Einleitung
In ihren Heimatländern waren sie als Deutsche verpönt und wurden zusammen mit ihren Müttern aus der Gesellschaft ausgestoßen. In Deutschland hat kaum jemand von ihnen gehört - von den hunderttausenden Kindern, die von deutschen Soldaten in den während des Zweiten Weltkriegs okkupierten Gebieten mit einheimischen Frauen gezeugt wurden. Heute sind diese Kinder zwischen 60 und 65 Jahre alt und blicken mit gemischten Gefühlen auf die Feierlichkeitenzum 60. Jahrestagdes Endes des Zweiten Weltkrieges. Einerseits fühlen sich viele von ihnen eng mit ihrem Heimatlandverbunden, andererseits ist vielen von Geburt an in ihrer Gemeinschaft und Gesellschaft vermittelt worden, sie seien unerwünscht. Oder, wie es ein norwegisches Kriegskind
Überall, wo deutsche Soldaten stationiert waren, wurden Beziehungen eingegangen und Kinder gezeugt. Über Zahlen kann man nur spekulieren, da viele Frauen ihre Schwangerschaft verschwiegen oder die Identität des Vaters aus Angst vor Rache und Repressalien verheimlichten. Es gibt wenige verlässliche Angaben über die Anzahl der Wehrmachtskinder. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 10 000 und 12 000 Kinder deutscher Soldaten in Norwegen, 6 000 in Dänemark, 40 000 in Belgien, 50 000 in den Niederlanden, 800 auf Jersey und bis zu 200 000 in Frankreich geboren wurden, wobei anzunehmen ist, dass diese Zahlen als Minimum gelten.
Über die Schicksale der Mütter und ihrer Kinder ist wenig bekannt. In der ersten Zeit nach der Befreiung wurden vielen Frauen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten - die so genannten Tyskertos (Deutschenflittchen) in Norwegen oder die Moffenmeiden in den Niederlanden -, von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Köpfe kahl geschoren und mit oder ohne Kinder durch die Straßen gejagt. Auch persönliche Diffamierungen und sogar Vergewaltigungen kamen vor.
In diesem Beitrag sollen drei Bereiche angesprochen werden. Wie sind die europäischen Gesellschaften mit dem Problem "Kriegskinder" in der Nachkriegszeit umgegangen? Hier soll Norwegen als Beispiel dienen, da es momentan das Land ist, in dem dieses Thema am intensivsten aufgearbeitet worden ist. Des Weiteren sollen Ergebnisse einer Umfrage unter Kriegskindern in Dänemark und zum Teil auch in Norwegen vorgestellt werden, vor allem hinsichtlich der Frage nach der Identität. Schließlich soll auf die weltweite Dimension des Themas eingegangen werden.
Kriegskinder in der Nachkriegszeit
Mitte der achtziger Jahre meldeten sich erstmals norwegische Kriegskinder zu Wort und berichteten von ihrem teilweise verheerenden Lebensweg. 1986 wurde der norwegische Kriegskindverbund gegründet, ähnliche Vereine folgten in anderen ehemals besetzten Ländern. Mühsam beginnen auch Kriegskinder aus anderen Ländern wie Dänemark und Frankreich, ihre Lebensgeschichten zu erzählen.
Norwegen ist das Land, das am weitesten mit der Aufarbeitung der Lebensschicksale der Kriegskinder und deren Behandlung durch den Staat und seine Bürgerinnen und Bürger vorangeschritten ist. Ende der neunziger Jahre hat das norwegische Sozialministerium ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, dessen erste Teilergebnisse inzwischen vorliegen. Zudem hat die Regierung finanzielle Entschädigung für die Kriegskinder zugesagt, um deren Höhe jedoch noch heftig debattiert wird.
Die Kriegskinder und ihre Interessenorganisationen empfinden diese Entschädigung daher als viel zu gering, zumal Forschungsergebnisse zeigen, dass viele erheblich schwierigere ökonomische Ausgangsbedingungen hatten als andere und dass der norwegische Staat daran eine Mitschuld trug.
