2018 blickt man zum 50. Mal auf das Jahr 1968 als "Höhepunkt einer transnationalen Revolte" (Heinrich August Winkler) zurück. In diesem Kontext jährt sich auch der Jahrestag der Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr. zum 50. Mal. King wurde am 4. April 1968 in Memphis erschossen, genau ein Jahr nachdem er sich in einer Rede in New York gegen den Vietnamkrieg ausgesprochen und den Kampf gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern in einen postkolonialen Kontext gestellt hatte – und kurz bevor er ihn mit einem erneuten Marsch nach Washington mit dem Kampf gegen Armut verknüpfen wollte.
Kings Werk kann 50 Jahre nach dem Attentat als unvollendet gelten, obwohl er und die Bürgerrechtsbewegung mit den Gesetzen gegen die Wahlrechtdiskriminierung und die Segregation 1964 einen großen Erfolg verzeichnen konnten. Die Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und zuletzt auch das selbstbewusste Auftreten offen rassistischer Gruppen in Charlottesville, Virginia, am 11. August 2017 haben gezeigt, dass sich in Amerika weniger verändert hat, als viele gehofft hatten – ein Zeitalter, in dem "Rasse" keine Rolle mehr spielt, hat offensichtlich nicht begonnen. Damit muss es über den Zeitraum der 1960er Jahre und der sich daran anschließenden sozialen Revolten hinweg Kontinuitäten gegeben haben, die möglicherweise übersehen wurden. Dieses Phänomen wird in diesem Beitrag behandelt: die erstaunliche Stabilität des Verhältnisses von weißen und schwarzen Amerikanern, das über "Rasse" gerechtfertigt wird.
Im Folgenden vertiefe ich zunächst den Befund der Kontinuität trotz scheinbar einschneidender Ereignisse kulturhistorisch und erläutere, warum man hier von der Kontinuität einer Machtordnung sprechen sollte und nicht von der Kontinuität des Rassismus. Anschließend beleuchte ich zwei gesellschaftliche Bereiche – das Bildungswesen und das Recht – näher, um zu zeigen, wie über ökonomische Ungleichheit die Rassenordnung als Machtordnung aufrechterhalten wird.
Doppeltes Bewusstsein
In seinem Aufsatz "The Evolution of the Race Problem" lieferte der afroamerikanische Soziologe W.E.B. Du Bois bereits 1909 eine Diagnose, die auch auf die heutigen Verhältnisse zutrifft.
Das mit solchen Prozessen verbundene Auf und Ab von Hoffnung und Enttäuschung ist auch in die afroamerikanische Literatur- und Kulturgeschichte eingegangen. Man findet es im Blues und explizit in den Blues-Gedichten von Langston Hughes zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie in seinem Langgedicht "Montage of a Dream Deferred" (1951). Ein aktuelles Beispiel ist der Roman "John Henry Days" von Colson Whitehead (2001): Über Variationen der Figur des afroamerikanischen Helden John Henry werden wiederholt ähnliche Situation im Zusammentreffen mit weißen US-Amerikanern vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart dargestellt, die für junge schwarze Männer fatale, oft tödliche Folgen haben. Die Figur der Wiederholung mit Variationen legt nahe, dass trotz – oder wegen – etlicher Veränderungen vieles gleich bleibt: Im Verhältnis der "Rassen" in den USA gibt es offenbar "Invarianten" und "Konstanten", wie sie der französische Soziologe Pierre Bourdieu in "Die männliche Herrschaft" 1998 auch für das Geschlechterverhältnis konstatierte.
Es ist irreführend zu glauben, es ginge hier primär um ein psychologisches Problem von hartnäckigen Vorurteilsstrukturen oder um individuelle diffamierende Handlungen und Äußerungen. Rassismus ist auch nicht die unglückliche Folge unterschiedlicher Hautpigmentierung oder Nasenformen – also letztlich biologischer Unterschiede, die unter dem Begriff "Rasse" subsumiert werden. Tatsächlich ist "Rasse" bereits eine rassistische Kategorie, nämlich die Rechtfertigung eines Unterdrückungsverhältnisses, die sich auf vermeintliche Unterschiede in der Biologie des menschlichen Körpers bezieht und diese um Zuschreibungen erweitert. Tatsächlich unterdrücken wir Menschen nicht, weil sie anders sind, sondern nennen sie anders, weil wir sie unterdrücken (können).
