I. Die Mitwirkung des Deutschen Bundestags in Europaangelegenheiten als Gebot des Demokratieprinzips
Die Mitwirkung des Deutschen Bundestags in der Europäischen Union
Das Volk kann Herrschaft in der modernen Massendemokratie nur mithilfe gewählter Vertreter ausüben, die sich zu Parlamenten versammeln. Deshalb ist die Frage nach dem demokratischen Standard eines Gemeinwesens immer zugleich eine Frage nach dem Einfluss der jeweiligen Parlamente. Der demokratische Standard in der Europäischen Union kann also nur dann gut sein, wenn entweder das Europäische Parlament oder die nationalen Parlamente oder beide zusammen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke des europäischen Gemeinwesens haben. Zu diesem Problem hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil geäußert
II. Institutionen und Instrumentarien für die Behandlung von Europaangelegenheiten im Deutschen Bundestag
1. Rechtsgrundlagen für die Institutionen und die Behandlung von Europaangelegenheiten
In der Bundesrepublik Deutschland war bis zum Inkrafttreten des Unions-Vertrags Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und EURATOM
Der Deutsche Bundestag hat seine Position gegenüber der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Unions-Vertrags im Jahr 1992 dadurch gestärkt, dass er die Art. 23 (Europäische Union) und 45 (Europaausschuss) in das Grundgesetz eingefügt hat
In Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG ist festgelegt, dass der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder in "Angelegenheiten der Europäischen Union" mitwirken. Dies ist der maßgebende Begriff für alle Tatbestände des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG
Die Bundesregierung muss Bundestag und Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichten (Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG). Die Bundesregierung (dazu zählt auch die Ständige Vertretung Deutschlands in Brüssel) muss demgemäß unverzüglich unterrichten, sobald sie relevante Informationen (offiziell oder inoffiziell) erhält
Art. 23 Abs. 3 S. 1 GG; § 5 S. 1 EUZBBG bestimmt, dass die Bundesregierung dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, bevor sie an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union mitwirkt, wobei der Begriff "Rechtsetzungsakt" im oben genannten Sinn weit zu verstehen ist. Die Frist zur Stellungnahme muss gemäß § 5 S. 2 EUZBBG so bemessen sein, dass der Bundestag ausreichend Gelegenheit hat, sich mit der Vorlage zu befassen. "Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen" (Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG). Solche Stellungnahmen des Bundestags sind als schlichte Parlamentsbeschlüsse zu qualifizieren. Sie enthalten politische Aussagen, die die Bundesregierung rechtlich aber nicht verpflichten
2. Europaausschuss auf verfassungsrechtlicher Grundlage erst seit der 13. Wahlperiode
Zu Beginn der 13. Legislaturperiode wurde erstmals der Europaausschuss gemäß Art. 45 GG konstituiert
Der Europaausschuss der 14. Wahlperiode ist mit 36 Mitgliedern und derselben Zahl von Stellvertretern (wie sein Vorgänger mit 39 Mitgliedern) einer der großen der insgesamt 23 Fachausschüsse des Bundestags
In § 93 a Abs. 6 S. 1 GO-BT ist festgelegt, dass deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments Zutritt zu den Sitzungen des Europaausschusses erhalten; weitere deutsche Mitglieder sind als Vertreter zur Teilnahme berechtigt. Die mitwirkungsberechtigten Mitglieder des Europäischen Parlaments werden vom Bundestagspräsidenten auf Vorschlag der Bundestagsfraktionen berufen, aus deren Parteien deutsche Mitglieder in das Europäische Parlament gewählt worden sind (§ 93 a Abs. 6 S. 2 GO-BT). Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Zahl auf 14 mitwirkungsberechtigte Mitglieder des Europäischen Parlaments festzulegen. Davon entfallen auf die CDU/CSU-Fraktion sieben, auf die SPD-Fraktion fünf Mitglieder und auf die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS je ein Mitglied
Der Europaausschuss tagt regelmäßig in Sitzungswochen mittwochs nachmittags, während die übrigen Ausschüsse ihre Sitzungen am Vormittag durchführen. Die Mitglieder des Europaausschusses, die in der Regel zugleich Mitglieder eines anderen Fachausschusses sind, haben so die Möglichkeit, an beiden Sitzungen teilzunehmen. In der 13. Wahlperiode (1994 bis 1998) haben 84 Ausschusssitzungen stattgefunden, deren durchschnittliche Dauer vier Stunden betragen hat. In dieser Zeit wurden dem Ausschuss 901 Vorlagen (Bundestagsdrucksachen und Unionsvorlagen) zur Beratung überwiesen; 174 davon zur Federführung. Die Beratungen der Ausschüsse (also auch die des Europaausschusses) sind grundsätzlich nicht öffentlich; jeder Ausschuss kann aber beschließen, für einen bestimmten Verhandlungsgegenstand oder Teile eines Verhandlungsgegenstands die Öffentlichkeit zuzulassen (§ 69 Abs. 1 S. 1, 2 GO-BT). Der Europaausschuss macht das bei ca. 15 Prozent seiner Sitzungen.
