Das Religionsverfassungsrecht in Deutschland ist in hohem Maße historisch geprägt.
Vom Reformations- zum Säkularisierungsfolgenrecht
Das Religionsrecht in Deutschland ist zunächst einmal "Reformationsfolgenrecht",
Religionsfreiheit und Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen setzten sich erst allmählich durch. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 und der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 markieren wichtige Etappen, ebenso die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848 und die anschließend von oben "oktroyierten" Verfassungen. Deren Freiheits- und Gleichheitsrechte waren wenig belastbar, wie insbesondere Bismarcks Kulturkampf gegen die römisch-katholische Kirche zeigte. Dieser setzte alsbald nach der 1871 vom protestantischen Preußen orchestrierten Reichsgründung unter Ausschluss des katholischen Österreichs ein. Der deutsche Katholizismus wurde allen Verfassungsgarantien zum Trotz rabiat verfolgt – ein lange nachwirkendes Trauma.
Mit der Gründung der Weimarer Republik kam es auch religionsverfassungsrechtlich zu einer einschneidenden Zäsur: Das landesherrliche Kirchenregiment fand ein Ende, ebenso jede sonstige Form von Staatskirchentum und Staatsreligion. Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 garantierte erstmals für ganz Deutschland verfassungsrechtlich die individuelle und korporative Religionsfreiheit und verbot Diskriminierungen aus Gründen der Religion oder Weltanschauung.
Intensiv wurde damals diskutiert, wie das Auseinandertreten von Staat und Kirche gestaltet werden sollte. Man fand einen originellen Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen: Deutschland sollte nicht den französischen Weg des Laizismus gehen und die Religion aus dem staatlich verfassten öffentlichen Leben verdrängen, sondern die Trennung sollte "schiedlich-friedlich" erfolgen.
Die Weimarer Republik scheiterte so frühzeitig, dass sich die Religionsbestimmungen ihrer Verfassung im demokratischen Alltag nicht richtig bewähren konnten. Erst in der Bonner Republik ließ sich im Detail durchbuchstabieren, was die 1919 vollzogene Trennung von Staat und Kirche bedeutet – nun vor dem Hintergrund des Zivilisationsbruchs durch den NS-Staat, der eine mörderische Religionspolitik betrieben hatte.
Unveränderter Textbestand, veränderte Gesellschaft
Der Parlamentarische Rat übernahm 1949 die wesentlichen Bestimmungen des Weimarer Religionskompromisses in das Grundgesetz (GG). Das Grundrecht der Religionsfreiheit wurde allerdings, anders als in Art. 135 WRV, in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ohne Gesetzesvorbehalt neu gefasst. Nur Verfassungsrechte Dritter und Gemeinwohlbelange mit Verfassungsrang sollten Einschränkungen der Religionsfreiheit rechtfertigen. Der Textbestand des Religionsverfassungsrechts blieb bis heute unverändert, wird also 2019 hundert Jahre alt. Doch die Religionsempirie hat sich erheblich verändert. Waren 1949 noch nahezu alle Bürgerinnen und Bürger Mitglied in einer der beiden großen christlichen Kirchen, setzten ab den 1960er Jahren zunehmend Säkularisierungs-, Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse ein. Im urbanen Raum und Ostdeutschland stellen diejenigen, die nicht religiös oder weltanschaulich organisiert sind, inzwischen oft die Mehrheit. Zudem veränderte Migration die Zusammensetzung der religiösen Zugehörigkeiten in Deutschland erheblich.
Dieser Wandel von einer bikonfessionellen zur multi-, diffus- und nichtreligiösen Gesellschaft spiegelt sich auch in der Rechtspraxis wider. Unmittelbar nach der Gründung der Bundesrepublik hatte sich zunächst eine äußerst kirchenfreundliche Lesart des Grundgesetzes etabliert: Staat und Kirchen galten als Ordnungsmächte auf Augenhöhe, den Kirchen wurde quasi eigene Souveränität zugestanden. Der Ansatz stieß schnell auf Kritik, und das Bundesverfassungsgericht erteilte ihm schließlich eine Absage: Alle Religionsgemeinschaften seien selbstverständlich der staatlichen Rechtsordnung unterworfen und zugleich durch diese in ihrer Freiheit geschützt.
