Wahlprogramme sind eine eigenartige Angelegenheit. Für die einen sind sie so wichtig, dass um jeden Halbsatz gerungen wird, für die anderen hingegen sind sie nahezu bedeutungslos. So führt beispielsweise der frühere Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust (CDU), in einem Interview unter der bezeichnenden Überschrift "Wahlprogramme sind was für Feinschmecker" aus: "Programme sind für den Wahlkampf nicht entscheidend. Es werden Regierungen gewählt oder abgewählt, aber nicht wegen der Programme der Opposition. Die Wähler legen ja nicht alle Programme nebeneinander und entscheiden sich dann für die Partei, bei denen sie die meisten Haken setzen können. Programme sind was für Feinschmecker, Journalisten und Hochinteressierte. Wahlkampf ist Marketing und Werbung. Ein Beispiel: 2001 habe ich in Hamburg 26,2 Prozent der Stimmen bekommen, bei den Neuwahlen drei Jahre später 47,2 Prozent. Mit nahezu identischem Programm und Personal."
Bis Ende Mai lagen von den kleineren Parteien bereits Wahlprogramme beziehungsweise deren Entwürfe für die Bundestagswahl im September 2017 vor.
Für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik kommt hinsichtlich einer Analyse der Wahlprogramme erschwerend hinzu, dass es sich um ein schwer abgrenzbares Themenfeld handelt, das man nicht so abhandeln könnte wie beispielsweise die Verkehrspolitik im engeren Sinne. Das hängt damit zusammen, dass es sich um ein Querschnittsthema mit enormen Einflüssen und Wirkungen aus anderen Politikfeldern handelt: Man denke nur an die Auswirkungen steuerpolitischer Entscheidungen, an die Bedeutung öffentlicher Investitionen oder an Fragen der Kinderbetreuung, die weitreichende Effekte auf das Arbeitsangebot haben können.
Grundsicherung (SGB II) und Arbeitslosenversicherung/Arbeitsförderung (SGB III)
Im bislang vorliegenden Entwurf der SPD fallen hinsichtlich der Grundsicherung diese Punkte auf: Eine Verdopplung des Schonvermögens im SGB II, eine Streichung der schärferen Sanktionen für Unter-25-Jährige im SGB II sowie eine Überführung des Bundesprogramms "Soziale Teilhabe", das sich an Langzeitarbeitslose richtet, als Regelleistung in das SGB II.
Für die Arbeitslosenversicherung schlägt die SPD vor, Selbstständigen, die sich in der Arbeitslosenversicherung absichern wollen, das durch einkommensbezogene Beiträge zu ermöglichen. Die Partei fordert auch eine kürzere Anwartschaft für das Arbeitslosengeld I: Einen Anspruch soll derjenige haben, der innerhalb von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zehn (statt wie bisher zwölf) Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, was einen erleichterten Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung ermöglichen würde. Gefordert wird ebenso die flächendeckende Einführung von Jugendberufsagenturen.
Ein wichtiger Baustein im Programmentwurf der SPD ist der angestrebte Umbau der Bundesagentur für Arbeit zu einer "Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung" und die damit einhergehende Transformation der Arbeitslosen- zu einer "Arbeitsversicherung".
Die Linke macht im Bereich der Grundsicherung zahlreiche Vorschläge, die auf einen Systemwechsel abzielen: Gefordert wird eine "Mindestsicherung" statt Arbeitslosengeld II (ALG II). Der Regelleistungssatz dieser Mindestsicherung soll bei 1050 Euro für Erwerbslose, aufstockende Erwerbstätige, Langzeiterwerbslose und Erwerbsunfähige liegen und bei Bedarf durch Wohngeld (auf Basis der Bruttowarmmiete) ergänzt werden. Für Kinder wird eine Grundsicherung in Höhe von 564 Euro gefordert. Die Mindestsicherung soll für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen gewährt werden, damit einher geht die Forderung nach einer Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Darüber hinaus plädiert Die Linke für die Abschaffung von Sanktionen im Grundsicherungssystem sowie die Abschaffung der Bedarfsgemeinschaften (also ein Wechsel zum Individualprinzip). Abgerundet wird das durch die Forderung eines Rechts auf Arbeit sowie darauf, eine konkrete Arbeit abzulehnen. Gefordert wird außerdem die Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors für Menschen, die derzeit keiner regulären Beschäftigung nachgehen können.
