Eine Geschichte der Kritik
Mit diesem Beitrag möchte ich an eine ebenso scharfsinnige wie scharfzüngige Analyse des Antifeminismus erinnern, die aus der Feder der frühen Feministin Hedwig Dohm (1831–1919) stammt, deren Leben selbst in eindrücklicher Weise von den Beschränkungen "weiblicher Möglichkeitsräume" zeugt, aber auch von den ebenso mutigen wie riskanten Bestrebungen, diese zu durchbrechen.
Antifeminismus im Kaiserreich
Um 1900, verstärkt ab 1908,
Die soziale Zusammensetzung antifeministischer Kreise erstreckte sich vom Großbürgertum über die Mittelschichten (vor allem Lehrer und Angestellte) bis in den agrarischen Bereich hinein ("Bund der Landwirte"). Großgrundbesitzer gehörten ebenso dazu wie Wissenschaftler, Beamte, Juristen, Ärzte, Politiker und Kleriker. Zu einem organisatorischen Kristallisationspunkt wurde schließlich der "Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation", dessen 1912 erfolgte Gründung auf Akteur_innen des "Alldeutschen Verbandes"
Die Resonanzräume antifeministischen Denkens reichten weit über eine solch einzelne Organisation wie den "Bund" hinaus. Wo bevölkerungspolitische Fragen verhandelt wurden, wo die Bedeutung der "deutschen Nation" hervorgehoben wurde, wo mit der "Gesundheit des Volkskörpers" argumentiert wurde, da war ein antifeministisches Ressentiment in der Regel nicht weit.
Eine der antifeministischen Schreckensvisionen war die "Feminisierung" der Politik – für viele auch verbunden mit der Ablehnung demokratischer Staatsformen. Abgewehrt werden mussten demnach nicht nur die revolutionären Bestrebungen der Arbeiterklasse, sondern auch die Ambitionen demokratisch gesinnter bürgerlicher Kräfte. Ute Planert zeigt auf, wie sich in den antifeministischen Artikulationen antimodernistische und antidemokratische mit antisemitischen (und auch antislawischen) Motiven verknüpfen. Als besonders gern bemühtes diskursives Muster arbeitet Planert in diesem Zusammenhang die Idealisierung des "privaten Raumes" heraus, der anscheinend gegen die unliebsamen "Modernisierungseffekte" abgeschirmt werden muss:
Auch jenseits dezidiert antifeministischer Positionen wird die um 1900 von unterschiedlichen Akteur_innen formulierte "Zivilisationskritik in den Chiffren von Weiblichkeit und Männlichkeit"
Es geht um Rechte und Pflichten (etwa in Ehe, Familie, im Unterhaltsrecht), um den Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen, zu qualifizierten Berufen, um Schutz vor sexualisierter Gewalt. Nicht von ungefähr werden gerade die Rechtsforderungen der Frauenbewegung zu einem Hauptangriffspunkt des "Bundes", der von 1912 bis 1914 eine Art "Pressekrieg" gegen den "Bund deutscher Frauenvereine" (BDF) führt. Im BDF, der 1894 gegründeten Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung, sind zu dieser Zeit etwa eine halbe Million Frauen organisiert. Interessanterweise erfolgen die Attacken der Antifeminist_innen gegen die gemäßigt(er)en Akteurinnen der Frauenbewegung, die bereits eine gewisse Unterstützung für ihre Anliegen durch das "bürgerliche Publikum" erreichen konnten.
Mit Kriegsbeginn 1914 verändert sich die Situation: Frauenbewegte Akteurinnen organisieren mit dem "Nationalen Frauendienst" (NFD) die "Heimatfront" und sorgen so mit dafür, dass der Krieg geführt werden kann.
Zeitgenössische Polemik und Analyse
Mit ihrer 1902 erschienenen Essay-Sammlung
Dohm greift die Argumente und Denkfiguren, auch die sprachlichen Wendungen der Gegner_innen jeder Frauenemanzipation auf und treibt deren Denken sozusagen auf die Spitze, um zu zeigen, was es damit auf sich hat. Das Denken der Antifeministen zur Kenntlichkeit entstellen, das ist ihre Strategie – eine viel genutzte Strategie scharfer politischer Satire. Und das macht ihre Position auch heute wieder interessant. Hedwig Dohm ist eine Art Vordenkerin der Frauenbewegungen ihrer Zeit;
Wer war Hedwig Dohm?