Nach und nach wandelten sich die den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte, wie sich auch die Gesellschaft in Religionsdingen veränderte. Ging es anfänglich eher um den Minderheitenschutz in einer christlich geprägten Gesellschaft, waren in jüngerer Zeit etwa der islamische Religionsunterricht, Ladenöffnungen an Adventssonntagen, der Körperschaftsstatus für die Bahai oder die Verteilung von Landesleistungen zwischen unterschiedlichen jüdischen Gemeindeverbänden Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen.
Lange Zeit herrschte in der Bundesrepublik ein breiter Konsens darüber, wie die Leitlinien des Grundgesetzes zu verstehen sind: Ungleichbehandlungen zwischen Religionen und Weltanschauungen sind nur eingeschränkt bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig. Religion ist nicht nur Privatsache, sondern kann von den Bürgerinnen und Bürgern in die staatliche Sphäre hineingetragen werden. Der Staat hat aber keine eigene religiöse Identität. Er darf sich nicht mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung identifizieren. Abgesehen von den in der Verfassung geregelten Ausnahmen gilt der Grundsatz, dass Religionsgemeinschaften keine staatlichen Aufgaben wahrnehmen sollen und der Staat keine religiösen Aufgaben übernimmt. Doch der religiös-weltanschaulich neutrale Staat muss als Kultur- und Sozialstaat nicht gänzlich religionsblind agieren. Er kann etwa Diakonie und Caritas als Leistungserbringer berücksichtigen und darf sich für gesellschaftliche Wirkungen von Religionskulturen interessieren. Er kann den freien Zusammenschluss religiöser Bürgerinnen und Bürger fördern, so wie er auch sportliche oder künstlerische Aktivitäten unterstützt. Er darf auf die kulturellen Prägekräfte des Religiösen hinweisen, etwa im Schulunterricht.
Gerade im schulischen Bereich zeigt sich aber auch, wie stark sich die Gesellschaft in religiös-weltanschaulichen Fragen verändert hat. Exemplarisch steht dafür der Streit um das Kopftuch der Lehrerin. Er bietet zugleich Anschauungsmaterial, wie das Grundrecht der Religionsfreiheit "praktisch funktioniert".
Kopftuch, Kreuz und Kippa: Religionsfreiheit in der Praxis
In der religionsoffenen, kooperativen Tradition des deutschen Religionsrechts hätte ein gelassen-toleranter Umgang mit religiös bedingten Kleidungsformen in der Schule nahegelegen. Doch seit Ende der 1990er Jahre wird in Deutschland intensiv und kontrovers über die Frage diskutiert, ob eine Lehrerin in einer öffentlichen Schule aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen darf. Theoretisch geht es in diesen Debatten immer auch um das Kreuz an der Halskette oder um die Kippa als Kopfbedeckung. Doch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das islamische Kopftuch. Die einen begreifen kopftuchtragende Lehrerinnen als Ausdruck von Religionsfreiheit und gleichberechtigter Religionsausübung, gelungener Integration und weiblicher Emanzipation. Andere sehen dagegen einen islamischen Machtanspruch manifestiert und die mühsam errungene emanzipative Geschlechterordnung bedroht.
An dem Beispiel zeigt sich, wie unsere Gesellschaft insgesamt in Anknüpfung an die Erfahrungen der bikonfessionellen Gesellschaft – zuweilen auch in Abkehr von diesen – mal nachdenklich und tastend, mal konfrontativ und in Echokammern verkapselt nach dem richtigen Umgang mit der religiös-weltanschaulichen Vielfalt sucht. Diese Suche erstreckt sich auf Fragen individueller Religionsfreiheit ebenso wie auf korporative Rechte von Religionsgemeinschaften mit Blick auf Religionsunterricht, theologische Fakultäten, Gefängnis- und Militärseelsorge, aber auch als Leistungserbringer im Sozialstaat und als öffentlich-rechtliche Körperschaften eigener Art, die nicht Teil der Staatsverwaltung sind. Übergreifend stellt sich die Frage, wie es mit der Öffentlichkeit von Religion in staatlich verantworteten Sphären der Gesellschaft weitergeht.