Für den Bereich der Arbeitslosenversicherung (SGB III) schlägt Die Linke vor, eine längere Zahlung von Arbeitslosengeld I sowie kürzere Anwartschaftszeiten als erleichterte Zugangsvoraussetzung zu ermöglichen. Auch hier wird das Sanktionsinstrumentarium kritisiert und für eine Abschaffung von Sperrzeiten plädiert. Außerdem fordert Die Linke ein Recht auf (arbeitgeberfinanzierte) Weiterbildung.
Auch Bündnis 90/Die Grünen haben einige substanzielle Veränderungsvorschläge zur Grundsicherung, die aber nicht so weit reichen wie die der Linken: Die Grünen fordern eine Erhöhung des Regelsatzes beim Arbeitslosengeld II, vor allem für Kinder auch eine bedarfsgerechte Neuberechnung. Für Stromkosten soll es eine gesonderte Pauschale geben. Die Grundsicherung soll als individuelle Leistung ausgestaltet, Bedarfsgemeinschaften also abgeschafft werden. Wie Die Linke fordern auch die Grünen eine Abschaffung von Sanktionen und plädieren für die Schaffung eines "sozialen Arbeitsmarktes" für Langzeitarbeitslose.
Im Bereich der Arbeitslosenversicherung fordern die Grünen einen Wechsel hin zu einer "Arbeitsversicherung", die auch Selbststständige einbezieht. Weiterbildung soll nicht nur bei Arbeitslosigkeit gefördert werden.
Die FDP fordert im Bereich der Grundsicherung die Einführung eines "liberalen Bürgergeldes", also eine Zusammenfassung von Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter, Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII, Kinderzuschlag und Wohngeld zu einer Transferleistung. Die Zuverdienstgrenzen bei Arbeitslosengeld-II-Bezug sollen durch eine Absenkung des Anrechnungssatzes erhöht werden. Für Langzeitarbeitslose wird ein "Training on the Job" gefordert sowie eine Kombination von Grundsicherung und Lohn des Arbeitgebers (also ein Kombi-Lohn), falls erforderlich auch die Ermöglichung einer psychosozialen Begleitung. In der Arbeitslosenversicherung wird jede Verlängerung der Arbeitslosengeld-I-Bezugsdauer abgelehnt. Auch die FDP fordert eine Förderung der Weiterbildung von Beschäftigten, die allerdings arbeitgeber- und arbeitnehmerfinanziert stattfinden soll sowie mit einer öffentlichen Förderung in Höhe von maximal 50 Prozent der Kosten.
Auch die AfD hat sich zur Grundsicherung und zur Arbeitslosenversicherung positioniert. Gefordert werden höhere Arbeitslosengeld-II-Leistungen bei einer Vorbeschäftigung von mindestens zehn Jahren, eine bedarfsangepasste Qualifizierung von Arbeitslosen in enger Abstimmung insbesondere mit der mittelständischen Wirtschaft sowie eine Reform bei der Errechnung der offiziellen Arbeitslosenzahl, um deren "Manipulation" zu beenden. Für die Arbeitslosenversicherung wird eine längere Bezugsdauer abhängig von der Dauer der Vorbeschäftigungszeit gefordert. Ebenfalls länger bezugsberechtigt beim Arbeitslosengeld I sollen Eltern sein. Sozialleistungen für EU-Bürger sollen erst dann gewährt werden, wenn diese zuvor vier Jahre versicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt waren und ihren Lebensunterhalt damit vollständig selbst decken konnten. Ansonsten sollen sie von Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Bei den Leistungen für Asylbewerber soll der Grundsatz "Sachleistungen vor Geldleistungen" gelten.
