Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) befinden sich gegenwärtig etwa 60 Millionen Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht.
In der Europäischen Union sowie innerhalb ihrer Mitgliedstaaten laufen gegenwärtig hitzige Debatten um die Asylpolitik. Nachdem aufgrund der hohen Belastung für Länder mit EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland das sogenannte Dublin-System kollabiert ist, nach dem in erster Linie derjenige Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, in dem eine Person erstmals EU-Territorium betreten hat, ist momentan noch offen, wie die Europäische Union reagieren wird. Insbesondere Staaten ohne EU-Außengrenzen wie Deutschland mangelte es lange am politischen Willen, eine grundlegende Änderung des Systems herbeizuführen. Für einen von einigen Mitgliedstaaten wie unter anderem Deutschland angestrebten permanenten Verteilungsmechanismus für die Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union gibt es bisher keinen Konsens, zumal sich andere Mitgliedstaaten dagegen wehren, (mehr) Flüchtlinge aufzunehmen.
Während vor diesem Hintergrund die Europäische Union derzeit vor allem das Ziel verfolgt, die "Sicherung" ihrer Außengrenzen zu intensivieren, mehren sich in Deutschland die Stimmen, die eine sogenannte Obergrenze fordern: eine Begrenzung der Zahl der Schutz suchenden Menschen, die in Deutschland innerhalb eines Jahres einen Asylantrag stellen können. Beide Strategien laufen darauf hinaus, den Zugang zu einem Asylverfahren zu verweigern – was systematische Menschenrechtsverletzungen zur Folge hätte.
Blick zurück
Das Asylrecht ist eine der ältesten Institutionen der Menschheit. Der Begriff "Asyl" stammt aus dem Griechischen
In allen großen Religionen gibt es ähnliche Konzepte für die Gewährung von Zuflucht für Menschen in Not. So entwickelte etwa die christliche Kirche aus dem Gebot der caritas (Nächstenliebe) und misericordia (Barmherzigkeit) für sich das Recht, Menschen Asyl zu geben.
Der erste Beleg für den Schutz von Menschen, die aus ihrem Heimatland in ein anderes Land geflohen sind, stammt aus dem 14. Jahrhundert vor Christus. In dem Vertrag zwischen dem König der Hethiter und dem Fürsten von Wiluscha heißt es: "Wenn ein Flüchtling aus deinem Land Hatti kommt, so gibt man ihn dir nicht zurück; aus dem Land Hatti einen Flüchtling zurückzugeben ist nicht rechtens."
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als Millionen Menschen auf der Flucht waren, wurde der Schutz von Flüchtlingen zunehmend zum Gegenstand völkerrechtlicher Vereinbarungen und Aufgabenfeld internationaler Organisationen. Gleichwohl blieben die dahingehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten rudimentär: Nur wenige Staaten waren bereit, entsprechende Verpflichtungen im Rahmen internationaler Abkommen einzugehen.
Jene Abkommen, die dennoch zustande kamen, waren zudem stets so konstruiert, dass sie sich im Wesentlichen auf einzelne Flüchtlingsgruppen beschränkten, die sich aufgrund bestimmter Ereignisse wie etwa der Verfolgung der Armenier in der Türkei, der Oktoberrevolution in Russland oder der Machtergreifung der Faschisten in Italien außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten und auf Schutz in einem anderen Staat angewiesen waren.
Grundlagen des Asylrechts
Die Grundlagen für das internationale und europäische Flüchtlingsrecht, das individuelle, durchsetzbare Rechtspositionen zum Gegenstand hat, wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen. Die Weltgemeinschaft antwortete auf die Verfolgung von Millionen von Menschen während des Nationalsozialismus und das Leid der Flüchtlinge: Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in deren Artikel 14 auch das Recht auf Asyl aufgeführt ist: "Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen."
In der Folge entwickelte sich die Gewährleistung der Menschenrechte und damit der Schutz jedes einzelnen Individuums durch völkerrechtliche Verpflichtungen der Staaten zu einem der zentralen Aspekte des modernen Völkerrechts. Sowohl auf internationaler als auch auf regionaler Ebene wurden zahlreiche Menschenrechtsverträge geschaffen, die darauf abzielen, jeden Menschen im Hoheitsbereich der Vertragsparteien zu schützen, und individuelle, durchsetzbare Rechte garantieren, wie beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950.