Damit Grundrechte ihren Freiheitsschutz effektiv und rational entfalten können, schichtet man in juristischer Betrachtung unterschiedliche Fragenkreise ab: Welches Verhalten und welche Personen werden grundrechtlich generell geschützt (Schutzbereich)? Gibt es im konkreten Fall eine dem Staat zurechenbare Beeinträchtigung dieser Freiheit (Eingriff)? Ist ein solcher Grundrechtseingriff durch das Grundgesetz legitimiert (verfassungsrechtliche Rechtfertigung)?
Glaubens- und Handlungsfreiheit
Im Schutzbereich der Religionsfreiheit soll sich der Einzelne in seiner religiösen und weltanschaulichen Orientierung frei entfalten können. Die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG genannten Merkmale des Glaubens, Bekenntnisses und der Religionsausübung sind in ihrem Sinnzusammenhang zu verstehen. Religionsfreiheit meint dann die "Freiheit, einen Glauben zu haben oder keinen zu haben, einen Glauben anzunehmen oder abzulehnen, seinen Glauben zu behalten oder aufzugeben, ihn zu bekennen oder nicht zu bekennen, eine bestimmte Handlung aus religiösen Motiven zu tun oder aus religiösen Motiven zu unterlassen oder sein Handeln von jeder religiösen Motivation freizuhalten".
Der Einzelne muss plausibel vermitteln können, dass sein Verhalten religiös motiviert ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob religiöse Autoritäten ein bestimmtes Tun oder Unterlassen für zwingend geboten halten. Die Religionsfreiheit ist nicht darauf beschränkt, autoritativen Lehrmeinungen zu folgen. Individuelle religiös-weltanschauliche Selbstbestimmung meint gerade, sich eine eigene Überzeugung bilden zu dürfen. Beim Kopftuch ist es deshalb unerheblich, dass unter Muslimen umstritten ist, welche Bekleidungsformen die islamische Überlieferung fordert.
Auch der in politischen Debatten zuweilen zu hörende Vorhalt, der Islam sei eine politische Ideologie und keine Religion, muss für die Frage, was vom Schutzbereich des Art. 4 GG erfasst wird, unbeachtet bleiben. Religionsfreiheit in vollem Sinne kann der Staat nur gewähren, wenn er sich selbst für theologisch inkompetent erklärt und auf die religiöse Wahrheitsfrage keine eigenen Antworten zu geben sucht. In der Praxis gibt es immer wieder Grenzfälle, wenn zu entscheiden ist, ob etwas als "Religion" im Rechtssinne gelten kann – beispielsweise wenn Religionskritiker sich als Anhänger eines fliegenden Spaghettimonsters gerieren. In Bezug auf den Islam lässt sich aber nicht ernsthaft bezweifeln, dass dieser eine Weltreligion mit jahrhundertelanger Tradition darstellt. Er zeichnet sich durch für Religionen typische soziale Funktionen, kulturelle Praktiken und sprachliche Eigenarten aus. Deshalb fällt das in der islamischen Glaubenstradition stehende Verhalten unzweifelhaft in den Schutzbereich der Religionsfreiheit. Rechte Dritter und Belange des Gemeinwohls bleiben hingegen bei der Schutzbereichsbestimmung unberücksichtigt. Sie spielen im modernen Grundrechtsdenken erst auf der Ebene der Rechtfertigung von Freiheitsbeeinträchtigungen eine Rolle, da im liberalen Rechtsstaat nicht der Freiheitsgebrauch, sondern seine staatliche Einschränkung begründet werden muss.