Arbeitszeit, Arbeitsverträge, prekäre Beschäftigung und Mindestlohn
In ihrem Programmentwurf fordert die SPD ein Verbot sachgrundloser Befristungen. Hinsichtlich der Arbeitszeitregulierung plädieren die Sozialdemokraten für "Langzeitkonten" für die Beschäftigten und fordern ein Rückkehrrecht auf Vollzeitarbeit, wenn diese durch eine phasenweise Teilzeitarbeit unterbrochen wurde.
Ergänzend zum Elterngeld und ElterngeldPlus wird ein "Familiengeld" vorgeschlagen: Wenn beide Eltern ihre Arbeitszeit partnerschaftlich aufteilen, erhalten sie ein Familiengeld von jeweils 115 Euro monatlich für beide Eltern, wenn sie jeweils 26 bis 36 Wochenstunden arbeiten. Es soll bis zu 24 Monate gezahlt werden.
Zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege will die SPD ein "Familiengeld für Pflege" einführen, das im Umfang von 26 bis 36 Wochenstunden bis zu 24 Monate lang gezahlt werden soll. Hinzu kommt eine Freistellung von der Arbeit mit Lohnersatzleistung: Pflegende Angehörige können ihre Arbeitszeit für bis zu drei Monate ganz oder zum Teil reduzieren und erhalten in dieser Zeit eine Lohnersatzleistung (in Höhe und Umfang des Elterngelds). Das Familiengeld für Pflege und die Lohnersatzleistung können von zwei pflegenden Angehörigen in Anspruch genommen werden.
Ein weiterer Baustein im Kontext der Vereinbarkeitsdebatte ist die geforderte schrittweise Abschaffung der Kita-Gebühren sowie die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung von Kita- und Grundschulkindern.
Die Linke fordert ebenfalls ein Verbot sachgrundloser Befristung von Arbeitsverträgen. Ab dem zweiten Arbeitsvertrag beim gleichen Arbeitgeber soll es eine Entfristung geben müssen. Als Obergrenze für Befristungen wird ein Jahr angesetzt. Hinsichtlich der Leiharbeit fordert Die Linke eine mindestens gleiche Bezahlung für Leiharbeit (equal pay) – plus einer Flexibilitätszulage in Höhe von zehn Prozent für die Leiharbeiter.
Zur Arbeitszeit findet man im Entwurf des Wahlprogramms der Linken die folgenden Punkte: Vollzeitarbeit sollte sich in einem Umfang von 30 bis 35 Stunden pro Woche bewegen mit einer Wochenhöchstarbeitszeit von 40 Stunden. Gefordert werden ein Recht auf Nichterreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit sowie eine Begrenzung und zeitnaher Ausgleich von Mehrarbeit. Nachtschichten soll es maximal drei Mal nacheinander geben dürfen. Vorgeschlagen wird außerdem die Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein Sabbatjahr für Beschäftigte, zweimal im Berufsleben für je ein Jahr, bei Garantie eines Rückkehrrechts auf den gleichen/gleichwertigen Arbeitsplatz.
Bei Teilzeitarbeit soll es ein Rückkehrrecht auf die (ursprüngliche) vertragliche Arbeitszeit geben. Die Linken fordern einen Rechtsanspruch auf eine Mindestarbeitszeit von 18 Stunden pro Woche. Ein Entgeltgleichheitsgesetz soll Lohndiskriminierung zwischen den Geschlechtern ausschließen. Für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege wird eine vom Arbeitgeber zu bezahlende Pflegezeit von bis zu sechs Wochen (analog der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) gefordert. Auch ein Recht auf Telearbeit (Home-Office) soll, tariflich reguliert, statuiert werden.