Der Europaausschuss ist im Grundsatz ein normaler Fachausschuss. Ihm obliegt "nach Maßgabe der Geschäftsordnung und der Beschlüsse des Bundestages die Behandlung der Unionsvorlagen" (§ 93 a Abs. 1 GO-BT). Solche Vorlagen sind insbesondere Vorhaben der Europäischen Union, die für die Bundesrepublik von Interesse sein können (z. B. Grün- und Weißbücher der Kommission), sowie Entwürfe von Richtlinien und Verordnungen; hinzu kommen Unterrichtungen durch das Europäische Parlament (siehe § 93 Abs. 1 GO-BT i. V. m. den Grundsätzen des Europaausschusses).
Er hat aber rechtlich gegenüber den übrigen Ausschüssen des Bundestags eine exponierte Position, die ihm durch die Ermächtigungsmöglichkeit des Art. 45 GG, § 2 EUZBBG eingeräumt wird. Einzelheiten der Ermächtigung sind in § 93 a Abs. 2 GO-BT geregelt: "Der Bundestag kann auf Antrag einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union ermächtigen, zu bestimmt bezeichneten Unionsvorlagen die Rechte des Bundestages gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Das Recht des Bundestages, über eine Angelegenheit der Europäischen Union jederzeit selbst zu beschließen, bleibt unberührt." Wenn der Ausschuss ermächtigt wird, muss er eine Stellungnahme der beteiligten Fachausschüsse einholen, bevor er seine Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung zu der Unionsvorlage abgibt (§ 93 Abs. 3 S. 1 GO-BT).
Die Ermächtigung verleiht dem Europaausschuss ein eigenes Recht, gegenüber der Bundesregierung Stellung zu nehmen; infolgedessen hat die Bundesregierung eine Stellungnahme des Ausschusses genauso zu berücksichtigen wie eine Stellungnahme des Bundestags selbst
Außerdem gibt es eine Generalermächtigung des Ausschusses, eine Stellungnahme zu einer Unionsvorlage gegenüber der Bundesregierung abzugeben, sofern keiner der beteiligten Fachausschüsse widerspricht (§ 93 a Abs. 3 S. 2 GO-BT). Von dieser Ermächtigung ist in insgesamt nur vier Fällen Gebrauch gemacht worden. Der Europaausschuss erstattet über den Inhalt und die Begründung der Stellungnahme einen Bericht. Der Bericht wird als Bundestagsdrucksache verteilt und ist innerhalb von drei Sitzungswochen nach der Verteilung auf die Tagesordnung des Plenums zu setzen (§ 93 a Abs. 4 S. 1 GO-BT)
Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Ausschuss außerhalb des Zeitplans oder außerhalb des ständigen Sitzungsorts des Bundestags Sitzungen einberufen, wenn es die Terminplanung der EU-Organe erfordert und der Bundestagspräsident seine Genehmigung erteilt hat. Zwei solcher Sondersitzungen gemäß § 93 a Abs. 3 S. 5 GO-BT haben stattgefunden in der Sommerpause des Bundestags im Jahr 1996 im Zusammenhang mit den Beratungen des Ministerrats zum Europäischen Polizeiamt (Europol) und der Diskussion um die Beihilfepolitik der Europäischen Kommission in Ostdeutschland (Stichwort: "VW-Sachsen").