Die hohe Anzahl von Flüchtlingen in Europa infolge von Flucht, Vertreibung und Zwangsarbeit über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus führte im Dezember 1950 zur Einsetzung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) durch die UN-Generalversammlung.
Wenig später, im Juli 1951, wurde das "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" verabschiedet, das gewöhnlich als Genfer Flüchtlingskonvention bezeichnet wird und heute die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts bildet. Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Flüchtlingen im Sinne der Konvention ein Aufenthaltsrecht und weitere Rechte zu gewähren. Galt die Konvention zunächst nur für Personen, die aufgrund von Ereignissen in Europa vor 1951 zu Flüchtlingen geworden waren, wurde durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 die geografische und zeitliche Beschränkung der Genfer Flüchtlingskonvention aufgehoben. 146 Staaten sind dem Protokoll bis heute beigetreten.
Ein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist laut deren Artikel 1 und dem besagten Protokoll eine Person, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung aus rassistischen Gründen oder wegen ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung außerhalb desjenigen Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.
Die zentrale Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention ist das in Artikel 33 verankerte Gebot der Nicht-Zurückweisung (Refoulement-Verbot). Es verpflichtet die Staaten, niemanden an ihrer Grenze zurückzuweisen oder abzuschieben, der daraufhin gezwungen wäre, sich in einem Staat aufzuhalten, in dem er wiederum aus rassistischen Gründen, aufgrund seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Einstellung von Verfolgung bedroht ist. Eine Zurückweisung oder Abschiebung in einen anderen Staat verstößt auch dann gegen Artikel 33, wenn nicht gewährleistet ist, dass die Schutzsuchenden von dort aus nicht weiter in den Verfolgerstaat abgeschoben werden ("Kettenabschiebung").
Bis heute wird der Charakter des Rechts auf Asyl als individuelles Recht infrage gestellt. Die Tatsache, dass es bereits 1948 in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen wurde, sowie deren Wortlaut in Artikel 14 sprechen jedoch für ein solches Verständnis. Bei der Genfer Flüchtlingskonvention und dem dazugehörigen Protokoll handelt es sich zudem um verbindliche völkerrechtliche Verträge, die individuelle, durchsetzbare Rechtspositionen zum Gegenstand haben. Daher unterscheidet sich das Recht auf Asyl nicht von anderen menschenrechtlichen Garantien; es steht vielmehr mit anderen Menschenrechten auf einer Stufe. Deutlich wird dies insbesondere im Rahmen der Grundrechte-Charta der Europäischen Union.
Die Europäische Union, die mittlerweile über weitreichende Kompetenzen im Bereich der Asylgesetzgebung verfügt, hat das Recht auf Asyl im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nämlich explizit in die EU-Grundrechte-Charta von 2000 aufgenommen. Darin heißt es in Artikel 18: "Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet." Damit bekennt sich die EU zu einem menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsschutz. Hierzu bildet sie einen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", in dem das Gemeinsame Europäische Asylsystem gilt.
So ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Verbot einer Zurückweisung an der Grenze oder einer Abschiebung aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wenn die betroffene Person dadurch dem Risiko einer unmenschlichen Behandlung oder Folter ausgesetzt wird
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Zur aktuellen Debatte
Die Einführung einer "Obergrenze", die die Zahl der in Deutschland Schutz suchenden Menschen begrenzt, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums Zugang zu einem Asylverfahren erhalten, wäre mit den Grund- und Menschenrechten, dem internationalen Flüchtlingsrecht sowie dem EU-Recht nicht vereinbar. Denn das würde bedeuten, dass Menschen an der deutschen Grenze zurückgewiesen würden, ohne dass zuvor geprüft worden wäre, ob sie nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder weiteren menschenrechtlichen Bestimmungen Schutz erhalten müssten.
Das Recht, unter Achtung von Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zurückgewiesen und gegebenenfalls auch als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt zu werden, kann allerdings nicht dadurch eingeschränkt werden, dass die Vertragsstaaten nationale Obergrenzen einführen – diese Möglichkeit räumt die Genfer Flüchtlingskonvention den Staaten nicht ein. Dadurch würde die Konvention in ihrer fundamentalen Bedeutung für den internationalen Flüchtlingsschutz ausgehöhlt. Auch der aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention resultierende Schutz gilt absolut, unter keinen Umständen darf davon abgewichen werden.