Kostenfreie Weiterbildungsangebote nach einer schwangerschafts- und erziehungsbedingten Pause sollen den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. Der Elterngeldanspruch soll auf zwölf Monate pro Elternteil ausgeweitet werden (beziehungsweise 24 Monate für Alleinerziehende), Teilabschnitte der Inanspruchnahme von mindestens zwei Monaten bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres des Kindes sollen ermöglicht und ein besonderer Kündigungsschutz für Eltern bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes eingeführt werden.
"Minijobs" (geringfügige Beschäftigungsverhältnisse) sollen der Sozialversicherungspflicht unterworfen werden; der gesetzliche Mindestlohn soll auf zwölf Euro pro Stunde – und das ausnahmslos – erhöht sowie jährlich entsprechend der Produktivitäts- und Preisentwicklung angehoben werden.
Auch Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Programmentwurf ein Verbot der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Bei der Leiharbeit gibt es ebenfalls eine Deckungsgleichheit mit den Forderungen der Linken: Mindestens gleiche Bezahlung für Leiharbeit (equal pay) – plus einer Flexibilitätsprämie.
Bei der Arbeitszeit sprechen sich die Grünen hinsichtlich der Vollzeitdefinition für Wahlarbeitszeiten zwischen 30 und 40 Wochenstunden aus und schlagen eine "flexible Vollzeit" vor: Darunter verstehen sie das Erhöhen und Reduzieren der Arbeitszeit um bis zu zehn Wochenstunden für Kinderbetreuung, Pflege und Weiterbildung. Die "KinderZeit Plus" soll das Elterngeld ablösen und Eltern, die sich die Kinderbetreuung teilen, für einen Zeitraum von maximal 24 Monaten finanziell unterstützen, zudem soll es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Kitas geben.
Auch die Grünen fordern ein Rückkehrrecht auf Vollzeit, wenn diese zeitlich befristet durch Teilzeitarbeit unterbrochen wurde. Ein geplantes Entgeltgleichheitsgesetz findet man ebenso. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege soll durch eine "PflegeZeit Plus" verbessert werden: eine Lohnersatzleistung (drei Monate) für die Zeit der Pflege sowie zehn Tage pro Jahr Freistellung für Pflegende.
Beim gesetzlichen Mindestlohn fordern die Grünen die Abschaffung der noch vorhandenen Ausnahmen.
Die FDP lehnt eine Regulierung von befristeten Arbeitsverträgen, also beispielsweise das von anderen Parteien geforderte Verbot sachgrundloser Befristungen, ab. Ebenfalls abgelehnt wird eine Regulierung der Leiharbeit und der Arbeitszeit. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit soll jedoch bei 48 Stunden fixiert werden, parallel dazu soll die derzeitige Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit aufgehoben werden. Ebenfalls wegfallen soll die derzeit vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit für die Arbeitnehmer. Ein "Langzeitkonto für Arbeit" soll die Sammlung von Überstunden, Boni, Resturlaub und Sonderzahlungen ermöglichen. Diese werden in ein Wertguthaben auf dem Langzeitkonto umgewandelt. Familienpolitisch fordert die FDP die Bündelung aller kindesbezogenen Leistungen zu einem "Kindergeld 2.0". Pflege- und Betreuungsleistungen sollen steuerlich besser berücksichtigt werden.
Die AfD spricht sich in ihrem Wahlprogramm grundsätzlich für den gesetzlichen Mindestlohn aus, was in der Partei nicht unumstritten ist. Konkrete Vorschläge findet man zum Punkt Leiharbeit/Werkverträge, darunter eine Obergrenze von 15 Prozent an Beschäftigten mit Leih- oder Werkverträgen in Unternehmen sowie die Gleichstellung von Leiharbeit nach einer sechsmonatigen Beschäftigungszeit. Leiharbeitsverträge sollen nur einmal verlängert werden dürfen. Pflege und Kinderbetreuung innerhalb der Familie soll finanziell unterstützt werden. Darüber hinaus findet sich noch die Forderung nach "Wiedereingliederungshilfen an den Arbeitgeber bei Neueinstellung nach Erziehungszeit", mehr aber auch nicht.
