Einleitung
Über die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" wird seit dem Bundestagswahlkampf 2002 in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Strittig ist vor allem die Frage, wer denn nun Schuld daran sei, dass in Deutschland zu wenig Kinder geboren werden:
Mit "Geschlechterdemokratie" in der Familienpolitik verbinden wir die Vorstellung, dass die Frage nach der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" kein Frauenthema bleibt, sondern beide Elternteile für die Kindererziehung Verantwortung tragen und zugleich die Möglichkeit haben, erwerbstätig zu sein. Legt man diese Messlatte an, so muss untersucht werden, welche Leitbilder heute in derBundesrepublik Grundlage familienpolitischer Steuerung sind. Letztlich geht es also darum, ob sich Familienpolitik weiterhin an einem traditionellen Familienmodell mit Familienernährer und Hausfrau orientiert oder aber geschlechterdemokratische Lebensformen fördert.
Bilanz rot-grüner Familienpolitik
Bereits 2001 wurde das Bundeserziehungsgeldgesetz novelliert - mit dem Erfolg, dass der "Erziehungsurlaub" jetzt "Elternzeit" heißt und damit ausdrücklich beide Eltern anspricht. Vater und Mutter können parallel oder im Wechsel Elternzeit beanspruchen und nebenher bis zu 30 Stunden in Teilzeit erwerbstätig sein. Damit ist - zumindest rhetorisch - die Vorstellung vom Tisch, dass sich nur eine Person überwiegend um das Kind kümmern soll.
Diese traditionelle Form der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung steht jedoch im Widerspruch zu den geäußerten Wünschen vieler Eltern. Bei einer repräsentativen Umfrage von Müttern mit Kindern unter drei Jahren wünschten sich 16 Prozent der westdeutschen Mütter, dass beide Eltern in Teilzeit arbeiten; 63 Prozent wollten eine Kombination aus Teilzeit und Vollzeit und 7 Prozent wünschten sich eine beidseitige Vollzeittätigkeit. Die bei 77 Prozent dieser Eltern tatsächlich vorherrschende Arbeitsteilung, bei der die Mutter die Berufsarbeit unterbricht und der Vater das Familieneinkommen sichert, wünschten dagegen nur 14 Prozent der Mütter.
Familienpolitik basiert in der Bundesrepublik vor allem auf staatlichen Transferleistungen. Finanzielle Familienförderung und das Ehegattensplitting machen mit mehr als zwei Dritteln den größten Anteil des familienpolitischen Budgets aus. Von der dualen Förderung durch Kindergeld und Kinderfreibetrag profitieren zudem einkommensstarke Haushalte stärker als einkommensschwache.
Darüber hinaus wird durch das Ehegattensplitting weiterhin eine klassisch-traditionelle Arbeitsteilung gefördert. Die vorhandenen juristischen Spielräume für eine steuerliche Besserstellung geschlechterdemokratischer Lebensentwürfe sind bisher aus politischen Gründen nicht genutzt worden.
Dennoch sieht die rot-grüne Regierung in der "Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ein zentrales politisches Reformvorhaben" und strebt an, für Kinder ein "bedarfsgerechtes und verlässliches Betreuungsangebot"
Jenseits dieser Umsetzungsschwierigkeiten hat bisher eine notwendige Verzahnung von Familien- und Arbeitsmarktpolitik, die zu Win-win-Situationen führen könnte, nicht stattgefunden. Die Annahme jedenfalls, dass der Ausbau der Kinderbetreuung Geld kosten und die steigende Erwerbstätigkeit von Müttern den Arbeitsmarkt belasten würde, erweist sich als falsch. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass genau diese Maßnahme Arbeitsplätze schaffen und Gelder in die Kassen der sozialen Sicherungssysteme spülen würde.
