Einleitung
Ende der achtziger Jahre gaben die kommunistischen Herrschaftssysteme in Europa ihre Macht ab und lösten sich in atemberaubender Geschwindigkeit auf.
Die deutschen Ereignisse stehen in der Mitte, aber nicht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Die Deutschen machten bei den Umsturzbewegungen nicht den Anfang, sondern sie folgten den Polen und Ungarn. Der Fall der Mauer in Berlin am 9.November 1989 entwickelte Schubkraft für die Umwälzungen in der Tschechoslowakei und Rumänien.
Polen: lang anhaltende und versandete Revolution
In Polen sollte die erste organisierte Massenopposition ihren reformpolitischen Anfang nehmen.
Im Zuge einer erneuten Preis- und Inflationswelle seit Sommer 1980 folgten Streiks.
Von Februar bis April 1989 fanden am "Runden Tisch" Gespräche zwischen der neuen Regierung Mieczyslaw Rakowski (1989 - 1990),
Am 6. November 1989 schlug das ZK der PVAP vor, die Begriffe "Diktatur des Proletariats" und "proletarischer Internationalismus" zu eliminieren und die parlamentarische Demokratie als Staatsform zu etablieren. Parallel konstituierten sich neue Parteien. Antisowjetische Gewaltakte nahmen zu. Am 29. Dezember wurde die "führende Rolle" der PVAP bei einer Gegenstimme aus der Verfassung gestrichen und die Staatsbezeichnung "Republik" eingeführt. Im Januar 1990 löste sich die PVAP auf. Teile ihrer Mitglieder gründeten die "Sozialdemokratie der Republik Polen" (SdRP). Im Mai folgten freie Kommunalwahlen. Am 7. Dezember 1990 wurde Walesa zum Staatspräsidenten gewählt.
Dem raschen Systemwechsel 1989 folgte in den neunziger Jahren ein lang anhaltender Systemwandel ohne durchgreifende Erfolge. Es blieb das Dauerproblem ökonomischer Reformen.
Die ersten freien und demokratischen Parlamentswahlen am 27. Oktober 1991 - die letzten in einem ehemaligen sowjetsozialistischen Staat Europas
Ein Regierungsprogramm zur "Allgemeinen Privatisierung" von circa 600 Staatsbetrieben mit der Ausgabe von Volksaktien wurde im April 1993 vom Sejm gebilligt. Nach einem Misstrauensantrag der Solidarnosc-Fraktion gegen die Regierung Suchocka erklärte diese im Mai 1993 ihren Rücktritt. Die Wahlen vom September gewannen ein Linksbündnis und die Polnische Bauernpartei. Der neue Ministerpräsident Waldemar Pawlak trat aufgrund von Differenzen mit Walesa und infolge eines erneuten Misstrauensantrags bald zurück. Sein Nachfolger Józef Oleksy (SRP) gab auf, nachdem gegen ihn der Verdacht der Spionage für den sowjetischen Geheimdienst aufkam. Der neue Ministerpräsident W|lodzimierz Cimoszewicz führte ein Koalitionskabinett aus Linksbündnis und Bauernpartei an. Bei der Präsidentenwahl im November 1995 setzte sich der Vertreter der Linksallianz Aleksander Kwasniewski gegen Walesa durch, sah sich jedoch nach der Parlamentswahl vom 21. September 1997 im Sejm einer konservativ-liberalen Mehrheit gegenüber.
Außenpolitisch orientierte sich Polen nach Westen. Die im Osten Deutschlands stationierten 300 000 Sowjetsoldaten erzeugten Unsicherheit.
