Die Hauptstadt der USA ist in Aufruhr. Der amtierende Präsident, bei einem Attentat durch mehrere Schüsse niedergestreckt, liegt bewusstlos im Krankenhaus. Der mutmaßliche Täter wird in den Kellern der CIA vor den Augen des zuständigen Staatsanwalts gefoltert. Zeitgleich befindet sich ein politischer Großskandal um die Manipulation der jüngsten Präsidentschaftswahl kurz vor der Aufdeckung. In dieser hektischen Gemengelage formuliert Harrison Wright, Mitarbeiter der Krisenberaterin Olivia Pope, worum es in der Politik geht: "There’s a whole other layer of D.C., you know, where real politics happen. Where decisions are made. Not about democracy or the flag, but power. This is about things that go bump in the night. Stuff that regular Americans never hear about. This is the real deal!"
Dieses Zitat aus der erfolgreichen US-Fernsehserie "Scandal" verdeutlicht: Politserien bieten uns mediale Konstruktionen des Politischen, die klar von dem aus der üblichen Berichterstattung bekannten Bild abweichen. Diese verdichten sich in expliziten Definitionen wie der oben zitierten, wo uns gesagt wird: Reale Politik dreht sich nicht um normative Vorstellungen von Demokratie und ihre feiertäglichen Symbole, sondern um die moralfreien, machtorientierten Motive des politischen Alltags. Die Episoden und Staffeln von Politserien sind dann als erzählerische Entfaltungen dieser Definitionen zu verstehen.
Dieses Versprechen lockt viele Zuschauerinnen und Zuschauer an – zumal da, wo Serien durch intensiven Realitätsbezug an Glaubwürdigkeit gewinnen. So greifen die fiktionalen Serienwelten stets außermediale Realitäten auf: "Scandal" etwa verursachte heftige Diskussionen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit, als in Staffel 4, Folge 14 das Problem der Polizeigewalt gegen Schwarze thematisiert wurde, das in den vergangenen Jahren in verschiedenen Landesteilen mehrfach zu Unruhen geführt hat. Der Ausstrahlungszeitpunkt der Episode war, unabsichtlich, perfekt getimt: Sie lief erstmals am 5. März 2015, einen Tag nachdem die Grand Jury in Ferguson, Missouri entschieden hatte, dass der weiße Polizist, der den Schwarzen Michael Brown getötet hatte, nicht vor Gericht muss. Die fiktive Welt der Serie schien auf einmal mit der außermedialen Welt zu verschmelzen; die Folge ließ sich als direkter Kommentar zum skandalösen Freispruch interpretieren.
Auch die Serienfiguren sind teilweise an reale Personen angelehnt. Die Krisenmanagerin Olivia Pope, Hauptfigur in "Scandal", ist erkennbar der real existierenden PR-Fachfrau Judy Smith nachempfunden. Smith war früher in der Administration von George W. Bush tätig und gilt seit Jahren als eine der prominentesten Krisenmanagerinnen im politischen und wirtschaftlichen Leben der USA. Wenn Smith dann auch noch im Produktionsteam der Serie als Koproduzentin tätig ist und die Autoren mit ihrem Praxiswissen berät, ist die Brücke zwischen Fiktion und Alltagswelt perfekt. Eine solche Einbindung von Fachleuten und Insidern ist in der Serienproduktion durchaus üblich. Michael Dobbs, Autor der Buchvorlage der "House of Cards"-Serien, war in den 1970er und 1980er Jahren unter anderem Berater von Margaret Thatcher und Stabschef der britischen Regierung. Und auch die ZDF-Produktion "Kanzleramt" nahm bei den Drehbüchern die Dienste des früheren Redenschreibers und politischen Redakteurs Martin E. Süskind in Anspruch.
Wie sehr sich politische Realität und Serienfiktion ineinanderschieben können, wurde auch im Präsidentschaftswahljahr 2016 in den USA deutlich. So spielte Netflix mit Frank Underwood, der Hauptfigur in "House of Cards", ein Verwirrspiel, als sie Underwoods fiktive Präsidentschaftskampagne ohne deutliche Markierung des fiktionalen Charakters in die politische Medienöffentlichkeit der Vereinigten Staaten einspeiste. Underwood bekam, wie bei realen Wahlkämpfen üblich, eine eigene Kampagnenhomepage eingerichtet, täuschend echt gestaltete Werbespots des "Kandidaten" wurden im Fernsehen geschaltet und gezielt sogar in der Pause der TV-Debatte republikanischer Präsidentschaftsbewerber im Dezember 2015 ausgestrahlt.