Dieses Modell zur Bestimmung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit hat sich noch unter Bedingungen des Bikonfessionalismus in den 1960er Jahren ausgebildet, behält aber auch unter veränderten gesellschaftlichen Umständen seine Gültigkeit. Es gibt zwar immer wieder Vorschläge, den Schutzbereich restriktiver zu fassen. Doch wer die Religionsfreiheit auf Gottesdienste und Gebete oder auf die Befolgung amtlicher kirchlicher Lehrmeinungen beschränken will, verfehlt die eigentliche Pointe der Religionsfreiheit, nämlich den Schutz individueller religiös-weltanschaulicher Selbstbestimmung, aus der sich Rechte der Religionsgemeinschaften letztlich ableiten.
Rechtfertigung staatlicher Freiheitsbeschränkung
Der Parlamentarische Rat entschied sich 1949 bewusst dagegen, einen Gesetzesvorbehalt für die Religionsfreiheit aufzunehmen. Der Gesetzgeber sollte das Grundrecht nicht für beliebige politische Zwecke einschränken dürfen, sondern nur, soweit das unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zur Sicherung der Rechte Dritter oder sonstiger Gemeinwohlbelange mit Verfassungsrang erforderlich ist. Kollidierende Rechte müssen zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden. Wann ein Recht Dritter der Religionsfreiheit entgegensteht und wie genau ein angemessener Rechtsgüterausgleich aussieht, ist nicht immer einfach zu bestimmen. Fachleute sind in diesen Detailfragen selten einer Meinung.
Im Falle des Kopftuchs einer Lehrerin ging der Dissens so weit, dass der Erste und der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sich widersprechende Entscheidungen trafen.
Der Erste Senat widersprach 2015.
Einig war man sich im Bundesverfassungsgericht hingegen darin, wie mit der Vieldeutigkeit des "Symbols" Kopftuch umzugehen ist. Das Gericht machte sich die in der Gesellschaft teils verbreitete Überzeugung, das islamische Kopftuch sei Ausdruck einer emanzipationsfeindlichen Grundhaltung, nicht zu eigen. Solche Deutungen gebe es zwar und sie trügen zur Konfliktträchtigkeit des Kopftuchs bei. Doch sie überlagerten nicht einfach die grundrechtlich geschützte religiöse Intention der Kopftuchträgerin.
Aufschlussreich sind auch die Aussagen beider Senate zu der Frage, ob religiös geprägte Kleidung von Staatsbediensteten einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur religiös-weltanschaulichen Neutralität darstellt. Dieser Grundsatz wird im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt, sondern der Religionsfreiheit, den religionsbezogenen Gleichheitsgarantien (Art. 3 Abs. 3 GG, Art. 33 Abs. 3 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 2 WRV) sowie dem Verbot der Staatskirche (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 1 WRV) in einer Zusammenschau entnommen.
Damit unterscheidet sich das Kopftuch der Lehrerin in einem entscheidenden Punkt vom auf staatliche Anordnung aufgehängten Kreuz im Klassenzimmer, das die Gemüter 1995 bewegte. Damals verwarf das Bundesverfassungsgericht eine Bestimmung im bayerischen Schulgesetz, nach der in jedem Klassenzimmer ein Kreuz aufzuhängen war. Das Gericht hob später ausdrücklich die Unterschiede zwischen dem Kopftuch der Lehrerin und dem Kreuz im Klassenzimmer hervor.
Zunehmende Konsistenzprobleme als Ausdruck gesellschaftlicher Verlegenheit
Jede der drei skizzierten Leitentscheidungen ist für sich nachvollziehbar begründet. Doch zusammengenommen sind sie über den engen Kreis von Rechtsexperten hinaus nicht einfach zu vermitteln. Mal soll das Grundgesetz ein allgemeines gesetzliches Verbot religiöser Bekleidung von Staatsbediensteten ermöglichen (so die Entscheidung 2003), dann wieder doch nicht (so 2015). Das auf staatliche Veranlassung hin aufgehängte Kreuz im Klassenzimmer muss bei Widerspruch von Schülern und Eltern weichen, das Kopftuch der Lehrerin hingegen, folgt man der Entscheidung von 2015, nur bei konkreter Störung des Schulfriedens. Der Staat darf zwar "christliche Gemeinschaftsschulen" betreiben, aber für diese kein verpflichtendes Kreuz im Klassenzimmer vorsehen (so 1995).