Ungarn: rasche, stille und paktierte Revolution
Nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand 1956 wurde Janos Kádár, gestützt auf die Rote Armee, Erster Sekretär des ZK der neu begründeten Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP). Er leitete zunächst eine scharfe Verfolgungswelle ein. Ab 1962/63 setzte ein Kurs der inneren Versöhnung mit dem Ziel der Integration in die "sozialistische Staatengemeinschaft",
Bereits vor Gorbatschows Amtsantritt existierten in Ungarn reformkommunistische Bestrebungen. Sie führten zur Anpassung der Preispolitik an das Weltmarktniveau (1980), zur Aufnahme des Landes in den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank (1982), zur Gründung einer ungarisch-dänischen Joint Venture (1984) und zur Reform des Bankwesens (1987). Unter Ministerpräsident Károly Grósz kam es zu einer Steuerreform und zur Öffnung des politischen Systems. Parallel zur Reformpolitik von oben entwickelte sich die Reformbewegung von unten.
Bereits am 27. September 1987 war das Ungarische Demokratische Forum (UDF) gegründet worden. Weitere Parteien entstanden: der Bund der Freien Demokraten (BFD) am 13., die Partei der Kleinen Landwirte (FKgP) am 18. November 1988 und die Christlich-Demokratische Volkspartei (KDNP) am 11. Mai 1989. Im Januar 1989 verzichtete die USAP auf ihre Führungsrolle in Staat und Gesellschaft. Ihre Machtstellung war vorher bereits gebrochen.
Neue Institutionen waren Ausdruck der Transition. Am 13. Juni 1989 begannen Verhandlungen am Nationalen Runden Tisch über Verfassungsänderungen, die ein Verfassungsgericht, einen Rechnungshof, eine Nationalbank sowie ein Wahlgesetz hervorbrachten.
Vor dem Hintergrund des zerfallenden Ostblocks orientierte sich Ungarn stärker nach Westen. Ab 2. Mai 1989 setzte der Abbau der Sperranlagen an der Grenze zu Österreich ein. Am 27. Juni folgte die symbolische Öffnung des Eisernen Vorhangs durch die Außenminister Ungarns und Österreichs, Gyula Horn und Alois Mock, die vor laufenden Kameras den Zaun durchschnitten. Das Bild wurde zur Ikone des ausklingenden Kalten Kriegs. Die Vorgänge führten im Sommer und im Frühherbst 1989 zur Fluchtwelle von DDR-Bürgern. Horn ließ am 10./11. September 1989 offiziell die Grenze zur freien Ausreise öffnen, was binnen weniger Stunden rund 12 000 Ostdeutschen die Ausreise ermöglichte und den politischen Zusammenbruch der DDR einleitete.
Nach der Selbstauflösung der USAP am 7./8. Oktober 1989 entstand die Ungarische Sozialdemokratische Partei (USP) unter Vorsitz von Nyers. Am 23. Oktober erfolgte die Namensänderung zur "Republik Ungarn". Am 10. März 1990 wurde der vollständige Abzug der sowjetischen Truppen vereinbart, der am 17. Juni 1991 beendet war. Die ersten freien Wahlen seit 1947 fanden im März und April 1990 mit 65 bzw. 44 Prozent Beteiligung statt. Das UDF gewann mit 47,7 Prozent der Stimmen und erhielt 164 Abgeordnete. Ministerpräsident einer Koalitionsregierung von UDF, FKgP und KDNP wurde am 23. Mai der Christdemokrat Joszef Antall (UDF), der am 21. Dezember von Péter Boross abgelöst wurde. Am 2. März 1990 wählte das Parlament den Liberalen Arpad Göncz (BFD) zu seinem Präsidenten und am 3. August zum Staatspräsidenten.
Neben einem Minderheitengesetz vom 7. Juli 1993 wurde ab 1994 auf gemeindepolitischer und gesamtstaatlicher Ebene ein Selbstverwaltungssystem für nationale und ethnische Minoritäten eingerichtet.
Parallel zur innenpolitischen Entwicklung erfolgte eine institutionelle West- und Europaorientierung.