Trotz der genannten Indikatoren für eine gewisse Realitätsnähe politischer Serien ist allen Beobachtern in der Regel klar, dass es relevante Unterschiede zwischen der Serienrealität und der politischen Alltagswelt gibt. Niemand würde unterstellen, politische Betrugsmanöver, Mord und Folter prägten in dem Maße die Politik, wie es "Scandal" oder "House of Cards" behaupten. Was also macht die spezifische Realität politischer Unterhaltungsserien aus, welche Bilder des Politischen produzieren sie, und welchen Einfluss können sie entfalten?
Politserien im Boom
"Scandal" ist ein symptomatisches Beispiel für den gegenwärtigen Boom von Politserien in den USA. Die Serie basiert auf einer Idee der erfahrenen Produzentin Shonda Rhimes, die schon seit vielen Jahren mit Produktionen wie "Grey’s Anatomy" (bislang 278 Folgen in 13 Staffeln) erfolgreich im Geschäft ist. Rhimes hatte Judy Smith 2010 kennengelernt und war danach fasziniert von dem Gedanken, eine im politischen Raum angesiedelte Unterhaltungsserie zu produzieren. "Scandal" zeigt ein für moderne Qualitätsserien typisches Profil:
Sie ist ein Genremix aus Krimi, Action, Spionagethriller und Melodram.
Ihre komplexe Erzählstruktur verbindet die klassischen Episodenstücke (series) mit übergreifenden Handlungssträngen der Fortsetzungsserie (serial).
Sie zeichnet sich aus durch ein hohes Erzähltempo mit geschliffenen Dialogen und modernem, schnellem Schnitt.
Die Figuren sind vielschichtig, moralisch ambivalent und ungewöhnlich komponiert; sie zeigen Stärke und Schwäche zugleich, haben dunkle Geheimnisse und lassen sich nicht auf traditionelle Muster von Gut und Böse, Helden und Schurken reduzieren.
Die Serie zeichnet ein illusionsloses und pessimistisches Bild der Politik; das politische Parkett ist hier kein Terrain für Idealisten, sondern für egoistische, machtfixierte und skrupellose Akteure. Diejenigen, die angetreten sind, um für das Gute einzutreten, scheitern am System und werden in Zusammenhänge verwickelt, wo sie Böses tun müssen. Selbst moralisch anständige Interventionen verleihen der korrupten politischen Ordnung so nur den Anschein von Recht und Moral.
Der anhaltende Politserien-Boom umfasst politische Prozessdramen
Und sie haben politische Serienproduktionen auch in anderen Ländern angeregt, so zum Beispiel "Kanzleramt" in Deutschland (ZDF, eine Staffel 2005), "Les hommes de l’ombre" in Frankreich (France 2, drei Staffeln seit 2012) und "Borgen" in Dänemark (DR1, drei Staffeln von 2010 bis 2013). In Großbritannien sind politische Serien und Mehrteiler schon seit Längerem beliebt. So waren die Episoden der "House of Cards"-Trilogie (drei Mehrteiler, BBC, 1990 bis 1995) nicht nur im heimischen Fernsehen erfolgreich, sondern lieferten auch die Vorlage für die gleichnamige US-Produktion bei Netflix. In ähnlicher Weise bildete Armando Iannuccis satirischer Einblick in den Regierungsalltag mit dem Titel "The Thick of it" (BBC, vier Staffeln von 2005 bis 2012) das Vorbild für die amerikanische Version "Veep", die ebenfalls von Iannucci produziert wurde. Der Boom der Politserien ist also ein internationales Phänomen, das sein treibendes Kraftzentrum jedoch in den USA hat: in einer politischen Medienkultur, in der die enge Verbindung von Politik und Unterhaltung schon lange etabliert ist.