Es besteht also weiterhin eklatanter Reformbedarf für gleichberechtigte Lebensformen. Statt einen angeblichen Generationenkonflikt und Verteilungskämpfe zwischen Eltern und Singles zu beschwören, sollten Politik, Kommunen und Wirtschaft eher damit beginnen, die Rahmenbedingungen für junge Eltern in Deutschland zu verbessern, damit diese ihre jeweiligen Vorstellungen von einem "guten Leben mit Kindern" besser realisieren können. Dies gilt insbesondere für diejenigen Eltern, die einen partnerschaftlichen Lebensentwurf jenseits des klassischen Ernährermodells verwirklichen wollen. Wohlfahrtstaatliche Politiken setzen Rahmenbedingungen, die von den handelnden Subjekten als Chance oder Begrenzung ihrer Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. Die Menschen agieren im Rahmen politisch vorgegebener Strukturen. Damit werden ihre Handlungen zwar nicht eindeutig vorbestimmt. Trotzdem sind die derzeit vorherrschenden gesellschaftlich-kulturellen Rahmenbedingungen keineswegs "neutral", sondern fördern eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Insofern implizieren sie ein traditionelles Geschlechterarrangement als hegemoniales Muster. Demgegenüber müssen sich Paare, die egalitäre Lebensentwürfe realisieren wollen, jenseits dieser hegemonialen Struktur bewegen und immer wieder besondere Anstrengungen auf sich nehmen, um dies auch praktisch in die Tat umzusetzen.
Geschlechterdemokratie in der Erwerbs- und Familienarbeit
Vor dem Hintergrund der aktuellen geschlechter- und familienpolitischen Lage in Deutschland haben wir eine eigene qualitative Studie durchgeführt und dort eben solche egalitären Geschlechterarrangements innerhalb junger Familien in denBlick genommen.
Die Paare waren zum Zeitpunkt der Befragung überwiegend in der Familiengründungsphase und hatten bis zu drei Kinder. Ihr Bildungsniveau ist überdurchschnittlich hoch; allerdings sind die Berufs- und Tätigkeitsfelder sehr unterschiedlich. Die meisten arbeiten in der Privatwirtschaft, ein Teil im öffentlichen Dienst, und einige wenige sind im Non-Profit-Bereich beschäftigt oder selbstständig. Beachtenswert ist, dass sieben der befragten Personen in Führungspositionen sind. Die Einkommensverhältnisse der Familien variieren erheblich, sie liegen netto inklusive staatlicher Transferleistungen zwischen 1 400 und 5 000 Euro. Die breite Spanne ist allerdings nicht nur auf Qualifikation und ausgeübten Beruf zurückzuführen, sondern hängt wesentlich davon ab, in welchem zeitlichen Umfang beide Elternteile erwerbstätig sind.
Besonderes Augenmerk haben wir auf die konkrete Arbeitszeit- und Betreuungssituation der Paare gelegt. Diese variierten nicht nur zwischen den Paaren, sondern auch im Verlaufe der jeweiligen Paarentwicklung. Feststellen konnten wir, dass neben strukturellen Rahmenbedingungen eine zentrale Voraussetzung für egalitäre Arbeitsteilungsmuster in der Paarbeziehung selbst liegt, insbesondere in deren Bildungs- und Einkommensstruktur. Die Frauen in unserem Sample sind überwiegend gleich oder höher qualifiziert als ihre Partner, was sich zugleich in ihrem Einkommensniveau niederschlägt. Insofern sind gleiche Startbedingungen von Mann und Frau in einer Paarbeziehung ein wesentliches Moment für die Herausbildung einer partnerschaftlich orientierten Arbeitsteilung.
Nach der Geburt eines Kindes gehen viele der Befragten zunächst in Erziehungsurlaub bzw. in die Elternzeit. In knapp der Hälfte der Fälle haben sich die Paare dabei abgewechselt und die Väter einen erheblichen Betreuungsanteil übernommen. Die vollen drei Jahre werden dabei keineswegs immer ausgeschöpft. Vielmehr wird bei sehr vielen Paaren relativ schnell - bei vielen gleich nach dem Mutterschutz - eine Vereinbarkeitslösung angestrebt, bei der beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren und zugleich Betreuungsaufgaben übernehmen. Überraschenderweise ist für die meisten die Umsetzung ihrer Arbeitszeit relativ unproblematisch, aber oft mit energischer Eigeninitiative verbunden. So haben manche der Befragten eine vorhandene Stelle geteilt oder sich eine neue Stelle gesucht, um ihre Arbeitszeitwünsche zu verwirklichen. Parallel dazu greifen alle Paare auf eine öffentliche und/oder private Fremdbetreuung zurück, einerseits Krippe und Kindertagesstätten, andererseits Tagesmütter bzw. private und familiäre Netzwerke. Auf diese Weise entstehen sehr komplexe und fragile Arrangements, innerhalb derer jeden Tag aufs Neue die unterschiedlichen Zeitregime zweier Arbeitsplätze und der Fremdbetreuung integriert werden müssen. Ein Leben jenseits traditioneller Familienstrukturen bedeutet also auf längere Sicht einen erhöhten Koordinationsaufwand.
