In der politikwissenschaftlichen Literatur werden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) klassischerweise als Rivalen oder Gegenspieler privater Unternehmen behandelt.
Das Verhältnis von NGOs und privaten Unternehmen ist unabhängig vom Politikfeld von großer Bedeutung, da es Rückschlüsse über die Zukunftsperspektive der weltwirtschaftlichen Globalisierung zulässt. NGOs fungieren als gesellschaftliches Stimmungsbarometer für die Akzeptanz der Tätigkeiten privater Unternehmen.
Bei der Analyse des Verhältnisses von NGOs und Unternehmen wird daher häufig zwischen konfrontativen und kooperativen Strategien unterschieden, auf die NGOs zurückgreifen, um Unternehmen zu verantwortlichem Handeln zu bewegen.
Funktionen von NGOs im Politikformulierungsprozess
Im politikwissenschaftlichen Fachgebiet Internationale Beziehungen ist das Verhältnis von NGOs und privaten Unternehmen ein relativ neuer Forschungsgegenstand. Zwar reicht das Interesse für die Rolle nicht-staatlicher Akteure bis in die frühen 1970er Jahre zurück, als Robert Keohane und Joseph Nye gemeinsam mit weiteren Forscherinnen und Forschern den enormen Bedeutungsanstieg transnationaler Beziehungen jenseits des Nationalstaates betonten.
Gegen Ende des 20. Jahrhundert mobilisierten NGOs gezielt gegen private Unternehmen, um das Fehlverhalten einzelner Großkonzerne wie beispielsweise Nike oder Shell anzuprangern und ihre dem Gemeinwohl verschriebenen Ziele durchzusetzen. Diese Mobilisierung gegen Unternehmenspraktiken war eine Reaktion auf den ökonomischen und politischen Bedeutungszuwachs transnational agierender Firmen. Deren wirtschaftliche Aktivitäten haben immer weitreichendere Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt, etwa durch Emissionen, die bei der Produktion und Nutzung fossiler Energieträger anfallen, oder durch Verstöße gegen Arbeits- und Sozialstandards in unternehmerischen Produktionsprozessen. Um Veränderungen im Unternehmenshandeln zu erreichen, begannen NGOs damit, ihre Forderungen über die Öffentlichkeit oder direkt an die jeweiligen Unternehmen heranzutragen. Dieses klassische Verhältnis von NGOs und privaten Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren stückweise erweitert. NGOs treten nicht mehr nur als reine Protestakteure auf, sondern arbeiten zunehmend mit dem Privatsektor zusammen – mit der Absicht, Unternehmenspraktiken zu verändern. In ihrem Bemühen um verantwortliches und normkonformes unternehmerisches Handeln greifen sie auf ein weites Repertoire zurück und nehmen verschiedene Funktionen in den unterschiedlichen Phasen des Politikformulierungsprozesses ein.
Erstens schaffen NGOs ein Problembewusstsein für bestimmte Unternehmenspraktiken und setzen ihre Anliegen auf die unternehmenspolitische und/oder die öffentliche Agenda. Sie nehmen damit eine Funktion als watchdogs ein, die das Verhalten von Unternehmen an bestimmten Normen und Wertevorstellungen messen. Bei wahrgenommenen Normverstößen schlagen sie Alarm und greifen auf öffentliches naming and shaming zurück.
Zweitens nehmen NGOs eine wichtige Expertenfunktion ein. Sie liefern nicht nur Einblicke in Missstände unternehmerischer Praktiken, sondern vermitteln auch theoretisches und technisches Wissen, das in die Definition von Problemen und Politiken einfließt. Die Verbreitung von Informationen, um menschlich verursachte Umweltprobleme zu bewerten, steht beispielhaft für diese Art der Aktivität von NGOs. Dabei fertigen NGOs Berichte der komplexen Verhandlungsgegenstände an, liefern Informationen für die Vertragsparteien und beteiligen sich an politischen Diskussionen.
Drittens treten NGOs als Partner bei der Formulierung allgemeiner und branchenspezifischer Verhaltenskodizes für Unternehmenspraktiken auf. Häufig nehmen NGOs dabei eine beratende Funktion ein. Staatliche Institutionen oder internationale Organisationen bleiben vielfach die treibende Kraft hinter den auszuhandelnden Richtlinien und bieten nicht-staatlichen Akteuren eine lose Interaktionsplattform. Davon unterscheiden sich neuere Formen der Ko-Regulierung, in denen NGOs als gleichberechtigte Partner auftreten.