Balanceakt zwischen Realitätsbezug und Unterhaltungswert
Eine Politserie ist eine in Episoden und Staffeln unterteilte, fiktionale und audiovisuelle Erzählung über "politische Wirklichkeiten". Mit politischen Wirklichkeiten sind dabei zunächst politische Zusammenhänge im engeren Sinne gemeint: Geschehnisse, die mit Institutionen und Akteuren wie Regierungen und Parlamenten, Präsidenten, Parteien und Journalisten, Geheimdiensten und Spionage zu tun haben. Teilweise wird bei dem Begriff "Politserie" auch ein weiterer Politikbegriff zugrunde gelegt, sodass Serien, die sich allgemein mit Macht und Herrschaft sowie mit Kämpfen um Anerkennung befassen, ebenfalls einbezogen werden. In diesem Sinne könnte etwa auch die "Lindenstraße" als Politserie bezeichnet werden.
Der Geltungsanspruch einer Serie ist ein anderer als der eines Berichts oder einer Reportage. Die Erzählung ist gerahmt wie eine Als-ob-Welt, vergleichbar einem Spiel, bei dem alle wissen, dass es eine zur Alltagswelt differente Wirklichkeit konstruiert.
Für das Laienpublikum besteht die große Faszination politischer Serien in dem Versprechen, einen sonst in der medialen Berichterstattung unmöglichen Blick hinter die Kulissen des politischen Betriebs erheischen zu können. Die Zuschauer sind dabei, wenn geheime Absprachen getroffen und Intrigen geschmiedet werden. Sie blicken den Protagonisten bei der politischen Arbeit über die Schulter. Sie erfahren sogar die geheimsten Gedanken der Akteure, wenn diese mit sich selbst sprechen, mit der Ehefrau eine Zigarette am Fenster teilen oder sich in vertrauensvollem Ton direkt ans Publikum wenden. Mit solchen asides produziert etwa die US-Serie "House of Cards" eine Komplizenschaft zwischen dem skrupellosen Antihelden Frank Underwood und den Zuschauern, die ihn trotz all seiner Vergehen doch mögen, weil er sie durch die direkte Ansprache immer wieder mit ins Boot holt.
Für das Fachpublikum, für politische Akteure und Journalisten, die den Betrieb kennen, besteht der Reiz der Serien darin, die fiktionale Welt als Reflexionsmedium für eigene Tätigkeiten und Wahrnehmungen zu nutzen. Wenn ein Bundestagsabgeordneter beispielsweise den fiktiven Bundestagsabgeordneten Hajo Eichwald aus der Miniserie "Eichwald, MdB" (ZDF 2015) an seinem Alltag verzweifeln sieht, dann kann er das zum Anlass nehmen, über seine eigenen früheren Illusionen und jetzigen Ernüchterungen nachzudenken.
Entscheidend ist aber, dass Politserien primär Unterhaltungsformate sind. Wollen sie als solche erfolgreich sein, müssen sie bestimmten dramaturgischen Anforderungen gehorchen. Das "starke und langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich", wie Max Weber das politische Handeln beschrieb,
Idealtypen
Wie lässt sich der serienbasierte Entwurf des politischen Prozesses genauer bestimmen? Aspekte der Zuspitzung und dramaturgisch bedingten Verkürzung habe ich bereits erwähnt. Die Serien bieten uns komprimierte Seinsbestimmungen der politischen Welt. Sie können im besten Fall zeigen, wie Politik funktioniert und was die beteiligten Akteure antreibt. Sie führen vor, mit welcher Währung im politischen Geschäft bezahlt wird und welche Kooperationen und Konfrontationen sich zwischen Politik und Medien herausbilden können. Idealtypisch vereinfacht kann das Spektrum der fiktionalen Konstruktion des Politischen auf drei zentrale Konzepte reduziert werden, die mit grundlegenden Begriffen des Politischen korrespondieren: Politik wird entweder dargestellt als Idealpolitik, Realpolitik oder Machtpolitik.
