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Denkmodelle der 68er-Bewegung | Die 68er-Generation | bpb.de

Die 68er-Generation Editorial 1968 ist Geschichte Vor der Revolte: Die sechziger Jahre Denkmodelle der 68er-Bewegung "1968" in der gegenwärtigen deutschen Geschichtspolitik Die versäumte Revolte: Die DDR und das Jahr 1968

Denkmodelle der 68er-Bewegung

Wolfgang Kraushaar

/ 40 Minuten zu lesen

Das theoretische Selbstverständnis spielte für die 68er-Bewegung eine außerordentlich große Rolle. Dennoch hat es weder explizite "68er-Ideen" noch eine kohärente "68er-Theorie" gegeben.

Einleitung

Eine paradoxe Entwicklung ist zu beobachten: Je mehr der zeitliche Abstand zu den außerparlamentarischen Bewegungen um das Jahr 1968 wächst, desto vehementer wird in der Öffentlichkeit eine Aufklärung über ihren Verlauf, die Motive ihrer Akteure und die von ihr ausgegangenen Impulse zur Gesellschaftsveränderung eingefordert. Doch bislang existiert weder eine umfassende Geschichte der 68er-Bewegung noch eine kohärente Beschreibung der von ihr rezipierten Theorien bzw. der von ihr propagierten Ideen.

Dieser bewegungs- wie theoriengeschichtliche Mangel ist kein Zufall. Denn die 68er-Geschichte war ebenso kurz wie komplex, ebenso dicht wie spannungsgeladen. Es gab zwar eine längere Inkubationszeit, jedoch keine Entwicklung im eigentlichen Sinne, eher einen eruptionsartigen Aufbruch mit einem rasch erreichten Kulminationspunkt und einer schubartigen Abwärtsbewegung des Zersplitterns und Auseinanderfallens. Insofern kann es kaum verwundern, dass die Historisierung der 68er-Bewegung bislang weitgehend selektiv verlaufen ist . Nicht einmal zur wichtigsten Organisation, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), liegt mehr als drei Jahrzehnte nach deren Auflösung eine Monographie vor, die ihre wichtigste Zeitspanne, die Jahre 1961 bis 1970, quellengestützt behandelt .

Was für die 68er-Bewegung als historische Figur gilt , das trifft auch auf ihre theoretische Konfiguration zu: Sie war ein Baum mit vielen Wurzeln und noch mehr Ästen und Zweigen. Dabei ist es kaum weniger schwierig, die unterirdischen Kapillaren bis zu ihren Ausgangspunkten zurückverfolgen, als das sichtbare Netz der diversen Entwicklungsstränge nachzeichnen zu wollen. Wer die theoretischen Grundorientierungen beschreiben will, ohne sich im Dickicht von Partialentwicklungen zu verlieren, der muss bereit sein, größere Linien zu ziehen. Dabei gilt es zu bedenken, dass sich die historische Genese der theoretischen Entwicklung nicht im Sinne einer geistesgeschichtlichen Genealogie beschreiben lässt. Die Vorstellung, es habe ein theoretisch kohärentes Selbstverständnis der Bewegungsformen und -ziele gegeben, ist demnach irreführend . Es war vor allem die Dynamik einer intellektuellen Suchbewegung, die um 1968 Radikalisierungs-, Innovations- und Differenzierungsschübe freigesetzt hat. Theorien wurden innerhalb der Bewegung nur zu rasch zu einer Art Durchlauferhitzer. Das Tempo, mit denen sie aufgegriffen, durchdekliniert und wieder verworfen wurden, gehörte zu den bestimmendsten Charakteristika der Beschäftigung mit ihnen . In einem atemberaubenden Wechsel wurden Theoreme aufgegriffen, einstudiert, mit der politischen Situation in Einklang zu bringen versucht, verworfen und wieder ausgegliedert.

Von expliziten "68er Ideen" sprechen zu wollen wäre also unangemessen. Denn es ging weniger darum, bestimmte Ideen zu verwirklichen. Die Theorie selbst war utopisch besetzt. Es existierte eine Art Sehnsucht, "Allgemeinbegriffe zu leben", gar einen "Rausch der Verallgemeinerung" (Michael Rutschky) zu genießen . Die oft zitierten "konkreten Utopien" blieben hingegen überraschend blass. Sprecher wie Rudi Dutschke und andere lehnten es sogar mit Nachdruck ab, konkrete Alternativen zur kapitalistischen Gesellschaft zu benennen . Der Horizont der Gesellschaftsveränderung sollte offen bleiben. Dabei war häufig unklar, ob diese Einstellung programmatischen Charakter besaß oder nur das Resultat einer weit verbreiteten Verlegenheit war.

Die 68er-Bewegung war vor allem eines: Kritik an den bestehenden Verhältnissen in jeder nur denkbaren Hinsicht. Ihre destruktive Kraft war weitaus größer als ihre konstruktive. Nichts schien vor ihr Bestand zu haben: religiöser Glauben, weltanschauliche Überzeugungen, wissenschaftliche Gewissheiten, staatsbürgerliche Pflichten und Tugenden. Der gesamte Katalog an so genannten Sekundärtugenden wurde infrage gestellt. Die Kritik am Überkommenen, dem Traditionsbestand der Gesellschaft, war ätzend wie ein Säurebad.

Eindeutig im Vordergrund stand die Rezeption bereits vorhandener Theorietraditionen, vornehmlich marxistischer Couleur. Die Produktion eigener, am vorhandenen Fundus gemessen neuer Ideen war sekundär. Vorrangige Absicht war es gerade nicht, eine möglichst umfassende System- oder Gesellschaftstheorie zu entwickeln. Es ging eher darum, aus unterdrückten, verbotenen, versprengten und marginalisierten Traditionen jene Theoreme zu rekonstruieren, die für die Analyse der Gegenwart von einer nur höchst unzureichend gewürdigten Bedeutung waren. Es war die große Zeit der Wiederentdeckungen. Der Marxismus, die Psychoanalyse, die analytische Sozialpsychologie, die Kapitalismus-, die Klassen- und die Imperialismustheorie galt es wieder aufzugreifen, zu überprüfen und nach einer Unterbrechung von Jahrzehnten erneut einzubringen. Deshalb stand auch der Kontakt zu exilierten Theoretikern unter einem besonderen Stern. Sie schienen der Beweis dafür zu sein, dass es möglich war, unterbundene und abgeschnittene Traditionszusammenhänge erneut aufzunehmen und fortzusetzen . So wurde etwa Herbert Marcuse im Juli 1967 zur Vortragsreihe "Das Ende der Utopie" von Studenten der Freien Universität Berlin wie der Messias eines neuen Zeitalters begrüßt .

Und es war die Zeit der Außenseiter, der Häretiker, der Dissidenten. Bei aller Orientierung an den großen, Traditionen begründenden Namen: Die Sympathien gehörten jenen fast ausnahmslos jüdischen Intellektuellen, die wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch, Norbert Elias, Max Horkheimer, Siegfried Kracauer, Leo Löwenthal, Herbert Marcuse und Alfred Sohn-Rethel in gewisser Weise als Treibgut der Geschichte wirkten. Ihre gesellschaftliche Außenseiterrolle schien sie in den Augen der Studenten gegen Konformismus immunisiert zu haben. Deshalb galten sie, zuweilen völlig ungerechtfertigt, als Vorbilder für eine theoretische ebenso wie eine politische Radikalisierung.

Es waren drei grundlegende Kritiken, die den Kanon an neugewonnenen Überzeugungen bestimmten: der Antifaschismus, der Antikapitalismus und der Antiimperialismus. Die erste Kritik richtete sich gegen die Nichtauseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, die zweite gegen eine auf Ausbeutung und sozialer Ungerechtigkeit basierende Wirtschaftsordnung und die dritte gegen die Unterjochung der Länder der Dritten Welt durch die der Ersten und Zweiten. Die Verzahnung dieser drei Metakritiken verband Ende der sechziger Jahre die unterschiedlichsten Tendenzen und Fraktionen in SDS und APO miteinander: den antiautoritären mit dem traditionalistischen Flügel, die undogmatischen mit den dogmatischen Strömungen und bis zu einem gewissen Grad sogar die reformistischen mit den revolutionären Kräften. Sie bildeten eine zwar widersprüchliche, im Zuge bestimmter Mobilisierungen jedoch auch handlungsfähige Einheit.

Bezeichnend war, dass der Sowjetkommunismus und mit ihm ein wesentlicher Teil der eigenen linken Vergangenheit nicht Gegenstand der drei Grundkritiken war. Mitte der sechziger Jahre hatte sich eine Art Paradigmenwechsel abgespielt. Viele der linken studentischen Gruppen, für die die Ablehnung des Poststalinismus in der Sowjetunion wie in der DDR lange Zeit Selbstverständlichkeit besaß, waren von einer antitotalitären, gegen diktatorische Herrschaftsformen insgesamt gerichteten zu einer antifaschistischen Weltanschauung gewechselt . Ganz offensichtlich kam es ihnen nun vor allem darauf an, nicht mehr länger als antikommunistisch zu gelten. Der Antistalinismus verlor zunehmend an Bedeutung.

Bezeichnend war auch, dass nunmehr von einem allgemeinen System des Faschismus und nicht mehr von einem historisch wie theoretisch zu spezifizierenden Nationalsozialismus ausgegangen wurde . Der antikapitalistische Ansatz machte sich in seiner Tendenz als Blockierung einer eigenständigen Thematisierung der Judenvernichtung bemerkbar. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis auf dem Umweg über die öffentliche Resonanz einer gleichnamigen Fernsehserie der Holocaust ins Zentrum der analytischen Bemühungen rückte. Insofern konnte es nicht weiter verwundern, dass mit Hannah Arendt eine der Klassikerinnen der Totalitarismustheorie erst danach ins Blickfeld des Interesses rückte. Ende der sechziger Jahre hatte die Nicht-Marxistin hingegen als antiquiert gegolten. Eine Auseinandersetzung mit ihren Schriften galt seinerzeit als überholt.