Viertens betätigen sich NGOs als Implementierer geltender Normen und Standards. Dafür stellen sie ihre praktische Ausführungshilfe für das freiwillige Engagement von Unternehmen bereit und nehmen dadurch direkt Einfluss auf unternehmerisches Handeln. Ein Beispiel hierfür ist die gemeinsame Umsetzung von Umweltschutzprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern, bei denen erneuerbare Energien und andere umweltschonende Technologien eingeführt werden. Diese Art der Vertragspartnerschaft zwischen NGOs und privaten Unternehmen birgt jedoch auch gewisse Risiken. Durch ihre Beteiligung an der Umsetzung unternehmerischer Programme setzen NGOs ihre Autonomie, Glaubwürdigkeit und Kritikfähigkeit aufs Spiel, wenn sie als gekauftes gutes Gewissen des Privatsektors herhalten und so greenwashing betreiben.
Fünftens nehmen NGOs auch eine Kontrollfunktion ein und überwachen die Einhaltung bestimmter Umweltstandards. Dies kann einerseits über ihre Beteiligung an Multi-Stakeholder-Foren geschehen, insofern diese über institutionalisierte Zertifizierungssysteme verfügen. Andererseits kann diese Kontrollfunktion auch ein klassisches Dienstleistungsverhältnis annehmen wie etwa im Fall der Rainforest Alliance, die für den Chiquita-Konzern bestimmte Monitoring-Leistungen erbringt, um die Zertifizierung von dessen Bananenplantagen auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards zu prüfen.
Zusammenarbeit in der Klimapolitik
Die verschiedenen Funktionen von NGOs zur Regulierung von Unternehmenshandeln lassen sich besonders eindrücklich in der globalen Klimapolitik beobachten.
Eine der bedeutendsten Organisationen in diesem Zusammenhang ist das Climate Action Network, das 1989 als Dachverband verschiedener Umwelt-NGOs gegründet wurde. Heute besteht das Netzwerk aus über tausend Mitgliederorganisationen, darunter bekannte international agierende NGOs wie Friends of the Earth, Greenpeace und World Wide Fund For Nature (WWF), aber auch viele kleinere Umweltgruppen aus Industrie- und Entwicklungsländern. Das Climate Action Network operiert sowohl innerhalb von Nationalstaaten als auch auf der globalen Ebene. Ein Teil der Arbeit des Netzwerkes konzentriert sich darauf, die Gründe für die fortschreitende Erderwärmung publik zu machen und nationale Regierungen sowie den Privatsektor zu Klimaschutzaktivitäten zu bewegen. Für diesen Zweck nutzt das Netzwerk Regionalbüros in vielen Teilen der Welt und übt durch direkte Lobbyarbeit sowie medienwirksame Kampagnen Druck auf politische und unternehmerische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus, damit sie Verpflichtungen zur Begrenzung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen einführen.
Ein anderer Schwerpunkt der Arbeit des Climate Action Network ist es, Informationen über den zwischenstaatlichen Verhandlungsprozess zu sammeln, aufzubereiten und den verschiedenen beteiligten Akteuren zur Verfügung zu stellen. Seit Anfang der 1990er Jahre nimmt das Netzwerk an den internationalen Konferenzen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen teil und veröffentlicht den Newsletter "ECO", der den aktuellen Verhandlungsstand sowie die Positionen zentraler Akteure zusammenfasst.
Gleichzeitig agieren Mitgliederorganisationen des Netzwerkes und viele andere NGOs als Berater für Unternehmen bei technischen Fragen in Bezug auf das Problem des Klimawandels. Sie liefern Hintergrundberichte und Datenmaterial und stellen ihr Wissen dem Privatsektor zur Verfügung, um unternehmerisches Handeln zu verändern. Dabei handelt es sich zum Beispiel auch um Erkenntnisse darüber, wie in der täglichen Unternehmenspraxis Energie und Emissionen eingespart werden können. Zudem übersetzen NGOs die komplexen Verhandlungsprozesse für Unternehmen und liefern praktische Lösungsansätze, beispielsweise zur Energieeinsparung, auf deren Basis Unternehmen ihre Klimaschutzstrategien entwickeln.
Des Weiteren sind NGOs in der globalen Klimapolitik daran beteiligt, Verhaltenskodizes für private Unternehmen zu entwickeln und zu formulieren. Weil es Staaten lange Zeit nicht gelungen war, einen weitreichenden Regulierungsrahmen zu verabschieden, der Staaten zu ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet, haben NGOs zahlreiche Initiativen gegründet, die Unternehmen zu freiwilligen Maßnahmen für eine umweltfreundliche und nachhaltige Produktionsweise bewegen sollen.
Eines der bekanntesten Programme dieser Art ist die Global Reporting Initiative, die 1997 von der US-amerikanischen Umweltorganisation Ceres (früher: Coalition of Environmentally Responsible Economies) mit Unterstützung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen gegründet wurde.
Zugleich treten einige NGOs als Partner von Unternehmen bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten auf. Dabei handelt es sich meist um freiwillige Initiativen, mit denen einzelne Firmen versuchen, ihr unternehmerisches Engagement für den Klimaschutz herauszustellen und zu Marketingzwecken zu nutzen.