In dem Europaausschuss konzentriert sich die europapolitische Arbeit des Bundestags; er ist der zentrale Ort des europapolitischen Entscheidungsprozesses und deshalb als Integrationsausschuss zu bezeichnen. Ein besonders deutlicher Beleg für diese Tatsache ist, dass der Europaausschuss den Ratifikationsgesetzentwurf zum Amsterdamer Vertrag federführend beraten hat. Außerdem ist der Europaausschuss als Querschnittsausschuss zu charakterisieren. Denn er beschäftigt sich mit europäischen Angelegenheiten, die keinen sachpolitischen Schwerpunkt haben, der die Zuständigkeit eines Fachausschusses begründen würde. Aufgrund dieser Querschnittsfunktion liegt z. B. die Beratung der Agenda 2000 beim Europaausschuss. Dieser Beratungsgegenstand zeigt die enge Verbindung zwischen der Integrations- und der Querschnittsfunktion des Ausschusses. Die dritte Funktion des Europaausschusses ist es, als "Fachausschuss für europäische Angelegenheiten" zu agieren. In dieser Funktion ist er (meist mitberatender) Ausschuss für Vorlagen zu Entwürfen von Verordnungen und Richtlinien, die besondere integrationspolitische Bedeutung haben. Die Vorlagen zur BSE-Problematik sind beispielsweise federführend im Gesundheitsausschuss behandelt worden, während der Europaausschuss sein Augenmerk als mitberatender Ausschuss darauf gerichtet hat, inwieweit EG-Organen bzw. Mitgliedstaaten Vorwürfe in dieser Angelegenheit zu machen waren.
Der Europaausschuss ist nicht in die Umsetzung von EG-Richtlinien in deutsches Recht eingeschaltet, denn die Umsetzung erfolgt in aller Regel auf der Grundlage von Gesetzentwürfen der Bundesregierung. Diese Gesetzentwürfe werden im normalen Gesetzgebungsverfahren von den zuständigen Fachausschüssen beraten. Der Europaausschuss ist also ähnlich wie der Auswärtige Ausschuss kein Gesetzgebungsausschuss. Die bereits dargestellten Befugnisse des Europaausschusses zeigen vielmehr, dass der Ausschuss als Kontrollausschuss konzipiert ist. Er beschäftigt sich im Wesentlichen mit Entwürfen für gemeinschaftsrechtliche Rechtsetzungsvorhaben bzw. mit noch nicht umgesetztem Gemeinschaftsrecht und nicht mit Gemeinschaftsrecht, das bereits in Kraft ist
III. Verfahrenswege von Europaangelegenheiten im Deutschen Bundestag
Der Verfahrensgang ist unterschiedlich, je nachdem, um welche Europaangelegenheiten es sich handelt. Alle Änderungen der Verträge, auf denen die Union beruht, können nach Art. 48 EUV erst in Kraft treten, "nachdem sie von allen Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind". Gleiches gilt, falls aufgrund eines internationalen Abkommens eine Vertragsänderung erforderlich wird (Art. 300 Abs. 5 EGV). Art. 49 EUV stellt klar, dass ein Beitritt eines europäischen Staats zur Union ebenfalls einer solchen Ratifizierung bedarf. Gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften müssen die Mitgliedstaaten auch einen Beschluss des Rates zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit annehmen (Art. 42 EUV). Dies ist gleichfalls für das einheitliche Wahlverfahren so vorgesehen (Art. 190 Abs. 4 EGV). Art. 269 EGV bestimmt, dass der Haushalt der Europäischen Gemeinschaft unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird. Um welche Mittel es sich dabei handelt, lässt sich dem EG-Vertrag nicht entnehmen. Die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Gemeinschaft werden gemäß Art. 269 EGV vielmehr vom Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig festgelegt und von den Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften angenommen. Alle diese Normen weisen die Mitgliedstaaten als die "Herren der Verträge"
Die im Gemeinschaftsrecht genannten verfassungsrechtlichen Vorschriften sind im deutschen Recht die Art. 23 Abs. 1 S. 2, 3; 59 Abs. 2 S. 1 GG. Aus ihnen folgt, dass die gemeinschaftsrechtlich geforderte Annahme bzw. Ratifikation durch Bundesgesetz zu erfolgen hat. Infolgedessen wird in solchen Fällen ein normales Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 76 ff. GG durchgeführt. Ohne Zustimmung des Bundestags kann also der EG-Rechtsakt nicht zustande kommen. Der Bundestag stellt die grundsätzlichen Integrationsweichen, indem er über die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union, ihren Fortbestand, ihre Entwicklung und ihre Finanzierung gemäß den Vorgaben des Grundgesetzes und des EUV und EGV entscheidet. Er gewährleistet also die Legitimation der Europäischen Union als solcher und auch die Legitimation der Rechtsetzung durch die Europäische Gemeinschaft.