Durch eine Reihe komplexer psychosozialer Mechanismen können diese Zuschreibungen, wenn ein solches Unterdrückungsverhältnis lange genug besteht, zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden: Durch die Internalisierung von Zuschreibungen können sich Mitglieder der unterdrückten Gruppe irgendwann so verhalten, wie man es von ihnen ständig erwartet – auch deshalb, weil es auf Dauer schwer ist, dem negativen Bild, das andere von einem haben, ein anderes positives Selbstbild entgegenzusetzen, also mit einem doppelten Bewusstsein zu leben. Du Bois hat dafür den Begriff "double consciousness" (doppeltes Bewusstsein) geprägt, und auch dieses Phänomen ist ein Topos der afroamerikanischen Literatur. Durch eine "pars-pro-toto-Verzerrung" können für die Zuschreibungen auch immer Beispiele gefunden und auf die gesamte unterdrückte Gruppe angewendet werden.
Schließlich konstruiert lang anhaltende Unterdrückung die Gruppe, die sie postuliert: Wer eine spezifische historische Erfahrung von Diskriminierung teilt, versteht sich irgendwann als Gruppe, und die Solidarität, die hier entstehen kann, ist sowohl Selbstschutz als auch ein erster Schritt der Ermächtigung – aber auch dies wird wieder als Bestätigung der Postulierung einer Gruppe verstanden.
Den Soziologen Matthew Desmond und Mustafa Emirbayer zufolge wird "Rasse" so zu einer "begründeten Fiktion" – zugrunde aber liegt der "Rasse" ein Machtverhältnis.
Rassenordnung in Bildung und Wirtschaft
Die Erfahrungen von Unterdrückung und Widerstand, von wiederholten Versprechen, Hoffnungen und Enttäuschungen, von gespaltenem Bewusstsein und der Formierung kollektiven Widerstands sind nicht nur tief in die afroamerikanische Literatur eingeschrieben, die somit von der Rassenordnung Zeugnis ablegt. Literatur kann diese auch an vielen Stellen reproduzieren: Die Literaturkritik, der Literaturunterricht, die Literaturtheorie und die Literaturwissenschaft überhaupt waren sicher und sind möglicherweise immer noch Komplizen in der Aufrechterhaltung dieser Ordnung.
Diese unbequeme Einsicht existiert schon lange, aber erst in den 1960er Jahren hat sie zu massiven Veränderungen an US-amerikanischen Universitäten geführt: zur Revision des Literaturkanons, zur Einrichtung neuer Studiengänge und neuer Departments, zur statistischen Erfassung der Zusammensetzung der Studentenschaft, zur aktiven Rekrutierung afroamerikanischer Studenten und Dozenten. Gleichwohl hat dies nicht zu einer gleichen und gerechten Verteilung der Ressource Bildung geführt: Unter Studierenden sind Afroamerikaner wie auch Hispanics gemessen am Bevölkerungsanteil in der entsprechenden Altersgruppe weiterhin unterrepräsentiert. Die Entwicklung der Studierendenzahlen verdeutlicht, dass affirmative action zwar den Anteil dieser Minderheiten steigern, aber die Kluft nicht schließen kann.
Die fortlebende Unterrepräsentation deutet darauf hin, dass ihre Ursachen nicht allein in den Quotenregelungen der Universitäten zu suchen sind, sondern tiefer liegen: im Bildungssystem insgesamt, in der Verteilung von Wohlstand und Armut, in den Bildungsambitionen einzelner Familien und in der Geschichte all dieser Faktoren. Um dieses Zusammenspiel in aller Kürze darzulegen: Qualität und Ausstattung selbst staatlicher Kindergärten und Grundschulen sind in den USA stark standortabhängig, nämlich vom Wohlstand des Schulbezirkes. Familien, die Wert auf gute oder auch nur gewaltfreie Bildungseinrichtungen legen, werden ihren Wohnort entsprechend wählen, wenn sie sich dies leisten können. Der Sozialwissenschaftler Thomas Shapiro zeigte, dass die Einkommensdiskrepanz zwischen schwarzen und weißen Amerikanern seit den 1960er Jahren zwar gesunken, die Schere bei Kapital und Vermögen sowie Immobilieneigentum jedoch gewachsen ist.