I. Die radikaldemokratische Kritik in der Inkubationszeit (1961-1967)

Schon lange vor dem Ende der Adenauer-Ära hatte die SPD mit ihrem Godesberger Programm von 1959 eine Kurskorrektur vorgenommen. Aus einer Arbeiter- war eine Volkspartei geworden. Zwar hatte man die marxistische Weltanschauung nicht vollends aufgegeben, ihr jedoch die antikapitalistische Spitze nehmen wollen. Eine der Folgen bestand in dem nach jahrelangen Konflikten 1961 herbeigeführten Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem SDS . Der Studentenbund, der anderthalb Jahrzehnte lang Rekrutierungsfeld für sozialdemokratische Spitzenfunktionäre war, wurde in eine Unabhängigkeit ohne materiellen Rückhalt und mit einem ungewissen politischen Ausgang entlassen. Für den SDS war die Trennung von der Mutterpartei SPD jedoch zugleich die Chance zu einer programmatischen Neuorientierung. Der Hochschulbund konnte unbefangener als zuvor jene Anregungen aufgreifen, die von neomarxistischen Theoretikern in den USA und in Großbritannien unter dem Anspruch einer "new left" diskutiert wurden . Das von C. Wright Mills, Perry Anderson, E.P. Thompson u. a. entwickelte Konzept verstand sich als Reaktualisierung des Sozialismus in einer doppelten Frontstellung: Eine Neue Linke sollte weder den Weg des Sowjetkommunismus, der seine Ideale 1956 mit der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes ein weiteres Mal verraten zu haben schien, einschlagen noch den der Sozialdemokratie, die sich von einer Interessenvertretung der Arbeiterschaft und dem Modell des Klassenkampfes offenbar endgültig verabschiedet hatte.

1. Kritik der Ordinarienuniversität

Es war nahe liegend, dass eine Bewegung, die in ihrem Kern eine studentische war, ihren Ursprung in der Auseinandersetzung mit den Ausbildungsdefiziten der Massenuniversität hatte. Insbesondere die Schwierigkeit, im Rahmen der althergebrachten Ordinarienuniversität Schritte zu einer längst überfälligen Studienreform durchzusetzen, schärfte unter den Studierenden das Bewusstsein vom Zusammenhang zwischen Hochschulreform und Demokratisierung.

Die 1962 erschienene Auswertung einer bereits fünf Jahre zuvor durchgeführten empirischen Untersuchung zum politischen Bewusstsein Frankfurter Studenten wartete zwar mit einem beunruhigenden Ergebnis auf, gab jedoch die Richtung im Hinblick auf eine weitere Demokratisierung an. In ihrer unter dem Titel "Student und Politik" publizierten Studie gelangten die Soziologen Jürgen Habermas, Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler und Friedrich Weltz zu dem Schluss, dass 66 Prozent der Befragten apolitisch, 16 Prozent autoritätsgebunden und nur neun Prozent einem "definitiv demokratischen Potenzial" zuzurechnen seien. In der programmatischen, von Habermas verfassten Einleitung "Über den Begriff der politischen Beteiligung" wurde die widerspruchsvolle Entwicklung zur modernen Massendemokratie analysiert: "Mit dem Zurücktreten des offenen Klassenantagonismus hat der Widerspruch seine Gestalt verändert: Er erscheint jetzt als Entpolitisierung der Massen bei fortschreitender Politisierung der Gesellschaft selbst. In dem Maße, in dem die Trennung von Staat und Gesellschaft schwindet und gesellschaftliche Macht unmittelbar politische wird, wächst objektiv das alte Missverhältnis zwischen der rechtlich verbürgten Gleichheit und der tatsächlichen Ungleichheit in der Verteilung der Chancen, politisch mitzubestimmen." Politische Beteiligung werde nur dort ihrem Anspruch gerecht, wo gesellschaftliche Macht so in rationale Autorität verwandelt werde, dass ökonomische Ungleichheit nicht länger mehr ungleiche politische Chancen nach sich ziehe. Eine aktuelle Chance zur politischen Beteiligung scheine nur noch in "außerparlamentarischen Aktionen" gegeben zu sein.

Bereits im Jahr zuvor hatte der SDS eine Denkschrift mit dem programmatischen Titel "Hochschule in der Demokratie" herausgegeben. Darin wurde der Versuch unternommen, die Universität ihrer bildungsbürgerlichen Ideologie zu entkleiden und gesellschaftlich neu zu definieren. Ziel war es, Forderungen für eine Reformierung des Studiums zu entwickeln. Dabei wurde die Humboldt'sche Reformidee als Leitbild zwar kritisiert, weil sie im Laufe der industriellen Revolution ihre Wirkungskraft mehr und mehr eingebüßt habe, jedoch zugleich an wesentliche Prinzipien des preußischen Reformers, wie die Einheit von Forschung und Lehre, die Freiheit des akademischen Studiums und die Autonomie der Universität, angeknüpft. Der ideologische Schein der Universitätsautonomie müsse einerseits aufgelöst werden, um die gesellschaftliche Funktion des Wissens in den Blick zu bekommen, andererseits aber müsse die Autonomie neu begründet werden, um Freiheit von gesellschaftlicher Instrumentalisierung zu gewinnen. Die Hochschulentwicklung wurde nun unter Produktivitätsgesichtspunkten interpretiert und - im Sinne einer Entlohnung für die im Studium geleistete Arbeit - die Forderung nach Einführung eines "Studienhonorars" erhoben.

Als 1964 nach einer Artikelserie des evangelischen Theologen Georg Picht das Schlagwort vom Bildungsnotstand die Runde machte , besaß der SDS einen bemerkenswerten Reflexionsvorsprung . Im Jahr darauf wandte sich der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK), Rudolf Sieverts, in einem Rundschreiben an die Rektoren aller bundesdeutscher Universitäten und forderte sie auf, sich an einer "Aktion 1. Juli" zu beteiligen und die Studenten in ihren Bemühungen für eine bessere Bildungspolitik zu unterstützen. Und in der Tat, aus Sorge um den wachsenden Bildungsnotstand in der Bundesrepublik zogen am 1. Juli 1965 Tausende von Studenten demonstrierend durch die Städte. Ihr Motto lautete "Bildung sichert die Zukunft". Sprecher erklärten, dass Bildung nicht das Privileg einer auserlesenen Schicht bleiben dürfe, sondern zum integrierenden Faktor der Gesellschaft werden müsse. Insbesondere das soziale Ungleichgewicht in der Zusammensetzung der Studierenden wurde hervorgehoben. Nur fünf Prozent von ihnen, hieß es, kämen aus Arbeiterfamilien. Dies sei nicht etwa Ausdruck mangelnder Intelligenz, sondern Indiz für die Unfähigkeit des Bildungswesens, Begabte ausreichend zu fördern. Damit war ein Zeichen gesetzt, dem sich auch Parteien und Parlamente nicht mehr entziehen konnten.

2. Kritik der Öffentlichkeit

Eine funktionierende Öffentlichkeit wurde nicht nur von der linken Intelligenz als Instanz demokratischer Kontrolle gegenüber der politischen Herrschaft aufgefasst. Politische Eingriffe in die Pressefreiheit, so die Überzeugung, rührten zugleich auch an den Nerv der Demokratie. Als exemplarischer Fall für einen solchen Vorstoß galt die "Spiegel"-Affäre. Es war daher kein Zufall, dass gerade der politische Konflikt um das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Herbst 1962 eine kleinere Welle studentischer Proteste auslöste, die als Auftakt zur späteren Studentenrevolte gesehen werden kann. Die Verhaftung des Verlegers Rudolf Augstein und des stellvertretenden Chefredakteurs Conrad Ahlers wegen des dringenden Verdachts, mit der Veröffentlichung des Artikels "Bedingt abwehrbereit", der sich mit den Ergebnissen des NATO-Herbstmanövers "Fallex 62" befasste, Militärgeheimnisse verraten und deshalb Landesverrat begangen zu haben, löste eine monatelange Affäre aus, die schließlich zum Rücktritt von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß führte, der als der politisch Verantwortliche der Strafverfolgungsaktion angesehen wurde.

Nur wenige Monate zuvor war unter dem Titel "Strukturwandel der Öffentlichkeit" die Habilitationsschrift von Jürgen Habermas erschienen, eine Analyse, die in mancher Hinsicht wie ein Interpretationsrahmen des Konflikts begriffen werden konnte . Darin wurde die Entwicklung des für den bürgerlichen Verfassungsstaat zentralen Begriffs der Öffentlichkeit zu einer Instanz demokratischer Kontrolle gegenüber der politischen Herrschaft in seinen einzelnen Stationen nachgezeichnet. Da das Öffentlichkeitsprinzip, das historisch bis in die Parlamente und in die Gerichte vorgedrungen sei, nicht auch auf die Verwaltung ausgedehnt werden könne, argumentierte Habermas, bliebe eine für das staatliche Handeln entscheidende Sphäre der Kritik entzogen. Die Exekutive könne unter dem Vorwand eines für sie reservierten Sachverstandes ihre Entscheidungen abschotten und gegen die politisch artikulierten Interessen der Bevölkerung durchsetzen. Aus dieser Strukturschwäche heraus entstünden die entscheidenden Defizite der Öffentlichkeit in der modernen Gesellschaft. Sie könnten auch durch Presseorgane nicht mehr kompensiert werden.