DDR: Revolution nach Dienstschluss mit gesamtstaatlicher Einheit
Ab Mitte der achtziger Jahre sah sich das SED-Regime im Zuge des KSZE-Nachfolgeprozesses und internationalen und inneren Drucks zu Zugeständnissen an Regimekritiker gezwungen. Durch Beschluss des Staatsrats wurde 1987 die Todesstrafe abgeschafft. Ein Gesetz ermöglichte 1988 die gerichtliche Nachprüfung von bestimmten Verwaltungsentscheidungen. Diese Konzessionen reichten jedoch nicht mehr aus. Der "Gorbi-Effekt" und die Verweigerung durchgreifender Reformen stimulierten den Widerstand. Systemdefizite wurden immer deutlicher.
Die gesellschaftlichen Spannungen verstärkten sich. Im Mai 1989 wiesen Bürgerrechtler massive Fälschungen bei der Kommunalwahl nach.
Vorentscheidend war die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze für DDR-Bürger sowie der Exodus zehntausender DDR-Flüchtlinge über Ungarn und die CSSR, die ihre Ausreise in die Bundesrepublik erzwangen. Flankiert wurden diese Vorgänge durch den disziplinierten Massenprotest bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen Städten. Die "Urlaubsrevolution" außerhalb war begleitet von der "Feierabendrevolution" innerhalb der DDR.
Die Maueröffnung am 9. November bedeutete die "unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates".
Am 3. Dezember 1989 trat das ZK der SED geschlossen zurück. Zwölf Mitglieder (u.a. Honecker und Stoph) wurden aus der Partei ausgeschlossen, vier wegen Amtsmissbrauchs verhaftet. Drei Tage später erklärte Krenz seinen Rücktritt als Staatsratsvorsitzender. Die Blockparteien beendeten ihre Mitarbeit in der Nationalen Front. Auf einem Sonderparteitag der Ost-CDU sprach sich ihr Vorsitzender Lothar de Maizière gegen den Sozialismus und für die deutsche Einheit aus. Zur selben Zeit benannte sich die SED unter ihrem neuen Vorsitzenden Gregor Gysi zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) um. Der seit Dezember tagende Zentrale Runde Tisch in Berlin förderte unter Moderation der Evangelischen und Katholischen Kirche den friedlichen Übergang.
Die am 1. Juli 1990 in Kraft getretene Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion laut Staatsvertrag vom 18. Mai war der erste Schritt zur Implementierung der Marktwirtschaft und der politischen Einigung. Die Gründung der Treuhandanstalt wurde von den Ostdeutschen jedoch rasch als Inbegriff des Kapitalismus erfahren,
Die Ablehnung der Staats- und Regierungschefs der EG wich allmählicher Akzeptanz, die ihren Ausdruck im Zwei-plus-Vier-Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland am 12. September 1990 fand. Die UdSSR, die noch im Frühjahr die Neutralität Deutschlands angestrebt hatte, gab ihren Widerstand gegen eine Einbeziehung des ehemaligen DDR-Territoriums in den NATO-Geltungsbereich auf.
CSSR: sanfte Revolution mit staatlicher Sezession
Im Zuge der KSZE-Schlussakte entwickelte sich in der CSSR die insbesondere von Tschechen getragene Bürgerrechtsbewegung Charta 77. In der Slowakei blieb sie ohne größeren Widerhall. Ihre Sprecher waren Jiri Hájek und Václav Havel. Das Regime unter Gustav Husák reagierte mit Verhaftungen. Den Reformkurs von Gorbatschow lehnte die KPC unter Generalsekretär Milos Jakes ab. Im Oktober 1988 trat Ministerpräsident Lubomir Strougal zurück. Reformversuche von oben blieben wirkungslos.
