Die Sache scheint auf der Hand zu liegen und muss gar nicht weiter nachgewiesen werden: "Die Demokratie ist, historisch betrachtet, das Resultat von Revolutionen". Doch ist die Lage so eindeutig? Auf jeden Fall erzählen wir uns Demokratiegeschichte gerne triumphierend, mit wehenden Fahnen und geballten Fäusten, über Barrikaden stiebend und Mauern einreißend. Der zentrale Punkt dieses geradezu globalen Demokratienarrativs lautet: Demokratiegeschichte ist ein revolutionärer Kampf von unten gegen oben. Dabei versteht es sich von selbst, dass diese Geschichte in aller Regel eine Männergeschichte ist.
Revolutionierende Männer
Es spricht vieles dafür, dass die Fokussierung der Demokratiegeschichte auf Revolutionen zur Blindheit gegenüber Frauen in der Demokratie- und Wahlrechtsgeschichte beiträgt, sodass selbst die Geschichte des Frauenwahlrechts – der Ermächtigung der Hälfte der Bevölkerung – in vielen Geschichtsbüchern über Demokratie kaum Erwähnung findet. Der Stoff passt nicht in die brausenden Revolutionsetüden: Denn die Durchsetzung des Frauenwahlrechts gestaltete sich weitgehend nicht revolutionär, die Akteurinnen sind Frauen in langen Röcken und langwierigen Vereinssitzungen, Petitionen und Artikel schreibend, Bildungsarbeit betreibend und sehr um gesellschaftliche Reformen bemüht. Häufig fand ihre Arbeit im kirchlichen Rahmen statt, zumeist im kommunalen Bereich und dort in der revolutionsunverdächtigen Wohltätigkeitsarbeit. Allenfalls die gewalttätigen Suffragetten in Großbritannien erhalten daher in der globalen demokratiehistorischen Hall of Fame ein Denkmal, und sie sind es, derer in Spielfilmen mit Starbesetzungen gedacht wird.
Das Bedürfnis, Demokratiegeschichte als Geschichte des gewalttätigen Kampfes zu erzählen, verleitet also dazu, ausgerechnet jene kleine und ausgesprochen untypische Minderheit unter den Frauenrechtlerinnen in den Fokus der Geschichte des Frauenwahlrechts zu rücken. Für Deutschland wird entsprechend häufig behauptet, es sei die Revolution am Ende des Ersten Weltkriegs gewesen, die das gleiche und allgemeine Wahlrecht hervorgebracht habe, und immer noch findet sich die Meinung, der Krieg sei der Vater des Frauenwahlrechts.
Eine neuere Demokratie- und Wahlforschung geht davon aus, dass Demokratiegeschichte – die Geschichte also der egalitären Ermächtigung einer Bevölkerung –, in der die Hälfte jener Bevölkerung prinzipiell nicht vorkommt, ergänzungsbedürftig ist. Natürlich ist es möglich, all jene Frauen aufzuspüren, die in den Revolutionen mitgewirkt haben – und man wird immer fündig werden. Doch lässt sich damit nicht bestreiten, dass gewalttätige Revolutionen vorrangig das Geschäft junger Männer ist, aus welchen Gründen auch immer.
Es lohnt sich daher, Demokratiegeschichte zu erweitern. Folgende drei Schwerpunkte erscheinen dabei vielversprechend: Erstens kann Demokratie und mit ihr die für das Wahlrecht relevante Staatsbürgerschaft weiter gefasst werden; Demokratiegeschichte ist dann nicht nur die Ideengeschichte des Begriffs "Demokratie" oder die Geschichte des Parlaments und des Wahlrechts. Dazu gehört, Demokratiegeschichte bewusst nicht nur als Geschichte der revolutionären Bewegung zu verstehen, sondern auch als die Geschichte von Reformen.
Zweitens ist es sinnvoll, historische Demokratie- und Wahlforschung – wie in der Frauengeschichte schon vielfach eingelöst – stärker transnational zu konzipieren.
Drittens geht es um die Analyse, warum und inwiefern Demokratie geschlechtlich praktiziert und erzählt wird – eine Erweiterung, über die in der politikwissenschaftlichen Forschung viel nachgedacht wird, weniger jedoch in der demokratiehistorischen.