Was Habermas herausgearbeitet hatte, das wurde von keiner anderen Hochschulgruppe so ernst genommen wie dem SDS. Für die politisierten Studenten rückte eine Forderung ins Zentrum ihrer Aktivitäten - die nach Öffentlichkeit und Diskussion. Es existierte die Vorstellung einer ursprünglichen Einheit von Demokratie und Öffentlichkeit. Ohne eine funktionierende Öffentlichkeit, so die Überzeugung, könne auch keine funktionsfähige Demokratie zu erwarten sein. Deshalb war die studentische Bewegung zunächst von nichts anderem so sehr geprägt wie dem Versuch, Öffentlichkeitsformen zu erringen, durchzusetzen und dauerhaft zu etablieren . Bevor irgendein politisches Ziel geäußert werden konnte, ging es zunächst einmal darum, sich des öffentlichen Raums zu versichern. Die Demonstration wurde so zur maßgeblichen Form der politischen Willensartikulation. Von ihrem jeweiligen Verlauf war abhängig, welche Resonanz die jeweiligen Forderungen in den Medien und der Öffentlichkeit gewannen. Auch die aus den USA übernommene Form des Teach-ins war integraler Bestandteil einer solchen Öffentlichkeitsstrategie . Oft diente sie dazu, vor Beginn einer Demonstration oder Kampagne die Interessierten über Hintergründe zu informieren und zugleich die Möglichkeit anzubieten, sich kontrovers darüber auszutauschen. Dieser aufklärerische Grundimpuls, Zusammenhänge sichtbar zu machen, Transparenz herzustellen und dabei mitunter Dinge ans Tageslicht zu zerren, die unerwünscht waren, spielte auch in einem anderen Zusammenhang eine maßgebliche Rolle.

3. Kritik der unaufgearbeiteten NS-Vergangenheit

Nicht weniger als anderthalb Jahrzehnte mussten vergehen, bis in Westdeutschland eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit begann . Erst in den Reaktionen auf die antisemitische Welle um die Jahreswende 1959/60 machte sich eine gewisse Veränderung bemerkbar. Insbesondere seitdem das Westberliner SDS-Mitglied Reinhard Strecker zur selben Zeit begann, in verschiedenen Städten die Ausstellung "Ungesühnte Nazijustiz" zu zeigen , um gegen die Verjährung von NS-Verbrechen zu protestieren, gehörte die Forderung nach einer gezielten Strafverfolgung von NS-Tätern zu den Selbstverständlichkeiten im SDS . Der Versuch, die Vergangenheit der eigenen Professoren zu erforschen, führte zu Beginn der sechziger Jahre an einer Reihe von Universitäten zu Konflikten. Eine ignorant-abwehrende Haltung wie die des Hamburger Psychologen Peter R. Hofstätter, der 1963 die Überzeugung geäußert hatte, dass die von den Deutschen geforderte "Vergangenheitsbewältigung" prinzipiell unlösbar sei , führte zu Monate andauernden Konflikten . Häufig waren Artikel in Studentenzeitungen wie den Tübinger "Notizen", in denen "braune Flecken" in der akademischen Karriere von Hochschullehrern nachgewiesen wurden, der Anlass für restriktive Maßnahmen .

Eine der Antworten bestand darin, dass liberale und konservative Ordinarien damit begannen, in Vorlesungen das Verhältnis bestimmter Fakultäten zum Nationalsozialismus herauszuarbeiten. So wurde z. B. an der Universität Tübingen im Wintersemester 1964/65 auf den Druck von Studenten eine Ringvorlesung aller Fakultäten durchgeführt . Für den Herausgeber der Zeitschrift "Das Argument", Wolfgang Fritz Haug, boten diese und andere Vorlesungen einen willkommenen Anlass, um bereits an den Sprachgewohnheiten eines Teils der Professorenschaft die Unfähigkeit zu einer angemessenen Auseinandersetzung nachzuweisen .

In welcher Weise die NS-Verbrechen zum Thema werden konnten, zeigte sich auch daran, dass in der ersten Ausgabe des von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen "Kursbuchs", das sich wie keine zweite Zeitschrift zu einem Sprachrohr der Neuen Linken entwickelte, ein Dossier über den Auschwitz-Prozess erschien. Insbesondere Martin Walsers Überlegungen "Unser Auschwitz" besaßen programmatischen Charakter . Im Gegensatz zu jener Generation, die als Wehrmachtsoldaten an den Verbrechen beteiligt war, schien die der Flakhelfer die Herausforderung allmählich anzunehmen. Sie machte den Weg für eine intensivere Beschäftigung mit diesem Thema frei. Nun konnte auch eine sozialpsychologisch fundierte Auseinandersetzung mit der emotionalen Apathie der Deutschen gegenüber den NS-Verbrechen, ihren Blockierungen und der Funktionsweise ihrer Abwehrmechanismen einsetzen.

Die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich untersuchten in ihrem Werk "Die Unfähigkeit zu trauern" jene kollektiven Prozesse, die zur Schuldverweigerung und zu einer demonstrativen Abkehr von der Vergangenheit geführt hatten . Sie stießen damit insbesondere bei den politisierten Studenten auf ein starkes Interesse.

Eine nicht unbedeutende Rolle für die sich in der studentischen Linken mehr und mehr herausschälende antifaschistische Haltung spielte die Tatsache, dass der Verdacht gegenüber führenden westdeutschen Politikern von der SED mit der Präsentation neuer Dokumente ständig genährt wurde, um auf diesem Weg die Bundesrepublik diskreditieren zu können . Exemplarisch für diese Skandalisierung aus propagandistischen Gründen war das "Braunbuch" , dessen Erscheinen auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1967 die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief und eine öffentliche Kontroverse auslöste.

II. Die Fundamentalkritik der APO (1967-1969)

Mit der im November 1966 gebildeten Großen Koalition änderte sich die politische Situation in der Bundesrepublik maßgeblich. Durch die Einbindung der SPD in die Bundesregierung wurde die Rolle der innerparlamentarischen Opposition zwar nicht vakant, schließlich war mit der FDP noch eine weitere Partei im Bundestag vertreten, jedoch maßgeblich geschwächt. In dieses Vakuum konnte bald eine durch den SDS radikalisierte Studentenbewegung vorstoßen und schließlich den Part einer neuen, nun außerhalb des Parlaments agierenden Opposition übernehmen. Ein kritisches Potenzial existierte zu diesem Zeitpunkt lediglich an der Freien Universität in West-Berlin, die sich bereits seit zwei Jahren in einer politischen Krise befand. Der 2. Juni 1967 war schließlich der Moment, in dem der Funke zündete und übersprang. Die Schüsse, mit denen der Germanistikstudent Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien tödlich getroffen wurde, wirkten wie ein Fanal. Das Gespenst des Polizeistaats schien plötzlich im Raum zu stehen. Mit einem Schlag griff die Campus-Revolte von West-Berlin auf Westdeutschland über und breitete sich an nahezu allen Hochschulen aus. Nun ging es jedoch nicht mehr nur um Fragen der Hochschulreform, sondern darüber hinaus um das Ungenügen der parlamentarischen Demokratie insgesamt.

1. Parlamentarismuskritik

Die Funktionsfähigkeit des Parlaments war in der ersten Hälfte der sechziger Jahre mehr und mehr in Zweifel gezogen worden . Idealtypisch als der Ort gedacht, an dem die demokratische Willensbildung im Widerstreit der Meinungen ihren Abschluss finde, konnte dieses Bild schon allein wegen des offenkundigen Mangels an Beteiligung nicht mehr ungebrochen aufrechterhalten werden. Die Rede war von einem "Prozess der Entmachtung und Entleerung des Bundestags" (Wilhelm Hennis), von einer zunehmenden Entkoppelung von Legislative und Exekutive. Die politischen Entscheidungen fielen außerhalb der Volksvertretung - im Kabinett, den Ministerien, speziellen Ausschüssen oder anderen staatlichen Organen. Das Parlament reduziere sich, so einer der Vorwürfe, auf ein Akklamationsinstrument der Regierung, es verwandle sich zum rhetorischen Beiwerk einer kaum noch zu kontrollierenden Machtpolitik.

Die im SDS formulierte Parlamentarismuskritik nahm eine Vielzahl der von der Politikwissenschaft analysierten Motive auf, begriff sie aber als Symptome eines tiefer liegenden Sachverhalts. Die Prämisse lautete: Kapitalismus und Demokratie, die ihren Namen wirklich verdiene, würden sich gegenseitig ausschließen. Auf der Basis kapitalistischer Produktionsbedingungen könne, weil das Privateigentum an den Produktionsmitteln als entscheidender Machtfaktor auch die politische Sphäre bestimme, sich immer nur ein Staat durchsetzen, der auch die Interessen des Kapitals verfolge.

Der Berliner Politologe Johannes Agnoli hatte 1967 eine Kritik des bürgerlichen Verfassungsstaates vorgelegt, die wesentliche Elemente einer marxistischen Parlamentarismuskritik enthielt . Nach seiner Ansicht vollzog sich im modernen parlamentarischen System ein tief greifender Strukturwandel. Die demokratischen Parteien, Verfassung und Staat entwickelten sich in autoritär orientierte vor- oder antiparlamentarische Formen zurück. Agnoli bezeichnete diesen Prozess im Gegensatz zur Evolution als "Involution". Mit diesem Terminus charakterisierte er die "Transformation der Demokratie", die auf eine Modernisierung der Herrschaftsformen aus sei, als eine Kette historischer Rückschritte. Besonderes Merkmal der allenthalben zu beobachtenden Involutionstendenzen sei nun aber, dass sie die Verfassungsnormen und -formen, anstatt sich gegen sie zu richten, umzufunktionalisieren versuchten. Dadurch stelle sich ein paradox erscheinender, dem zugrunde liegenden Antagonismus aber durchaus adäquater Zustand ein: Das Instrumentarium des Verfassungsstaates würde unter Beibehaltung seiner Normen verfeinert. Damit werde jedoch nicht das demokratische Verfahren gestärkt, sondern die Machtapparatur im Dienste bestimmter Interessen perfektioniert.

Das politische System nehme in immer stärkerem Maße die Form eines korporatistischen Blocks an. Organisationen, die einstmals bestimmte Interessen vertraten, die mit anderen nahezu zwangsläufig in Konflikt geraten mussten, verwandelten sich insgeheim in staatspolitische Vereinigungen. Nicht mehr die offene Austragung gegensätzlicher Interessen sei angesagt, sondern das möglichst reibungslose Einfinden in staatliche Regelungsprozeduren. Der Antagonismus der Klassengesellschaft, der sozioökonomisch unvermindert anhalte, reduziere sich auf die Pluralität von Parteien, die aber wie nach dem Muster einer Einheitspartei funktionierten. Aus Klassen- seien Volksparteien geworden, deren Konkurrenzgebaren immer mehr zum Schein werde. Und das Parlament, die eigentliche Krone der westlichen Demokratien, spiele die Rolle eines "Transmissionsriemens der Entscheidungen politischer Oligarchien". Damit löse sich die ursprünglich am Marktmodell orientierte parlamentarische Demokratie nicht einfach auf, sondern transformiere sich ohne Bruch ihres formal rechtsstaatlichen Selbstverständnisses in Organe eines autoritären Staates.