Seit Ende Oktober 1989 kam es in Prag und Brünn zu Demonstrationen. Höhepunkt war die Kundgebung am 17. November 1989 zum Gedenken des 50. Jahrestages der Ermordung des Prager Studenten Jan Opletal durch die Nationalsozialisten, bei der die Freilassung politischer Gefangener, die Entlassung Jakes' und ein Ende der kommunistischen Herrschaft gefordert wurden. Die Polizei knüppelte die Kundgebung nieder. Dies steigerte die Studentendemonstration zum Massenprotest, was zum Generalstreik und schließlich zum Einlenken der Regierung führte. Am 19. November sprach sich das ZK der KPC für den "Dialog" aus. Die "sanfte" oder "samtene Revolution" bewirkte die rasche Umgestaltung des politischen Systems.
Das am 19. November 1989 gegründete Bürgerforum (OF) mit Vertretern der Charta 77 um Havel und die slowakische Partnervereinigung "Öffentlichkeit gegen Gewalt" (VPN) wurden zu Plattformen der demokratischen Protestbewegung. Am 20. November trat das Politbüro, am 24. November das gesamte ZK mit Jakes zurück. Das OF begann mit dem als "Reformer" geltenden Ladislaw Adamec (KPC), dem Ministerpräsidenten der Föderalregierung, zu verhandeln, der versprach, weder Gewalt anzuwenden noch den Ausnahmezustand zu verhängen. Sein Vorschlag vom 3. Dezember einer Regierungszusammensetzung von Kommunisten und Vertretern der Opposition im Verhältnis von 15:5 wurde abgelehnt. OF und VPN forderten Neuwahlen bis Juli 1990. Unter dem Druck der Öffentlichkeit trat Adamec am 7. Dezember zurück. Die Machtbasis der KPC zerfiel. Der Reformkommunist Márián Calfa formte am 10. Dezember als Ministerpräsident erstmals eine nichtkommunistisch dominierte Koalitionsregierung der "nationalen Verständigung". Nach der Reorganisation der nationalen Regierungen ging die Verantwortung auf das OF über. Während die Legislative unangetastet blieb, kam es im Bereich der Exekutive zu Veränderungen. Kompromittierten Abgeordneten wurden ihre Mandate entzogen, führende KPCler wie Jakes, Jan Fojtík oder Vasil Bilák von ihren Funktionen entbunden. Am 29. Dezember strich das Parlament den Führungsanspruch der KPC aus der Verfassung. OF-Sprecher Havel wurde nach dem Rücktritt von Staatspräsident Husák am gleichen Tag vom Parlament einstimmig zu dessen Nachfolger gewählt.
Der Prager Runde Tisch beschloss Wahlen noch vor dem Juli 1990. Am 20. April folgte die Umwandlung der CSSR in einen föderativen Staat und die Umbenennung in Tschechische und Slowakische Föderative Republik (CSFR), um die Gleichberechtigung beider Volksgruppen zu betonen. Nach den freien Wahlen zum Bundesparlament (der Volks- und Nationenkammer) im Juni 1990 formten OF und VPN unter Vladimir Meciar (Austritt am 6. März 1991) eine Koalition mit der slowakischen Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH) aus dem tschechoslowakischen Wahlbündnis Christdemokratische Union (KDU). Die neue Regierung unter Calfa (seit 1990 VPN) legte den Schwerpunkt auf Wirtschaftsreformen, Föderalisierung und kommunaler Selbstverwaltung. Wie in Polen kam es zur Zersplitterung der Oppositionsbewegung. Im März und April 1991 spalteten sich OF und VPN in verschiedene Parteien, darunter die Bewegung für die demokratische Slowakei (HZDS) unter Meciar und die rechtsliberale Demokratische Bürgerunion.
Mit der Selbstauflösung des Warschauer Pakts und des RGW (1991) orientierte sich die CSFR nach Westeuropa.