Die erste knappe Antwort lautet: Hedwig Dohm war Autodidaktin, Publizistin, Schriftstellerin, Frauenrechtlerin. Sie war ein streitbarer, kritischer Geist, eine Querdenkerin und eine feministische Intellektuelle, die vielleicht "brillanteste und radikalste Feder der historischen Frauenbewegung".
Hedwig Dohm war eine der ersten Frauen in Deutschland, die das uneingeschränkte Frauenwahlrecht forderte. Diese Forderung zu Beginn der 1870er Jahre zu erheben, kurz nach Gründung des Deutschen Kaiserreichs, war insofern etwas Besonderes, als in dieser Zeit Frauen jede politische Betätigung abgesprochen, wenn nicht gar per Gesetz untersagt war. Die ersten organisierten Versuche, sich für Frauenrechte und mehr Gleichheit in den Geschlechterverhältnissen einzusetzen, waren damit zurückgedrängt und setzten sich eher im Hintergrund fort, bis es gegen Ende des 19. Jahrhunderts dann zu einem deutlichen Erstarken frauenbewegter Bestrebungen kam, was sich nicht zuletzt in der Entwicklung und Ausdifferenzierung entsprechender Vereine und Organisationen zeigte.
Hedwig Dohm hat in ihrer eigenen Lebensgeschichte blockierende Verhältnisse ebenso erlebt wie radikale Aufbrüche: aus beengten und beengenden familiären Verhältnissen heraus in ein intellektuelles Leben, in ein Publik-Werden – nicht nur im Rahmen der Geselligkeit der Salonkultur, sondern auch als Autorin und Dramatikerin, und später dann als Akteurin in der radikaleren Strömung der bürgerlichen Frauenbewegung. Die Germanistin Ludmila Kaloyanova-Slavova hat Frauen wie Hedwig Dohm als "Übergangsgeschöpfe" bezeichnet.
Einige biografische Hinweise mögen hier genügen, um nachvollziehbar zu machen, vor welchem Erfahrungshintergrund Hedwig Dohm ihre politische Kritik formuliert und durch welches Anschauungsmaterial ihre scharfen Analysen inspiriert sind. Dohm wird 1831 in Berlin als uneheliches Kind eines begüterten Vaters geboren, der die Mutter seiner insgesamt 17 Kinder lange Zeit nicht heiraten kann, weil sie als nicht standesgemäß gilt. In diesen konflikthaften familiären Verhältnissen erlebt Dohm, dass die Töchter eine grundlegend andere Behandlung erfahren als die Söhne. Jenen wird eine gymnasiale Schulbildung selbstverständlich ermöglicht, die Mädchen müssen mit einer schlechten und eng begrenzten Schulbildung vorlieb nehmen. In manch anderen bürgerlichen (auch adligen) Familien haben Mädchen Zugang zu besseren Bildungschancen, auch wenn das Mädchenschulwesen insgesamt noch nicht besonders entwickelt ist – so werden manche zusammen mit ihren Brüdern unterrichtet, andere haben das Glück, an gute Hauslehrerinnen oder an ein besonders gutes Mädchenpensionat zu geraten.
Hedwig Dohm bleibt diesbezüglich auf die eigenen autodidaktischen Anstrengungen verwiesen; später besucht sie ein Lehrerinnenseminar. Zugang zu Kunst, Literatur, Wissenschaft, Philosophie und auch Politik eröffnet ihr die Ehe mit Ernst Dohm, dem leitenden Redakteur der Satirezeitschrift "Kladderadatsch". Sie führt nun ihren eigenen Salon und kommt mit Menschen unterschiedlicher politischer Orientierung in Kontakt, nicht zuletzt mit Sozialdemokrat_innen.
Neben wissenschaftlichen Abhandlungen verfasst Dohm Märchen, Lustspiele, Novellen, Gedichte – und Romane, in denen sie subtil aufzeigt, was Einengung und Unterdrückung qua Geschlecht mit Frauen macht und wie schwer ein Weg zur Befreiung sein kann. In den Novellen oder Romanen kommt nicht zuletzt so etwas wie die Schwierigkeit "weiblicher Subjektwerdung" und auch eine Art "Sprachkrise"
Einen kollektiven Reflexionsraum für ihr feministisches Denken findet Hedwig Dohm erst, als sich der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung stärker ausprägt; hier wirkt sie mit an vielfältigen Aktivitäten, gehört zu den (Gründungs-)Mitgliedern wichtiger Vereine.