Überdies sind Zurückweisungen von unbegleiteten Minderjährigen, also von Kindern und Jugendlichen, die ohne elterliche Begleitung etwa in Deutschland Schutz suchen, auch nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar: Diese begründet in Artikel 20 für Kinder und Jugendliche, die sich außerhalb ihrer familiären Umgebung befinden, ein Recht auf den "besonderen Schutz und Beistand des Staates".
Wenn Deutschland eine solche Obergrenze einführen würde, wäre ferner nicht gewährleistet, dass wiederum die Nachbarstaaten die zurückgewiesenen Flüchtlinge aufnehmen und ihnen Zugang zu einem Asylverfahren garantieren würden. Vielmehr wäre absehbar, dass die Menschen zwischen den Mitgliedstaaten hin- und her- beziehungsweise immer weiter Richtung EU-Außengrenzen geschoben würden – mit katastrophalen humanitären Folgen.
Schließlich würde eine derartige Obergrenze bedeuten, dass die deutschen Grenzen durch sehr lange Zäune oder Mauern sowie durch den Einsatz staatlicher Gewalt gesichert werden müssten. Dabei wäre das nötige Polizeiaufgebot angesichts der Länge der deutschen Grenzen gigantisch. Die Erfahrung zeigt indes, dass sich Menschen auf der Flucht auch durch solche Maßnahmen nicht abhalten lassen. In letzter Konsequenz könnten Männer, Frauen und Kinder bei dem Versuch, rigoros gesicherte Landesgrenzen zu überwinden, verletzt werden oder gar sterben.
Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention sowie weitere Menschenrechtsverträge wie etwa die UN-Kinderrechtskonvention sehen zwar die Möglichkeit vor, die Konventionen zu kündigen. Würde sich Deutschland auf diese Weise seinen Verpflichtungen entziehen wollen, würde dies einen irreparablen Schaden für das System des internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes bedeuten. Faktisch steht dieser Weg Deutschland als EU-Mitgliedstaat allerdings nicht offen, da die Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention zu den Grundlagen der Europäischen Union und damit auch der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik gehören.
Gleichwohl nehmen in der öffentlichen Debatte Beiträge zu, in denen die bestehenden menschen- und flüchtlingsrechtlichen Verpflichtungen in den Hintergrund rücken. Zunehmend werden die geflohenen Menschen im öffentlichen Diskurs zu Objekten degradiert und entindividualisiert und zum Teil auch zu einer Bedrohung stilisiert. Manche Diskussionsbeiträge gehen dabei weiter als andere und sollen Aufmerksamkeit ernten, Angst verbreiten und Feindbilder schaffen, indem sie Stereotype aufgreifen und möglicherweise auch auf wenig Widerspruch stoßen. So besteht auch in Deutschland zunehmend die Gefahr einer sich verselbstständigenden Debatte, in der Stimmen Zulauf gewinnen, die eine einfache Lösung der "Flüchtlingskrise" suggerieren.
Solange Kriege und gewalttätige Konflikte – gegenwärtig insbesondere in Syrien, Irak und Afghanistan – anhalten und die Weltgemeinschaft keine Fortschritte bei der Entschärfung der Situation in diesen Ländern erzielt, werden sich weiterhin zahlreiche Menschen von dort auf den Weg machen, um ihr Leben und das ihrer Familien zu retten.
Das Recht auf Asyl und der internationale Flüchtlingsschutz haben zur Konsequenz, dass die migrationspolitischen Steuerungsmöglichkeiten der Aufnahmestaaten Grenzen haben. Das Flüchtlingsrecht schränkt die staatliche Hoheitsgewalt ein. Dies bedeutet auch, dass der jeweilige Aufnahmestaat auf steigende Zahlen von Schutzsuchenden reagieren können muss. Einer offenen, das internationale Recht und die Menschenrechte achtenden Gesellschaft kann und wird es nicht gelingen, die Anzahl aufzunehmender Flüchtlinge auf einem kontinuierlichen Niveau zu regulieren oder gar ständig abzusenken.
Das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Aufnahmestaaten, Migration zu steuern, und den Schutzinteressen der Flüchtlinge kann nicht einfach aufgelöst werden. Auf diese besondere Herausforderung ist das internationale Flüchtlingsrecht von Beginn an ausgelegt.