Artikel 16, Absatz 2, Satz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (GG) von 1949 umfasste nur vier Worte: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Das war die generöse Antwort auf die Erfahrung der Aufnahme, aber auch der Nichtaufnahme (zum Beispiel in der Schweiz) der von den Nationalsozialisten Verfolgten. Das Grundrecht war bewusst umfassend und ohne jede Einschränkung formuliert worden, trotz aller Bedenken in der intensiven Diskussion im Parlamentarischen Rat im Winter 1948/49.
Schutzbedürftigkeit hatte es im nationalsozialistischen Deutschland und später im von Deutschland besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs für aus politischen, religiösen, rassistischen und anderen Gründen Unterdrückte, Entrechtete und Verfolgte gegeben. Nicht wenige Länder hatten dem antisemitischen Terror in Deutschland lange tatenlos zugesehen oder aus verschiedenen Gründen demonstrativ weggesehen. Auf der Konferenz von Evian 1938 verhandelten zwar Vertreter von 32 Staaten und von vielen Hilfsorganisationen über die Erleichterung der Einreise für die vom NS-Staat terrorisierten und zunehmend in tödlicher Gefahr lebenden Juden aus Deutschland. Aber unter der Oberfläche wohlklingender humanitärer Erklärungen gab es zur Frage der konkreten Hilfs- und Aufnahmebereitschaft vorwiegend ablehnende Voten oder hinhaltende Ausflüchte, nicht selten auch rassistische Stellungnahmen und sogar die Rede vom "Missbrauch des Asylrechts".
In der Entwicklung von Asylrecht und Asylpolitik
Inwiefern sich diese Entwicklung auch in der Karriere und Funktion bestimmter Leitbegriffe spiegelt, wird im Folgenden anhand einiger Wegmarken deutscher Asylpolitik skizziert.
Zuwanderung bis zum "Anwerbestopp"
In der jungen Bundesrepublik hatte man den Zustrom von Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten zunächst mithilfe von Artikel 16 GG zu regeln versucht. Das führte schon im Winter 1949/50, wenige Monate nach der Staatsgründung, zu einer ersten großen Debatte über die Praktikabilität des Asylrechts. Es ging dabei besonders um "Wirtschaftsflüchtlinge", deren Zuwanderung man durch die Einführung des Notaufnahmeverfahrens 1950/51 zu begrenzen suchte, bei dem DDR-Bürger als Deutsche und nicht mehr nach Artikel 16 GG aufgenommen wurden. Ab sofort sollten nur noch "echte" Flüchtlinge, das heißt solche, die im Aufnahmegespräch politische Ausreisemotive angaben, in den Genuss der begehrten Eingliederungshilfen kommen.
Die Wirtschaftswunder-Euphorie endete 1973 mit der Ölpreiskrise und dem "Anwerbestopp" für ausländische Arbeitskräfte. Er erwies sich am Arbeitsmarkt als Bumerang: Mit der "Wahlmöglichkeit" zwischen dauerhaftem Aufenthalt oder endgültiger Abwanderung ins Herkunftsland ohne Rückkehrchance blockierte er die transnationale Mobilität der ausländischen Arbeitnehmer und forcierte die Familienzusammenführung in Deutschland. Mit dem verstärkten Nachzug nicht erwerbstätiger Familienangehöriger wiederum sank die anfangs hohe Erwerbsquote der "Gastarbeiter". Der "Anwerbestopp" beendete nicht nur den soziale Kosten sparenden Export von Arbeitslosigkeit durch die Rückwanderung von Arbeitslosen in ihre Herkunftsländer, er förderte auch den unerwünschten Übergang von der Arbeitswanderung zur Einwanderung und damit ein politisches, soziales und mentales Paradox: Auf der kommunalen Ebene wurde dieser Übergang zur Einwanderungssituation pragmatisch verwaltet; auf der Bundesebene und weithin auch auf Länderebene aber galt bis Anfang der 1990er Jahre die Devise, Deutschland sei "kein Einwanderungsland", verbunden mit dem Bemühen um die "Förderung der Rückkehrbereitschaft" der ausländischen Arbeitnehmer. Die "Gastarbeiterfamilien" aber blieben mit zunehmender Aufenthaltsdauer immer häufiger im Land, obgleich sie wegen ihrer oft geringen Qualifikationen von der bald steigenden Arbeitslosigkeit zuerst und am stärksten betroffen waren. Mit dem kontinuierlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen erschienen beschäftigte Ausländer bald als unerwünschte Konkurrenten am Arbeitsmarkt, während arbeitslose "Gastarbeiter" als soziale "Kostgänger" diskreditiert wurden.