Agnolis Parlamentarismuskritik entsprach in mehrfacher Hinsicht der radikaldemokratischen Kritik an der Großen Koalition, zugleich aber besaß sie auch eine suggestive Qualität. Ohne es direkt auszusprechen, legte sie nahe, dass gegen die drohende Gefahr eines neuen Faschismus nur der Klassenkampf eine wirksame Gegenwehr darstelle. Wenngleich er in seinem Buch eher behutsam von "Fundamentalopposition" sprach, so hielt er in kurze Zeit später veröffentlichten Thesen den Umschlag von einer außerparlamentarischen Opposition "in einen offenen antiparlamentarischen Kampf" unter bestimmten Voraussetzungen für denk- und wünschbar. Die Diagnose eines rapiden Schwunds an innerparlamentarischer Demokratie konnte insofern nicht nur als Ausgangsbedingung für die Entstehung einer außerparlamentarischen Opposition begriffen werden, sondern auch als Auftakt zum Klassenkampf, in dem das Ziel verfolgt werden sollte, ein Gegenmodell zum Parlamentarismus zu etablieren. Die damals nicht nur vom SDS propagierte Alternative lautete: Rätedemokratie .

Eine rätedemokratische Herrschaft, so die Überzeugung, sei nur denkbar auf der Basis vergesellschafteter Produktionsmittel, also als politi-sche Form sozialistischer Produktionsverhältnisse. Wenn es nicht gelänge, die errungene politische Macht auch in eine Änderung der Eigentumsverhältnisse umzusetzen, dann bleibe die Niederlage im Klassenkampf unausweichlich. Die von der Studentenbewegung mit dem Rätemodell favorisierten Leitvorstellungen lauteten zunächst: Alle für das politische Handeln relevanten Entscheidungen in Basisgruppen zu fällen, über Entscheidungsalternativen gemeinsam und öffentlich zu beraten, die Gefahr einer Verselbständigung von Herrschaftsrollen durch dauernde Kontrolle und Ämterrotation auf ein Minimum zu beschränken und ein imperatives Mandat zu gewährleisten. Auch wenn es nicht zur expliziten Inanspruchnahme des Rätemodells durch Studenten-, Schüler- oder Lehrlingsgruppen gekommen ist, so markierte dieser Kanon von Leitvorstellungen doch den Vorstoß einer radikaldemokratischen Bewegung auf ein als ebenso legitimationsschwach wie öffentlichkeitsarm wahrgenommenes parlamentarisches System.

2. Der autoritäre Staat und der autoritäre Charakter

Die Mobilisierungserfolge der außerparlamentarischen Bewegung im Sommer 1967 stellten den SDS zwar vor eine Reihe neuer Probleme, trugen jedoch nicht unerheblich dazu bei, dass sich auf der nächsten Delegiertenkonferenz des Studentenbunds im September der undogmatische Flü-gel durchzusetzen vermochte. Nachdem Rudi Dutschke in einem gemeinsam mit Hans-Jürgen Krahl verfassten Referat zur "Organisation des SDS" die Richtung vorgegeben hatte , gewannen mit den Brüdern Karl Dietrich und Frank Wolff zwei Repräsentanten der Antiautoritären die Wahlen zum Bundesvorstand.

Eine Theorie der antiautoritären Bewegung im eigentlichen Sinne hat nie existiert. Es gab jedoch zwei grundlegende Ausgangstheoreme, die einen Rahmen vorgaben. Die Begründung der antiautoritären Zielsetzungen bezog sich ganz wesentlich auf die Kritische Theorie, insbesondere auf Elemente der von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse entwickelten Gesellschaftsphilosophie . Aus dem Forschungszusammenhang des 1924 in Frankfurt gegründeten und 1933 von den Nazis geschlossenen Instituts für Sozialforschung waren während des amerikanischen Exils von einem Teil seiner Mitarbeiter die beiden Grundpfeiler der Theorie einer autoritär verfassten Gesellschaft entwickelt worden: das Theorem vom autoritären Staat, das Horkheimer 1940 unter dem Eindruck des Hitler-Stalin-Paktes und der Nachricht vom Selbstmord Walter Benjamins formuliert hatte , und die sozialpsychologische Theorie von der autoritären Persönlichkeit, die 1949 im Zusammenhang einer groß angelegten Studie über die Vorurteilsbildung von Adorno u. a. vorgelegt worden war . Diese beiden Elemente, das des integralen Etatismus und das der faschistoid disponierten Persönlichkeit, stellten zwei Grundannahmen zur Analyse der deutschen Nachkriegsgesellschaft dar, mit denen die Antiautoritären im SDS einen subversiven politischen Ansatz zu begründen versuchten - einem Ansatz, bei dem es um die Veränderung der Persönlichkeitsstruktur im Hinblick auf eine sozialistische Demokratie ging.

Beim Theorem des integralen Etatismus, das in ökonomischer Hinsicht maßgeblich auf Überlegungen des Horkheimer-Freundes Friedrich Pollock zurückzuführen ist, geht es um eine Theorie des Monopolkapitalismus, in der der Staat zum Gesamtkapitalisten wird. Bei Beibehaltung der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel wird der Konkurrenzmechanismus ausgeschaltet, direkt in die Steuerung des Produktionsprozesses eingegriffen und die Verteilung des Mehrwerts dirigistisch geregelt. Die Massenloyalität wird durch Manipulation der Informationsmedien, letztlich der öffentlichen Meinung, hergestellt. Manipulation tritt, soweit es irgend geht, an die Stelle offener Repression.

Die Theorie der autoritären Persönlichkeit basierte auf einer empirischen Untersuchung, die 1945/46 vor allem unter Angehörigen der amerikanischen Mittelschichten durchgeführt worden war, mit der die Anfälligkeit von Personen für antisemitische Vorurteile und Feindbilder herausgefunden werden sollte. Mit verschiedenen Skalen wurden die Raster bestimmter ethnozentrischer Stereotypen herausgefiltert. Im Mittelpunkt stand die so genannte F-Skala, die Faschismus-Skala. Wesentliche Merkmale des autoritativen, zum Faschismus tendierenden Charakters, so lautete eines der Ergebnisse, waren eine starre Bindung an herrschende Werte wie Unauffälligkeit, Sauberkeit, Erfolgsstreben, Ordnungsliebe, Unterwürfigkeit, Verachtung von Außenseitern und die Diskriminierung von Fremden und Schwächeren. Mit anderen Worten - der autoritäre Charakter war in der Strukturtypologie der Psychoanalyse durch ein schwaches Ich, ein externalisiertes Über-Ich und ein vom Ich kaum noch zu kontrollierendes Es geprägt.

Die SDS-Studenten gingen davon aus, dass die Demokratie in der Bundesrepublik durch die Fortexistenz autoritärer Persönlichkeiten im Kleinbürgertum und den Mittelschichten ernsthaft gefährdet sei . In den aggressiven Reaktionen von Passanten auf demonstrierende Studenten glaubte man, eine sinnfällige Bestätigung im eigenen Erfahrungsbereich sehen zu können. Als parteipolitischer Ausdruck dieses Potenzials galten vor allem die Mitglieder und Wähler der NPD, aber auch Teile von CDU und CSU, selbst der SPD.

In seinem im Mai 1967 in deutscher Übersetzung erschienenen Hauptwerk "Der eindimensionale Mensch" vereinigte Herbert Marcuse die objektive und die subjektive Dimension einer autoritären Gesellschaft. Er analysierte die innere Logik in der Fortentwicklung des modernen Kapitalismus, der zu einer Einheit von "Wohlfahrts- und ,Warfare'-Staat" geworden sei. Als wichtigstes Strukturmoment im neuen Herrschaftssystem definierte er die Verschmelzung von technologischer und politischer Rationalität: "Angesichts der totalitären Züge dieser Gesellschaft lässt sich der traditionelle Begriff der ,Neutralität' der Technik nicht mehr aufrechterhalten. Technik als solche kann nicht von dem Gebrauch abgelöst werden, der von ihr gemacht wird." Die eindimensionale Gesellschaft, deren Sprache, Denken und Psychologie Marcuse analysierte, sei durch einen umfassenden Verlust an Transzendenz - nicht im Sinne einer metaphysischen, sondern einer sozialen und historischen Kategorie gedacht - gekennzeichnet. Eindimensionalität wird von ihm als die Herrschaft eines "technologischen Apriori" im Anschein einer zunehmenden Erweiterung der Freiheitsmöglichkeiten verstanden. Sie wirke sich aus als Nivellierung von Möglichkeit und Wirklichkeit, als Ersetzung des lebendigen Sprachvermögens durch funktionale Kommunikation und als Reduktion von Erotik auf Sexualität.

Mit seiner bereits in "Triebstruktur und Gesellschaft" entwickelten Katagorie der "repressiven Entsublimierung" verstand er eine Indienstnahme der Triebökonomie unter dem Schein eines entfesselten Lustprinzips. In der eindimensionalen Gesellschaft setze sich bis in die Sphäre der Intersubjektivität hinein eine paradoxe Logik durch: Mit der Rationalisierung des Irrationalen werde die Rationalität selber irrational. Unter dem Prinzip produktiv-destruktiver Vergesellschaftung lasse sich keine zwingende politische Alternative mehr formulieren. Dennoch glaubte Marcuse in der Bürgerrechtsbewegung und der sozialen Unruhe in den Schwarzen-Ghettos gewisse Anzeichen für eine Durchbrechung der vom System hervorgebrachten und so scheinbar hermetisch funktionierenden Integrationsmechanismen erkennen zu können.