Rechtstechnisch lassen sich diese Ergebnisse jeweils nachvollziehen, und doch entsteht auf das Ganze gesehen der Eindruck mangelnder Konsistenz. Nun ist es wohlfeil, vom Verfassungsgericht zu verlangen, seine Entscheidungen besser aufeinander abzustimmen. Tatsächlich ist das Gericht immer auch den Strömungen der Zeit ausgesetzt. Der Islam in seinen vielen Facetten stößt gegenwärtig auf teils pauschale, ja hasserfüllte, teils differenzierte gesellschaftliche Vorbehalte. Zugleich erscheint eine Privilegierung des christlichen Glaubens oder der christlichen Kirchen mehrheitlich nicht akzeptabel. Hinzu tritt der fortschreitende Trend zu säkularen Seinsdeutungen. Diese Gemengelage löst seit einiger Zeit verstärkt laizistische Tendenzen aus, die gegenläufig zur verfassungsrechtlichen Intention und Tradition in Deutschland stehen.
Angesichts der etwa in Frankreich gemachten Erfahrungen ist zu bezweifeln, dass Deutschland mit einem radikalen Systemwechsel im Religionsverfassungsrecht gut beraten wäre. Gleichwohl verliert das Verfassungsrecht momentan an orientierender Kraft. Niemand vermag etwa auf der Grundlage der bislang entschiedenen Fälle verlässlich zu prognostizieren, wie das Bundesverfassungsgericht demnächst über das Kopftuch von Staatsanwältinnen und Richterinnen entscheiden wird. Im politischen Raum wurde jüngst gar diskutiert, ob nicht Kindern vor Erreichen der Religionsmündigkeit per se das Tragen religiös geprägter Kleidung verboten werden soll. Weil die Verfassungswidrigkeit eines solchen Verbotes allen evident gewesen wäre, hätte es solch eine Debatte noch vor zehn Jahren nicht gegeben. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis auch die Weihnachtskrippe auf dem städtischen Marktplatz und der Weihnachtsbaum vor dem Bundeskanzleramt infrage gestellt werden.
Gegen solche Tendenzen wollte jüngst die Bayerische Staatsregierung ein Zeichen setzen und beschloss, dass in jeder Landesbehörde ein Kreuz im Eingangsbereich aufzuhängen sei. Der Beschluss stieß auf massive Kritik, auch aus den Reihen der Kirchen und der akademischen Theologie.
Ausblick
Viele Fachleute betonen, dass Deutschland in der Vergangenheit mit seinem Religionsverfassungsrecht auf das Ganze gesehen gute Erfahrungen gemacht hat.
Freilich kann selbst der klügste Verfassungstext seine eigene praktische Wirksamkeit nicht garantieren. In Zukunft wird das auf gleiche Freiheit, kooperative Trennung und Öffentlichkeit angelegte Religionsverfassungsrecht seine integrierenden Wirkungen nur weiter entfalten, wenn auch die maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen hinreichend entgegenkommende Lebenshaltungen ausbilden. Die weitere Dynamik wird deshalb vor allem davon abhängen, ob ein nachhaltiger Interessenausgleich zwischen säkular und religiös gesonnenen Bürgerinnen und Bürgern gelingt; die Gesellschaft insgesamt besser lernt, von einzelnen Religionskulturen ernsthaft ausgehende Gefahren für das Gemeinwohl von bloßen kulturellen Fremdheitserfahrungen zu unterscheiden; die gesellschaftlich maßgeblichen Religionskulturen glaubwürdig darstellen können, dass sie mit einer liberaldemokratischen Gesellschaftsordnung verträglich sind; hinzukommende institutionelle Akteure mit den ungeschriebenen Spielregeln des deutschen Neokorporatismus elegant umzugehen wissen; und ob Zugewanderte sich eine ihnen fremde Geschichte, zu der auch die Religions(rechts)geschichte gehört, als ihre zu eigen machen und als solche weiterschreiben.