Wird Politik als Idealpolitik dargestellt, geht es um eine Politikvorstellung, in der politisches Handeln "guten" Zielen wie dem Gemeinwohl, Gerechtigkeit oder Freiheit dient, die durch angemessene, legitime und legale Mittel erreicht werden sollen. Die Protagonisten sind in dieser Welt umsichtig und moralisch integer, vor allem aber sind sie meist altruistisch motiviert. Sie kämpfen für die gute Sache, nicht für eigene Vorteile oder Karrieresprünge. Ein solches positives Bild wurde in "The West Wing" oder auch später in "Kanzleramt" geboten. Die Figuren weisen zwar kleine menschliche Schwächen auf, sie konkurrieren miteinander, sind auch mal eifersüchtig und eitel, agieren aber insgesamt gemeinwohlorientiert. Die Politserie definiert hier einen utopischen Raum, der als normative Messlatte, als positives Gegenbild zur außermedialen politischen Realität fungieren kann.
"The West Wing" war für viele Zuschauer in den USA geradezu ein erlösendes Gegenbild zur von Politikverdrossenheit geprägten Realität während der Regierungszeit von George W. Bush (2001 bis 2009). Der fiktive Präsident Josiah Bartlet, ein glänzender Intellektueller mit hohen moralischen Ansprüchen, Humor und warmherziger Ausstrahlung, erschien gegenüber dem realen Amtsinhaber im Weißen Haus als Lichtgestalt, die verkündete, dass Politik auch integrer und intelligenter gestaltet werden kann.
Das Bild von Politik als Realpolitik verweist dagegen auf ein Konzept, demzufolge Politik zwar "gute" Ziele ausgibt und verfolgt, dabei aber mitunter moralisch fragwürdige Handlungsweisen toleriert, um sie zu erreichen. Die Protagonisten sind in diesem politischen Kosmos entweder direkt schon desillusioniert und abgeklärt, oder aber die Serien führen einen Prozess vor, der das politische Erwachsenwerden als Loslösung von idealistischen Vorstellungen und moralischen Bindungen beschreibt.
So erzählt etwa die dänische Serie "Borgen" den Werdegang der Politikerin Birgitte Nyborg als eine Art politischen Bildungsroman, als eine Coming-of-age-Geschichte. Zu Beginn der Serie stürmt die von Idealen beseelte Nyborg voller Tatendrang ins Amt der dänischen Ministerpräsidentin. Sie will vieles bewegen, dabei ihren Wertvorstellungen treu bleiben und ihre menschlichen Beziehungen schützen. Rasch merkt sie jedoch, dass politische Erfolge moralisch häufig teuer erkauft sind. Langjährige Freundschaften werden geopfert und zentrale Werte aufgegeben, die früher die eigene Identität definiert hatten. Das Familienleben leidet nicht nur unter der Zeitverknappung im Amt, sondern auch unter den Veränderungen, die Nyborgs Persönlichkeit durchläuft. Die Scheidung vom Ehemann ist die Konsequenz aus psychischen Verhärtungen, die das Amt und die mit ihm verbundenen Notwendigkeiten produzieren.
Auch die ARD-Produktion "Die Stadt und die Macht" (Das Erste, sechs Teile, 2016) versuchte, einen ähnlichen Bildungsroman über eine junge Frau zu erzählen, die den Weg in den politischen Dschungel geht und dabei lernt, Anstand und Aufrichtigkeit auszublenden, wenn es gilt, den politischen Gegner auszumanövrieren und Wählerstimmen zu gewinnen.
Realpolitische Szenarien in Politserien scheinen einen besonders realistischen Bezug zur außermedialen Wirklichkeit herzustellen, da sie ein simples Schwarz-Weiß-Schema vermeiden und den Preis für Machterwerb und politische Gestaltung aufzeigen. Auch die bereits erwähnte Serie "Scandal" kann als Ausprägung des realpolitischen Blicks auf die Wirklichkeit gesehen werden, obwohl das Abrücken von moralischen Werten um der positiven Ziele willen hier ganz besonders drastisch gezeigt wird und viele der Akteure Entwicklungen durchlaufen, die eher schon dem dritten Muster, der Machtpolitik, entsprechen. Die Protagonisten verrohen so stark, dass sie selbst in Folter ein legitimes Mittel der Wahrheitssuche sehen. Spätestens ab der dritten Staffel hat man den Eindruck, die Figuren bewegten sich in einer in den Hobbes’schen Naturzustand versetzen Welt: Jeder kämpft gegen jeden, niemandem kann vertraut werden, alle agieren "gut" und "böse" zugleich. Ein solches Politikbild ist unterhaltsam in all seinen Thriller- und Actionelementen, es enthält aber bei aller dramaturgischen Zuspitzung auch viel Potenzial für einen kritischen Blick auf den politischen Prozess. Und es markiert den Übergang zum dritten Typus.
