Die "Trümmerfrau" stellt als Symbol für die deutsche Nachkriegszeit heute nicht nur einen konstitutiven Baustein im kollektiven Gedächtnis der Deutschen dar, sie ist dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler zufolge auch auf das Engste mit dem Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland verbunden. Seit den 1980er Jahren sei sie in die Trias der gründungsmythischen Erzählung – Währungsreform, "Wirtschaftswunder" und "Wunder von Bern" – eingepasst worden: "Die Frauen, die nach dem Krieg die zerstörten Städte ‚enttrümmert‘ hatten, avancierten zu Vorbereiterinnen des Wirtschaftswunders, das auf diese Weise gewissermaßen in die Zeit vor 1948 verlängert wurde."
Dieses Narrativ funktioniert jedoch nicht nur für die alte, sondern auch für die neue, wiedervereinigte Bundesrepublik. Zum 60. Jahrestag der Republik im Mai 2009 wurde die Trümmerfrau als deutsche Identifikationsfigur – wie so oft in den vergangenen Jahrzehnten – zum Medienstar. In einer Bildcollage, mit der die Redaktion der "Tagesthemen" in sechzig Sekunden die sechzig Jahre eindrucksvoll Revue passieren ließ, führte der Weg der Bundesrepublik von den Trümmerfrauen zur "harten D-Mark" und dem legendären VW-Käfer über die "1968er Jahre" und die Ära Brandt nun freilich direkt zur deutschen Wiedervereinigung und von dort in die unmittelbare Gegenwart. Nach der "Wende" von 1989/90 scheint sich die Trümmerfrau demnach auch als gesamtdeutscher Erinnerungsort etabliert zu haben.
Diese Transferleistung ist bemerkenswert. Denn Forschungen zum nationalen Gedächtnis belegen, dass "die Umbrüche des Jahres 1989 das kollektive Gedächtnis der betroffenen Länder in große Unruhe versetzt haben". Insofern sind folgende Fragen zu stellen: Überdauerte die Trümmerfrau als Teil des Gründungsmythos der alten Bundesrepublik schlichtweg die Vereinigung, auch wenn sie mit den in der DDR geprägten Erinnerungen vielleicht nicht in Einklang gebracht werden konnte, wie dies zumindest für die Erinnerungen an die Währungsreform mit der "harten D-Mark" und das "Wirtschaftswunder" mit dem VW-Käfer gelten muss? Oder waren die Erinnerungsbilder an die Trümmerfrau in der Bundesrepublik und DDR im Gegenteil dazu möglicherweise so kompatibel, dass sie ohne Probleme in einen gemeinsamen Erinnerungsort münden konnten? Die Fokussierung auf diese Fragen bringt es mit sich, dem Mythos der Trümmerfrau aus der Perspektive einer deutsch-deutschen Beziehungsgeschichte nachzuspüren, in Anlehnung an die vom Historiker Christoph Kleßmann bereits 1993 formulierte Prämisse, die deutsche Nachkriegsgeschichte als eine Geschichte von "Verflechtungen" und "Abgrenzungen" zu erzählen.
Vorbedingung: Geschichte der Trümmerräumung
Bevor der Blick auf die Erinnerungsgeschichte der Trümmerfrau gelenkt werden kann, ist es zunächst notwendig, die Geschichte der Enttrümmerung zu skizzieren, die bislang ein Forschungsdesiderat darstellte. Dies hatte wiederum zur Folge, dass anerkannte Historiker in geschichtswissenschaftlichen Gesamtüberblicken die gängigen Klischees über die Trümmerfrauen eher kolportieren, als sie infrage zu stellen. So schrieb etwa Eckart Conze 2009: "Vor allem die ‚Trümmerfrauen‘ haben ihren Platz im kollektiven Gedächtnis der Deutschen gefunden. Da die Männer erst allmählich aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, viele erst nach Jahren, war es Frauen, Kindern und Alten überlassen, die Trümmer zu beseitigen." Diese Darstellungen nehmen jedoch bei einer etwas genaueren Betrachtung kuriose Züge an. Denn in Deutschland lagen immerhin 400 Millionen Kubikmeter Trümmer und Schutt, sodass sich geradezu die Frage aufdrängt: Waren die Frauen mit ihren Eimerketten dazu imstande, diese Trümmermassen zu räumen?