Auf die Randgruppen der hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaft ging er in einem ebenso umstrittenen wie einflussreichen Aufsatz ein, der im Oktober 1966 unter dem Titel "Repressive Toleranz" erschien. Den Stein des Anstoßes stellte eine Passage dar, in der es um die Frage des Widerstandsrechtes ging: ". . . ich glaube, daß es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein ,Naturrecht' auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben . . . Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte. Da man sie schlagen wird, kennen sie das Risiko, und wenn sie gewillt sind, es auf sich zu nehmen, hat kein Dritter, und am allerwenigsten der Erzieher und Intellektuelle, das Recht, ihnen Enthaltung zu predigen." Was Marcuse hier den rebellierenden Schwarzen mit Emphase einzuräumen bereit war, das reklamierte er auch für die Aufständischen, die sich in Lateinamerika, Afrika und Asien gegen Kolonialmacht und Imperialismus erhoben.

3. Die Identifikation mit der Dritten Welt

Noch sehr viel ungeschützter als Marcuse hatte sich Jean-Paul Sartre zur Gewaltfrage in einem Text geäußert, der wie ein Fanal wirkte. Unter dem Eindruck des immer weiter eskalierenden Algerienkrieges, dessen Terroraktionen auch Paris erreichten, einer gefährdeten Entkolonialisierung, bei deren Unterminierung man im Kongo selbst vor der Entführung und Ermordung von Ministerpräsident Patrice Lumumba nicht zurückgeschreckt war, hatte er 1961 ein Vorwort zu einem Buch verfasst, dessen Titel der Anfangszeile der Kommunistischen Internationale entliehen war und das bald als "antikolonialistisches Manifest" bezeichnet wurde: Frantz Fanons "Die Verdammten dieser Erde" . Der aus Martinique stammende Psychiater, der jahrelang eine Klinik in Algerien leitete, beschreibt darin den Kolonialismus als brutalste Form der Ausbeutung. Um dieses Joch abzuschütteln, bedürfe es der offensiven Gewalt. Diese sei jedoch nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ein Medium der Emanzipation. Fanon glaubte, dass Gewaltanwendung die Kolonisierten gar von ihrem Minderwertigkeitskomplex befreie.

Sartre griff nun diese Apotheose der Gewalt auf, sprach, Engels zitierend, von einer "Geburtshelferin der Geschichte" und verspottete im Gegensatz dazu die liberalen Verfechter der Gewaltlosigkeit, die weder Opfer noch Henker sein wollten, als Anhänger einer verlogenen Ideologie. Die antikoloniale Gewalt, die nicht unterdrückt werden könne, sei "nichts weiter als der sich neu schaffende Mensch". Seine Identifikation mit dem Befreiungskampf der Kolonisierten nahm dabei durchaus masochistische Züge an . In der Entwertung bürgerlich-republikanischer Ansprüche sprach er vom "Striptease unseres Humanismus".

Als 1966 die deutsche Übersetzung des Bandes erschien, konzentrierten sich die stärksten Hoffnungen der radikalen Studenten noch auf Lateinamerika. Hier gab es mit Kuba das Beispiel einer scheinbar erfolgreichen Revolution und mit den Operationen von Guerillakämpfern in Bolivien und Venezuela zeitweilig die Aussicht auf ein Übergreifen des revolutionären Prozesses auf den südamerikanischen Kontinent . Mit Elementen der Imperialismustheorien von Luxemburg, Lenin und Bucharin versuchte man im SDS zur selben Zeit den Nachweis zu erbringen, dass die Kapitalakkumulation auch in den Entwicklungsländern zur Proletarisierung führen müsse . Absicht war es, einen ökonomischen Rahmen zu skizzieren, der die Unabhängigkeitsbewegungen in der Dritten und die Oppositionsbewegungen in der Ersten Welt in einem global gedachten Revolutionskonzept miteinander verband.

Im Zuge der Eskalation des Vietnamkrieges hat schließlich der Vietcong die lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen in ihrer Vorbildfunktion mehr und mehr zu ersetzen vermocht. Es waren führende SDS-Mitglieder wie der Westberliner Jürgen Horlemann, die die wichtigsten Analysen des Vietnamkrieges vorlegten . Der Krieg, den die Großmacht USA in Südvietnam angeblich im Namen der Freiheit ausfocht, war mehr als nur eine Tausende von Kilometern entfernte Hintergrundkulisse - er war in den Köpfen der 68er allgegenwärtig. Nach einer Plakataktion, die unter der Losung "Amis raus aus Vietnam!" stand, hatte der SDS bereits im Februar 1966 in West-Berlin eine militante Demonstration gegen die Bombardierung der vietnamesischen Zivilbevölkerung mit Napalm durchgeführt; in ihrem Verlauf war der Straßenverkehr durch einen Sitzstreik lahmgelegt und das Amerikahaus mit Eiern beworfen worden.

Auf dem Höhepunkt der Revolte fand dann im Februar 1968 in West-Berlin der "Internationale Vietnam-Kongress" statt. Vor mehreren tausend Teilnehmern hielt Rudi Dutschke den Hauptredebeitrag - Thema: "Die geschichtlichen Bedingungen für den internationalen Befreiungskampf". Darin ging er von der Prämisse aus, dass jede radikale Opposition global sein müsse. Die "Befreiungsbewegungen der Dritten Welt" hätten eine vorentscheidende Bedeutung für die "Destabilisierung der imperialistischen Machtzentren in den Metropolen". Als wichtigsten Beitrag im eigenen Land forderte er die Organisierung einer "Anti-NATO-Kampagne" , ergänzt durch eine Desertionskampagne in der Bundeswehr. Beide Ziele wurden in der Schlussresolution von den Kongressteilnehmern angenommen und auf der Abschlusskundgebung verlesen.

Die Offensive der Vietcong-Truppen zu Beginn des buddhistischen Neujahrsfestes Tet in Südvietnam, die so genannte Tet-Offensive, war kurz zuvor blutig niedergeschlagen worden. Wie sich später herausstellte, war das der Wendepunkt in dem von den Vereinigten Staaten entfesselten Vietnamkrieg. Der selbstmörderische Vorstoß von Vietcong auf die US-Botschaft in Saigon, die Ablösung des Oberkommandierenden der US-Streitkräfte, General William C. Westmoreland, und die Ankündigung Lyndon B. Johnsons, kein weiteres Mal mehr für das Amt des US-Präsidenten kandidieren zu wollen, zeigten unmissverständlich, dass die Führungsspitze der US-Regierung zwar nicht kapituliert, aber doch resigniert hatte.

Die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt dienten der 68er-Bewegung als "Projektionsbühne" für ihre im eigenen Land mehr oder weniger gegenstandslosen revolutionären Hoffnungen. In der Identifikation mit dem Vietcong wollte man selbst in die Rolle einer Partisanengruppe schlüpfen und in der Heroisierung von Che Guevara, Fidel Castro und Ho Chi Minh sich in die Figuren revolutionärer Führer hineinphantasieren. Indem man sich als Teil internationaler Solidarität verstand, versuchte man zugleich, an einem globalen Mythos teilzuhaben und sich auf diesem Umweg einen revolutionären Nimbus beizumessen.

4. Der Zerfall der 68er-Bewegung

In einem unmittelbaren politischen Sinne ist die antiautoritäre Bewegung fast auf der ganzen Linie gescheitert. Zwar gelang es unter Aufbietung aller Kräfte, 1969 den Einzug der NPD in den Bundestag zu verhindern, die Hauptziele jedoch wurden allesamt verfehlt. Innenpolitisch war bereits die Niederlage in der Anti-Notstands-Bewegung entscheidend. Die viel beschworene Einheit von Arbeiter- und Studentenbewegung, wie sie zum allgemeinen Erstaunen zur gleichen Zeit in Frankreich möglich geworden war, blieb in der Bundesrepublik eine Chimäre. Mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 hatte die APO ihren Zenit überschritten. Die Struktur des Axel-Springer-Verlags blieb unangetastet, die Hochschulreform erwies sich rasch als Enttäuschung, und die hochfliegenden revolutionären Erwartungen blieben auf der ganzen Linie unerfüllt.

Was folgte, war eine innere Radikalisierung, die nicht unerhebliche Teile in die Gewalt trieb. Der Antiautoritarismus, der in so rasanter Weise über alle konkurrierenden politischen Strömungen obsiegt hatte, wurde zu seinem eigenen Opfer. Da es sein insgeheimes Gesetz war, immer in Bewegung zu bleiben, musste diese Logik unter veränderten Außenkoordinaten in die Selbstzerstörung führen. Dynamik, Intensität und Tempo waren zu Charakteristika der 68er-Bewegung geworden. Ihre Binnendynamik setzte sich immer weiter fort und führte zu endlosen Konflikten innerhalb der eigenen Reihen. Die Affinität etwa zur chinesischen Kulturrevolution, die auf einer völligen Verkennung des Maoismus als eines eigenständigen Typus totalitärer Herrschaft basierte, resultierte in hohem Maße aus der Identifikation mit dem Permanenzideal eines revolutionären Prozesses. Das paradoxe Umschlagen einer zunächst äußerst erfolgreichen Ausbreitung der Bewegungsformen und -ziele in eine zunehmende Destruktion wurde von den meisten zwar als quälend erlebt, aber nicht durchschaut.

Im Winter 1968/69 setzte überall ein Prozess der Umorientierung ein, der rasch zur Zersplitterung und einer Fetischisierung von Organisationsformen führte. Innerhalb von nur wenigen Monaten fiel der SDS faktisch auseinander. Die Antiautoritären schienen durch die nachlassende Mobilisierung auf der Straße und die infolge der Bildung einer sozialliberalen Koalition veränderte politische Lage wie paralysiert, das Wort übernahmen radikal orthodoxe Kräfte - Neoleninisten und Maoisten. Während der größte Teil der alten APO von der SPD und der neugegründeten DKP aufgesogen wurde, bildeten sich in kurzer Zeit kommunistische Kadergruppen, die sich in völliger Verkennung ihrer wirklichen Rolle als Vorhut der Arbeiterbewegung begriffen. Die studentischen Speerspitzen der APO ernannten sich selbst zur proletarischen Avantgarde und glaubten sich so zur Führungselite einer nicht zu einer radikalen Systemveränderung neigenden Arbeiterschaft machen zu können. Damit waren die Weichen für ein Jahrzehnt gestellt. Die aktivsten studentischen Gruppen zogen zielstrebig in eine politische Sackgasse, aus der einen Ausweg zu finden kaum noch möglich zu sein schien.

