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Zum Stand der deutsch-französischen Beziehungen

Ulrich Pfeil

/ 13 Minuten zu lesen

Dass Frankreich und Deutschland weiterhin als der so oft beschworene "Motor Europas" zusammenwirken können, wird zunehmend bezweifelt. In der Tat scheinen sich die deutsch-französischen Beziehungen derzeit in der Krise zu befinden.

"Es wird keine Lösung gefunden werden können, wenn es sie nicht zwischen Angela Merkel und François Hollande gibt." Was der französische Finanzminister Michel Sapin im Juli 2015 in Bezug auf die Griechenland-Krise sagte, galt über Jahrzehnte für die europäische Einigung allgemein: "Der deutsch-französische Ausgleich nationaler Interessen war der Kern der europäischen Integration seit den fünfziger Jahren."

In dieser Zeit hat es immer wieder Veränderungen im deutsch-französischen Koordinatensystem gegeben. Nachdem der französische Präsident Charles de Gaulle in den 1960er Jahren noch wie selbstverständlich die Führungsrolle seines Landes in den deutsch-französischen Beziehungen beansprucht hatte, stellte sich in den 1970er Jahren ein Gleichgewicht zwischen den Partnern ein: Frankreich hatte die politische Führung inne, die Bundesrepublik spielte auf wirtschaftlicher Ebene die "erste Geige". Mit der deutschen Vereinigung und dem Ende des Kalten Krieges verschoben sich die Gewichte zugunsten Deutschlands, das nun 80 Millionen Einwohner zählte und von allen besatzungsrechtlichen Beschränkungen befreit war. Bis in die 2000er Jahre wurde diese Diskrepanz durch die Tatsache übertüncht, dass Deutschland vor allem auch wirtschaftlich die Wiedervereinigung "verdauen" musste. In der Endphase der Kanzlerschaft Helmut Kohls galt es gar als "kranker Mann Europas". Frankreich hingegen konsolidierte in dieser Zeit seinen Haushalt und steigerte seine Wettbewerbsfähigkeit. Die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder durchgesetzten Arbeitsmarktreformen müssen daher als Wendepunkt in den deutsch-französischen Beziehungen gesehen werden: Während Deutschland wieder zur wirtschaftlichen Lokomotive in Europa wurde, verharrte Frankreich in einem ökonomischen und gesellschaftlichen Immobilismus, bis die interne Balance zwischen den Partnern, beschleunigt durch die globale Finanzkrise ab 2008 und die Eurokrise ab 2010, sich schließlich ganz umkehrte. Heute ist es Frankreich, das strukturelle Probleme nicht in den Griff zu bekommen und weitgehend reformunfähig zu sein scheint.

Immer mehr drängt sich der Eindruck auf, dass Frankreich von Deutschland abgehängt wird. Zugleich ist die deutsch-französische Zusammenarbeit seit einigen Jahren angesichts der verschiedenen Brandherde in Europa und der Welt zu einem Krisenmodus gezwungen, der das Duo besonders fordert. Doch dass Frankreich und Deutschland weiterhin als der so oft beschworene "Motor Europas" zusammenwirken können, wird zunehmend bezweifelt. In der Tat scheinen sich die deutsch-französischen Beziehungen selbst in der Krise oder zumindest in einem "gemütlichen Wachkoma" zu befinden.

Auf Wellenlänge?

Als Seismograf für den Stand der deutsch-französischen Beziehungen gilt das Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Präsident.