In unserer Studie haben wir fünf unterschiedliche Arrangements von Arbeit und Leben herausgearbeitet. Mit "Arrangement von Arbeit und Leben" bezeichnen wir den Lebensentwurf sowie den konkreten alltäglichen Lebenszusammenhang eines Paares.
Unter einem ausbalancierten Arrangement verstehen wir Lebenszusammenhänge, bei denen weder Arbeit noch Leben einen dominanten Status haben, sondern für einen gelungenen Lebensentwurf das Mischungsverhältnis von Beruf, Familie und weiteren Lebensbereichen zentral ist. Langfristig wollen hier beide Elternteile in Teilzeit arbeiten und Zeit für Familie, Partnerschaft und individuelle Interessen haben. Die meisten Personen mit ausbalanciertem Arrangement haben einen akademischen Abschluss und arbeiten mehrheitlich in pädagogischen und sozialen Berufen - teilweise im öffentlichen Dienst und teilweise bei freien Trägern. Trotz ihrer Teilzeitorientierung sind ihnen die Arbeitsinhalte wichtig, und sie sehen in der Erwerbsarbeit auch die Möglichkeit zur individuellen Verwirklichung. Es ist zu vermuten, dass in diesen Fällen häufig bereits die Berufswahl mit den anvisierten Abeits(zeit)vorstellungen zusammenhängt. Dafür sind Paare mit ausbalanciertem Arrangement bereit, auf einen Teil des Erwerbseinkommens zu verzichten. Das allerdings birgt zugleich ein Risiko, denn eine angespannte finanzielle Situation kann langfristig das Arrangement gefährden. Öffentliche Betreuungsangebote werden hier mit eigenen Betreuungszeiten und selbst organisierten Netzwerken verknüpft. Aufgrund ihrer vielfältigen Tätigkeiten in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen mit wechselnden Arbeitszeitmodellen haben diese Paare insgesamt einen hohen Koordinationsaufwand. Bei paralleler Teilzeitarbeit und einer täglich oder wöchentlich wechselnden Kinderbetreuung geben sich die Eltern oft "die Klinke in die Hand" und klagen über wenig gemeinsame Zeit.
Zusammenfassend kann das ausbalancierte Arrangement von Arbeit und Leben als hochflexibel und individualisiert bezeichnet werden, wobei die Flexibilität zu einer mangelhaften beruflichen, finanziellen und sozialen Absicherung führt. Dies zeigt sich auch in den familienpolitischen Vorstellungen und Wünschen dieser Paare, die beispielsweise die geltende Elternzeitregelung begrüßen, für ihr Lebensmodell ab dem zweiten oder spätestens dritten Lebensjahr der Kinder allerdings verlässliche Angebote einer öffentlichen Ganztagsbetreuung benötigen. Als Anreiz in die richtige Richtung bewerteten sie zudem die explizite finanzielle Förderung bzw. steuerliche Entlastung von Familien, in denen beide Elternteile auch längerfristig auf Teilzeitbasis erwerbstätig sein wollen.