Weg zum "Asylkompromiss"
Ähnliche Abwehrhaltungen traten gegenüber der Aufnahme von Asylbewerbern hervor, als deren Zahl seit Ende der 1970er Jahre stark anstieg. Die bewusste Politisierung des "Asylantenproblems" zeigte sich erstmals deutlich im Wahlkampf 1980. Die populistischen Argumente in der politischen Diskussion um Asylrecht und Asylrechtspraxis, die in den Medien skandalisierend fortgeschrieben wurden, hatten dabei mit der Realität oft wenig zu tun. Auch in den folgenden Jahren, als die Asylbewerberzahlen kurzfristig wieder sanken, ging in den Reihen von CDU und CSU weiter die Rede vom "Asylmissbrauch" im Schatten einer angeblich "anhaltenden Flut von Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen".
Die politischen Parteien lähmten sich im Asylstreit schließlich gegenseitig so weit, dass Bundeskanzler Helmut Kohl 1992 vom "Staatsnotstand" sprach und davon, dass das Land "unregierbar" geworden sei. Es folgten die weltweit Abscheu erregenden Anschläge von Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, und Umfrageergebnisse offenbarten schockierende Meinungsbilder: 13 Prozent der Befragten bewerteten im August 1992 Gewalt gegen Asylbewerber als "berechtigten Ausdruck des Volkszorns". Die "Schuld an den sich häufenden Ausschreitungen gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte" aber sahen 80 Prozent "bei den Politikern".
Die zunehmende asylrechtliche Engführung des Begriffs der "politischen Verfolgung" sowie der wachsende Streit auf politischer Bühne um eine Einschränkung der Möglichkeiten zur Inanspruchnahme des Rechts auf Asyl mündeten im Dezember 1992 in den "Asylkompromiss". Darin einigten sich die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP sowie die SPD als größte Oppositionspartei auf eine Grundgesetzänderung, die in Gestalt restriktiver Veränderungen durch Artikel 16a GG am 1. Juni 1993 in Kraft trat. Sie erschienen den einen als rettende Reform, den anderen als das Ende des grundgesetzlich verbrieften Asylrechts. Die Grundgesetzänderung wurde in der Folgezeit flankiert von in den Bundesländern unterschiedlich umgesetzten und zum Teil wiederholt veränderten Maßnahmen zur Verringerung von "Fluchtanreizen" und zur Abschreckung von Asylbewerbern. All dies geschah in der Vorstellung, Fluchtbewegungen würden vorwiegend durch die Anziehungskraft von Zielgebieten bewirkt und weniger durch die Schubkraft der Krisensituationen in den Ausgangsräumen. Deshalb brachten die Maßnahmen wenig und trafen überdies die Falschen: Während sich die Lebensbedingungen für "echte" Flüchtlinge verschlechterten, waren (und sind) gewiefte Asylbetrüger, Schleuser, Schlepper und Menschenhändler durch solche Manöver kaum zu beeindrucken.
Lexikalisch manifestierte Abwehrhaltungen
Die Abschreckungsmaßnahmen bewirkten zwar auf Dauer keine Verringerung des Zuwanderungsdrucks; sie verstärkten aber in weiten Kreisen der Bevölkerung die Abwehrhaltungen gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern. Insbesondere in Wahlkampfzeiten wurden sie durch anhaltende politische und mediale Agitation gegen den "Missbrauch des Asylrechts" durch angebliche "Sozialbetrüger", "Sozialschmarotzer" und asylsuchende "Sozialtouristen" (Unwort des Jahres 2013) forciert. Im Schatten der politischen und medialen Polemik gegen angeblichen oder tatsächlichen "Asylmissbrauch" verstärkten sich bellizistische Begriffskarrieren: Sie führten von der Prägung denunziatorischer Kampfbegriffe in der politischen und medialen Diskussion über deren zunehmend unreflektierten Alltagsgebrauch bis zur semantischen Gültigkeitsbestätigung in Gestalt lexikalischer Festschreibungen. Dies geschah zuerst mit dem Kampfbegriff des "Asylanten", der offenbar aus dem Jargon der ministerialen Ausländerbürokratie stammte, Anfang der 1970er Jahre als abschätzige Alternative zu den Begriffen "Flüchtling" und "Asylbewerber" Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch fand, sich dort rasch etablierte und zunehmend als Ersatz dafür fungierte: Der Begriff "Asylant" wurde 1980 in dem jährlichen semantischen Ranking der Gesellschaft für deutsche Sprache unter den "Wörtern des Jahres" zweitplatziert und zeitgleich in die 18. Auflage des Rechtschreib-Dudens mit der neutralen Definition "Bewerber um Asylrecht" aufgenommen. Der Begriff behielt zwar seinen negativen Beigeschmack, die Begleitumstände seiner Schöpfung aber waren in der kollektiven Erinnerung bald verblasst.