Demokratie und Reformen
Was ist Demokratie? Eine auf heutige Demokratievorstellungen fixierte, normativ festgelegte Definition, wie sie etwa Freedom House mit klaren Kategorien von rechtsstaatlichen oder freiheitlichen Standards auflistet, kann für aktuelle politikwissenschaftliche Fragestellungen hilfreich sein. Doch demokratiehistorisch erlauben es solche Definitionen nicht, Demokratieentwicklungen vor 1919 oder selbst vor 1945 sinnvoll zu analysieren – sei es in den USA, wo ein beträchtlicher Teil der Erwachsenen bis in die 1960er Jahre de facto vom Wahlrecht ausgeschlossen blieb, oder in Europa, wo wie in Frankreich oder Belgien die Frauen erst zur Jahrhundertmitte das volle und gleiche Wahlrecht erhielten. Entscheidend ist jedoch, dass es sich bei Demokratie stets um Vorstellungen und Praktiken von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit handelt. Neu an Demokratievorstellungen der Moderne war die Vorstellung der Gleichheit für alle – die Grundlage für Freiheit und Gerechtigkeit. Gleichheit für wenige, das gab es schon in der Antike, aber auch in mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Wahlgremien. Doch mit der Aufklärung brach sich die Idee einer inkludierenden Gleichheit immer radikaler Bahn. Dabei bleibt die Ambivalenz "universaler Gleichheit" faszinierend, insbesondere die Frage, warum immer mehr in diese Gleichheitsvorstellung einbezogen wurden, Frauen jedoch so lange außen vor blieben.
Für diesen Demokratiebegriff, der mit einem erweiterten Begriff von Politik und citizenship einhergeht, rücken Reformen in den Vordergrund. Das ist umso wichtiger, als Reformen – wie Studien aus der Transformationsforschung zeigen – viel eher zu einem funktionierenden, stabilen Parlamentarismus führen als Revolutionen. Die Historikerin Paula Baker untersucht den Reformimpetus im 19. Jahrhundert und sieht als wesentlichen Teil davon die "domestication of politics" während des 19. Jahrhunderts: Das bedeutet einerseits die Inkorporation der häuslichen Sphäre in die Politik, andererseits die "Zähmung" des zuvor als männlich gedachten politisch-öffentlichen Einflussbereichs. Die Frauenrechtlerinnen und Reformerinnen, die sich seit der Jahrhundertmitte vereinzelt und dann verstärkt um die Jahrhundertwende organisierten und politisch Gehör verschafften, kämpften beispielsweise in der kommunalen Armenfürsorge oder gegen die diskriminierenden Prostitutionsregulierungen. Oft in der kirchlichen Sozialarbeit verankert, dachten sie Familien- und Wahlrecht zusammen, richteten Lesesäle für Frauen ein und engagierten sich für Mutterschutz, für eine gewaltfreie Pädagogik oder für hygienischere Wohnverhältnisse. Wer diese "domestication of politics" und Reformgeschichte nicht ausblendet, bezieht einen gewichtigen Teil der Demokratiegeschichte in die Analyse ein, denn die Reformen trugen wesentlich zur Herausbildung des Sozialstaats bei, eine der zentralen Säule von Demokratie. Gemeinsam mit der Frauenbewegung fand die Reformbewegung bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen Höhepunkt.
Demokratiegeschichte transnational
Zur Frauenbewegung gehörte die zunehmende internationale Vernetzung der Welt um 1900, die häufig als erste Globalisierung bezeichnet wird. Und das ist die zweite Perspektiverweiterung: Es lohnt sich, Demokratiegeschichte transnational zu verstehen. Die Geschichte der Frauenwahlrechtsbewegung muss als integraler Teil dieser ersten Globalisierung verstanden werden. Auch wenn sich Aktivistinnen häufig innerhalb dezidiert nationalistischer Diskurse bewegten, engagierten sie sich insbesondere im nordatlantischen Raum für die gleichen Anliegen, ihre Organisationsformen ähnelten sich in vielen Ländern, und die Frauenrechtlerinnen betteten das Wahlrecht fast immer in einen größeren Zusammenhang von Sozialreformen und speziellen Frauenrechten ein. Die Aktivistinnen befanden sich in einem intensiven Austausch, und ihre prominentesten Vertreterinnen reisten rund um die Welt. Es ist daher kein Zufall, dass gerade die Studien zur Frauengeschichte den globalhistorischen und transnationalen Aspekt der Demokratiegeschichte betonen.