Bei der Darstellung von Politik als Machtpolitik geht es um ein Bild von Politik, das weder bei den Zielen noch bei den Mitteln moralische Standards voraussetzt. Die Motivation allen politischen Handelns ist das Streben nach Macht. Diese wird jedoch nicht als Mittel zur Umsetzung politischer Inhalte und Werte betrachtet, sondern zur Steigerung von Anerkennung und Selbstwertgefühl. Ziel der Machtpolitik ist letztlich, das Ego der Akteure zu stärken. Der "House of Cards"-Protagonist Frank Underwood ist ein Musterbeispiel des machtbesessenen Politprofis, der alle Normen und Werte ausblendet, um seine Ziele zu erreichen. Sein Machtstreben wird geradezu als etwas Triebhaftes dargestellt. Die Manipulation der Menschen, die er steuert, um Macht zu generieren, gleicht der sexuellen Besitzergreifung, wie er dem Zuschauer in der ersten Staffel (Folge 9) direkt mitteilt: "A great man once said, everything is about sex. Except sex. Sex is about power." Underwood setzt diese Einsicht konsequent um, indem er eine sexuelle Beziehung mit einer jungen Journalistin beginnt, die er für seine Zwecke zu nutzen gedenkt (die Instrumentalisierung erfolgt hier freilich gegenseitig).
Eine Figur wie Frank Underwood fand schon bald Spiegelungen in satirischen Politserien wie "The Thick of it", "Veep" oder auch "Eichwald, MdB". Auch diese Akteure haben Machterwerb und Machterhalt im Sinn, auch bei ihnen stellt sich das Mittel häufig als der Zweck des Ganzen dar. Im Unterschied zum Königsdrama à la "House of Cards" geben die seriellen Komödien die Machtpolitik jedoch dem Gelächter des Publikums preis. Ihre Protagonisten sind lustig im ständigen Scheitern, sie denunzieren das eigene Tun durch Unfähigkeit und übertriebene Eitelkeit. Und auch bei der satirischen Zuspitzung gilt natürlich: Der Realitätsbezug, die Verbindung zu den Eitelkeiten und Unfähigkeiten realer politischer Akteure, muss erhalten bleiben, damit das Ganze beim Publikum auch funktioniert. Dann kommen auch bei den satirischen Serienformaten Unterhaltungswert und Realitätsbezug als die beiden Komponenten erfolgreicher Politserien zusammen.
Rezeption: Was bewirken PolitSerien?
Kommen wir zur Frage, welches Bild des Politischen die Serien – ob Drama oder Komödie – bei den Zuschauern hervorrufen. Haben die gezeigten fiktionalen Welten eine messbare Wirkung? Seit der Jahrtausendwende gibt es eine Reihe von Untersuchungen der quantitativen Medienwirkungsforschung, die auf Effekte hindeuten. So zeigte eine Studie von 2003, dass der Konsum von "The West Wing" zu einem positiveren Bild von bestimmten US-Präsidenten und der Präsidentschaft insgesamt führen kann. Bei den Befragten galt das sogar für die Bewertung des damaligen Amtsträgers George W. Bush, der ja im fiktiven Präsidenten Bartlet eigentlich ein kontrastierendes Gegenbild gefunden hatte. Der "gute" fiktive Präsident färbte hier also auf den "schlechten" realen Präsidenten positiv ab.
Umgekehrt können Formate, die eine skeptische Haltung gegenüber dem Regierungshandeln zeigen, Misstrauen und Verschwörungsannahmen bei den Zuschauern fördern.
Auch Studien aus Deutschland deuten darauf hin, dass sich Effekte auf politische Einstellungen und sogar auf die politische Handlungsebene beobachten lassen. Forscher aus der Düsseldorfer Arbeitsgruppe um die Kommunikationswissenschaftlerin Christiane Eilders haben gezeigt, "dass die fiktionalen Inhalte der ‚Lindenstraße‘ in der Lage sind, auch einige Aspekte politischen Verhaltens zu beeinflussen"; konkret zeigten Zuschauer der Serie zum Beispiel eine größere Neigung, die Linkspartei zu wählen.