Seit 1991 formierten sich in der Slowakei separatistische und nationalistische Gruppierungen. Bei den Wahlen im Juni 1992 siegte die HZDS. Meciar wurde Ministerpräsident und forcierte die Unabhängigkeit. Mit dem neuen tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus konnte er sich nicht auf die Weiterexistenz der CSFR einigen. Die Slowakei, die bereits seit 1969 als sozialistische Republik "Autonomie" besessen hatte, proklamierte am 17. Juli 1992 ihre Selbständigkeit. Daraufhin trat Havel als Staatspräsident der CSFR am 20. Juli 1992 zurück. Ohne Volksabstimmung trat die Auflösung der Konföderation am 1. Januar 1993 in Kraft.
Rumänien: verspätete und gewaltsame Revolution
Das rumänische Regime unter Nicolae Ceausescu lehnte Gorbatschows Reformen kategorisch ab.
Studenten und Arbeiter protestierten am 15. November 1987 in Kronstadt. Das Regime schlug die Unruhen mit eiserner Faust nieder. Im Zuge der Umsturzbewegungen in Mittel- und Osteuropa lösten die von der ungarischen Minderheit getragenen und blutig erstickten Aufstände in Temesvar und Arad am 16./17. Dezember 1989 eine Massenerhebung aus. Ceausescu wurde bei einer Kundgebung ausgepfiffen und mit offenem Aufruhr bedroht. Große Teile der Armee stellten sich auf die Seite der Protestierenden. Am 21. Dezember kam es in Bukarest zu Straßenkämpfen mit der Securitate. Tags darauf wurde Ceausescu von einer parteiinternen Gegenelite im Zuge einer Palastrevolte gestürzt, mit seiner Frau Elena am 23. Dezember auf der Flucht verhaftet und am 25. Dezember in Târgoviste von einem Militärgericht verurteilt und hingerichtet. Als neue Regierung fungierte die Front der Nationalen Rettung (FSN), die am 26. Dezember den Putschistenführer und Reformkommunisten Ion Iliescu zum provisorischen Staatspräsidenten ernannte. Die Opfer der Aufstände beliefen sich auf über 1000 Personen.
Iliescu hob die Umsiedlungsgesetze auf und kündigte freie Wahlen an. Der Staat hieß fortan "Republik". Ende 1989 wurde die Nationale Bauernpartei-Christdemokraten (PNTCD) neu begründet. Massenproteste und eine Resolution des Runden Tisches führten zur Einsetzung eines Provisorischen Rats der Nationalen Einheit mit 30 Parteien und Gruppierungen. Doch Kämpfe in Siebenbürgen zwischen Rumänen und Rumänenungarn im März sowie zwischen antikommunistischen Demonstranten und Sicherheitskräften im Juni 1990 verdeutlichten die explosive Lage. Im Mai wurde Iliescu als Kandidat der FSN zum Staatspräsidenten gewählt; die FSN wurde stärkste Fraktion im Parlament. Die neue Verfassung von 1991 bedeutete zwar die formelle Beseitigung der Diktatur; Politik und Ökonomie blieben aber weiter in Händen ex-kommunistischer Eliten, während die im Bündnis Demokratische Konvention zusammengeschlossene Bürgeropposition unterdrückt wurde. Der Wechsel von Ministerpräsident Petre Roman zu Theodor Stolojan verdeutlichte die instabile Situation, die von ökonomischer Misere, politischen Gegensätzen und ethnischen Konflikten gekennzeichnet war.
Am 24. Juni 1991 verurteilte das Parlament einstimmig die Annexion Bessarabiens durch die UdSSR (1940) und erkannte die Unabhängigkeit Moldawiens an (27. August). Im April 1992 spaltete sich die FSN. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom Herbst 1992 gewann Iliescu. Die Regierung Nicolae Vacaroiu war mit einer rasanten Inflation konfrontiert, die 1993 ihren Höhepunkt erreichte. Von April bis Sommer 1995 folgten Streiks und Massendemonstrationen. Bei der Präsidentschaftswahl im November 1996 gewann der Kandidat der Demokratischen Konvention, Constantinescu, der erstmals nach 1989 demokratisch legitimierte Macht ausübte. Insgesamt entsteht das Bild einer "unvollendeten Revolution zwischen Diktatur und Demokratie".