Beim erwerbszentrierten Arrangement dagegen steht die berufliche Entwicklung beider Elternteile im Mittelpunkt. Langfristig wollen hier Vater und Mutter trotz der Familie Vollzeit arbeiten und Karriere machen. Die Kinder werden entsprechend früh in Fremdbetreuung gegeben. Zum Selbstverständnis dieser Paare gehört, dass die Frau ihren Beruf nicht wegen der Familie aufgeben soll. Dennoch hat auch die Familie eine große Bedeutung; sie gilt aber als vereinbar mit den Berufsvorstellungen beider Elternteile. Diese Gruppe besteht fast ausschließlich aus AkademikerInnen. Zumeist arbeiten sie in der Privatwirtschaft und haben teilweise auch Führungspositionen inne. Insofern finden sich hier die SpitzenverdienerInnen unseres Samples. Häufig sind die Mütter nach der Geburt des Kindes nur kurz aus dem Beruf ausgestiegen. Im Anschluss realisieren beide Elternteile dann eine Teilzeittätigkeit mit 30 oder mehr Stunden pro Woche. Diese "Teilzeit" erweist sich faktisch als Strategie zur Reduzierung von Überstunden und als Flexibilitätspuffer. Zeit für die Kinder entsteht vor allem dann, wenn die Eltern im Rahmen der Teilzeitregelung tageweise zu Hause bleiben. An den verbleibenden Wochentagen werden die Kinder fremdbetreut. Da aufgrund der Arbeitszeiten der Eltern täglich viele Stunden abgedeckt werden müssen, werden zumeist verschiedene Betreuungsformen kombiniert, etwa öffentliche Kindertagesstätten und eine Tagesmutter. Diese komplexen Betreuungsarrangements erfordern einen hohen Koordinationsaufwand und einen ständigen Balanceakt, da es zumeist kein (familiäres) "Sicherheitsnetz" im Hintergrund gibt. Der Alltag solcher Paare ist stark durchorganisiert, und die Komplexität der Arrangements nimmt mit steigendem Alter der Kinder und mit deren Schulbesuch noch zu. Gemeinsame Zeit für die Familie haben erwerbszentrierte Paare überwiegend nur an den Wochenenden. Ansonsten ist ihr Alltag durch rigide Planung und permanenten Zeitmangel gekennzeichnet. In familienpolitischer Hinsicht benötigen diese Paare am dringlichsten eine garantierte öffentliche Ganztagsbetreuung von der Geburt der Kinder an. In unseren Interviews haben sie das - z. T. mit Verweis auf die Situation in vergleichbaren europäischen Nachbarstaaten, wie bspw. Frankreich - auch deutlich eingefordert. Gut könnten sie sich auch ähnliche Regelungen wie in Schweden vorstellen, wo für Zeiten des familienbedingten beruflichen Ausstiegs eine Lohnersatzleistung gezahlt wird. Das Erziehungsgeld dagegen entspreche in keiner Weise dem realen Einkommensausfall und gebe für Frauen und erst recht für Männer keinen Anreiz zur Familiengründung und Wahrnehmung damit verbundener Aufgaben. Zudem führe das Ausnutzen der maximal dreijährigen Dauer der Elternzeit dazu, dass der Kontakt zum Beruf zu stark verloren gehe.
Im Gegensatz dazu steht das familienzentrierte Arrangement von Arbeit und Leben, bei dem für beide Elternteile das gemeinsame Familienleben am wichtigsten ist. Auch hier haben Mutter und Vater einen qualifizierten Beruf, wollen langfristig aber nicht unbedingt in Vollzeit arbeiten, sondern viel gemeinsame Zeit als Familie verbringen - insbesondere solange die Kinder noch klein sind. Die Initiative für dieses Lebensmodell ging häufig von den Männern aus, die mit ihren Kindern zu Hause bleiben wollten. Die Realisierung ihrer Arbeitszeitwünsche hängt jedoch von den jeweiligen beruflichen Möglichkeiten ab. Viele Befragte dieser Gruppe arbeiten als Beamte im öffentlichen Dienst und haben daher gute Chancen, ihre Wünsche umzusetzen, ohne berufliche Risiken einzugehen. Zugleich aber ist den Paaren bewusst, dass sie mit Teilzeitarbeit auf beruflichen Aufstieg verzichten. Dennoch nehmen die Männer dies in Kauf, zum Teil weil ihre berufliche Tätigkeit wenig Aufstiegsmöglichkeiten zulässt und nur bedingt als sinnstiftend erfahren wird. Charakteristisch für Paare mit familienzentriertem Arrangement ist, dass sie noch oder wieder in ihrem sozialen und familiären Herkunftsmilieu wohnen und ihre Kinder weitgehend selbst betreuen wollen. Meist geht dies mit einer engen Beziehung zu den Großeltern einher, die ebenfalls in der Nähe wohnen und sich an der Betreuung beteiligen. Eine frühe Fremdbetreuung der Kinder außerhalb der Herkunftsfamilie wird dagegen abgelehnt. Insofern ist ihre Betreuungssituation relativ unproblematisch. Die Paare kennen sich meist schon aus Schulzeiten, haben einen gemeinsamen Freundeskreis und sind in das Gemeinschaftsleben des Wohnortes eingebunden. Allerdings stößt ihr unkonventionelles Arrangement dort teilweise auf Unverständnis. Dennoch erleben es die Männer als ein Privileg, Zeit für ihre Kindern zu haben. Familienpolitisch sind auch Paare mit familienzentriertem Arrangement auf öffentliche Betreuung angewiesen. Allerdings wollen sie in den ersten Jahren ihre Kinder nicht gleich in "fremde" Hände geben und halten dies auch hinsichtlich der Entwicklung der Kinder für angebracht. Insofern sind sie mit der geltenden Elternzeitregelung zufrieden, da dadurch die Möglichkeit der Eigenbetreuung in den ersten drei Lebensjahren der Kinder abgesichert ist. Durch die noch am Ort lebenden Großeltern ist die Betreuungssituation auch danach weniger problematisch als für Paare mit ausbalanciertem oder erwerbszentriertem Arrangement von Arbeit und Leben.