5. Die Marxismus-Renaissance in der Reformära (1969-1973)

Mit der Bildung einer Bundesregierung, die mit dem Sozialdemokraten Willy Brandt an der Spitze eine Reformpolitik einzuleiten versprach, entfielen die meisten Voraussetzungen zur Fortführung einer außerparlamentarischen Bewegung. Einige der von der APO freigesetzten Impulse, insbesondere im Bereich der Bildungspolitik, wurden aufgegriffen, andere hingegen eingedämmt oder ganz abgeschnitten. Die Koalition von SPD und FDP legte einerseits mit dem Amnestiegesetz für Demonstrationsstraftäter ein Integrationsangebot vor, andererseits lieferte sie mit dem Radikalenerlass, durch den Systemgegner vom Staatsdienst fern gehalten werden sollten, ein Zeichen der Abschreckung. Zwar wuchs das Potential links von der SPD quantitativ stark an, es stellte jedoch wegen seiner Diffusität keine einheitliche Kraft mehr dar und büßte dadurch viel vom Charakter einer politischen Herausforderung ein.

Als sich im März 1970 der SDS formell auflöste, waren die Weichenstellungen für die Entwicklung der radikalen Linken der siebziger Jahre bereits weitgehend vollzogen. Aus der 68er-Bewegung waren zu diesem Zeitpunkt vier Grundströmungen entstanden:

- eine reformistische, die ihre stärkste Bastion in der Jugendorganisation der SPD, den Jungsozialisten, besaß;

- eine traditionell kommunistische, die nach der Legalisierung einer kommunistischen Partei in der DKP ihre Heimat zu finden glaubte;

- eine marxistisch-leninistische, die ihr Heil im Proletkult der zwanziger Jahre und in der Gründung vermeintlich revolutionärer Kaderorganisationen suchte und

- eine undogmatisch-neomarxistische, die im "Sozialistischen Büro" (SB) eine Art Netzwerkzentrale fand, deren Bedeutung erst im Laufe der Jahre sichtbar wurde.

Einerseits waren diese Strömungen durch eine hektische Aufbruchstimmung geprägt, andererseits aber saß die deprimierende Erfahrung einer grundlegenden politischen Niederlage immer noch tief. Diese Zwiespältigkeit führte bereits im Ansatz zu einer Verbissenheit in den meisten ihrer politischen Aktivitäten. Mit organisatorischer Entschlossenheit sollte nun das erreicht werden, was in der Form einer lockeren, zum Teil spontanen Protestbewegung nicht hatte vollbracht werden können. Deshalb galt es zuerst einmal, die "Organisationsfrage" zu lösen.

Die Universität, an denen sich "Rote Zellen" auszubreiten begannen, war nicht länger mehr der zentrale Ort, von dem aus die politische Arbeit organisiert wurde. Die Auseinandersetzungen konzentrierten sich zunehmend auf außeruniversitäre Bereiche, auf Stadtteile und insbesondere auf Betriebe. Betriebsarbeit hatte für die entschiedensten der linksradikalen Gruppierungen Priorität. Denn der Adressat war in erster Linie die Arbeiterschaft. Sie galt es vor allem zu gewinnen, weil sie als das einzig Erfolg versprechende revolutionäre Subjekt galt. Es schien alles nur noch eine Frage der Bewusstseinsbildung zu sein, wie sich das "ökonomistische" Arbeiterbewusstsein auf dem schnellsten Wege in ein revolutionäres Klassenbewusstsein würde transformieren lassen können. Die Tatsache, dass es im Herbst 1969 unter Stahlarbeitern zu wilden Streiks gekommen war, wurde als Zeichen für ein neues Selbstbewusstsein gewertet.

Die zeitweilige Dominanz jener Strömungen, die sich auf die Kritische Theorie beriefen, schien nun endgültig vorüber zu sein. Das jedenfalls war der Eindruck, als im Februar 1970 in der Heidelberger Studentenzeitung "Rotes Forum" eine polemische "Abrechnung" erschien . In einem von Joscha Schmierer verfassten Aufsatz wurde die Kritische Theorie als "die geschwätzig gewordene Resignation über den Faschismus" denunziert. Der spätere Sekretär des "Kommunistischen Bundes Westdeutschland" (KBW) propagierte dagegen die Organisationsprinzipien Lenins und fordert eine "richtige Anwendung" der Ideen Mao Tse-tungs und des Marxismus-Leninismus auf die Bedingungen des Klassenkampfes. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten nun Schriften wie Lenins "Was tun?" und Mao Tse-tungs "Über den Widerspruch". Die mechanische Adaption vermeintlich erfolgreicher Denk- und Revolutionsmodelle war überaus symptomatisch.

Die Fixierung auf die Arbeiterbewegung als das einzig denkbare revolutionäre Subjekt führte zur Entstehung zahlreicher ML-Gruppen und zur Bildung verschiedener pseudoproletarischer Parteien. Nachdem genau 50 Jahre nach Gründung der KPD zur Jahreswende 1968/69 in Hamburg eine KPD/ML aus der Taufe gehoben worden war, entstand 1971 in West-Berlin eine weitere, mit ihr konkurrierende KPD, im selben Jahr in Norddeutschland ein "Kommunistischer Bund" (KB) und 1973 in Bremen der KBW. Auch die im Mai 1970 erfolgte Gründung der terroristischen "Rote Armee Fraktion" (RAF), deren Mitglieder sich als "Leninisten mit Knarre" verstanden, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die bewaffnete Kaderorganisation, die wie keine andere das innenpolitische Klima in der Bundesrepublik vergiftete, gab vor, Teil eines größeren Ganzen, einer Art proletarischen Kampfzusammenhanges, zu sein.

Es dauerte eine gewisse Zeit, bis sich als Gegenreaktion auf die das Bild der Öffentlichkeit zeitweilig dominierenden K-Gruppen spontaneistische und andere undogmatische Strömungen herausbildeten, die ihr Zentrum in Frankfurt hatten und sich in der Tradition der Antiautoritären begriffen. Da es ihnen darauf ankam, ein eigenes Milieu auszubilden, in dem sie mit alternativen Lebensformen experimentieren konnten, konzentrierten sie sich auf Hausbesetzungen, Mietstreiks und andere Formen der Stadtteilarbeit.

Die Reaktivierung des Marxismus als einer lange Zeit unterdrückten und diskreditierten theoretischen Tradition war eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die es für die vielfältig aufgespaltenen Überreste der 68er-Bewegung gab. In der systematischen Rezeption der Marx'schen Kritik der politischen Ökonomie, die den Status einer Basiswissenschaft einnahm, versprachen sich fast alle Gruppierungen die Schaffung einer theoretischen Grundlage für die Klärung politischer Aufgaben und Problemstellungen . Fast überall entstanden Schulungsgruppen, die sich an einer Lektüre des Marx'schen "Kapitals" abarbeiteten . In der Warenanalyse glaubte man einen Schlüssel zur Behandlung tagespolitischer Fragen ebenso wie langfristig strategischer Zielsetzungen finden zu können. Das Verhältnis von Ware und Geld, die Analyse des Fetischcharakters der Ware, die Mehrwertproduktion und die Akkumulation des Kapitals schienen von vorrangiger Bedeutung zu sein. Es entstand ein theoretischer Schematismus, der in den USA bald als "German Ableitungs-marxism" verspottet wurde.

Und während sich die unterschiedlichsten linken Gruppierungen theoretisch wie praktisch um die Vorherrschaft stritten, kristallisierte sich über einzelne Kampagnen eine Kraft heraus, mit der kaum jemand gerechnet hatte - die neue Frauenbewegung. Die öffentliche Selbstbezichtigung einer Reihe prominenter Frauen, Abtreibungen vorgenommen zu haben, erwies sich als ein erster Kristallisationskern . Nachdem sich Gruppierungen wie der aus internen Auseinandersetzungen mit der Vorherrschaft der Männer im SDS entstandene "Aktionsrat zur Befreiung der Frau" und der "Weiberrat" noch mit sozialistischen Klassikerinnen wie Clara Zetkin zur so genannten Frauenfrage abgemüht hatten, erschienen bald in rascher Abfolge auch theoretisch anspruchsvollere Werke zeitgenössischer Autorinnen . Themen wie Rechtsgleichheit, sexuelle Ausbeutung und Lohn für Hausarbeit gewannen zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit. Im Schatten einer ebenso zersplitterten wie zerstrittenen Linken war die Frauenbewegung als eigenständige Kraft entstanden.

6. Die ökologische Fundamentalkritik in der Transformationszeit (1973-1977)

Als an einem jüdischen Feiertag im Oktober 1973 Ägypten und Syrien gemeinsam Israel überfielen und an den Rand einer militärischen Niederlage drängten, wurde mit dem Jom-Kippur-Krieg ein Ölpreisschock und durch diesen wiederum eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst. Die Konjunktur brach in der Bundesrepublik in sich zusammen, eine Rezession breitete sich aus und führte zu einem gravierenden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Bundeskanzler Willy Brandt, mit dessen Person nach der Abwehr des Misstrauensvotums im April 1972 Hoffnungen auf eine Fortsetzung der Reformpolitik verknüpft wurden, trat im Mai 1974 zurück und wurde von dem pragmatisch orientierten Helmut Schmidt abgelöst. Die Reformära war damit zu Ende. Begonnen hatte auch die Zeit der strukturellen Arbeitslosigkeit. Sie war auf die Entscheidung der OPEC-Staaten zurückzuführen, den Preis des Rohöls nach oben zu schrauben.