Nach der Wahl von Nicolas Sarkozy 2007 hatte es zwischen ihm und Angela Merkel anfängliche Dissonanzen gegeben, doch schweißten die gemeinsamen Bemühungen um die Beilegung der Finanzkrise die beiden Politiker schnell zusammen ("Merkozy"). Nach der Wahl von François Hollande im Mai 2012 stellte sich daher umgehend die Frage, ob der sozialistische Präsident und die christdemokratische Kanzlerin sich in die Tradition der deutsch-französischen Paarbildung stellen würden ("Merkhollande"). Die Voraussetzungen schienen gut, stand doch 2013 der 50. Jahrestag des Élysée-Vertrags und damit eine Gelegenheit für aufwendige Symbolpolitik an. Die Feierlichkeiten spiegelten jedoch eher ein Fremdeln auf beiden Seiten wider, der ostentativ freundschaftliche Umgang vermochte die Divergenzen nicht zu überdecken. Anscheinend wollte Hollande der Kanzlerin nicht vergeben, dass sie sich zugunsten Sarkozys in den Präsidentschaftswahlkampf eingemischt und es abgelehnt hatte, den Kandidaten Hollande zu einem Gespräch im Kanzleramt zu empfangen. Erst nach den Attentaten auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt am 7. Januar 2015 in Paris schien sich das persönliche Verhältnis der beiden zu verbessern. Beim anschließenden Schweigemarsch schritt Hollande voran, mit Merkel an seiner Seite, und in den folgenden Wochen schien der Präsident mehr und mehr Vertrauen zur Kanzlerin zu fassen, die ihrerseits ermutigende Zeichen sandte.

In den vergangenen vier Jahren waren es die beiden Außenminister, die das Getriebe der deutsch-französischen Beziehungen am Laufen hielten – von den soziokulturellen Aktivitäten, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, einmal abgesehen. Frank-Walter Steinmeier und Laurent Fabius bekundeten regelmäßig ihr wechselseitiges Vertrauen und den Willen zur engen Kooperation. Beide nahmen an Kabinettsitzungen im jeweils anderen Land teil, und 2014/15 besuchten sie gemeinsam Georgien, Moldawien, Tunesien und Nigeria. Fabius witzelte: "Wenn Frank-Walter nicht mit seiner Frau zusammen war, dann war er mit mir zusammen." Auch mit Fabius’ Nachfolger Jean-Marc Ayrault bildete Steinmeier schnell ein deutsch-französisches Gespann. Gemeinsam flogen sie zu ihren Gesprächspartnern, wie etwa nach Mali im Mai 2016 oder in die Ostukraine im September 2016, und demonstrierten die deutsch-französische Verantwortung für Europa. Im Sommer 2016 signalisierten sie mit ihrem Papier "Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt", dass sie Merkel und Hollande nicht alleine die Aufgabe überlassen wollen, Antworten auf die heutigen Herausforderungen in der Welt und in Europa zu formulieren.

Auf Augenhöhe?

"Deutschland und Frankreich müssen auf Augenhöhe sein", heißt es immer wieder in Paris und Berlin, denn nur auf dieser Grundlage könne die deutsch-französische Zusammenarbeit funktionieren. Diese Prämisse schien in den vergangenen Jahren nicht mehr gegeben, nicht zuletzt auch, weil die Position des französischen Präsidenten im Innern geschwächt schien.

Bei François Hollandes Wahl zum siebten Präsidenten der V. Republik am 6. Mai 2012 hatte die Mehrheit der Franzosen noch regelrecht aufgeatmet. Während jedoch die Wahl seines sozialistischen Vorgängers François Mitterrand 1981 ähnlich wie jene Willy Brandts 1969 in der Bundesrepublik einen bewussten Politikwechsel herbeiführen sollte, hatten die meisten Franzosen 2012 in erster Linie gegen Nicolas Sarkozy gestimmt. Nach der ersten Euphorie des Wahlsieges sanken Hollandes Umfragewerte kontinuierlich, und auch innerhalb seiner Sozialistischen Partei wuchs bald die Unzufriedenheit. Bei den Kommunal-, Europa- und Regionalwahlen 2014/15 wurden die Sozialisten für die schlechte Wirtschaftslage, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, ausbleibendes Wachstum und die hohen Schulden abgestraft. Zwar konnte der rechtsextreme Front National nicht so hohe Ergebnisse erzielen wie vorhergesagt und sich in keinem Departement beziehungsweise in keiner Region durchsetzen, doch sind die Wahlergebnisse ein Zeichen für einen Rechtsruck in Frankreich. Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen ist Hollande der unpopulärste Präsident, den die V. Republik je gekannt hat, und es käme einem Wunder gleich, wenn der noch zu bestimmende sozialistische Kandidat in den zweiten Wahlgang käme – das Vertrauen der Sozialisten in Hollande ist so gering, dass er sich vor einer Kandidatur einer offenen Vorwahl stellen muss.

