am Beispiel der von Studierenden gewünschten und eingeforderten Flexibilität lässt sich diese Entwicklung verdeutlichen. Denn der Anspruch, "flexibel" zu sein, bezieht sich nicht allein auf räumliche Unabhängigkeit, sondern auch auf die grundlegende Entscheidung, an welcher Stelle der Biografie akademische Bildung stattfinden soll. Lebenslanges Lernen wird so stärker in den Fokus rücken. Umso wichtiger ist es, eine Offenheit in der Struktur von Studienformaten zu etablieren, um unterschiedlichen Biografien bestmöglich begegnen zu können.
Internationaler Vergleich
Auf europäischer Ebene fällt auf, dass die Potenziale und Herausforderungen durchaus vergleichbar sind: 2015 und 2018 wurden anhand von Fallbeispielen verschiedener Länder Veränderungen in der pädagogischen Landschaft Europas untersucht: Wurde 2015 noch festgestellt, dass Innovationen einen sehr kleinen Anteil im hochschulischen Angebot ausmachten,
Experimentalräume und Strategien
Einrichtungen wie Schulen und Hochschulen sollen den Spagat zwischen einem tradierten Bildungssystem und einer durch die digitale Transformation geprägten Gesellschaft bewältigen. Institutionen haben ein systemisches Beharrungsvermögen, neue Einflüsse werden recht lange assimiliert. Es müssen daher verschiedene Komponenten zusammenkommen, um eine Veränderung zu bewirken. Die Mehrzahl der Hochschulen (62 Prozent) setzt deshalb Anreize, um Lehrende zu motivieren, digitale Instrumente zur didaktischen Unterstützung zu nutzen. Diese umfassen zusätzliches Personal, Best-Practice-Beispiele, Prämien oder Entlastung in der Lehrverpflichtung.
Erstens wird damit eine andere Fehlerkultur befördert. Wenn ein Lehrprojekt nicht die gewünschten Erfolge erreicht, ist dies nicht als Scheitern zu werten, sondern trägt als Erfahrung zur Optimierung bei. Zweitens ist es in komplexen Zusammenhängen notwendig, Maßnahmen aus den jeweils eigenen Kontexten heraus zu entwickeln. Best Practices von anderen Hochschulen zu übernehmen, muss unter den eigenen Rahmenbedingungen nicht immer zielführend sein. Demgegenüber kann ein experimentelles Vorgehen Bottom-Up-Prozesse zur Ideen- und Maßnahmenentwicklung begünstigen, die der Situation und dem Profil der eigenen Hochschule und der eigenen, oft heterogenen Zielgruppe bestmöglich entsprechen.
So kann der Abbau von bestehenden Organisationsstrukturen in den Hochschulen zu Freiräumen führen, in denen Mitarbeitende mögliche Handlungsspielräume neu erkunden können.
Die Digitalisierung der Lehre kann somit zu zweierlei beitragen: Einerseits zu einer ganz neuen Art des Lehrens und Lernens, die nur mittelbar auf Technologie selbst zurückzuführen ist. Andererseits inhaltlich zur Ausbildung von technologischer Expertise sowie zur Vermittlung von grundlegenden Kompetenzen hinsichtlich digital literacy und data literacy in den unterschiedlichen Fachkulturen: Erstere entspricht in erster Linie der Fähigkeit, Informationen aus digitalen Medien verstehen, deuten und kommunizieren zu können. Letztere meint die Fähigkeit, planvoll mit Daten umgehen und diese hinterfragen zu können.
Sofern sie mit übergreifenden Zielen der Hochschule verknüpft ist, kann eine solche Strategieentwicklung nicht nur zu einer Qualitätsverbesserung der Lehre führen,
Qualifizierung und Forschung
Das Professionalisierungs- und Weiterbildungsangebot für Hochschullehrende wächst erst allmählich. Für den mediendidaktischen Kompetenzerwerb ist die Rolle der schon seit vielen Jahren bestehenden E-Learning-Zentren an Hochschulen oder in länderspezifischen Hochschulverbünden hervorzuheben. Hieraus haben sich fundierte Qualifizierungsprogramme entwickelt.
Hochschulen agieren aber auch im Hinblick auf den Schulbereich auf mehreren Ebenen: Sie bilden Lehrpersonal aus und haben hier die Chance, das Thema Digitalisierung mit seinen Erfordernissen sowohl pädagogisch als auch hinsichtlich der Fachinhalte curricular aufzunehmen. Durch entsprechende Forschungsprojekte können Einsichten gewonnen werden, die in den Schullalltag und in die Bildungspolitik zurückfließen. Im Verbund mit Schulen oder einzelnen Lehrenden können mediendidaktische Lehr- und Lernszenarien entwickelt werden. Fortbildungsangebote müssen ausgebaut werden, und vor allem bedarf es zeitgemäßer Konzepte. Regelmäßige, verpflichtende Weiterbildung in Hinblick auf Digitalisierung fehlt bisher.
Um die Folgen der Digitalisierung für den Bildungsbereich einschätzen zu können, muss der Forschung über die digitale Gesellschaft eine hohe Bedeutung beigemessen werden. Auf Bundes- und Landesebene sind verschiedene, teils interdisziplinäre Förderinitiativen entstanden, die den Fragen nach Rahmenbedingungen, Konsequenzen und Gestaltung des digitalen Strukturwandels nachgehen, die also beispielsweise die ethischen, rechtlichen, ökonomischen und politischen Aspekte des digitalen Wandels erforschen oder einen progressiven Lern- und Experimentierraum schaffen.
Fazit
Der Bildungspolitik sind die Herausforderungen, vor die Digitalisierungsprozesse den Bildungsbereich insgesamt stellen, sehr deutlich. Sowohl die Bundesregierung als auch die Länder haben auf unterschiedliche Arten die Digitalisierung im Bildungsbereich vorangetrieben. Weitere politische Ansätze erstrecken sich etwa auf die Öffnung von Bildung für die Allgemeinheit unter Bereitstellung von medial aufbereiteten Lehr- und Lernangeboten oder auf die inhaltlichen und pädagogischen Fragen rund um das Themenfeld der Informations- und Kommunikationstechnologien. Insgesamt also hat die Politik den Handlungsbedarf erkannt: "Um das Lernen mit digitalen Medien in der Breite zu verankern, bedarf es eines starken politischen wie finanziellen Impulses."
Zusammenfassend liegen Aufgaben und Potenziale für Hochschulen besonders im Ausbau der Vernetzung zum Zwecke erweiterter Bildungsoptionen für Lehrende, in der Erhöhung der Durchlässigkeit durch frei zugängliche Bildungsmaterialien, in strukturellen Maßnahmen zur Erschließung neuer Zielgruppen, in der hochschultypischen Spezialisierung sowie in der Umsetzung digitaler Automatisierungs- und Transformationsprozesse im Lehr- und Lernbereich. Letzteres kann durch Supportstrukturen für Lehrende und Studierende gelingen, beispielsweise zur Unterstützung des individualisierten und personalisierten Lernens.
Nicht zuletzt sehen sich die Hochschulen ebenso wie öffentliche Behörden und privatwirtschaftliche Unternehmen mit der Digitalisierung der Verwaltung und der Prozesssteuerung konfrontiert. Der Vorteil der Hochschulen ist dabei jedoch, dass sie nicht nur als Objekte, sondern auch als Motor der Digitalisierung agieren: Durch Lehre, Forschung und Weiterbildung können und müssen die Hochschulen noch stärker als bisher die Automatisierung und digitale Transformation in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben.