Für Kian
Kian teilt diese Erfahrungen mit vielen Menschen in Deutschland, die nicht ins Bild vom "typischen Deutschen" passen und deshalb regelmäßig an Einlasstüren, im Bewerbungsverfahren oder bei der Wohnungssuche scheitern – oft unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Erfahrungen mit solchen rassistischen Diskriminierungen im Zivilrechtsverkehr betreffen auch den Einzelhandel oder die Mitgliedschaft in Fitness-Studios und Sportvereinen. Benachteiligt werden nicht nur junge Männer, sondern auch Women of Color, muslimische Kopfbedeckungen tragende Frauen, Einwanderungsfamilien, Sinti und Roma.
Solchen Fällen von Alltagsdiskriminierung kann eine manifeste rassistische Ablehnung zugrundliegen, aber auch unbewusste Ressentiments oder weitverbreitete rassistische Stereotype, wonach Menschen qua Biologie oder Kultur frauenverachtend, unkontrolliert, kriminell oder weniger intelligent seien. Deutlich wird diese Konstruktion zurzeit in den rassistisch aufgeladenen Debatten über sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum.
In den Vereinigten Staaten oder Großbritannien ist rassistische Diskriminierung im Güter- und Dienstleistungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt schon seit Jahrzehnten gesetzlich verboten. Hierzulande verbietet seit nunmehr zehn Jahren das zivilrechtliche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) rassistische Diskriminierungen sowie Diskriminierungen, die an die Geschlechtsidentität oder Geschlechterrolle, an Religion oder Weltanschauung, an Behinderungen, das Lebensalter oder die sexuelle Identität anknüpfen. Was hat das Gesetz bewirkt? Können Klagen gegen Diskriminierung Türen öffnen? Können sie die Nachteile und Erniedrigungen wiedergutmachen, die mit Alltagsdiskriminierung einhergehen? Diesen Fragen geht dieser Beitrag, vornehmlich am Beispiel rassistischer und religionsspezifischer Diskriminierung, nach.
Umkämpfter Start
Antirassistische NGOs, Behindertenorganisationen, feministische Jurist*innen und LGBT
Neben dem Recht der EU beeinflussten vor allem die Kämpfe der Frauenbewegung und feministischer Jurist*innen um Diskriminierungsschutz im Arbeitsleben die Entwicklung des deutschen Antidiskriminierungsrechts.
Zivilrechtliches Antidiskriminierungsrecht ist dagegen folgenorientiert.
Das AGG stellt insofern eine konzeptionelle und rechtspolitische Zäsur für die bundesdeutsche Rechtskultur dar und war von Anfang an umkämpft. Dass Menschen, die beim Zugang zu Gütern oder Dienstleistungen diskriminiert werden, auf Unterlassung und Wiedergutmachung klagen können, wurde als Angriff auf die Vertragsfreiheit gedeutet. Verfechter*innen eines Antidiskriminierungsgesetzes wurde vorgeworfen, eine "Tugendrepublik" errichten zu wollen und "AGG-Hoppern" die Tür zum Rechtsmissbrauch zu öffnen.
Erfolge: Diskriminierung zum Thema machen
Gerichtliche Entscheidungen haben zur Rechtsfortbildung beigetragen, sie verweisen auf ein erhöhtes Bewusstsein und eine damit einhergehende Rechtsmobilisierung. Klagen gegen Altersdiskriminierung führten zur Änderung tarifvertraglicher Regelungen und Altershöchstgrenzen und unterstützten Diskussionen über einseitig defizitär geprägte Altersbilder. Schwule und lesbische Lebenspartner*innen beriefen sich auf das AGG und erkämpften ihr Recht auf Gleichbehandlung in der betrieblichen Altersvorsorge. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass auch chronische Krankheiten wie eine symptomlose HIV-Infektion unter den Behinderungsbegriff des AGG fallen, weil das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen die gleichberechtigte Teilnahme am Arbeitsleben beeinträchtigen.
Viele Kläger*innen werden von staatlichen und nichtstaatlichen Antidiskriminierungsstellen unterstützt, die nach Inkrafttreten des AGG gegründet wurden. Sie bringen die Perspektive von betroffenen Menschen, die versuchen, mit dem Recht zu ihrem Recht zu kommen, auch in rechtspolitische und öffentliche Debatten über Diskriminierung in Deutschland ein. Das AGG ist damit auch Teil eines neuen Diskurses über Alltagsdiskriminierung, Antidiskriminierungskultur, Menschenrechte und Teilhabegerechtigkeit.
Auch der Einfluss des AGG auf die rechts- und sozialwissenschaftliche Forschung in Deutschland ist nicht zu unterschätzen. Zahlreiche von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) und verschiedenen Stiftungen in Auftrag gegebene Studien und Umfragen haben das Ausmaß von Diskriminierung in Deutschland zum Beispiel auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt oder im Bildungsbereich aufgezeigt und rechtliche Schutzlücken sowie politischen Handlungsbedarf ausgewiesen.
Der internationale akademische Diskurs wurde ebenfalls durch Antidiskriminierungsrecht angeregt. Die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw analysierte Antidiskriminierungsrecht aus einer rassismuskritischen und einer Gender-Perspektive und nutzte den Begriff "Intersektionalität" für sich spezifisch überschneidende Diskriminierungserfahrungen von Schwarzen Frauen.
Trotz der vielfältigen Erfolge beklagen Wissenschaftler*innen, Anwält*innen und Antidiskriminierungsorganisationen, dass das AGG immer noch zu wenig bekannt, zu wenig anerkannt und zu wenig wirksam sei. Wirksamkeitsdefizite resultieren zum einen aus Schutzlücken, zum anderen aber auch aus Problemen bei der Rechtsanwendung im gerichtlichen Verfahren.