Obwohl in Deutschland die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen beachtliche Ergebnisse erzielen konnte und das Regieren nicht nur in den Ländern, sondern auch im Bund für Angela Merkel und die CDU schwieriger wird, erzielt die Kanzlerin in Umfragen nach wie vor Spitzenwerte. Und auch wenn jüngst mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 eine erneute Kandidatur Angela Merkels aus den Reihen der CDU/CSU infrage gestellt wurde, so sitzt sie doch fest im Sattel.

Dass hinsichtlich der wirtschaftlichen und politischen Lage "zwischen Berlin und Paris derzeit Welten liegen", schlägt sich auch in der gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Franzosen nieder. Zwar unterstreichen Meinungsumfragen, dass die beiden Gesellschaften einen freundschaftlichen Blick über den Rhein richten und das positive Bild vom Nachbarn stabil ist. Doch hat die gegenseitige Kritik in den vergangenen Jahren zugenommen. Der Sparkurs Deutschlands gilt in Frankreich vor allem im linken Lager als Austeritätspolitik, die die Armut in Europa verstärke und von "egoistischer Unnachgiebigkeit" und mangelnder Solidarität zeuge. In den Medien werden mitunter historische Analogien bemüht und Merkel als pickelhaubetragende "Eiserne Kanzlerin" dargestellt oder mit Bezug zur Besatzungszeit während des Zweiten Weltkrieges mit dem deutschen Warnruf "Achtung!" abgebildet. Auf deutscher Seite ist der vermeintliche Reformunwille der Franzosen immer wieder Anlass, sich am Nachbarland abzuarbeiten. Davon zeugen Schlagzeilen wie "Wird Frankreich das neue Griechenland?" oder das von "Bild" und "Focus" bemühte Wortspiel "Krankreich" sowie die vom "Handelsblatt" gewählte Bezeichnung "Bonsai-Machiavelli" für François Hollande.

Neue Herausforderungen

Trotz verschiedener Symptome einer akuten Verkühlung im deutsch-französischen Verhältnis bemühten sich François Hollande und Angela Merkel in den vielfältigen Krisen der vergangenen Jahre gemeinsam um immer wieder neue Lösungsansätze.

Ukraine-Konflikt und "Normandie-Format"

So bewog sie etwa die Eskalation in der Ukraine, wenige Flugstunden von Paris und Berlin entfernt, sich in enger Abstimmung für eine diplomatische Lösung des Konflikts einzusetzen. Bereits nach der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 hatten sich Hollande und Merkel am Rande der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der alliierten Landung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem designierten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko erstmals im "Normandie-Format" getroffen. Als sich Anfang 2015 die militärische Eskalation in der Ostukraine erneut zuspitzte und die Vereinigten Staaten Waffenlieferungen an die Ukraine forderten, reisten beide gemeinsam nach Kiew, Moskau und Minsk, um einen politischen Ausweg aus der Krise zu finden – das am 12. Februar 2015 unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen "Minsk II".

Welchen Ausgang der deeskalierende Ansatz von Merkel und Hollande finden wird, bleibt ungewiss – erst im Oktober 2016 fanden erneut Gespräche im "Normandie-Format" in Berlin statt, um sich auf einen neuen Fahrplan für eine Friedenslösung zu einigen. Doch das deutsch-französische Duo erhielt in diesem Prozess eine neue Dimension, denn Merkel und Hollande handelten über den EU-Rahmen hinaus und schwangen sich als deutsch-französisches Paar zu einem Akteur in den internationalen Beziehungen auf.

Davon profitierten beide: Durch Hollandes Präsenz konnte die Kanzlerin den anderen Partnern in Europa klar zu verstehen geben, dass das deutsche Engagement in Osteuropa aus einer tiefen Verankerung im westlichen Bündnis heraus geschieht. Ferner kam "in der Hinzunahme Frankreichs auch ein immer noch vorhandenes Unbehagen Berlins mit seiner neuen Rolle zum Ausdruck: Frankreich als Feigenblatt – weniger, um Ängste anderswo vor deutscher Hegemonie zu zerstreuen, als vielmehr, um Selbstzweifel zu überdecken". Für Hollande handelte es sich bei den gemeinsamen Bemühungen um eine Friedenslösung innenpolitisch um eine Aufwertung, sodass er mit einer "gewissen Gelassenheit" darüber hinwegsehen konnte, "wer hier wen mit nach Minsk genommen hat". In der Tat scheint er die Rolle Frankreichs an der Seite Deutschlands als Bestätigung des französischen Selbstverständnisses als europäische Führungsmacht zu sehen und drängt immer stärker darauf, die europäische Friedensordnung als Sache der Europäer zu verstehen.

Brexit

Auch nachdem sich die Mehrheit der Briten beim Referendum vom 23. Juni 2016 für den Austritt ihres Landes aus der EU entschieden hatte, reagierten Paris und Berlin umgehend: Am 27. Juni trafen Hollande und Merkel sich mit Italiens Premierminister Matteo Renzi in Berlin und kündigten an, gemeinsam Vorschläge zur Weiterentwicklung einer EU ohne Großbritannien vorlegen zu wollen. Trotz dieser demonstrativ zur Schau gestellten Einigkeit kristallisierten sich jedoch schnell unterschiedliche Haltungen heraus: Während Merkel nicht zur Eile drängte, sprach sich Hollande für harte Verhandlungen mit Großbritannien aus, denn zum einen wollte er andere Mitgliedstaaten von einem EU-Austritt abschrecken und zum anderen auch seine eigenen Landsleute, von denen rund ein Drittel bei einem entsprechenden Referendum gegen die heutige EU stimmen würden, die laut Front National und den linksextremen Parteien in erster Linie deutschen Interessen dient. Es verbreitete sich die Sorge, es könne London gelingen, das etatistische Frankreich gegen das freihändlerische Berlin auszuspielen.

Um den Eindruck deutsch-französischer Divergenzen in der Brexit-Frage abzuschwächen, trafen sich Hollande und Merkel im Vorfeld des ersten EU-Gipfels ohne Großbritannien im September 2016 in Bratislava. Dabei war zu beobachten, dass die Kanzlerin auf die härtere Linie von Hollande eingeschwenkt war. Sie sprachen sich gemeinsam für eine europäische Reformagenda aus, um eine anhaltende Krise zu vermeiden. Bei den Gipfelgesprächen zeigte sich, dass die Streitigkeiten um Demokratie- und Subsidiaritätsfragen, eine gemeinsame Migrationspolitik, die Weiterentwicklung der Währungsunion sowie die Herausforderungen durch den Brexit den Rahmen eines einzigen Gipfels sprengten. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf einen Fahrplan, um auf zwei weiteren Gipfeln auf Malta und in Rom im Frühjahr 2017 weiterzuarbeiten.

Bei ihrem anschließenden gemeinsamen Auftritt betonten Merkel und Hollande, dass Berlin und Paris für die Zukunft der EU und die Umsetzung der "Bratislava-Agenda" gemeinsam die Verantwortung übernehmen wollten. Spürbar war dabei auf beiden Seiten der Zugzwang: Angesichts der anstehenden Wahlen in beiden Ländern gilt es, Konsens- und Handlungsfähigkeit auch im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs zu beweisen.

Zur offenen Ehe?

Wenn Sand im Getriebe des deutsch-französischen Motors ist, stellt sich stets die Frage, ob es zur Dynamisierung der EU Alternativen für dieses Beziehungspaar gibt. Viele französische Präsidenten und deutsche Kanzler klopften nach ihrer Wahl zunächst in London an, doch zuletzt mussten sowohl Gerhard Schröder als auch Nicolas Sarkozy feststellen, dass die Interessenkonvergenzen zwischen Berlin und Paris größer waren. Großbritannien fällt nun als Alternativpartner aus. Doch nach dem Brexit-Votum steht die EU umso mehr vor der Frage nach neuen Mehrheitskonstellationen. Denn nachdem sich bereits seit einigen Jahren vor allem in der kontroversen Diskussion um Haushaltskonsolidierung beziehungsweise Investitionen ein Nord-Süd-Gefälle in der EU auftut, geht dem Norden mit Großbritannien nun ein mächtiger Verbündeter verloren. Zugleich sind die osteuropäischen Länder, die weniger als mehr Europa einklagen, nach dem Scheitern des 1991 als Dialogforum zwischen dem "neuen" und dem "alten" Europa gegründeten "Weimarer Dreiecks" zu einem eigenständigen Machtfaktor geworden.