Tarifpolitik
Wer eine Ausbildung macht, soll auch angemessen bezahlt werden. Deshalb braucht es nach dem Programmentwurf der SPD eine angemessene Mindestausbildungsvergütung. Tarifvertragliche Lösungen haben dabei Vorrang, insbesondere durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, wodurch tariflich geregelte Ausbildungsvergütungen für alle gelten. Die Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung soll generell erleichtert und gegebenenfalls auch rückwirkend gewährleistet werden, um "gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen in allen Branchen" durchzusetzen. In diesem Kontext betont die SPD die hohe Bedeutung starker Gewerkschaften und hoher Tarifbindungen und möchte dafür sorgen, dass tarifgebundene Betriebe gesetzlich privilegiert werden. Bestehende Tarifverträge sollen auch im Falle einer Auslagerung von Betrieben oder Betriebsteilen fortbestehen.
Für die Gesundheitsfachberufe fordert die SPD einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag Soziales, um für mehr Einheitlichkeit zu sorgen und Zersplitterung vorzubeugen.
Gegen diese Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen kann die Arbeitgeberseite derzeit ein Veto einlegen. Die Linke fordert, dieses abzuschaffen, um das Instrumentarium nutzbar zu machen. Bei Betriebsübergängen und Auslagerungen sollen die bisherigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung unbefristet geschützt bleiben. Die Vergabe öffentlicher Aufträge soll daran gebunden werden, dass Tarifverträge eingehalten werden und an Kriterien der Gewerkschaften für gute Arbeit gebunden sind. Gewerkschaften sollen ein umfassendes Verbandsklagerecht zur Einhaltung von Tarifverträgen und gesetzlichen Bestimmungen erhalten.
Die Linke fordert außerdem eine Rücknahme des Tarifeinheitsgesetzes, das mit einer Einschränkung des Streikrechts verbunden sei. Das im Grundgesetz verankerte Streikrecht müsse ausgeweitet werden und Solidaritätsstreiks mit Beschäftigten anderer Betriebe und Branchen und politische Streiks einschließen.
Eine Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen wird auch von Bündnis 90/Die Grünen gefordert. Davon abgesehen finden sich im Wahlprogramm keine weiteren Aussagen zur Tarifpolitik.
Die FDP verteidigt laut Bundestagswahlprogramm "einen flexiblen Arbeitsmarkt und die Tarifautonomie" und möchte weitere Regulierungen in der Tarifpolitik abwehren. Weitere Aussagen zum Thema gibt es nicht. Im AfD-Programm findet man zu diesem Punkt keinen einzigen Hinweis.
Und die CDU/CSU?
Wie eingangs erwähnt, lag das Wahlprogramm der CDU/CSU bei Redaktionsschluss noch nicht vor und wird voraussichtlich auch erst Anfang Juli – mitten in der Urlaubszeit – beschlossen. Soweit sich bereits Schwerpunkte der Union abzeichnen, werden diese aber wohl eher im "klassischen" wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich liegen. Hier erhofft man sich dann Spillover-Effekte auf den Arbeitsmarkt. In Ermangelung von Programmbausteinen seitens der Bundesebene kann man jedoch versuchen, auf Grundlage der Wahlprogramme der CDU zu den drei diesjährigen Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen auf mögliche Inhalte des Bundesprogramms zu schließen.