Das Beratungsverfahren der weitaus meisten Unionsvorlagen im Bundestag hat seinen Ursprung in der Europäischen Kommission. Denn die Kommission hat ein fast uneingeschränktes Initiativmonopol für die Rechtsetzung der Gemeinschaft, d. h., der Rat erlässt die Rechtsakte der EG in aller Regel auf Vorschlag der Kommission. Sie leitet dem Rat den von ihr angenommenen Vorschlag für einen Rechtsakt zu. Der Rat besteht aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten (Art. 203 Abs. 1 EGV), die diese unterrichten. In der Bundesregierung gibt es nach wie vor kein Ministerium, das spezifisch für Europaangelegenheiten zuständig ist; die Einrichtung eines solchen Europaministeriums ist auch nicht geplant. Das Bundesministerium der Finanzen, das für die Bundesregierung in der Europapolitik die wesentlichen Koordinierungsaufgaben wahrnimmt, leitet die Unionsvorlage dem Europaausschuss zu (§ 93 Abs. 1 GO-BT). Die Zahl der dem Bundestag offiziell zugeleiteten Unionsvorlagen beträgt seit der 10. Wahlperiode durchschnittlich mehr als 2 000 pro Jahr
Der Vorsitzende des Europaausschusses beginnt unverzüglich damit, die Beratungswünsche der Ausschüsse zu ermitteln, sobald er die Vorlage erhalten hat. Dabei wird er von seinem Ausschusssekretariat unterstützt. Der Bundestag beschäftigt sich also mit allen Vorlagen, die ihm zugeleitet werden; es findet keine Selektion statt. Die Beratungswünsche werden dem Ältestenrat vom Sekretariat über den Vorsitzenden des Europaausschusses zugeleitet. Auf dieser Basis wird der Entwurf einer Sammelübersicht über die Überweisungen erstellt (§ 93 Abs. 3 S. 1 GO-BT). Der Präsident des Bundestags überweist die Vorlagen im Benehmen mit dem Ältestenrat an einen Ausschuss federführend und an andere Ausschüsse zur Mitberatung (§ 93 Abs. 3 S. 2 GO-BT). Die Titel der überwiesenen Vorlagen werden in eine Bundestagsdrucksache aufgenommen. Aus dieser so genannten Sammelübersicht ist ersichtlich, welchen Ausschüssen die Vorlagen überwiesen wurden (§ 93 Abs. 4 GO-BT).