Ein weithin bekanntes Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit des WWF mit finanzkräftigen Großkonzernen wie beispielsweise der Krombacher Brauerei.
In der genannten letzten Phase des Politikformulierungsprozesses übernehmen NGOs schließlich auch die Kontrolle über die Einhaltung von Klimaschutzstandards durch Unternehmen. Beispiele für diese Funktion von NGOs in der globalen Klimapolitik sind die zahlreichen privaten Zertifizierungsprogramme für den Handel mit Emissionsrechten. Diese Initiativen können wiederum als zivilgesellschaftliche Alternativen zu den über viele Jahre ergebnislos verlaufenen internationalen Klimaverhandlungen gesehen werden.
Eine der größten Zertifizierungsprogramme für Emissionsrechte ist der Gold Standard, der 2003 von Helio International, SouthSouthNorth und dem WWF gegründet wurde. Der Gold Standard ist eine von NGOs getragene gemeinnützige Organisation, die unter Anwendung sozialer und umweltpolitischer Kriterien ein Label an besonders nachhaltige Projekte zum Schutz des Klimas verleiht. Die Vergabe dieses Labels ist an die Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards für Klimaschutzprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern gebunden. Dadurch soll erreicht werden, dass durch die Projekte nicht nur Treibhausgasemissionen eingespart werden, sondern gleichzeitig auch ein Beitrag zur Armutsminderung der Bevölkerung in den Projektländern geleistet wird.
Der Gold Standard gilt zwar als eines der glaubwürdigsten Zertifizierungsprogramme seiner Art, aber auch diese Form der Zusammenarbeit von NGOs mit privaten Unternehmen hat viel Kritik hervorgerufen. Verschiedene Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass private Zertifizierungsprogramme zu Interessenkonflikten führen, da die NGOs von den Unternehmen bezahlt werden, deren Verhalten sie kritisch überprüfen sollen.
Gründe für zunehmende Kooperation
Die angeführten Beispiele illustrieren, dass sich die Rollen, die NGOs im Verhältnis zum Privatsektor in der globalen Klimapolitik spielen, Stück für Stück erweitert haben. NGOs setzen nicht mehr nur auf Protestaktionen und Kampagnen, um Unternehmenspraktiken zu verändern, sondern arbeiten inzwischen häufig eng mit privaten Unternehmen zusammen. Sie greifen dabei auf ein breites Spektrum an Handlungsoptionen zurück und erfüllen unterschiedliche Funktionen in den verschiedenen Phasen des Politikformulierungsprozesses, um unternehmerische Klimaschutzaktivitäten zu fördern.
Die Ursachen für die verstärkte Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen und dem Privatsektor sind vielfältig. Ein Grund sind die angesprochenen Regelungslücken, die lange aufgrund mangelnder staatlicher Klimaschutzanstrengungen existierten. Die zunehmende Professionalisierung von NGOs ist eine weitere wichtige Erklärung.
Neben diesen organisationsinternen Erklärungsfaktoren weisen einige Forscherinnen und Forscher auch auf äußere Rahmenbedingungen für die Erweiterung der Rolle nichtstaatlicher Akteure in der Umwelt- und Klimapolitik hin. Sie sehen in dem sich wandelnden Verhältnis zwischen NGOs und dem Privatsektor den Aufstieg einer globalen Norm, die eine aktive Einbindung nichtstaatlicher Akteure in die Politikgestaltung propagiert, um grenzüberschreitende Umweltprobleme zu lösen.
Dennoch bilden die klimapolitisch aktiven NGOs keine homogene Gruppe.
Fazit und Ausblick
NGOs haben ihre Funktionen in Bezug auf den Privatsektor in der globalen Klimapolitik deutlich erweitert und arbeiten zunehmend mit Unternehmen zusammen. Diese Zusammenarbeit von NGOs und dem Privatsektor führt letztlich zu einer Stärkung der Rolle von Unternehmen als zentrale Akteure der globalen Wirtschaftsordnung. Private Unternehmen werden als Partner wahrgenommen, die bei der Bewältigung des Klimawandels und anderer globaler Herausforderungen eine wichtige Rolle einnehmen.
Eine Öffnung von NGOs gegenüber privaten Unternehmen sowie sektorenübergreifende Partnerschaften werden von einer Mehrheit der klimapolitischen Akteure als die angemessene Lösung gesellschaftlicher Probleme gesehen. Dieses vorherrschende Partnerschafts-Paradigma eröffnet NGOs großen Einfluss- und Handlungsspielraum, um Unternehmenshandeln zu verändern. Es führt jedoch gleichzeitig dazu, dass NGOs in Interessenkonflikte geraten und im schlimmsten Fall ihre Kritikfähigkeit gegenüber dem Privatsektor verlieren.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte eine Arbeitsteilung zwischen den unterschiedlichen Gruppen von NGOs sein, wie sie teilweise bereits existiert.