Kritik an den Geschlechterverhältnissen und allgemeine Forderung nach Freiheit
Hedwig Dohms feministische Essaybände sind im Zuge der ersten Wiederentdeckung im Kontext der Neuen Frauenbewegung sehr stark rezipiert worden. In dem Band "Was die Pastoren von den Frauen denken" (1872) greift sie die Kategorisierung der Geschlechter in "Wesen des Geistes" und "Wesen des Herzens" an. Ihre eigene Vision ist die des "Ganzmenschen".
Von großer Kraft und Schärfe sind Dohms Schriften zur "wissenschaftliche[n] Emancipation der Frauen" (1874), mit denen sie die angeblich nicht vorhandene Denkfähigkeit von Frauen ad absurdum führt. Meist adressiert sie dabei direkt diejenigen Autoren, die den diesbezüglichen Beweis führen wollen, und führt auf diese Weise sozusagen offensiv das Streitgespräch, das jene verweigern, weil sie Frauen nicht als ernstzunehmende Gesprächspartnerinnen ansehen. Dohms 1876 erschienene Schrift "Der Frauen Natur und Recht" erinnert nicht zufällig an Mary Wollstonecrafts "A Vindication of the Rights of Women" (1792) – die darin vertretene "naturrechtliche Position" entspricht dem "egalitären Denken" im Feminismus, wie es bereits in den "Querelle des Femmes"
Sie geht – ähnlich wie ihre Zeitgenossin, die Pazifistin Bertha von Suttner – davon aus, dass es nicht "von Natur aus" klar sei, was Frauen und Männer unterscheide; vielmehr könne über eventuelle Geschlechtsunterschiede überhaupt erst dann gesprochen und geurteilt werden, wenn allen Menschen alle Möglichkeiten gleichermaßen offen stünden. Da davon zeitgenössisch keinesfalls die Rede sein könne, solle von den so flächendeckend beschworenen "natürlichen Unterschieden" doch besser geschwiegen werden.
Dohms grundlegende politische Haltung zeigt sich vielleicht am klarsten in dem folgenden Zitat: "Ich bin des Glaubens, dass die eigentliche Geschichte der Menschheit erst beginnt, wenn der letzte Sklave befreit ist, wenn das Privilegium der Männer auf Bildung und Erwerb abgeschafft, wenn die Frauen aufhören, eine unterworfene Menschenklasse zu sein."
Charakterisierung der "Antifeministen"
Auf ihre gewohnt witzige und ironische Weise teilt Hedwig Dohm die Gegner der Frauenbewegung und Frauenemanzipation in vier Kategorien ein: Sie unterscheidet in "Altgläubige", "Herrenrechtler", "praktische Egoisten" und "Ritter der mater dolorosa".
Als "Altgläubige" bezeichnet Dohm diejenigen, die sich auf eine – zunächst behauptete und dann hartnäckig verteidigte – "Tradition" beziehen, nach dem Motto: "So war es schon immer, und so soll es bleiben". Ob die Tradition, auf die dabei gepocht wird, sinnvoll ist, ob sie für alle dieselben Vorteile bringt, wer darunter womöglich leidet, erscheint dabei unerheblich. Interessant ist an dieser Stelle, dass die so massiv ins Feld geführte "Tradition" häufig eine historisch recht junge Idee oder Praxis sein kann, die aber ihrer Geschichtlichkeit (und damit Veränderlichkeit) enthoben wird, indem sie als Überliefertes und (von wem eigentlich?) Übergebenes wie ein ewiges Gesetz erscheint.
Die "Herrenrechtler" sind bei Dohm diejenigen, denen es um die Sicherung ihrer Vormachtstellung, ihrer Dominanz geht. Hier werden die Geschlechterverhältnisse als Herrschaftsverhältnisse erkennbar, denn es geht nicht einfach um eine irgendwie geartete harmlose Differenz oder um eine harmonisch gedachte Komplementarität (ein Ergänzungsverhältnis) zwischen den Geschlechtern, sondern darum, dass die (unterstellte, behauptete) Geschlechterdifferenz der Begründung und Rechtfertigung einer klaren Hierarchie zwischen Mann und Frau dient.