Unter diesen Voraussetzungen setzte bald ein grundlegender Wandel im Verständnis von Produktivität und gesellschaftlichem Fortschritt ein, den einer der führenden linken Intellektuellen bereits wegen des vernachlässigten Themas Umweltschutz prognostiziert hatte. Im Oktober 1973 war im "Kursbuch" ein Titelaufsatz erschienen, in dem Hans Magnus Enzensberger eine "Kritik der politischen Ökologie" formuliert hatte. "Wenn die ökologische Hypothese zutrifft," hatte er seine Prognose zusammengefaßt, "dann haben die kapitalistischen Gesellschaften diese Chance, das Marx'sche Projekt der Versöhnung von Mensch und Natur, wahrscheinlich definitiv verwirkt. Die Produktivkräfte, welche die bürgerliche Gesellschaft freigesetzt hat, sind von den gleichzeitig entfesselten Destruktivkräften eingeholt und überholt worden . . . Was einst Befreiung versprach, der Sozialismus, ist zu einer Frage des Überlebens geworden. Das Reich der Freiheit aber ist, wenn die Gleichungen der Ökologie aufgehen, ferner gerückt denn je." Zur selben Zeit erschien nicht nur ein erstes auflagenstarkes Werk zum Konfliktthema Atomenergie , es begann auch die Hochzeit der Anti-AKW-Bewegung: Auf Proteste in Wyhl folgten weitere in Brokdorf und Gorleben, das bis heute in den Schlagzeilen geblieben ist .

Die jahrelang betriebene Kritik der politischen Ökonomie wurde von einer sich an Radikalität überbietenden und zur insgeheimen Apokalyptik neigenden Ökologie- und Technikkritik abgelöst. Der Marxismus geriet nicht nur deshalb in eine Krise, weil er mit seiner Orientierung an Arbeiterbewegung, Klassenkampf und Revolutionstheorie politisch in die Irre geführt hatte, sondern auch, weil er auf einem industriellen Produktivismus basierte, der sich als zunehmend problematisch, in der bedenkenlosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen gar als gefährlich erwies.

Aus der Anti-AKW-Bewegung entstand ein Spektrum grün-bunt-alternativer Gruppierungen und daraus wiederum jene Kräfte, die mit der Parteigründung der Grünen seit 1980 Schritt für Schritt eine Reintegration der Nach-68er in das parlamentarische System vollzogen haben. Im Zuge dieser Transformation hat sich zugleich ein nichtexplizierter Paradigmenwechsel in den geschichtsphilosophischen Prämissen des Projekts, die Gesellschaft verändern zu wollen, abgespielt. Die Vorstellung, mit dem Arbeitsprozess die Natur beherrschen zu können, steht seitdem ebenso zur Revision wie das Vertrauen, politisches Handeln basiere auf einem der Geschichte inhärenten Fortschrittsprinzip.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Da eine detaillierte Auflistung der bislang vorliegenden Literatur zu umfangreich wäre, vgl. die Dartstellung der wichtigsten Forschungstrends in: Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.), 1968. Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998. Außerdem die kommentierten Literaurberichte: Franz-Werner Kersting, Entzauberter Mythos? Ausgangsbedingungen und Tendenzen einer gesellschaftsgeschichtlichen Standortbestimmung der westdeutschen ,68er'-Bewegung, in: Karl Teppe (Hrsg.), Westfälische Forschungen - Zeitschrift des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, 48/1998, S. 1-19; Wolfgang Kraushaar, Der Zeitzeuge als Feind des Historikers? Ein Literaturüberblick zur 68er-Bewegung, in: ders., 1978 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000, S. 253-347.

  2. Die bislang vorgelegten Darstellungen behandeln diese Phase eher kursorisch: Willy Albrecht, Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Vom parteikonformen Studentenverband zum Repräsentanten der Neuen Linken, Bonn 1994; Jürgen Briem, Der SDS. Die Geschichte des bedeutendsten Studentenverbandes der BRD seit 1945, Frankfurt/Main 1976. Einen vorläufigen Überblick bietet: Tilmann Fichter/Siegward Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1946 bis zur Selbstauflösung, Hamburg 1998².

  3. Einen Überblick über oppositionellen Gruppierungen liefert: Rolf Seeliger, Die außerparlamentarische Opposition, München 1968; Ernst Richert, die radikale Linke von 1945 bis zur Gegenwart, Berlin 1969, S. 104-129.

  4. Zwar gab es bereits 1966 im SDS einen Versuch, ein für alle Mitglieder verbindliches theoretisches Schulungsprogramm zu entwickeln, dieser scheiterte jedoch bereits im Ansatz. Als Reaktion auf einen vom traditionalistischen Flügel vorgelegten Entwurf präsentierte der führende Kopf des antiautoritären Flügels eine am undogmatischen Marxismusverständnis von Karl Korsch orientierte Literaturübersicht, vgl. Rudi Dutschke, Ausgewählte und kommentierte Bibliographie des revolutionären Sozialismus von Karl Marx bis in die Gegenwart. SDS-Korrespondenz, Sondernummer 1966.

  5. Vgl. Jörg Bopp, Geliebt und doch gehasst. Über den Umgang der Studentenbewegung mit Theorie, in: Kursbuch, 20 (1984) 78, S. 121-142.

  6. "Die Protestbewegung . . . verfolgte auch eine Utopie der Theorie, des Konzeptualisierens. Positiv in der Überzeugung, die zentralen gesellschaftlichen und lebensgeschichtlichen Prozesse würden sich auf soziologische und sozialpsychologische Begriffe bringen lassen und danach würden die Theoretiker leben können." Michael Rutschky, Erfahrungshunger. Ein Essay über die siebziger Jahre, Köln 1980, S. 40 f.

  7. Vgl. Rudi Dutschke, Zu Protokoll - Ein Fernsehinterview von Günter Gaus, Frankfurt/M. 1968.

  8. Vgl. Claus-Dieter Krohn, Die Entdeckung des "anderen Deutschland" in der intellektuellen Protestbewegung der 1960er Jahre in der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten, in: Exilforschung - Ein Internationales Jahrbuch, Bd. 13: Kulturtransfer im Exil, hrsg. von Claus-Dieter Krohn / Erwin Rotermund / Lutz Winckler / Wulf Koepke, München 1995, S. 16-51.

  9. Vgl. die Dokumentation von Horst Kurnitzky/Hansmartin Kuhn (Hrsg.), Das Ende der Utopie - Herbert Marcuse diskutiert mit Studenten und Professoren Westberlins an der Freien Universität Berlin über die Möglichkeiten und Chancen einer politischen Opposition in den Metropolen in Zusammenhang mit den Befreiungsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt, Berlin 1967.

  10. Vgl. Wolfgang Kraushaar, Von der Totalitarismus- zur Faschismustheorie. Zu einem Paradigmenwechsel in der Theoriepolitik der Studentenbewegung, in: Alfons Söllner/Ralf Walkenhaus/Karin Wieland (Hrsg.), Totalitarismus - eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997, S. 267-283.

  11. Prototypisch für diese Tendenz war ein Schüler des Marburger Politikwissenschaftlers Wolfgang Abendroth, dessen Schriften zur Kanonisierung eines ökonomistisch reduzierten Verständnisses der NS-Herrschaft führten: Reinhard Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus - Faschismus, Reinbek 1971.

  12. Vgl. Tilman Fichter, SDS und SPD. Parteilichkeit jenseits der Partei, Opladen 1988.

  13. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang C. Wright Mills, The New Left, in: ders., Power, Politics and People, hrsg. von Irving Louis Horowitz, New York 1963. Außerdem dessen "Brief an die Neue Linke". Mills bezeichnete darin das Festklammern an der Arbeiterklasse als dem einzig revolutionären Subjekt als "Metaphysik" und schrieb der Intelligenz die Rolle eines Katalysators im Prozess der Gesellschaftsveränderung zu: C. Wright Mills, Letter to the New Left, in: New Left Review, (1960) 5, S. 18-23; dt. Übersetzung in: Konkret, 7 (1961) 23/24.

  14. Jürgen Habermas, Über den Begriff der politischen Beteiligung, in: ders./Ludwig von Friedeburg/Christoph Oehler/Friedrich Weltz, Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewusstsein Frankfurter Studenten, Neuwied-Berlin 1961, S. 34.

  15. SDS-Hochschuldenkschrift, Frankfurt/M. 1972, S. 138 f.

  16. Vgl. Georg Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation, Olten 1964.

  17. Insbesondere durch eine von vier SDS-Mitgliedern verfasste Monographie, in der der Strukturwandel der deutschen Universität untersucht wurde, waren die theoretischen Grundlagen für eine demokratische Hochschulreform gelegt worden: Wolfgang Nitsch/Uta Gerhardt/Claus Offe/Ulrich K. Preuß, Hochschule in der Demokratie. Kritische Beiträge zur Erbschaft und Reform der deutschen Universität, Neuwied-Berlin 1965.

  18. Vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied-Berlin 1962.

  19. Vgl. Harry Pross, Protest - Versuch über das Verhältnis von Form und Prinzip, Neuwied-Berlin 1971.

  20. "Die Konzeption des Teach-ins gründet auf der liberalen Idee der öffentlichen Diskussion mit Andersdenkenden, in der man durch bessere Information, rationale Argumentation und publizistische Enthüllungen aufklären und überzeugen will. Die direkte Aktion in der Form des Teach-ins setzt an bei der konkreten Erfahrung einer theoretischen Unrichtigkeit oder eines praktischen Unrechts. Durch sachliche Kontroverse um die Analyse der Fakten versucht sie, die inneren Widersprüche in der Argumentation des Gegners aufzudecken und die Irrationalität seiner Logik nachzuweisen. . . . Die Teach-ins waren eine Form der Opposition, in der Wissenschaftler und Intellektuelle sich demonstrativ auf die Seite der protestierenden Studenten stellten." Susanne Kleemann, Ursachen und Formen der amerikanischen Studentenopposition, Frankfurt/M. 1972, S. 98.

  21. Vgl. Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: Historische Zeitschrift, (1983) 236, S. 579-599.

  22. "Hunderte von heute wieder tätigen Richtern und Staatsanwälten haben während des Naziregimes besonders bei Sonder- und Volksgerichten schwere Verbrechen begangen. Um diese Verbrechen, noch ehe sie verjähren, zu sühnen, hat der Bundesvorstand des ,Sozialistischen Deutschen Studentenbundes' die SDS-Gruppen an allen deutschen Universitäten und Hochschulen zur Aktion ,Ungesühnte Nazijustiz' aufgerufen." In: Die Tat, Nr. 49 vom 5. Dezember 1959, S. 5.