Offenbar wohnt der Rassenordnung als Machtordnung eine Trägheit inne, die vergangene Benachteiligung in der Gegenwart weiterleben lässt – und zwar trotz der Versuche, in der Gegenwart Ungleichheiten zu verringern. Zugespitzt: Selbst wenn es möglich wäre, eine Reset-Taste zu drücken und eine historisch lang anhaltende systematische Ungleichheit im Verhältnis zweier Gruppen heute auf Null zu stellen, so würde es morgen immer noch systematische Ungleichheiten geben. Diese Trägheit der Ordnung findet ihre Entsprechung in der Trägheit der Einstellungen und Wahrnehmungsdispositionen einzelner Menschen und Gruppen. Pierre Bourdieu spricht hier von der "Hysteresis" des Habitus, der die Vergangenheit in der Gegenwart weiterleben lässt.
Festzuhalten ist auch, dass die Stabilisierung durch das Zusammenwirken verschiedener gesellschaftlicher Bereiche geschieht, in die Ungleichheiten in jeweils bereichsspezifischen Weisen eingeschrieben sind. In dem geschilderten Beispiel der Bildung ist es der rechtliche Rahmen von Privateigentum, der über wirtschaftliches Handeln von Familien zum Erhalt der Rassenordnung beiträgt, obwohl die Gesetze zu affirmative action sie gleichzeitig abschwächen sollen. Weil Gesetze und ihre Umsetzungen viele soziale Beziehungen regeln, spielt das Rechtssystem in Hinblick auf die Rassenordnung eine besondere Rolle. Je unabhängiger es ist, desto mehr Möglichkeiten bietet es zur Gegenwehr.
Komplizenschaft des Rechts mit der Rassenordnung
Bereits um die Jahrhundertwende hatte die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) damit begonnen, über das Rechtssystem gegen die Rassenordnung zu kämpfen. Unterstützt durch die Mobilisierung einer schwarzen Mittelschicht und vieler sich solidarisierender weißer Amerikaner war diese Strategie in der Nachkriegszeit auch erfolgreich: Über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren – zwischen 1954, dem Jahr, in dem der Oberste Gerichtshof entschied, dass die Segregation von Schulen nicht verfassungsgemäß ist, und der Verabschiedung des Civil Rights Act 1964 – wurde der Segregation im öffentlichen Raum die rechtliche Grundlage entzogen. Gleichzeitig engagierte sich die NAACP auch gegen das Rechtssystem – etwa gegen die Praxis, die Verdächtigen in Lynchmorden vor lokale Gerichten zu stellen, wo sie in der Regel freigesprochen wurden. Die NAACP forderte vergeblich, den Lynchmord stattdessen als Fall für höher geordnete Gerichte anzusehen. Somit kann das Recht, also die geschriebenen Gesetze und ihre Umsetzung, sowohl der Affirmation der Rassenordnung dienen als auch als Mittel zu ihrer Bekämpfung.
Es ist vor allem die Komplizenschaft des Rechtssystems – sowohl im engeren Sinne der Gerichtsbarkeit als auch im weiteren Sinne unter Einschluss von Polizei und Gefängnissen –, die immer wieder in den Blick einer breiten Öffentlichkeit gerät: Amnesty International etwa wies 2003 anlässlich der 300. Hinrichtung eines Afroamerikaners seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1977 darauf hin, dass Schwarze überproportional häufig zum Tode verurteilt werden. Zwischen 1977 und 2003 wurden in den USA etwa eine halbe Million Menschen Opfer eines Mordes – zu fast gleichen Teilen handelte es sich um schwarze und weiße Amerikaner. Dennoch waren 80 Prozent der Hingerichteten wegen eines Mordes an Weißen verurteilt worden.