Ein Kandidat, für den sich die deutsch-französische Paarbindung öffnen könnte, scheint Italien zu sein. Im August 2016 trafen sich die Protagonisten der drei größten Euro-Länder auf der italienischen Insel Ventotene, um angesichts der Flüchtlingskrise und des internationalen Terrorismus über Sicherheitsfragen zu sprechen. Auf Betreiben von Renzi und Hollande wurde auch über mehr Investitionen diskutiert, um das Wachstum in Europa anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Böse Zungen mögen behaupten, dass es im Interesse des innenpolitisch geschwächten Hollande liegen muss, mit Renzi einen Alliierten gegen den deutschen Sparkurs in Europa gefunden zu haben. Das Dreiertreffen scheint aber die Initiative der Kanzlerin gewesen zu sein, die in Italien einen möglichen Verbündeten sieht. So hatte sie Renzi bereits im Januar 2016 in Berlin empfangen und ihn im Mai 2016 zu den Gesprächen mit Hollande, US-Präsident Barack Obama und dem britischen Premier David Cameron am Rande der Hannover-Messe eingeladen.

In der Tat versucht sich Renzi als italienischer Gerhard Schröder und bemüht sich, strukturelle Reformblockaden aus dem Weg zu räumen und den italienischen Staat einem Modernisierungsprogramm zu unterwerfen – während Hollande bei den Strukturreformen im eigenen Land eher apathisch wirkt. Auch in der Flüchtlingspolitik scheinen Berlin und Rom auf einer Wellenlänge: Merkel erkennt die Belastung Italiens bei der Aufnahme von Flüchtlingen an, und beide betonen gegenüber den osteuropäischen Staaten die europäische Solidarität – während Frankreich laut Premierminister Manuel Valls keinen einzigen Flüchtling mehr aufnehmen werde, als es gemäß der beschlossenen Quote müsse.

Doch bei den Themen Rüstung und Sicherheitspolitik waren während des Dreiertreffens auf Ventotene die Übereinstimmungen zwischen Paris, Berlin und Rom nicht zu übersehen. Blockierte Großbritannien in der Vergangenheit Bemühungen um eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, so könnte sich nach dem Brexit-Votum hier ein "Dreirad" gefunden haben, das eine Vertiefung der EU auf diesem Feld vorantreibt. Für eine fundierte Einschätzung ist es jedoch zu früh: Scheitert Renzi bei seinem Referendum zur Verfassungsreform, drohen Neuwahlen in Italien. Und in Frankreich und Deutschland muss im kommenden Jahr ebenfalls noch gewählt werden, bevor tragfähige Aussagen über die künftigen Konstellationen in der EU möglich sind.

Fazit

Europa wie auch die deutsch-französischen Beziehungen stehen heute an einem Scheideweg: Schien nach dem Ende der Blockkonfrontation der "ewige Friede" anzubrechen, so zeigen uns die Konflikte in der Ukraine und in Syrien, dass Krieg auch in Europa wieder möglich ist beziehungsweise seine Folgen zu einer Herausforderung für alle europäischen Staaten werden; schien der europäische Integrationsprozess lange unumkehrbar, so verdeutlicht das Brexit-Votum, dass Rückschritte nicht ausgeschlossen sind; resultierten Vertiefungen beim europäischen Integrationsprozess oft aus gemeinschaftlichen Lösungen für konkrete Probleme, so ist dieser Mechanismus ins Stocken geraten.

Den Weg in die Zukunft können Deutschland und Frankreich nicht alleine weisen, doch ist es zusammen mit ihren engsten Partnern ihre Aufgabe, Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu schützen und "eine politische Mitte zu schaffen und zu bewahren, aus der heraus ein gemeinsames, starkes Europa handeln kann". Beide Länder müssen in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und Integration ihre Hausaufgaben machen, um über die innenpolitische Legitimation auf internationaler Bühne gestärkt agieren zu können. In einem neuen Europa wird die Verantwortung für das deutsch-französische Duo nicht weniger, aber die Kooperation wird sich in Zukunft flexibler gestalten und andere Arrangements als in der Vergangenheit benötigen.

ist Professor für Deutschlandstudien an der Université de Lorraine in Metz. E-Mail Link: upfeil@orange.fr.