Schutzlücken im Gesetz
Ein Beispiel für eine große Schutzlücke ist die Bildung. Das AGG gilt nur für die Bereiche Beschäftigung und betriebliche Ausbildung (arbeitsrechtlicher Teil des AGG) und für Verträge mit privaten Bildungseinrichtungen (zivilrechtlicher Teil des AGG), wobei im zivilrechtlichen Teil kein Verbot sexueller Belästigung enthalten ist.
Für Studierende und Schüler*innen staatlicher Schulen oder Universitäten ist der Schutzbereich des Gesetzes dagegen nicht eröffnet. Die Antirassismusrichtlinie sieht ausdrücklich einen Diskriminierungsschutz für den Bildungsbereich vor – europarechtliche Vorgaben wurden hier schlicht nicht umgesetzt. Bildung ist in Deutschland Ländersache, entsprechende Diskriminierungsverbote und Rechtsansprüche müssten deshalb in die Schul- und Hochschulgesetze der Bundesländer aufgenommen werden. Im überwiegenden Teil dieser Gesetze wird kein horizontal angelegter Diskriminierungsschutz gewährleistet. Schutz Studierender vor sexueller Diskriminierung ist nur in wenigen Hochschulgesetzen verankert, ein Verweis auf Schutz vor rassistischer Diskriminierung findet sich nur im Berliner Hochschulgesetz.
Rechtspolitische Schutzlücken bestehen auch mit Blick auf die in Paragraf 1 AGG geschützten Diskriminierungskategorien. Dicke Menschen, die besonders oft Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt erfahren, sind nicht geschützt;
Als Einfallstor für Schutzlücken haben sich auch weite Rechtfertigungsmöglichkeiten erwiesen. Kontrovers wird besonders das Religionsprivileg in Paragraf 9 AGG diskutiert. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ihnen zugeordnete Einrichtungen dürfen demnach über den allgemeinen Rechtfertigungsgrund in Paragraf 8 (Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen beruflicher Anforderungen) hinaus die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung verlangen, "wenn diese unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt".
Recht haben und Recht bekommen: Probleme vor Gericht
Die geschilderten Fälle von rassistischer Türpolitik in Clubs offenbaren ein anderes Problemfeld – die Anwendung des AGG vor Gericht. Zugangsverweigerungen stellen eindeutig eine Benachteiligung nach dem AGG dar. Bei rassistischer Diskriminierung hört das Hausrecht auf, eine Rechtfertigung solcher Praktiken durch vorgeschobene oder ihrerseits diskriminierende Aussagen wie "Ausländer haben schon mal Stress gemacht" ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Trotzdem klagen nur wenige. Woran liegt das?
Die Inanspruchnahme von Antidiskriminierungsrecht setzt zunächst Wissen und Fertigkeiten voraus, die den "Zugang zum Recht" eröffnen, vor allem das Wissen darüber, dass Diskriminierungen gesetzlich verboten sind und wie man sich dagegen wehren kann. Von Rassismus betroffenen Menschen ist das AGG immer noch wenig bekannt.
Zwar sieht Paragraf 22 AGG genau deshalb vor, dass die diskriminierte Person die Diskriminierung nicht beweisen, sondern nur Indizien dafür vorlegen muss. Doch auch das ist oft schwer. Hamado war bereits mehrmals an Münchner Türstehern gescheitert, nie konnte er beweisen, dass racial profiling der Grund war. Gemeinsam mit Freund*innen organisierte er deshalb ein sogenanntes Testing. Die Gruppe besuchte an einem Abend verschiedene Clubs. Kurz nachdem Hamado mit Entschuldigungen wie "Das ist eine Privatparty" abgewiesen wurde, erhielten seine "typisch deutsch" aussehenden Freund*innen problemlos Einlass. Von 25 besuchten Clubs wurde er an 20 abgewiesen. Testings in Leipzig und Hamburg führten zu ähnlichen Ergebnissen.
Testing ist eine international und nun auch im AGG anerkannte Möglichkeit zum Nachweis verdeckter Benachteiligungen. In AGG-Verfahren vertreten manche Richter*innen jedoch die Auffassung, dass ein Testing beziehungsweise eine bewusste Konfrontation weniger verletzend sei als eine "spontane" Diskriminierung. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts sei dann nicht so hoch, "als wenn jemand völlig unverhofft (sic!) an einer Diskothek abgewiesen wird".
Auch in anderen Fällen gaben Richter*innen zu verstehen, dass sie das durch die Einlasskontrollen verursachte Unrecht für nicht besonders schwerwiegend halten. So befand das Amtsgericht Tübingen, der Kläger habe durch die Bemerkung des Türhüters, es seien schon genug Schwarze drin, zwar eine Demütigung erfahren, die Auswirkungen würden aber nicht das Maß von Unrecht oder persönlicher Kränkung überschreiten, die jedem Menschen alltäglich in jeglicher Lebenssituation widerfahren könnten, und seien ohne Entschädigung hinzunehmen.
Doch nicht alle haben die zeitlichen, finanziellen und emotionalen Ressourcen, den Weg durch die Instanzen zu gehen, um zu ihrem Recht zu kommen. Das Risiko, nicht ernstgenommen oder als "AGG-Hopper" diffamiert zu werden, erscheint vielen zu hoch. Antidiskriminierungsstellen fordern deshalb ein Verbandsklagerecht – ein Verband könnte dadurch einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gerichtlich feststellen lassen –, einen Rechtshilfefonds und eine bessere Beratungsstruktur in Deutschland.