Es ist schwer zu sagen, ob der norwegische Umgang mit den Kriegskindern im Vergleich zu dem in anderen Ländern besonders diskriminierend war. Die Auswertung historischer Dokumente belegt zumindest einige spezielle Einstellungen in Wissenschaft und Politik nach der Befreiung.
Auf dem Höhepunkt des Krieges waren etwa 400 000 deutsche Soldaten in Norwegen stationiert.
Auf Basis der "Lebensborn"- und Personalnummern konnten norwegische Kriegskinder identifiziert und deren Lebensverlauf untersucht werden.
Die Suche nach der eigenen Identität
Es ist unmöglich, subjektive Erlebnisse und Gefühle allein mittels objektiver Daten zu beschreiben. Aus diesem Grund hat eine internationale Forschergruppe Umfragen unter Kriegskindern in Norwegen, Dänemark und den Niederlanden durchgeführt. Erste Ergebnisse hauptsächlich auf Basis der dänischen Umfrage sollen im Folgenden präsentiert werden.
Es gibt große Unterschiede zwischen Norwegen und Dänemark bei der Frage, ob die Betroffenen wussten, dass sie Kriegskinder sind. Während in Norwegen 64,1 % der Kinder darüber informiert waren, kannten in Dänemark nur 47,8 % der Befragten den Ursprung ihrer Herkunft. Dies soll jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass viele Kinder nicht dennoch in einer außergewöhnlichen Lebenssituation aufgewachsen sind, z.B., weil sie anders behandelt wurden als ihre Geschwister, die sich später als Halbgeschwister erwiesen, oder weil sie nicht nachvollziehen konnten, wieso ihr Vater, der eigentlich ihr Stiefvater war, sie nicht leiden konnte. In einigen Fällen hat sogar die Mutter ihre Wut und Verzweiflung für ihre miserable Lage auf das Kind übertragen. So hat z.B. fast ein Viertel (24,4 %) der dänischen Kriegskinder schon vorher die Vermutung gehegt, dass sie vielleicht Kriegskinder seien; 31,6 % waren enttäuscht, es nicht früher erfahren zu haben.
Verleumdung, Verheimlichung und Vertuschung der Herkunft dieser Kinder waren jahrzehntelang nichts Ungewöhnliches. Viele wuchsen in dem Glauben auf, der Stiefvater sei der tatsächliche Vater oder die Großeltern seien die wirklichen Eltern und die eigene Mutter eine Schwester oder Tante. Die Mütter haben sich, wie es scheint, in Schweigen gehüllt und wenig oder gar nichts erzählt - auch, um sich selbst, das Kind oder beide zu schützen. Auf die Frage, was sie von der Mutter über den leiblichen Vater wüssten, antworteten 33,5 % der dänischen Befragten, dass die Mutter ihnen nie etwas von ihm erzählt habe. 44,5 % berichteten, dass die Mutter nie darüber habe erzählen wollen, was in den ersten Nachkriegsjahren passiert ist. So basierenviele der ausführlichen Informationen über Väter und Mütter, die in den Fragebögen zum Vorschein kommen, auf den Vaterschaftsakten, die in Archiven gelagert waren und in die viele Kinder später als Erwachsene Einsicht bekamen.
Bei der Frage, wieso es wichtig war, den eigenen Hintergrund zu kennen, sagten 60,3 % der dänischen Kriegskinder, dass sie Klarheit über einen Teil ihres Lebensverlaufs haben wollten, an den sie sich selber nicht erinnern können; 24,9 % gaben an, dass das "schwarze Loch" in ihrem Lebenslauf, das sie jahrelang begleitet hatte, erst durch die Akteneinsicht überwunden worden sei.