Die Rechtswissenschaftlerin Michelle Alexander erregte 2010 mit dem Buch "The New Jim Crow" Aufsehen: Alexander sieht im war on drugs ein Bündel an Maßnahmen, mit denen über das Strafrecht vor allem junge afroamerikanische Männer unter rigide soziale Kontrolle durch die Polizei und ins Gefängnis gebracht werden.
Es überrascht nicht, dass eine wichtige neue soziale Bewegung, die gegen die Rassenordnung und das damit verbundene Unrecht mobilisiert, Black Lives Matter, aus der Reaktion auf ein Gerichtsurteil entsprungen ist, nämlich dem Freispruch für den Nachbarschaftswächter George Zimmerman, der im Februar 2012 den Jugendlichen Trayvon Martin erschossen hatte.
Systemisches Unrecht im Strafrecht
1960 erschien in den USA Harper Lees Roman "Wer die Nachtigall stört". Die Handlung spielt im US-amerikanischen Süden der 1930er Jahre, in dem ein weißer Anwalt sein Leben riskiert, um einen schwarzen Mann, zu verteidigen, der eine weiße Frau vergewaltigt haben soll. Lange Zeit wurde der Roman als Darstellung eines vorbildhaften Rechtsanwaltes gelesen. Heute stören sich viele an der Idealisierung des weißen Mannes und der Passivität der schwarzen Charaktere. Man kann den Roman aber auch als Beispiel lesen für die Stabilität der Rassenordnung und für das Scheitern einer weißen Elite, die dem Mann ein gerechtes Verfahren gewähren will: Zwar kann diese Elite ein Verfahren erkämpfen und zunächst verhindern, dass der Beschuldigte, Tom Robinson, gelyncht wird. In diesem aber spricht die weiße Jury allen Indizien zum Trotz den Angeklagten schuldig: Er kommt ins Gefängnis und wird dann bei einem Fluchtversuch erschossen. Die Anzahl der Kugeln, von denen Robinson durchlöchert wird, deutet an, dass doch eine Art Lynchmord mit legalen Mitteln stattgefunden hat. Damit beleuchtet der Roman die Verstrickungen von Recht und Rassenordnung sowohl außerhalb als auch innerhalb des Gerichtssaals, nämlich anhand des (historisch älteren) Lynchmordes und des (jüngeren) Strafrechtsverfahrens.
Der Lynchmord an Afroamerikanern nach der Abschaffung der Sklaverei war Teil des Terrors, der Schwarze von Positionen der Macht fernhalten und sie davon abbringen sollte, ihre Rechte einzuklagen. Über den Zeitraum von 1890 bis etwa 1930 sank die Anzahl von Lynchmorden an Afroamerikanern fast proportional zum Anstieg an ihren legalen Exekutionen, und zwar sowohl auf gesamt- als auch auf einzelstaatlicher Ebene. Dieses Phänomen bildet einen argumentativen Baustein für die These, dass die Todesstrafe in den USA im Grunde die Fortsetzung des Lynchmordes mit legalen Mitteln ist.
In "Wer die Nachtigall stört" gibt es einen entscheidenden Dialog zwischen Atticus Finch und seiner Tochter: Der Rechtsanwalt legt nahe, dass es die weiße männliche Jury war, die ihre Ressentiments unzulässigerweise ins Spiel gebracht hatte. Eine solche Diagnose ist vorhersehbar nicht nur, weil sie so plausibel ist, sondern auch weil die Jurymitglieder als Laien das schwächste Element in dem ansonsten von ausgebildeten Juristen dominierten Gerichtsverfahren sind. Laien kann man am leichtesten die Schuld zuschieben. Richter und Staatsanwälte hingegen sind im Roman von der Kritik am Gerichtsverfahren noch ausgeschlossen.
Darin äußert sich eine auf schrittweise Verbesserung setzende Haltung, die die tiefe Verstrickung der scheinbar unabhängigen Experten in die Rassenordnung verkennt. Symbolisch zentral sind die Richter. An ihnen hängt die Fiktion einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, in der Menschen mit Robe quasi entkörperlichte Wesen sind: Ihrer Sozialisation und allem, was sie zu Menschen macht, enthoben, sollen sie zu Repräsentanten des Gesetzes werden. Tatsächlich sind es in den Südstaaten häufig die Richter, die sich bei der Entscheidung über das Strafmaß – oft auch gegen die Empfehlung der Jury – für die Todesstrafe aussprechen.