1993 unterzeichnete Rumänien ein EG-Assoziationsabkommen (in Kraft 1995). Es wurde Mitglied des PfP-Programms der NATO (1994) und des Europarats (1995). Am 15. Januar 2000 begannen EU-Beitrittsverhandlungen. 2004 wurde es Mitglied der NATO, 2007 soll die Aufnahme in die EU erfolgen.
1989 - eine Bilanz
Hintergründe und Folgen der Umsturzbewegungen in Mittel- und Osteuropa waren komplex; Gemeinsamkeiten in den Ursachen mischen sich mit Unterschieden der Merkmale, des Verlaufs und der Ergebnisse. Die sich abzeichnende Niederlage der UdSSR in Afghanistan, die Entlassung der alten Garde Breschnews, der ideologische Erosionsprozess, das Entstehen von Schattenwirtschaften, die verstärkte Integration Mittel- und Osteuropas in das westlich-kapitalistische Wirtschaftssystem mit Zunahme des Handels und der Auslandsschulden, die Unmöglichkeit, die von der "dritten industriellen Revolution" ausgehenden Innovationen der Mikroelektronik nachzuvollziehen sowie das Anwachsen einer Zivilgesellschaft führten zu einem Problemstau, der sich in politischen Umstürzen äußerte.
Eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden fallen auf. Ohne Gorbatschows Politik, die mit der Breschnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität gebrochen hatte, wären die Umsturzbewegungen nicht möglich gewesen. Gorbatschow war Motor des Wandels, wenngleich er diesen weder steuern konnte noch dessen Resultate beabsichtigt hatte. Die deutsche Einigung, das Ende der Sowjetunion und die NATO-Mitgliedschaft der ehemaligen Verbündeten in Mittel- und Osteuropa sind Beispiele für die unbeabsichtigten Wirkungen seiner Politik. Angesichts notwendiger Reformen stellte sich für die Sowjetunion und ihre Satelliten die Frage ihrer Existenzfähigkeit und Überlebensmöglichkeit. 1989 zeigte sich die Wettbewerbsunfähigkeit der gestürzten Regime und der Unabhängigkeitswille der beherrschten Völker.
Die Ereignisse von 1989 sind im historischen Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 in der DDR, dem polnischen Oktober und dem Ungarn-Aufstand 1956, dem Prager Frühling 1968 und der polnischen Gewerkschaftsbewegung seit 1981 zu sehen. Die unterschiedliche vorrevolutionäre Erfahrung und das gemeinsame kollektive Erlebnis der Niederwerfung der Volksbewegungen durch den sowjetischen Totalitarismus prägten in den geschilderten Umbruchszeiten sowohl das Handeln der Opposition als auch das Reagieren der Regime. In Rumänien vollzog sich die Preisgabe der kommunistischen Staatsmacht nicht gewaltfrei. Eine echte Chance auf Regeneration der sozialistischen Einparteiensysteme und Kommandowirtschaften gab es nicht. Die kommunistischen Diktaturen waren von "Selbsterneuerungsunfähigkeit" gekennzeichnet: Mit den permanenten Systemdefiziten waren mittelfristig Systemkrisen und langfristig Systemzerfall verbunden.