Dabei bleibt für die Analyse die Frage wichtig, warum Demokratiegeschichten nationalen Narrativen folgen: Seit Demokratie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein globales Renommee errungen hatte und weithin zur Verheißung wurde, betrifft Demokratie das Selbstbild, die Selbstdarstellung – das, was Personen, Gruppen oder Nationen als ihre Identität präsentieren. Nun sind nationale Erinnerungskulturen und Historiografien unverzichtbar für diese Selbstkonstruktionen. Demokratiegeschichte hängt also eng mit Identitätserzählungen zusammen – mit Vorstellungen von Gesellschaft, Nation und Staat und mit dem Verständnis von Herrschaft –, die allesamt häufig geschlechtlich konnotiert sind.
Das erklärt auch die zahlreichen Exzeptionalismusgeschichten, die national ausgerichtete Forschungen in verschiedenen Ländern zur Einführung des Frauenwahlrechts hervorgebracht haben –, obwohl doch schon der Umstand, dass das Frauenwahlrecht in zahlreichen Ländern innerhalb weniger Jahre parallel eingeführt wurde, verdeutlicht, wie wenig plausibel rein nationale Erklärungen sind.
Für Historikerinnen und Historiker in der jungen Bundesrepublik beispielsweise war es wichtig, die Frauenbewegung in das historische Narrativ einer von jeher deutschen Demokratiefeindlichkeit einzubetten: Unter Missachtung zahlreicher Parallelen in anderen Ländern diagnostizierten sie einen besonders starken deutschen Antifeminismus, eine besonders schwache oder besonders nationalistische oder besonders auf "Mütterlichkeit" verengte Frauenbewegung im Deutschen Reich; allein in Deutschland sei die Frauenbewegung stark zerstritten gewesen und habe nicht an einem Strang gezogen. Doch die Phänomene glichen sich in verschiedenen Staaten. Wie die jüngere Forschung immer wieder betont, hat sich eben nicht nur der sozialistische oder ein kleiner, radikaler Flügel, sondern der Großteil der deutschen Frauenbewegung für das Wahlrecht interessiert und engagiert. Wie auch in anderen Ländern forderten nicht alle Frauen das allgemeine und gleiche Wahlrecht für alle, sondern häufig lediglich dasselbe Wahlrecht, wie es die Männer hatten, auch wenn dieses – was vor dem Weltkrieg oft vorkam – beschränkt war.
Die Revolutionsnarrative tragen auch zu einer Verstärkung der nationalen Sondererzählungen bei. Die Demokratieunfähigkeit der Deutschen beispielsweise wird daran festgemacht, dass allein die Revolution von 1918/19 diesem Land das Frauenwahlrecht aufzwingen konnte. Das ist umso bemerkenswerter, als ansonsten die deutsche Demokratieaversion an der angeblichen Unfähigkeit zur Revolution nachgewiesen wird und die Reformen als "Revolution von oben" in Preußen oder Baden im 19. Jahrhundert oft als ein deutscher Sonderweg gelten, obwohl auch sie schlicht der gängige europäische Pfad zu demokratischen Frühformen waren.
So wird verständlich, warum Großbritannien seine militanten Suffragetten feiert und warum die deutsche Öffentlichkeit sich kaum an seine Rolle zu erinnern vermag, von der es im Zentralorgan der internationalen Frauenwahlrechtsbewegung "Ius Suffragii" 1919 hieß: Die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland sei "zweifellos der bedeutendste Sieg", der bisher je für die Sache gewonnen worden sei. "Deutschland", so hieß es weiter, komme "die Ehre zu, die erste Republik zu sein, die auf wahrhaften Prinzipien der Demokratie gründet, dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für alle Männer und Frauen." Der internationale Zugriff ignoriert allerdings nicht die Kategorie Nation; es geht vielmehr darum, die nationalen Geschichten transnational oder auch national vergleichend zu reflektieren und zu interpretieren.