Das saarländische Wahlprogramm ist auch deshalb interessant, weil hier die Union mit der SPD wie im Bund in einer großen Koalition regiert hat – und diese nach der Wahl fortgesetzt hat. Zugleich ist die alte und neue Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer innerhalb der Union dafür bekannt, dass sie sehr offen ist für arbeitsmarktpolitische Instrumente im engeren Sinne. Das saarländische Wahlprogramm stellt zum einen die Fortführung des eingeschlagenen Weges in Aussicht – also innerhalb des bestehenden Systems eine ergänzende Arbeitsmarktpolitik über spezifische Programme: "Menschen mit schweren Vermittlungshindernissen müssen geeignete Angebote zur Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt gemacht werden. Die Landesregierung hat daher in parteiübergreifender Gemeinsamkeit das Arbeitsmarktprogramm A-Saar aufgelegt. Die Einrichtungen, die mit ihren Maßnahmen die Wiedereingliederung von Menschen in den Arbeitsmarkt fördern, sollen weiter unterstützt werden. Dafür müssen auch in der nächsten Legislaturperiode finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden." Zum anderen findet sich die Reform eines arbeitsmarktpolitischen Instruments, der Passiv-Aktiv-Transfer: "Beim ‚Passiv-Aktiv-Transfer‘ werden Leistungen, die Langzeitarbeitslose sonst passiv für den Lebensunterhalt bekommen, in Zuschüsse für Beschäftigung umgewandelt, um Menschen den Übergang in reguläre Beschäftigung zu ebnen. Die Einrichtung und der Aufbau dieser Angebote sind im erforderlichen Umfang nur finanzierbar, wenn der so genannte ‚Passiv-Aktiv-Transfer‘ ermöglicht wird. Wir unterstützen deshalb die Idee, das Saarland als kleinstes Flächenland zu einer Modellregion des ‚Passiv-Aktiv-Transfer‘ auszugestalten."
Im nordrhein-westfälischen Wahlprogramm der CDU findet man lediglich allgemein gehaltene Aussagen, dass man sich um Langzeitarbeitslose bemühen wolle, ansonsten verweist man darauf, dass das primär Angelegenheit der Arbeitgeber und Tarifpartner sei. Lediglich eine eher als Infragestellung der bisherigen arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten zu verstehende Ankündigung kann man dem Programm entnehmen: "Der Staat kann jedoch nicht selbst auf Dauer als Akteur im Bereich des Arbeitsmarktes auftreten. Deshalb werden wir staatliche Förderprogramme zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit kritisch überprüfen und ausschließlich unter den Kriterien der Effizienz, Wirksamkeit und Finanzierbarkeit weiterführen beziehungsweise neu konzipieren."
Von der Bundesebene kommen derzeit nur wenige Signale, wohin die Reise gehen könnte: Immer wieder wird angedeutet, dass das Wahlprogramm den einen oder anderen eher kleinteilig angelegten Vorschlag zur "zielgenaueren" Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, die sich von der ansonsten guten Arbeitsmarktentwicklung entkoppelt habe, enthalten werde sowie Maßnahmen, mit denen man "die Kinder" adressieren wolle. Insgesamt gesehen dürfen wir erwarten, dass für die Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne ein "Weiter-so" mit wenn, dann sehr kleinteilig angelegten Reformbausteinen im Sinne der bekannten Modellprojekte und der Hervorhebung einzelner Zielgruppen in das Wahlprogramm aufgenommen wird.
arbeitsmarktpolitische "Müdigkeit" in den Wahlprogrammen der Parteien
In der Gesamtschau ergibt sich einerseits das erwartbare Bild: Die meisten und klar auf eine stärkere Regulierung setzenden arbeitsmarktpolitischen Vorschläge findet man im Wahlprogramm der Linken, die auch als einzige Partei das Grundsicherungssystem (SGB II) infrage stellt und durch ein Mindestsicherungssystem ersetzen will. Überschneidungsbereiche mit anderen Parteien lassen sich nur zu den Grünen erkennen, die sich bei Weitem nicht so radikal positionieren wie Die Linke, aber punktuell doch Übereinstimmungen erkennen lassen, was einzelne Reformbausteine angeht – allerdings längst nicht so stark auf Regulierung und gesetzgeberische Eingriffe setzen wie Die Linke. Wenn überhaupt, dann kann man arbeitsmarktpolitisch von einem "rot-grünen Lager der kleinen Parteien" sprechen, wobei das größere sozialdemokratische Lager zurzeit erkennbar wenige Andockstellen vorweisen kann. Verglichen mit dem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 kann man der SPD mit Blick auf den aktuellen Entwurf des Wahlprogramms eine gewisse "arbeitsmarktpolitische Müdigkeit" attestieren, wie ein Blick auf die Forderungen für Langzeitarbeitslose zeigt: Wurde 2013 noch die Einführung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors inklusive umfangreicher Förderangebote gefordert, beschränkt man sich 2017 lediglich auf eine "Überführung des Bundesprogramms ‚Soziale Teilhabe‘, das sich an Langzeitarbeitslose richtet, als Regelleistung in das SGB II".