Eine ähnliche und doch in einiger Hinsicht andere Laufbahn erlebte der Begriff "Wirtschaftsflüchtling", der, wie gezeigt, schon eine beachtliche historische Karriere hinter sich hatte, bevor er im Kontext der Asyldebatte auftauchte. Auch hier standen denunziatorische Absichten am Beginn. Im Gegensatz zum Begriff des "Asylanten", der eine skeptische Distanz zu Asylbewerbern insgesamt insinuierte, zielte der Begriff "Wirtschaftsflüchtling" auf eine spezielle Form des "Asylmissbrauchs": Es ging um vermeintlich nur vorgeschützte politische Fluchtgründe im Sinne von Artikel 16 GG beziehungsweise Artikel 16a GG (seit 1993) bei angeblich vorrangig wirtschaftlichen und sozialen Migrationsmotiven. Im Gegensatz zum Begriff des "Asylbewerbers", der a priori nur mit Flucht- und Zwangswanderungen (zum Beispiel Vertreibungen), also "unfreiwilligen" Wanderungen verbunden ist, war der in der deutschen Asyldiskussion in und seit den 1990er Jahren wieder verstärkt vordringende Begriff des "Wirtschaftsflüchtlings" in der Regel mit einer anderen Vorstellung verbunden: mehr oder minder "freiwillige" Mobilität in Gestalt der Suche nach besseren wirtschaftlichen und sozialen Existenzbedingungen als Wanderungsmotiv. Die Unterscheidung zwischen "freiwilligen" und "unfreiwilligen" Wanderungen bleibt aber vordergründig, weil es jenseits von Vertreibung oder Flucht wegen politischer Verfolgung oft fließende Grenzen zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Wanderungen auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gibt. Überdies kann Verfolgung auch in gruppenspezifischer oder persönlicher Ausgrenzung, Unterdrückung sowie in wirtschaftlicher und sozialer Benachteiligung Ausdruck finden, die dann Wanderungsentschlüsse mitbestimmen oder gar auslösen.
Das zeigt auf der begrifflichen Ebene auch die im wissenschaftlichen Sprachgebrauch geläufige Unterscheidung zwischen betterment und subsistance migration: Während Mobilität zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände (betterment migration) in den Bereich der "freiwilligen" Wanderungen gehört, ist die Flucht aus unerträglichen Existenzbedingungen (subsistance migration) ein Teilbereich der "unfreiwilligen" Wanderungen. So betrachtet, könnte der Begriff "Wirtschaftsflüchtling" also eine wertneutrale Beschreibung von unfreiwilliger Migration aus wirtschaftlichen und sozialen Notlagen sein. Er begegnet in diesem Sinn auch gelegentlich in lexikalischen Bestimmungen.
So waren zum Beispiel die gewaltigen interregionalen Massenwanderungen in der aufbrechenden Industriegesellschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert fast durchweg wirtschaftlich und sozial bedingt. Das galt auch für die deutschen transatlantischen Massenwanderungen, die im 19. Jahrhundert rund 5,5 Millionen Menschen allein in die Vereinigten Staaten führten. Es wäre in der zeitgenössischen Diskussion absurd gewesen, diesen Massenexodus als "nur" wirtschaftlich und sozial motivierte Bewegung von "Wirtschaftsflüchtlingen" zu denunzieren; denn bei der Vision der Neuen Welt ging es nicht nur um den Traum von persönlicher Freiheit, sondern auch um die Hoffnung auf chancenreiche wirtschaftliche und soziale Mobilität. Bei der Zuwanderung aus der DDR spielten, wie gezeigt, neben politischen auch wirtschaftliche und soziale Motive eine wesentliche Rolle. Und bei der Anwerbung der in der öffentlichen Diskussion "Gastarbeiter" genannten ausländischen Arbeitswanderer von der Mitte der 1950er bis zum Beginn der 1970er Jahre dominierten ohnehin wirtschaftliche Interessen auf beiden Seiten.