Dass die Suche nach der eigenen Identität nicht nur für die Kriegskinder, sondern auch für die nachfolgenden Generationen von hoher Bedeutung war, zeigen die Ergebnisse der Befragung ebenfalls. 17,7 % der Dänen antworteten, dass ihre Kinder, also die Enkelkinder der deutschen Soldaten, oft nach ihrer Herkunft gefragt hätten und es somit wichtig wurde, mehr über die eigene Identität zu erfahren. Nur 14,8 % gaben an, eigentlich kein Bedürfnis verspürt zu haben, mehr über ihre Identität zu wissen. Dagegen wollten 47,8 % der dänischen Befragten wissen, ob Ähnlichkeiten bezüglich des Charakters oder der Begabungen bestehen, und über 42 %, ob sie dem Vater ähnlich seien. 32,1 % war es wichtig, Näheres über Erbkrankheiten zu erfahren. Nur 2,9 % wollten ihre Eltern mit dem Verrat an ihren Kindern konfrontieren, lediglich 1,0 % der Dänen war es wichtig, Informationen über Vermögen und Einkommen zu erhalten, um Erbansprüche stellen zu können.
Wie gingen die Kriegskinder mit dem Wissen um, dass ihre Väter zur Besatzungsmacht gehörten und ihre Mütter sich mit dem Feind eingelassen hatten? Während 63,2 % der Dänen keine Probleme damit haben, dass ihr Vater während des Krieges als deutscher Soldat in Dänemark war, sind nur 17,7 % stolz auf ihre deutsche Herkunft. Wenn es darum geht, dass ihre Mutter eine Beziehung zum Feind gepflegt hat, meinen 39,7 %, dass der Preis, den ihre Mutter für ihre Liebe zahlen musste, mehr als hoch gewesen sei. Fast die Hälfte aller befragten Dänen (49,8 %) ist der Überzeugung, dass ihre Mutter mit dem Vater ihre größte Liebe erlebt hat.
Kriegskinder gestern und heute
"Es ist schwer, Töchter zu haben, wenn Soldaten in der Nähe sind", sagte eine dänische Großmutter, als ihre Enkelin fragte, ob es wahr sei, dass ihr Vater ein deutscher Soldat war. Diese Aussage trifft den Kern des Problems und gilt unabhängig von Zeit und Raum. Solange es Kriege bzw. Bürgerkriege gibt, wird es auch Kriegskinder geben: in Vietnam, Liberia, Bangladesh, Ruanda und auf dem Balkan, um nur einige Kriegsgebiete zu nennen.
Weil ihre Herkunft offenkundig war, wurden Kinder und ihre Mütter aus der Gesellschaft ausgegrenzt.
Verschärft wird die Problematik dadurch, dass es Länder gibt, in denen Kinder ohne Väter als Staatenlose gelten und ihnen Rechte wie Gesundheitsfürsorge, Krankenhausversorgung und Schule vorenthalten werden.
Deutschland hatte in der Nachkriegszeit schwerwiegendere Probleme, als sich um die Kinder ihrer ehemaligen Soldaten im Ausland zu kümmern. Es stellt sich jedoch die Frage, warum dieses Thema in Deutschland bis heute noch nicht näher untersucht worden ist, obwohl es inzwischen kaum noch ein Gebiet der Kriegsgeschichte gibt, das nicht als ausgiebig erforscht gilt. Die Kriegskinder gehören schließlich zur "Familie" der Deutschen - wenn nicht rechtlich, so doch zumindest genetisch und emotional. Viele deutsche Männer wussten, dass sie Kinder im Ausland hatten. So erzählte eine dänische Befragte: "Meine Mutter hat ihn einmal in Deutschland besucht - sie glaubte, er würde sie heiraten - stattdessen hat seine Frau angeboten, mich zu adoptieren." Besonders bedrückend empfand eine norwegische Befragte, nachdem sie herausgefunden hatte, wer ihr leiblicher Vater war, die Erkenntnis, dass er sich das Leben genommen hatte, weil er nichts hatte, wofür es sich zu leben gelohnt hätte. Er wusste nicht, dass er ein Kind in Norwegen hatte.
Internet-Empfehlung
War and Children Identity Project (WCIP),
Rafto Human Rights House,
Menneskerettighetenes Plass1,
5007 Bergen/Norwegen;
Externer Link: www.warandchildren.org