Zum einen zeigt unsere Studie, dass partnerschaftliche Arrangements sehr verschiedene Formen annehmen können und ihnen jeweils ganz unterschiedliche Entwürfe des Verhältnisses von Arbeit und Leben zugrunde liegen. Gemeinsam ist ihnen, dass sich die Geschlechter aufeinander zu bewegen und die Zufriedenheit mit ihren egalitären Lebensentwürfen hoch ist. Frauen wollen Beruf und Familie verbinden, und Männer haben ein Interesse an aktiver Vaterschaft, für die sie teilweise auch berufliche Risiken in Kauf nehmen. Geschlechterkonflikte scheinen dabei weniger existenziell und ideologisch abzulaufen und die Veränderungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung insgesamt einem eher pragmatischen Modus zu folgen.
Zum anderen zeigen unsere Befunde ebenso deutlich, dass die tatsächliche Realisierbarkeit egalitärer Vorstellungen von konkreten Rahmenbedingungen sowie Ressourcen und Kompetenzen der Betroffenen abhängt. Erst dadurch werden sie denkbar und lebbar. Neben der konkreten Paarkonstellation ist die Möglichkeit, Dauer und Lage von Arbeitszeiten weitgehend an eigene Bedürfnisse anzupassen und im Alltag auch im Bedarfsfall flexibel handhaben zu können, eine weitere Grundvoraussetzung. Gleichermaßen braucht es schließlich flächendeckend finanzierbare, zeitlich ausreichende sowie verlässliche öffentliche Betreuungsangebote für Kinder aller Altersstufen. Da die vorherrschenden Rahmenbedingungen jedoch immer noch auf ein traditionelles Arrangement von Arbeit und Leben ausgerichtet sind, müssen Paare mit egalitärem Anspruch strukturelle Defizite individuell auffangen. Die Umsetzung solcher Arrangements stellt somit eine beachtliche Leistung dar. Denn die Paare müssen die Fähigkeit und Kompetenz entwickeln, geeignete Rahmenbedingungen selbsttätig herzustellen und im Alltag immer wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Nötig sind hierzu unter anderem Eigeninitiative, Zeitmanagement, Flexibilität, Stresstoleranz und Selbststeuerungs- und Organisationsfähigkeiten - und dies umso mehr, je stärker das Normalarbeitsverhältnis weiter auf Vollzeit ausgerichtet ist, flächendeckende Kinderbetreuungsangebote und Ganztagsschulen nicht in Sicht sind und beide Elternteile auch mit Kindern nahe an Vollzeit arbeiten wollen bzw. aus unterschiedlichen Gründen arbeiten müssen.