Dieses Verfahren ermöglicht es nicht, dass der Bundestag in dringenden Fällen Stellung nehmen kann. Beispielsweise stammt die Vorlage zum Flugverbot zwischen der Gemeinschaft und Jugoslawien
Unionsvorlagen werden nur selten gemäß § 93 Abs. 4 S. 2 GO-BT als Bundestagsdrucksache verteilt. Zu ca. fünf Prozent der Unionsvorlagen werden Beschlussempfehlungen vorgelegt und als solche auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt. Das Plenum berät sie in demselben Verfahren wie die Beschlussempfehlungen zu nationalen Vorlagen (§§ 62 Abs. 1 S. 2, 78 Abs. 1 S. 1 GO-BT). Die Ausschüsse nehmen die Unionsvorlagen in den meisten Fällen ohne ausführliche Beratung lediglich zur Kenntnis oder sehen von einer Beratung ab, sodass keine Drucklegung erfolgt. Nicht nur in den übrigen Fachausschüssen, sondern selbst im Europaausschuss werden 10, 20 oder mehr Vorlagen ohne Aussprache zur Kenntnis genommen, und zwar auch dann, wenn sie zur federführenden Beratung überwiesen worden waren. Der Ausschussvorsitzende teilt die Kenntnisnahme dem Bundestagspräsidenten mit. Sie wird als so genannte "Amtliche Mitteilung" ohne Verlesung in einer Anlage zum Plenarprotokoll veröffentlicht.
Konsequenzen kann die Behandlung europäischer Angelegenheiten im Bundestag nur haben, wenn sie sich für die Bundesregierung erkennbar manifestiert. Das ist schon der Fall, wenn Regierungsmitglieder an Plenar- oder Ausschusssitzungen teilnehmen, in denen Europaangelegenheiten behandelt werden, und so die Meinung der Parlamentarier zu diesen Angelegenheiten erfahren. Über Europaangelegenheiten wird im Bundestag häufig diskutiert, sowohl in breit angelegter Form im Plenum bzw. im Europaausschuss als auch in spezifischer Form in den Fachausschüssen. Konsequenz dieser Behandlung ist aber nur, dass die Bundesregierung über die Haltung des Bundestags informiert wird. Ein solch informelles Meinungsbild löst für die Bundesregierung noch keine Pflicht zur Berücksichtigung gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG aus. Dazu ist eine Stellungnahme im Sinn dieser Vorschrift erforderlich. Sehr selten macht der Bundestag von der Möglichkeit Gebrauch, die Bundesregierung durch eine Stellungnahme zu Europaangelegenheiten politisch zu binden.
In der Praxis nicht unwichtig ist ein Verfahren der Ex-post-Kontrolle, das in der Ressortabsprache der Bundesregierung dargelegt ist und sich inzwischen eingespielt hat: Der Europaausschuss erwartet von der Bundesregierung, dass sie ihm nach dem Abschluss eines Unionsvorhabens unverzüglich berichtet, wie die Beschlüsse des Bundestags berücksichtigt worden sind, und dabei auch erläutert, ob und inwieweit sie entsprechenden Beschlüssen des Bundesrats gefolgt ist. Das federführende Ressort berichtet im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung über eine Ratstagung.
Eine rechtlich zwingende Konsequenz für die Bundesregierung ergibt sich nur, wenn der Bundestag sie im Weg eines förmlichen Gesetzes festlegt. Das ist der Fall, wenn das Gemeinschaftsrecht verlangt, dass ein Akt von den Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften angenommen oder ratifiziert werden muss. Der Bundestag hat solche Gesetze bislang immer beschlossen und wird es weiterhin tun, solange die europäische Innenpolitik auf völkerrechtlichem Weg formuliert und vollzogen wird, d. h., dass die Regierungen auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts Verhandlungsergebnisse erzielen, die nur noch im Weg komplizierter Nachverhandlungen geändert werden können - was faktisch in aller Regel unmöglich ist. In dieser Situation befindet sich der Bundestag (wie die anderen Parlamente) in einem Dilemma, wenn er mit den Ergebnissen in zumindest einem wichtigen Punkt nicht einverstanden ist: Ratifiziert er, erklärt er sich mit dem Ergebnis einverstanden; ratifiziert er nicht, zerstört er das gesamte Ergebnis (bindend nicht nur für die eigene Regierung, sondern auch für alle anderen Mitgliedstaaten) und setzt sich damit dem Vorwurf aus, der Integration zu schaden.
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