Axel Schildt gibt darauf in seinem Überblickswerk zur Sozialgeschichte der Bundesrepublik eine deutlich negative Antwort, indem er betont, dass die Trümmerräumung entgegen symbolträchtiger Legenden maschinell mit schwerem Gerät bewältigt worden sei. Außerdem weist er darauf hin, dass die Trümmerbeseitigung ebenfalls entgegen heutiger Vorstellungen nicht erst nach dem Ende des Krieges begann, sondern ihren Ursprung bereits während des Luftkrieges hatte. Dieser Einwand ist nur allzu plausibel, schließlich mussten die durch die Luftangriffe verursachten Schäden zeitnah beseitigt werden, um das Leben während des Krieges aufrechtzuerhalten. Und so muss Schildts treffender, aber eher beiläufig formulierter These hinzugefügt werden: Bereits vor Beginn des Luftkrieges etablierten die Nationalsozialisten zentral gelenkte Maßnahmen zur Trümmerräumung, die mit der verstärkten Bombardierung durch die Alliierten beständig ausgeweitet wurden. Zum Einsatz kamen neben Bauhandwerkern und Mitgliedern unter anderem der Luftschutzpolizei, des Reicharbeitsdienstes, der Hitlerjugend und der Wehrmacht vor allem Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Der massive Einsatz von Zwangsarbeitern konnotierte die Trümmerräumung deutlich als Strafarbeit. Diese Idee wurde in der Nachkriegszeit von den alliierten Militärregierungen und deutschen Stadtverwaltungen weiter fortgesetzt, denn nun wurden zuallererst ehemalige NSDAP-Mitglieder und deutsche Kriegsgefangene als Sühnemaßnahme zur Trümmerräumung eingesetzt. Davon abgesehen waren in der Nachkriegszeit in erster Linie professionelle Firmen und Gesellschaften – wie beispielsweise die Frankfurter Trümmerverwertungsgesellschaft – mit schwerem Gerät und Fachkräften die Träger der Enttrümmerung. Über die Initiierung von Bürgereinsätzen und Dienstverpflichtungen von Arbeitslosen wurde der Arbeitskräftemangel ausgeglichen.
Während in der amerikanisch und in der französisch besetzen Zone die Heranziehung von Frauen zur Trümmerräumung dezidiert abgelehnt wurde, wurde in der britisch besetzten Zone zwischen 1945 und 1947 eine sehr geringe Zahl von Frauen hierfür eingesetzt. Lediglich für Berlin und die Städte der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) lässt sich der Einsatz von vor allem arbeitslosen Frauen zur Enttrümmerung in einem größeren Umfang nachweisen. Generell waren dort Männer und Frauen im arbeitsfähigen Alter verpflichtet, sich bei den Arbeitsämtern registrieren zu lassen, sodass Arbeitslose zu lebensnotwendigen Arbeiten herangezogen werden konnten, worunter auch die Trümmerräumung fiel. Wurden die Anweisungen der Arbeitsämter nicht befolgt, konnte dies mit dem Entzug der Lebensmittelkarte sanktioniert werden. Aufgrund des besonders ausgeprägten ungleichen Geschlechterverhältnisses in Berlin und der SBZ waren Frauen vor allem in den Jahren 1945 und 1946 bei diesen Einsätzen zur Trümmerräumung in der Überzahl – sie wurden offiziell Bauhilfsarbeiterinnen genannt.
Geburt eines Mythos: Medienkampagnen in Berlin und der SBZ
Insgesamt ist demnach festzuhalten, dass Frauen bei der Trümmerräumung eine deutlich nachgeordnete Rolle zukam. Dennoch stellen die in Berlin und der SBZ eingesetzten Bauhilfsarbeiterinnen den Kern dar, von dem aus sich der Mythos der Trümmerfrauen entspinnen lässt. Denn zeitgleich mit der Zulassung von Tageszeitungen und Frauenzeitschriften in Berlin und der SBZ 1945 beziehungsweise 1946 avancierte die enttrümmernde Frau dort zum Medienschlager. Vor allem die Berliner Berichterstattung zeichnete das Bild von den heldenhaften Berliner Frauen, die selbstlos damit begannen, die Stadt aufzuräumen. Und so waren es auch diese Zeitungsartikel, die den Begriff der "Trümmerfrau" aus der Taufe hoben und ihn mit vielen der noch heute gängigen Stereotypen aufluden: "Frauen sahen bei ihren täglichen Gängen dieses Chaos. Aber nicht lange, denn in ihnen regte sich der Wille zur Abhilfe und zum Aufräumen. Und der Wille wuchs zur Tat – ohne Auftrag von oben, (…)." Gerade die Freiwilligkeit, mit der die Frauen angeblich ans Werk gingen, wurde beständig wiederholt.