Demokratie und Geschlecht
Drittens schließlich wird mit der Erweiterung des Zugriffs die Reflexion darüber fortgesetzt, wie sich die nahezu exklusive Verbindung der Demokratiegeschichte mit Männlichkeit erklären lässt. Und zwar auf zwei Ebenen: Einerseits wurden Demokratie und Partizipation tatsächlich bis ins 20. Jahrhundert als männlich gedacht, konzipiert und praktiziert (wobei die Dinge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Bewegung kamen und um die Jahrhundertwende ernsthaft die politische Lage aufmischten) – man denke etwa an die dezidiert maskulinen Inszenierungen der Stimmabgabe im 19. Jahrhundert mit viel Alkohol und körperlicher Gewalt. Andererseits aber hat ein gewichtiger Teil der Forschung zur Demokratiegeschichte diese tiefe geschlechtliche Durchdringung kaum reflektiert und beispielswese die demokratische Männlichkeit tatsächlich wie die Zeitgenossen als "Universalität" verstanden.
Nicht zuletzt der ideengeschichtliche Zugang zur Demokratiegeschichte spiegelt zuweilen eher die historische Geschlechtlichkeit von Demokratie wider, als dass er sie analysiert, wenn er von den Männern auf der Agora bis zu den Arbeitern in Massenparteien alles integriert, aber mit den Frauen konsequent die Hälfte der Menschheit ausblendet. "Das Studium der historischen Texte ist ein wichtiger Teil", erklärt die Historikerin Carole Pateman, "aber die meisten der gängigen Interpretationen der Texte übersehen nach wie vor die Tatsache, dass faktisch jede Theorie auf den Mann als den politischen Akteur hin entworfen ist". Ein erweiterter Demokratie- und Politikbegriff ermöglicht es, beide Geschlechter in den Blick zu nehmen, indem er Entwicklungen einbeziehen kann, die für Demokratisierungsprozesse unverzichtbar waren, wie den Ausbau des Sozialstaates oder den Aktionsraum der Kommunen und Kirchen.
Geschlechter- und insbesondere Frauengeschichte drängt die Demokratieforschung dazu, sich erneut und konsequenter mit dem Konzept von Gleichheit auseinanderzusetzen. Die Forderung nach universaler Gleichheit und Freiheit stand seit dem Revolutionszeitalter im ausgehenden 18. Jahrhundert im Zentrum demokratischer Reflexionen: der Anspruch, dass die Gleichen Kraft ihrer Freiheit die Herrschaft ausüben und in Freiheit ihr Leben gestalten. Moderne Demokratie heißt in letzter Konsequenz die egalitäre Relevanz aller Menschen – gerade auch für die Herrschaft. Und damit rückt Geschlecht ins Herz der Forschung über Macht und Politik. Geschlecht, das zu den wirkmächtigsten Produzenten von Ungleichheit gehört, konstituiert Vorstellungen von Herrschaft und trägt wesentlich zur Konstruktion des modernen Staates bei.
Fazit
Der zähe Ausschluss der Frauen erweist sich im Kontext der allgemeinen Wahlrechtsgeschichte als überaus erklärungsbedürftig. Und der gängige Hinweis, das liege eben daran, dass Frauen die private Sphäre, Männern hingegen die öffentliche zugeteilt gewesen sei, erscheint als zentrale Antwort doch wenig überzeugend. Denn warum sollte gerade dieser besonders junge Diskurs, der erst in der Moderne ausdekliniert wurde, so besonders stabil sein, wenn doch andere Exklusionsmuster – wie Religion, Klasse und "Rasse" – in Anbetracht der egalisierenden Kraft der Staatsbürgerschaft so erfolgreich infrage gestellt wurden? Frauen bildeten eine der wenigen Gruppen, die intensiv und über einen langen Zeitraum hinweg um ihr Wahlrecht gekämpft haben. Während die Einbeziehung von immer mehr Männern im Verlauf des 19. Jahrhunderts häufig sogar von oben oktroyiert wurde, blieb Frauen das Wahlrecht trotz ihres Engagements über Jahrzehnte verwehrt. Und dieser Ausschluss gestaltete sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bemerkenswert unumstritten und stabil.
Warum hielt die Exklusion von Frauen aus dem Gleichheitsverständnis so problemlos an? Diese immer wieder gestellte Frage bleibt essenziell, und die Forschung dazu reißt nicht ab. Daran schließt sich die Frage an, warum dann um die Jahre des Ersten Weltkriegs in vielen Ländern möglich wurde, was sich die Jahrzehnte zuvor schlicht als abwegig dargestellt hatte: die Anerkennung von Frauen als Gleiche, als politische Subjekte. Das wiederum führt zu der Frage, wie das universale Wahlrecht aufgenommen wurde und welche Wirkungen es hatte.