Die Kategorie "praktische Egoisten" verweist auf die Dimension des Alltags, auf die Frage, wer von bestimmten Geschlechterordnungen – oder Arbeitsteilungen qua Geschlecht – profitiert. Die Frage, wer das Klo putzt und wer wem die Socken wäscht, ist hier entscheidend. "Praktische Egoisten" können durchaus freundlich sein, und dennoch wird auch von ihnen ein Geschlechterregime aufrechterhalten, das Dominanz- und Unterwerfungsmomente birgt. Auch hier werden Frauenrechte nicht gerade begünstigt, werden gleiche Möglichkeiten für alle, Gleichberechtigung, oder gar eine neue Art der Arbeitsteilung, kaum vorangebracht.
In die vierte Kategorie gehören für Hedwig Dohm die "Ritter der Mater dolorosa", die Ritter der "schmerzensreichen Mutter". Das ist eine Anspielung auf ein recht altes Motiv, das Frauen auf die beiden Pole "Heilige oder Hure" verteilt (die in komplexer Weise aufeinander verweisen); damit ist auch ein Denken gemeint, mit dem Frauen idealisiert und auf ein Podest gestellt werden, wobei ihnen zugleich ein bestimmter Platz zugewiesen und keine Eigenbewegung erlaubt wird. Der auf diese Weise "geheiligten" Frau wird kein eigenes Begehren, keine aktive Sexualität zugestanden; sie kann höchstens Mutter sein, die sich opfert, eben als "Schmerzensreiche".
In ihrer Kennzeichnung des Antifeminismus als Phänomen versäumt Hedwig Dohm es nicht, auf die Macht der ständig wiederholten Behauptung hinzuweisen (und damit auch auf die Bedeutung von Medien beziehungsweise auf die Bedeutung dessen, was uns tagtäglich medial erreicht und beeinflusst): "Solche unentwegt wiederholten Behauptungen wirken beinah wie die Riesenreklamen für irgendein Mittel, die uns in großen Städten oft jahrelang von allen Mauern, Säulen, Zäunen entgegengrinsen, bis sie uns förmlich hypnotisieren – fast gegen unseren Willen – kaufen wir."
Was zeigt der Blick in die Geschichte?
Wenn es heute um eine Auseinandersetzung mit antifeministischen Positionen sowie mit deren Resonanzräumen und Wirksamkeiten bis hinein in die Mitte der Gesellschaft geht, kann das Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der Kämpfe und Kontroversen in den und um die Geschlechterverhältnisse(n) beziehungsweise um die Öffnung und Transformation bestehender Geschlechterordnungen hilfreich sein.
Aktuelle zeitgenössische Diagnosen weisen ähnliche Aufmerksamkeiten (und teilweise auch ähnliche Befunde) auf, wie die zeitgenössische Analyse Dohms oder die historische Rekonstruktion Planerts. So können – wie bei Hedwig Dohm – Kategorien oder Typen antifeministischer Positionen unterschieden werden, die möglicherweise auch auf unterschiedliche Interessen beziehungsweise auf eine jeweils unterschiedliche soziokulturelle und politische Einbettung zurückzuführen sind. Es können Widersprüche in den Argumentationen der Gegner_innen von Gleichstellung und Geschlechterdemokratie herausgearbeitet werden, und auch die komplexen Verschränkungen von Denkweisen, die zunächst als getrennt erscheinen, aber gerade über ihre Verschränkung machtvoll wirksam werden. Es kann nach den Verheißungen antifeministischen Sprechens gefragt werden – wer hat was zu gewinnen, wer erhofft sich was davon? Und nicht zuletzt: Wie ist es möglich, dass ein antifeministisches Ressentiment auch heute in manchen – selbst bürgerlich-liberalen und akademisch gebildeten – Kreisen wieder zum guten Ton gehören kann? Und was treibt welche feministischen Akteur_innen in die Defensive? Bei Dohm sind dafür interessante Hinweise zu finden, auch wenn die einschlägigen Analysen der vergangenen Jahre