Etablierung denunziatorischer Begriffe
Die denunziatorische Konnotation des Begriffs "Wirtschaftsflüchtling" in Deutschland hat mit all diesen Wanderungsbewegungen in, aus und nach Deutschland nichts zu tun. Sie stammt vielmehr aus dem Kontext der Folgen von Migrations- und Asylpolitik: Bei dem seit 1973 gültigen, wenn auch zunehmend durchlöcherten "Anwerbestopp" blieb wirtschaftlich und sozial motivierten Zuwanderungswilligen, die nicht unter die "Ausnahmeverordnungen" fielen, zur legalen Zuwanderung beziehungsweise zur Legalisierung ihres Aufenthalts in Deutschland oft nur das Nadelöhr des Asylverfahrens. Auf diesem Weg durch das Nadelöhr gab und gibt es mancherlei flüchtlingsrechtliche Hilfestellungen. So lag die gesamte Schutzquote – trotz der sehr niedrigen Anerkennungsquote nach Artikel 16a GG (rund zwei bis drei Prozent) – durch Berücksichtigung anderweitiger Fluchtgründe und unter Berufung auf humanitäre, soziale und weitere völkerrechtliche Standards je nach Berechnung lange bei 20 bis 40 Prozent und zuletzt sogar bei 48,5 Prozent.
Die umlaufenden asylfeindlichen Schreckbilder schienen auf politisch hochrangiger Ebene bestätigt zu werden: Ausgerechnet der Bundesinnenminister der 1998 angetretenen rot-grünen Koalition, Otto Schily (SPD), machte nach seiner Amtsübernahme zunächst mit populistisch wirkenden Statements auf sich aufmerksam. Er erklärte 1999 zum einen wiederholt: "Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind überschritten" und wies dabei auf die hohen jährlichen Zuwanderungszahlen hin, ohne die ebenfalls hohen Abwanderungszahlen zu erwähnen.
Schlussfolgerungen
Wenn man der denunziatorischen Verbindung von Wirtschafts- und Fluchtwanderung zur semantischen Missgeburt des "Wirtschaftsflüchtlings" den Boden entziehen will, dann würde dies zweifelsohne am ehesten gelingen, wenn Flucht- und Wirtschaftswanderungen stärker unterscheidbar würden. Das aber setzt voraus, dass mehr reguläre Zuwanderungswege nach Europa eröffnet werden und über diese auch breit informiert wird. Der Weg dahin erscheint noch weit.
Eine List der Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte wird aber, allen Widerständen zum Trotz, darin liegen, dass das vermeintliche Paradies in der Mitte Europas unter dem Druck des demografischen Wandels im aufgeklärten Eigeninteresse schrittweise zu einem doppelten Kurswechsel gezwungen sein dürfte: einerseits in Richtung einer Öffnung weiterer regulärer Zuwanderungswege, andererseits in Richtung einer stärkeren und früheren Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Es gilt zweierlei zu verstehen: Für Deutschland sind Wirtschaftswanderungen keine Bedrohung, sondern ein Gewinn. Und die Flüchtlingsaufnahme ist nicht nur eine kostenintensive humanitäre Verpflichtung. Sie kann auch als kulturelle und zugleich wirtschaftliche Bereicherung verstanden werden. Je mehr dies erkannt wird, desto mehr werden Schandworte wie "Wirtschaftsflüchtling" und "Scheinasylant" in ihrer demagogischen Wirkung verblassen. Das alles wird aber nur möglich sein, wenn es zu einer grundlegenden Reform des inhumanen und überdies dysfunktional gewordenen Asylrechts in Europa kommt. Diese müsste zudem von anderen Kurswechseln begleitet werden, zum Beispiel in der wachstumsblockierenden und krisentreibenden EU-Handels- und Agrarpolitik gegenüber den Herkunftsländern. Es ist darüber hinaus nötig, wie auch auf der eingangs erwähnten Konferenz "70 Jahre nach Evian" gefordert wurde, eine UN-Weltkonferenz zu Migration, Flucht und Asyl einzuberufen, analog zu den großen Weltkonferenzen seit den 1990er Jahren. Über allem muss die Erkenntnis stehen, dass Abwehr allein kein Gestaltungsprinzip ist.