Eine solche Schlüsselposition in US-amerikanischen Strafrechtsverfahren kommt den Staatsanwälten zu. Sie können etwa Menschen von der Liste der Juroren streichen – wenngleich der Oberste Gerichtshof 1986 entschied, dass es nicht verfassungsgemäß ist, eine identifizierbare Menschengruppe systematisch von der Jury auszuschließen. Staatsanwälte entscheiden über die Art der Anklage und führen vor Beginn des eigentlichen Verfahrens eine Reihe von Gesprächen hinter verschlossenen Türen, in denen sie dem Angeklagten verschiedene Optionen eröffnen können, aber nicht müssen, darunter etwa den Verzicht auf ein Verfahren vor einer Jury, ein Schuldgeständnis gegen verringertes Strafmaß. Da etwa 95 Prozent der Strafrechtsverfahren über Schuldgeständnisse abgeschlossen werden, haben die Staatsanwälte eine außergewöhnliche Macht – zumal sie bei ihren Verhandlungen niemandem Rechenschaft schuldig sind und ihre Entscheidungen kaum transparent machen müssen.
Auch bei der Todesstrafe sind die Staatsanwälte ganz entscheidend: In den USA gibt es 16 Bezirke, in denen seit 2010 fünf oder mehr Menschen zum Tode verurteilt wurden. Diese Bezirke zeichnen sich durch aggressive Staatsanwälte und überforderte Pflichtverteidiger aus – für Angeklagte, die sich keinen Anwalt leisten können, eine fatale Kombination. Hinzu kommt in einigen Bezirken eine Geschichte von Rassismus und Ausgrenzung,
Schluss
Die Rassenordnung ist mit leichten, aber nicht unwichtigen Modifizierungen erhalten geblieben: Mit hohem Einkommen und Vermögen können sich heute auch Afroamerikaner Bildung und Gerechtigkeit leisten. Tatsächlich gibt es, stärker noch als vor 50 Jahren, eine schwarze Elite an Ärzten, Wissenschaftlern, Juristen, Geschäftsleuten, Sportlern, Politikern oder Schauspielern, die mit den Ghettos der Innenstädte, mit Gewalt, schlecht ausgestatteten Schulen oder gar Drogen und Beschaffungskriminalität kaum in Berührung kommen. Wenn sie sich nicht aus Überzeugung dennoch gegen Armut und Diskriminierung engagieren, bedeutet eine solche Differenzierung in der Erfahrung von Afroamerikanern auch eine Spaltung der Gruppe der Unterdrückten und dies wiederum einen relativen Machtverlust. Zu kompensieren wäre er allenfalls durch eine Solidarisierung von armen Menschen über die Grenzen der Rassenordnung hinweg, was unwahrscheinlich ist: Die historische Erfahrung ist ja gerade umgekehrt die Spaltung von ökonomisch Benachteiligten durch die Rassenordnung.
So verdeutlicht die Langlebigkeit dieser ungerechten Ordnung, dass Stabilität und Wandel, verstanden als gerichtete Veränderungen, nicht notwendig Gegensätze sind.
Die Rassenordnung reproduziert sich auch durch Wandel. Die vielen Reformen, zum Beispiel die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, sind sicher Verbesserungen, aber sie ließen die darunterliegende Machtordnung weitgehend unangetastet: Sie kleideten sie in ein neues, feineres Gewand – nicht so hässlich wie das des 19. Jahrhunderts mit seinen Lynchmorden oder das der 1950er Jahre, in denen Diskriminierung noch explizit in Gesetzen festgeschrieben war. Nachhaltig zu erschüttern wäre die Machtordnung nur durch tiefgreifende Veränderungen und Umverteilungen: nicht nur im Rechts- und Bildungswesen, sondern in den ökonomischen Bedingungen, die ihnen zugrunde liegen. Dies war der Grund, warum Martin Luther King 1968 erneut nach Washington marschieren wollte.