All diese Befunde sollten allerdings mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden. Sie stammen meist aus experimentellen Untersuchungsdesigns oder Umfragen. Wie langfristig die Effekte sind, welche Dispositionen bei den Zuschauern vorhanden sein müssen, wo lediglich Korrelationen oder doch Kausalitäten vorliegen, und wie sich Rezeption tatsächlich als aktiver Aneignungsprozess von Serien vollzieht – auf all diese Fragen gibt es bislang kaum gültige Antworten. Nach wie vor gilt: Es sind nicht nur die Serien, die etwas mit den Nutzern machen, sondern die Nutzer machen auch aktiv etwas mit den Serien. Menschen eignen sich Medien an, zu den Bedingungen ihrer in Sozialisationsprozessen geformten Persönlichkeiten und ihrer je unterschiedlichen sozialen Umfelder. Dennoch: Politserien scheinen Wirkung zu zeigen, und manches deutet darauf hin, dass Zuschauer zwar kurzfristig gut zwischen Fiktion und Alltagsrealität unterscheiden können, dass sich längerfristig jedoch Erfahrungen aus fiktionalen und realen Kontexten vermischen.
Fazit
Politserien eröffnen den Zuschauern einen Blick auf die Hinterbühnen der Politik. Sie konstruieren, häufig im Rückgriff auf Insiderwissen, politische Realitäten – aber diese Realitäten unterliegen der spezifischen Funktionslogik von medialen Unterhaltungsformaten. Es handelt sich um fiktionale Erzählungen, die politische Akteure und Geschehnisse vereinfacht, zugespitzt und orientierungsfreundlich in einer Dramaturgie darbieten, die Spannung oder Komik oder beides zugleich entfaltet. Dabei lassen sich idealpolitische, realpolitische und machtpolitische Bilder des Politischen unterscheiden. Die Als-ob-Welten der Serien sind kurzweiliger als der graue politische Alltag, aber sie bleiben stets auf ihn bezogen, sodass die Zuschauer immer wieder den Bezug zwischen den beiden Wirklichkeitsebenen herstellen können.
Es ist daher auch wenig überraschend, dass Politserien nicht wirkungslos bleiben: Sie beeinflussen empirischen Forschungen zufolge die politische Agenda, den öffentlichen Themenhaushalt der Gesellschaft, aber auch Wahrnehmungen, Vorstellungen und Einstellungen. So kann einerseits das Image des realen Präsidenten vom Idealismus einer fiktionalen Figur profitieren und andererseits das Misstrauen der Zuschauer durch unmoralische Serienfiguren genährt werden. Die Akzeptanz von Folter kann durch Serien ebenso beeinflusst werden wie Parteipräferenzen. Wie nachhaltig solche Effekte jedoch tatsächlich sind und welcher Zuschauertypus unter welchen Bedingungen eher beeinflussbar ist, gilt es in weiteren Forschungen noch genauer zu untersuchen.
Die Wahl des republikanischen Kandidaten Donald Trump zum Präsidenten im November 2016 ließ wiederum eine geradezu unheimliche Prophetie einer Fernsehserie sichtbar werden. Bereits vor 16 Jahren hatten die Autoren der Zeichentrickserie "The Simpsons" einen Präsidenten Trump vorausgesagt – zu einer Zeit, als derartige Ambitionen des Milliardärs noch keinesfalls zu erahnen waren. In der am 19. März 2000 erstausgestrahlten Folge "Bart to the Future" sieht Bart, der Sohn der Familie Simpson, in einer Zukunftsvision, wie seine Schwester Lisa das Amt der Präsidentin erringt und das Weiße Haus von einem gewissen Donald Trump übernimmt, der das Land gerade in eine Pleite geführt hat. Ihre Vorhersage kommentierten die Macher der Serie nach dem tatsächlichen Sieg Trumps im November 2016 mit Humor: In der ersten Folge nach der Entscheidung schreibt Bart im traditionellen Vorspann-Gag hundertfach "Being Right Sucks" an die Tafel: "Richtig zu liegen, nervt".