2013 stand der arbeitsmarktpolitische Teil des SPD-Wahlprogramms unter der durchaus eingängigen Formulierung "Die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen". In diesem Bereich hat die SPD in den zurückliegenden vier Jahren einiges über das von ihr geführte Bundesarbeitsministerium in die Wege geleitet und aus ihrer Sicht erfolgreich umgesetzt. Nun stellt sich die berühmte Anschlussfrage: Was soll jetzt kommen? Im neuen Entwurf findet man die Forderung, die Arbeitslosenversicherung zu einer "Arbeitsversicherung" weiterzuentwickeln, einen Schwerpunkt auf die Weiterbildung der Arbeitnehmer zu legen und die Bundesagentur für Arbeit namensmäßig um "und Qualifizierung" anzureichern. Bis auf die Namensfrage findet man diese Punkte aber auch schon im Wahlprogramm von 2013: "Wir wollen die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln (…) Qualifizierung und Weiterbildung über den gesamten Verlauf des Erwerbslebens sind zentral für den Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit. Die Arbeitsversicherung stellen wir auf drei Säulen: den bestehenden sozialrechtlichen Anspruch auf Qualifizierung durch die Arbeitsmarktförderung der Bundesagentur für Arbeit im Falle von Arbeitslosigkeit, einen gestärkten arbeitsrechtlichen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Sicherung und Erhalt der Qualifikation und einen neuen individuellen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und Qualifizierung, über den die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst entscheiden."
Die FDP hingegen entfernt sich arbeitsmarktpolitisch gesehen nicht von ihrem Stand 2013, als sie aus dem Bundestag gewählt wurde. Arbeitgeberorientierung und die Ablehnung weiterer Regulierungen zeichnen das Wahlprogramm aus. Bei der Arbeitszeitfrage soll weiter dereguliert werden. Dies sind keine überraschenden, sondern bekannte Positionen.
Diskussionsbedürftig ist die Positionierung der AfD zu arbeitsmarktpolitischen Themen. Punktuelle Kritik an bestehenden Regelungen beispielsweise zu Leiharbeit und Werkverträgen sowie eine Erweiterung der SGB-III/II-Leistungen für bestimmte Personengruppen und die Anerkennung des Mindestlohns sind wichtige Punkte, die zu nennen wären. Sie verweisen darauf, dass sich bestimmte Kräfte innerhalb der AfD nicht haben durchsetzen können, die einen ganz anderen, wesentlich "marktliberaleren" Ansatz im Sinne einer Abschaffung von Regulierungen einschließlich der Ablehnung des gesetzlichen Mindestlohns bis hin zu der Forderung nach einer Abschaffung der Arbeitslosenversicherung vertreten.
Insgesamt wird die Arbeitsmarktpolitik keine größere eigenständige Rolle im Wahlkampf spielen, sofern man das zum jetzigen Zeitpunkt einschätzen kann. Das kann man auch daran erkennen, dass der in den Wahlprogrammen präsentierte Forderungskatalog der Parteien bis auf wenige Ausnahmen im Vergleich zu 2013 merklich geschrumpft ist.