Diese regelrechte Medienkampagne war jedoch kein zufälliges Ergebnis journalistischer Berichterstattung, vielmehr sollte mit ihr eine ganz bestimmte Wirkung erzielt werden. Schließlich setzten die Stadtverwaltungen in Berlin und den Städten der SBZ seit Sommer 1945 darauf, die Enttrümmerung durch den Einsatz von Arbeitslosen voranzutreiben. Diese machten sich jedoch keineswegs freiwillig an die Arbeit, wie es die Berichterstattung suggerierte. Stattdessen herrschte eine negative Einstellung zur Trümmerräumung vor, die nicht nur in Stadtverordnetenversammlungen protokolliert, sondern auch in Tageszeitungen diskutiert wurde. So war im August 1945 in einer Dresdner Zeitung zu lesen: "Sieht man hingegen nicht an vielen Stellen nur müßig herumstehende diskutierende Gruppen – Frauen und Männer – auf Schaufeln und Hacke gestützt, gelangweilt ins Licht blinzelnd und nur auf den Feierabend wartend? Sieht man nicht schon auf weite Entfernung die Interesselosigkeit, das Muß, die notwendigen Lebensmittelmarken zu erhalten?" Diese negative Haltung galt es zu ändern, wenn die Trümmer nicht ewig in den Städten liegen bleiben sollten.
Da vor allem Frauen das Arbeitskräftereservoir stellten, musste gerade für sie ein sinnhaftes Bild von der Arbeit in den Trümmern entworfen werden. Dies erforderte jedoch besondere Anstrengungen, denn die Trümmerräumung musste für Frauen doppelt unattraktiv sein. Zum einen war die Arbeit schwer und dreckig, zum anderen deutlich als Strafarbeit codiert, zunächst durch den Einsatz von Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus und dann durch die Sühnemaßnahmen in der Nachkriegszeit. Zur Hebung der Arbeitsmoral mussten diese Bilder nun innerhalb kürzester Zeit umgedeutet werden.
Diese Metamorphose erfolgte einerseits implizit durch die massenhafte Berichterstattung über die "heldenhaften Trümmerfrauen". Andererseits wurde sie jedoch auch explizit betrieben: Ein Artikel der Zeitschrift "Frau von heute" von 1946 stellt beispielsweise ganz deutlich heraus, dass die im Berliner Baugewerbe tätigen Frauen nicht mit "Nazi-Weibern" zu verwechseln seien.
"Trümmerfrau" im Zwiespalt: Erinnerungen der 1950er Jahre
Allerdings beschränkte sich die Berichterstattung über die Trümmerfrauen nicht darauf, ihr Bild umzudeuten und für die Arbeit bei der Enttrümmerung zu werben, vielmehr wurde das Bild der Trümmerfrau rasch auch für politische Zwecke genutzt. Von Anfang an wurde die Trümmerfrau in der SBZ zu einer positiven Identifikationsfigur des sich im Aufbau befindlichen sozialistischen Staates stilisiert: Sie wurde zu einer Vorreiterin der Gleichberechtigung, zu einem Prototyp der neuen sozialistischen Frau. Ihr vermeintlich freiwilliges Anpacken bei der Trümmerbeseitigung wurde als emanzipatorische Tat gedeutet, die wiederum ihre Leidenschaft für die Lohnarbeit, ganz besonders aber für die Arbeit auf dem Bau geweckt hätte. Ganz selbstverständlich – so suggeriert es die Berichterstattung – ließ sich die ungelernte Bauhilfsarbeiterin daher zur vollwertigen Bauhandwerkerin umschulen. Das in der SBZ bereits früh verfolgte Ziel, Frauen in klassische Männerberufe einzugliedern, um so den Arbeitskräftemangel in diesen Berufen auszugleichen, ließ sich über die Figur der Trümmerfrau perfekt transportieren.
Dieses bereits Ende der 1940er Jahre entworfene Bild, das konform mit der Frauenpolitik in der SBZ beziehungsweise DDR entwickelt wurde, beeinflusste die Erinnerung in der DDR nachhaltig. Das Narrativ von der Trümmerfrau, die den Grundstein für die Gleichberechtigung der Frau legte und aus der die neue sozialistische Frau hervorging, wurde gerade in den 1950er Jahren gebetsmühlenartig wiederholt. Dies ist insofern wenig verwunderlich, da in diesem Jahrzehnt die frauenpolitischen Weichen in der DDR gestellt wurden. Die Frauen mussten auf die ihnen nun zugedachte Rolle der Erwerbstätigen eingestimmt werden. Positive Identitätsfiguren wie die Trümmerfrau waren dafür nur allzu hilfreich.