Timothy Garton Ash hat auf Polen und Ungarn bezogen von "Refolutionen" gesprochen, einem Mischungsverhältnis von "Revolutionen" als Druck der Straße ("von unten") und "Reformen" der Systeme ("von oben"). Pointierter nannte er den Zusammenbruch der DDR eine Kombination "aus gesundem Menschenverstand und Schlamperei der neuen Parteiführung"
Die Forderung nach Freiheit und Volkssouveränität war ein zentrales Anliegen der Protestbewegungen. Sie manifestierte sich durch Runde Tische, kommunistische pseudo- oder semidemokratisch legitimierte Parlamente. Über die transitorischen Artikulationsforen führte der Prozess unaufhaltsam zu pluralistischen Erscheinungen westlich-demokratischer Ausprägung. Die Erringung der Freiheit bedeutete allerdings nicht automatisch die Sicherung von Demokratie und Rechtsstaat. So ergaben sich neue Spannungsfelder: einerseits die Diskrepanz zwischen politischer Veränderung und wirtschaftlicher Neugestaltung, andererseits das Dilemma zwischen rascher institutioneller Reform im staatlichen Bereich und zäher Demokratisierung des politischen Lebens.
Die Anciens Régimes gaben - mit Ausnahme des rumänischen - ohne größeren Widerstand auf und teilten die Macht mit der Opposition. Im Wandel von postkommunistischen zu neudemokratischen Herrschaftsverhältnissen mischte sich Altes mit Neuem. Fast überall zeigten sich alsbald Spannungen und Rivalitäten innerhalb der Opposition. Ihre starke Pluralisierung war nicht immer förderlich für die Demokratisierung der politischen Systeme. Wie Polen befreite sich Ungarn selbst, ohne dass durch die Machtverschiebungen schon demokratiepolitische Stabilität erzielt worden wäre.
Im Unterschied zu Ungarn hatte die KPC-Führung unter Husák weder einen Kurs der nationalen Versöhnung eingeschlagen, noch sich von der Politik der Rache gegenüber den Exponenten des Prager Frühlings lösen können. Ohne Integration führte dies zu ihrer internen wie internationalen Isolation. Die Neubewertung des sowjetischen Einmarsches 1968 markierte den Klimasturz. Der Versuch einer Achsenbildung Berlin-Prag-Bukarest konnte nicht mehr gelingen. Im Unterschied zu anderen Ländern war die Kommunistische Partei der CSSR gleich am Anfang des Transformationsprozesses als politischer Faktor ausgeschaltet und kam als Verhandlungspartner mit der Opposition nicht mehr in Frage.
Ein Prinzip traf auf alle Umsturzbewegungen zu: Die "Refolution" fraß in Polen, der CSSR und der DDR ihre Kinder. Solidarnos'c' zerbrach in Einzelparteien, das Bürgerforum zerfiel noch vor der Sezession der Slowaken von den Tschechen, und das Neue Forum war im Frühjahr 1990 nur mehr eine Marginalie. Die Macht der Aufbegehrenden 1989 bestand demnach in der Beseitigung alter, nicht aber in der Herstellung neuer Machtverhältnisse: In der Delegitimierung des alten Regimes bestand ihre Stärke, in der ausgebliebenen Konstituierung neuer Ordnungen ihre Schwäche.
Aus der "Augenblicks-" und "Freiheitsrevolution",
Vor einer Mythologisierung der "Revolutionen" von 1989 ist daher zu warnen: Es waren weder gewaltsame Umwälzungen, noch gab es substanziellen Widerstand der kommunistischen Regime. Dem Systemwechsel folgte nicht zwingend ein Elitenwechsel. Es gab aber auch keinen "weißen Terror": Eine Rückkehr des alten Regimes fand nirgendwo statt. Es waren Umsturzbewegungen, die Übergänge ermöglichten, die über Jahre andauern sollten. In sehr kurzer Zeit waren die neuen Staatsformen gezwungen, Jahrzehnte zurückreichende Entwicklungen der westlichen Demokratien nachzuvollziehen. Die Umorganisation des ökonomischen Systems von einer Kommandowirtschaft zum kruden Kapitalismus legte ideologische und mentalitätsspezifische Probleme auf beiden Seiten, in Ost wie West, offen.
"1989" war gleichzeitig die Wiederentdeckung Mitteleuropas, "Rückkehr nach Europa" und "Beginn einer gesamteuropäischen Neufindung".