Geschlechterdemokratie als Modellprojekt
Aus unserer Studie lassen sich zwei mögliche Schlussfolgerungen ziehen: Erstaunlich, wie die jungen Paare zurechtkommen, eine gute, selbstverantwortliche Leistung - da sollte der Staat sich heraushalten. Oder: Geschlechterdemokratische Modelle stehen noch eher am Anfang, sie bedürfen der politischen Ermutigung, da immer mehr Paare sie wünschen, allerdings gegen den Strich durchkämpfen müssen. Zugleich sind diese Modelle auch arbeitsmarktpolitisch von hoher Relevanz. Wenn Paaren sowohl eine egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und familialer Alltagsarbeit als auch (existenzsichernde) Teilzeitarbeit ermöglicht werden soll, müssten unseres Erachtens mindestens folgende Anforderungen erfüllt sein:
- Ein ausreichendes und flexibles Betreuungsangebot für Kinder bis sechs Jahre sowie geeignete schulische Angebote müssten gewährleistet sein;
- diese müssten qualitativ hochwertig sein;
- Teilzeitbeschäftigung müsste sozialversicherungsrechtlich besser abgesichert werden;
- das Teilzeit-Modell müsste bei einem geringen Familieneinkommen durch entsprechende finanzielle Kompensation flankiert werden.
Dabei erscheinen uns insbesondere junge Paare als Adressaten unverzichtbar, da eine egalitäre Arbeitsteilung in jüngerem Lebensalter erlernt wird. Wie aus der vergleichenden Analyse familienpolitischer Modelle in europäischen Staaten zudem deutlich wird, müssen insbesondere junge Männer angesprochen und für einen Rollenwandel motiviert werden.
Notwendige familienpolitische Reformen stehen aber im Gegensatz zur aktuellen politischen Realität. Denn was Bundesregierung und Opposition derzeit zur Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur anbieten, droht an parteipolitischen Ideologien, Kompetenzgerangel oder fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Kommunen zu scheitern. Bei Licht besehen, stehen wir vor einer Totalblockade potenzieller Verbesserungen. Statt Geschlechter- und Familienpolitik mit der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zusammenzudenken, wird entkoppelt, was zusammengehört. Die Chancen stehen schlecht, Teilzeitarbeit gesetzlich und tarifpolitisch als Paar-Arbeits-Lebensmodell durchzusetzen, um Arbeitsumverteilung mit veränderten Arbeits- und Lebensarrangements innovativ in neuer Weise zu kombinieren.
Die Kluft, die sich zwischen den notwendigen Reformen und dem realpolitisch Machbaren auftut, scheint derzeit unüberwindbar. Denn es fehlen die politischen Akteure, die einen solchen Wandelernsthaft voranbringen wollen. Vermutlich bräuchte es mehr Druck von unten, um Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen für Familien auf die politische Tagesordnung zu setzen. Das sicherlich wirkungsvollste Mittel wäre ein offensiver Gebärstreik der jungen Generation als provozierende Aktion. Voraussichtlich werden sich junge Paare aber nicht in dieser Weise zum konzertierten Handeln verabreden. Stattdessen suchen sie zunehmend individuelle "Lösungen" für strukturelle Probleme.
Politische Ermutigungen sind dennoch notwendig und können gerade auf der individuellen Ebene ansetzen. Daher schlagen wir als pragmatischen Schritt zum Aufbrechen der geschlechterdemokratischen Stagnation ein begrenztes Modellprojekt vor. Weil infrastrukturelle Angebote kaum vorhanden, oft unflexibel und nicht auf die spezifischen Arbeits- und Lebenssituationen der Paare mit Kindern zugeschnitten sind, soll die Familie selbst zum zentralen Akteur und Motor für die Auswahl und Anlage der Kinderbetreuung gemacht werden. Im Gegensatz zur Regulierung auf Bundesebene wäre ein solches Modellprojekt bei Ländern oder Kommunen anzusiedeln, wo die konkreten Weichenstellungen vorgenommen werden müssten. Es zielt darauf, junge Eltern bei ihrer Alltagsorganisation in kurz- bis mittelfristiger Perspektive zu unterstützen.
Wir schlagen ein Stadt- oder Länder-Modell vor: "500 Paare mit kleinen Kind(ern) erhalten für Halbe-halbe-Erwerbsarbeit 500 Euro Zusatzförderung als Bonus für Geschlechterdemokratie." Die Inanspruchnahme dieses Modells soll an folgende Bedingungen geknüpft sein:
- Beide Elternteile arbeiten bei der Antragstellung bereits in einem 40- bis 80 Prozent-Teilzeitkorridor von Erwerbsarbeit und haben Kind(er) unter sechs Jahren.
- Das monatliche Haushalts-Nettoeinkommen liegt unter 2 000 Euro.