  23. Zur Auseinandersetzung der Studentenbewegung mit der NS-Vergangenheit vgl. Christel Hopf, Das Faschismusthema in der Studentenbewegung und in der Soziologie, in: Heinz Bude/Martin Kohli (Hrsg.), Radikalisierte Aufklärung. Studentenbewegung und Soziologie in Berlin 1965 bis 1970, Weinheim-München 1989, S. 71-86; Hans-Ulrich Thamer, Die NS-Vergangenheit im politischen Diskurs der 68er-Bewegung, in: K. Teppe (Anm. 1), S. 39-53; Detlef Siegfried, Umgang mit der NS-Vergangenheit, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 77-113; Bernd-A. Rusinek, Von der Entdeckung der NS-Vergangenheit zum generellen Faschismusverdacht - akademische Diskurse in der Bundesrepublik der 60er Jahre, in: A. Schildt u. a., ebd., S. 114-147.

  24. Peter R. Hofstätter, Bewältigte Vergangenheit?, in: Die Zeit vom 14. Juni 1963.

  25. "Der Fall Hofstätter". Dokumentation des Liberalen Studentenbundes, Hamburg 1963.

  26. Vgl. die von Rolf Seeliger hrsg. Dokumentarreihe: Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute, Bd. I-IV, München 1964-1966. Außerdem: Peter Müller, Die braune Universität, in: Diskussion - Zeitschrift für Probleme der Gesellschaft und der deutsch-israelischen Beziehungen, Teil I-III, 7/ 8 (1966/67) 19-21.

  27. Vgl. Andreas Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität Tübingen mit einem Nachwort von Hermann Diem, Tübingen 1965; vgl. außerdem: Die deutsche Universität im Dritten Reich. Eine Vortragsreihe der Universität München, München 1966.

  28. "Die Mehrzahl der Professoren war eben, was sie für ,unpolitisch' oder für ,wertfrei' hielt: rechtskonservativ." Wolfgang Fritz Haug, Der hilflose Antifaschismus. Zur Kritik der Vorlesungsreihen über Wissenschaft und NS an deutschen Universitäten, Frankfurt/M. 1967, S. 142.

  29. Martin Walser, Unser Auschwitz, in: Kursbuch, 1 (Juni 1965) 1, S. 189-200.

  30. Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967.

  31. Vgl. Michael Lemke, Instrumentalisierter Antifaschismus und SED-Kampagnenpolitik im deutschen Sonderkonflikt 1960-1968, in: Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit - Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, S. 61 ff.

  32. Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hrsg.), Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Berlin 1965.

  33. Dabei taten sich besonders Schriftsteller der "Gruppe 47" hervor. Jeweils zu Bundestagswahlen meldeten sie sich zu Wort, um eine Ablösung der Christdemokraten von der Bundesregierung zu fordern: Martin Walser (Hrsg.), Die Alternative oder brauchen wir eine neue Regierung?, Reinbek 1961; Hans Werner Richter (Hrsg.), Plädoyer für eine neue Regierung oder Keine Alternative, Reinbek 1965.

  34. Vgl. Johannes Agnoli/Peter Brückner, Die Transformation der Demokratie, Berlin 1967.

  35. Johannes Agnoli, Thesen zur Transformation der Demokratie und zur außerparlamentarischen Opposition, in: Neue Kritik, 9 (1968) 47, S. 31.

  36. Vgl. Wilfried Gottschalch, Parlamentarismus und Rätedemokratie, Berlin 1968.

  37. Vgl. Rudi Dutschke/Hans-Jürgen Krahl, Organisationsreferat, unter dem nicht autorisierten Titel "Sich verweigern erfordert Guerilla-Mentalität", in: Rudi Dutschke, Geschichte ist machbar, Berlin 1980, S. 89-95; zur Interpretation des Organisationsreferats: Wolfgang Kraushaar, Autoritärer Staat und antiautoritäre Bewegung. Zum Organisationsreferat von Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl, in: 1999 - Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 2 (1987) 3, S. 76-104.

  38. Vgl. Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotow-Cocktail. Chronologie, Dokumente, Aufsätze, Bd. 1-3, Hamburg 1998.

  39. Vgl. Martin Jay, Dialektische Phantasie. Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts für Sozialforschung, 1923-1950, Frankfurt/M. 1976; Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule - Geschichte - Theoretische Entwicklung - Politische Bedeutung, München 1986.

  40. Vgl. Max Horkheimer, Autoritärer Staat, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 5: Dialektik der Aufklärung und Schriften 1940-1950, hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr, Frankfurt/M. 1987, S. 293-319.

  41. Vgl. Theodor W. Adorno/Else Frenkel-Brunswik/Daniel J. Levinson/R. Nevitt Sanford, The Authoritarian Personality, New York 1949; gekürzte dt. Ausgabe: Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt/M. 1973.

  42. Vgl. Ursula Jaerisch, Sind Arbeiter autoritär? Zur Methodenkritik politischer Psychologie, Köln 1975.

  43. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied-Berlin 1967, S. 18.

  44. Ders., Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Frankfurt/M. 1967, S. 195 ff.

  45. Ders., Repressive Toleranz, in: Robert Paul Wolff/Barrington Moore/Herbert Marcuse, Kritik der reinen Toleranz, Frankfurt/M. 1966, S. 127 f.

  46. Jean-Paul Sartre, Vorwort, in: Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt/M. 1966. Die Übersetzung verfasste das Westberliner SDS-Mitglied Traugott König.

  47. "Einen Europäer erschlagen heißt, zwei Fliegen auf einmal zu treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen. Was übrigbleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch." Ebd., S. 18.

  48. Vgl. dazu Rudi Dutschkes gemeinsam mit T. Käsemann und R. Schöller verfasstes Vorwort zu: Régis Debray/Fidel Castro/Gisela Mandel/K.S. Karol, Der Lange Marsch. Wege der Revolution in Lateinamerika, München 1968, S. 7-24.

  49. Verstärkt wurden von SDS-Mitgliedern Anstrengungen unternommen, aktuelle Analysen des Kolonialismus und Imperialismus ins Deutsche zu übersetzen: Pierre Jalée, Die Ausbeutung der Dritten Welt, Frankfurt/M. 1968; ders., Die Dritte Welt in der Weltwirtschaft, Frankfurt/M. 1969; Harry Magdoff, Das Zeitalter des Imperialismus, Frankfurt/M. 1969; André Gunder Frank, Kapitalismus und Unterentwicklung in Lateinamerika, Frankfurt/M. 1969.

  50. Vgl. Jürgen Horlemann/Peter Gäng, Vietnam - Analyse eines Exempels, Frankfurt/M. 1966; Peter Gäng/Reimut Reiche, Modelle der kolonialen Revolution, Frankfurt/M. 1967; Jürgen Horlemann, Modelle der kolonialen Konterrevolution, Frankfurt/M. 1968.

  51. "Die NATO ist die organisierte Zentrale des Imperialismus in Mittel- und Westeuropa zur Verhinderung der Emanzipation der produzierenden Massen. Innerhalb einer Anti-NATO-Kampagne hätten diese imperialistischen Praktiken ihren politischen Stellenwert." Rudi Dutschke, Die geschichtlichen Bedingungen für den internationalen Befreiungskampf, in: Sibylle Plogstedt (Red.), Der Kampf des vietnamesischen Volkes und die Globalstrategie des Imperialismus. Internationaler Vietnam-Kongress, 17./18. Februar 1968 West-Berlin, Berlin 1968, S. 115.

  52. So die selbstkritische Formulierung des ehemaligen SDS-Bundesvorstandsmitglieds Peter Gäng, der mit seinen Publikationen damals als einer der Vietnam-Experten gegolten hatte: Werner Balsen/Karl Rössel, Hoch die internationale Solidarität. Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, Köln 1986, S. 255.

  53. Vgl. Joscha Schmierer, Die theoretische Auseinandersetzung vorantreiben und die Reste bürgerlicher Ideologie entschieden bekämpfen - Die Kritische Theorie und die Studentenbewegung, in: Rotes Forum, Nr. 1 vom 2. Februar 1970, S. 29-36.

  54. Vgl. etwa den Band: Marx-Arbeitsgruppe Historiker (Hrsg.), Zur Kritik der politischen Ökonomie. Einführung in das "Kapital", Band I, Frankfurt/M. 1972.

  55. Von exemplarischer Bedeutung waren Schriften wie: Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitals bei Karl Marx, Frankfurt/M. 1970.

  56. Vgl. Frauen gegen den § 218. 18 Protokolle, aufgezeichnet von Alice Schwarzer, Frankfurt/M. 1971.

  57. Vgl. Betty Friedan, Der Weiblichkeitswahn, Hamburg 1970; Germain Greer, Der weibliche Eunuch, Frankfurt/M. 1971; Kate Millett, Das verkaufte Geschlecht, München 1973; Shulamit Firestone, Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt/M.1975.

  58. Hans Magnus Enzensberger, Zur Kritik der politischen Ökologie, in: Kursbuch, 9 (1973) 33, S. 41.

  59. Vgl. Holger Strohm, Friedlich in die Katastrophe, Hamburg 1973.

  60. Vgl. zu den Anfängen dieser Protestbewegung Dieter Rucht, Von Wyhl nach Gorleben. Bürger gegen Atomprogramm und nukleare Entsorgung, München 1980.

Dr. phil., geb. 1948; seit 1987 Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Anschrift: Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36, 20148 Hamburg.
E-Mail: Wolfgang Kraushaar@his-online.de

Veröffentlichungen u. a.: Die Protest-Chronik 1949-1959, Bd. I-IV, Hamburg 1996; 1968. Das Jahr, das alles verändert hat, München 1998; 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000; Linke Geisterfahrer. Denkanstöße für eine antitotalitäre Linke, Frankfurt/M. 2001.