- Die Inanspruchnahme begründet keine individuellen Rechtsansprüche, sondern ist eine befristete Zusatzförderung mit beschränktem Mitteleinsatz.
Bei einer monatlichen Unterstützung der Paare mit 500 Euro ergäben sich als Kosten für ein Land oder eine Großstadt bei 500 Paaren drei Millionen Euro pro Jahr. Das Modellprojekt würde entsprechend teurer, wenn für das zweite oder dritte Kind Sonderzuschläge gezahlt werden. Es zielt auf eine Ermutigung derjenigen, die sich eine geschlechterdemokratische Aufteilung der Erwerbsarbeit bisher nicht leisten können.
Als weiteres Element schlagen wir vor, fünfzehn Stunden wöchentlich flexible Kinderbetreuungsleistungen in Form eines Schecks zu vergeben. Dieses Modell setzt am Bedarf nach flexibler und qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung an, der sich in den Ergebnissen unseres Projekts zeigt. Damit wollen wir die Eltern zu alleinigen Akteuren machen und ihnen die Auswahl der für sie optimalen Form der Kinderbetreuung ermöglichen. Für die Inanspruchnahme dieses Betreuungsschecks gelten die gleichen Bedingungen wie oben genannt. Die Einkommensgrenze liegt allerdings bei 3 000 Euro.
Die Eltern erhalten einen Kinderbetreuungsgutschein für fünfzehn Betreuungsstunden in der Woche pro Kind, der sowohl in einer öffentlichen als auch bei einer privaten Kinderbetreuung einlösbar ist. Die Zeitbudgets können kontinuierlich gesammelt, konzentriert oder zyklisch eingesetzt werden - je nach konkreter Arbeits- und Lebenssituation. Mit diesem Modell soll zugleich ein Brückenschlag zwischen Arbeitsmarkt- und Familienpolitik erfolgen, indem die private Kinderbetreuung über arbeitsmarkpolitische Instrumente teilfinanziert wird. Die im Bereich der Kinderbetreuung geschaffenen Teilzeit-Arbeitsplätze sollen grundsätzlich sozialversicherungspflichtig sein. Zur Abwicklung dieser Tätigkeiten schlagen wir vor, eine Service-Agentur einzurichten, bei der die Tagesmütter bzw. -väter die Betreuungsschecks einlösen können und welche die Versicherungsleistungen an die gesetzlichen Versicherungsträger sowie die Lohnsteuer abführt. Um die geforderten Qualitätsstandards bei der privaten Kinderbetreuung durch Tagesmütter bzw. -väter einzuhalten, sollen bei bestehenden Einrichtungen und Trägern - Mütterzentren, Diakonie, Caritas - so genannte Familienagenturen eingerichtet bzw. bestehende ausgebaut werden. Sie können zum einen entsprechende Informationen an die Eltern weitergeben und zum anderen eine Qualifizierung des Betreuungspersonals sicherstellen.
Wird ein durchschnittlicher Brutto-Stundenlohn einer Erzieherin nach Bundesangestelltentarif zugrunde gelegt (12,50 Euro), ergeben sich für diesen Modellteil jährliche Kosten von 9 750 Euro pro Familie und Kind. Für die Finanzierung dieses Modellteils ergeben sich grundsätzlich mehrere Optionen. Für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung wären jedoch Mini-Jobs und Ich-AGs nur bedingt tauglich; qualifizierte Teilzeit-Positionen wären die beste Lösung. Anstatt einer simplen Kindergeldstrategie würden beispielsweise für eine Milliarde Euro etwa 100 000 junge Teilzeit-Familien eine qualitativ hochwertige und selbst gesteuerte Kinderbetreuung erhalten, die kurzfristig umsetzbar wäre - mit 30 000 neuen Arbeitsplätzen inklusive.
Mit diesen Vorschlägen könnte zumindest ein Einstieg in die aktive Förderung geschlechterdemokratischer Lebensentwürfe erfolgen. Andernfalls müssen junge Paare weiterhin ihre Vorstellungen gegen herrschende Rahmenbedingungen leben. Mit etwas mehr politischem Handlungswillen könnte ein Modellprojekt egalitäre Arrangements für mehr Elternpaare lebbar machen und zeigen, dass Geschlechterdemokratie hochattraktiv ist.