Weniger hilfreich musste dieses Bild hingegen für die Frauenpolitik der jungen Bundesrepublik sein – denn diese zielte nicht auf die Eingliederung der Frau in die Berufswelt ab, sondern auf die Konservierung der Mutter- und Hausfrauenrolle. In der Forschung gilt es mittlerweile als Allgemeinplatz, dass die Ausgestaltung der Frauenpolitik von Bundesrepublik und DDR auch als ein bewusster Gegenentwurf zur jeweils anderen verstanden wurde – die frauenpolitischen Leitlinien also auch immer als Überlegenheit des eigenen Systems interpretiert wurden. Dies gilt in gleichem Maße für das Bild der Trümmerfrau, das in den 1950er Jahren entscheidend durch die Systemkonkurrenz der beiden deutschen Staaten geprägt wurde und somit die Erinnerung an die Trümmerfrau in verschiedene Richtungen lenkte.
Anders als in der DDR war die Erinnerung an die Trümmerfrau in der Bundesrepublik zweigeteilt: Aus West-Berlin war die Figur der Trümmerfrau nicht wegzudenken. Frauen hatten schließlich in allen Sektoren Berlins enttrümmert und waren über die entsprechenden Medienberichte in aller Munde. Darauf baute auch die West-Berliner Erinnerung auf, die ab den 1950er Jahren ebenfalls stark politisch gelenkt wurde. 1955 wurde ein vom Senat in Auftrag gegebenes Trümmerfrauendenkmal errichtet. Außerdem verlieh Bundespräsident Theodor Heuss auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters West-Berlins, Ernst Reuter, einigen Frauen, die an der Enttrümmerung beteiligt gewesen waren, das Bundesverdienstkreuz. Begleitet wurden diese Erinnerungsakte von entsprechenden Medienberichten, doch wurde die Figur der Trümmerfrau darin nicht mit der Gleichberechtigung der Frau verknüpft, sondern zum Symbol für den Wiederaufbau West-Berlins. Und als solches war ihre Strahlkraft sehr begrenzt. Zwar finden sich auch in der überregionalen westdeutschen Presse zwischen 1948 und 1955 immer wieder einzelne Berichte, in denen ein Loblied auf die Berliner Trümmerfrauen gesungen wird, doch blieb dieses Bild dezidiert auf Berlin beschränkt: Es wurde von Berliner Frauen, die Berlin wieder aufbauten, berichtet – und nicht von deutschen Frauen, die Deutschland wieder aufbauten.
Darüber hinaus entfalteten diese Berichte wohl auch deshalb keine große Wirkkraft, da die Trümmerfrau in den 1950er Jahren in Westdeutschland zum Negativbild wurde, das auf die DDR und ihre Frauenpolitik projiziert wurde. In den Auseinandersetzungen um die zukünftige gesellschaftliche Rolle der Frau in der Bundesrepublik wurde die Trümmerfrau von den Gegnern einer konsequenten Gleichberechtigung zur armen Schwester im Osten erklärt, die Männerarbeit leisten musste. Ein Beispiel hierfür ist eine vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen 1951 herausgegebene Schrift, in der die Bundesregierung das in der DDR ein Jahr zuvor erlassene Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau aufs Schärfste verurteilt. In der Broschüre wird die in der DDR forcierte Arbeitstätigkeit von Frauen regelrecht verteufelt, was unter anderem durch Abbildungen von Trümmerfrauen veranschaulicht wird. Die Bilder von trümmerräumenden Frauen sollten zeigen, welche Mühsale den Frauen in der DDR vermeintlich zugemutet wurden. Und so avancierte die Trümmerfrau, die im Osten Steine klopfen musste, zum Gegenbild der westdeutschen Frau, mit deren Identität sie nichts zu schaffen hatte.
Vonseiten der DDR wurde ins gleiche Horn gestoßen, jedoch in umgekehrter Richtung. In einem Artikel in der "Frau von heute" wurde 1958 das Ost-Berliner Denkmal "Die Aufbauhelferin" dem West-Berliner Trümmerfrauendenkmal gegenübergestellt. Die Unterschiede sind auch für den heutigen Betrachter augenfällig: Während die West-Berliner Skulptur eine sitzende, gebückte Frau zeigt, die ihre Arbeit bereits getan hat, stellt das Ost-Berliner Denkmal eine stehende junge Frau dar, die den Spaten geschultert hat und ihren Blick in die Zukunft richtet (siehe Abbildung). Die Ikonografie der beiden Denkmäler ergibt im Kontext ihrer jeweiligen Einbindung in den Erinnerungsdiskurs durchaus Sinn. Doch darauf zielte der Artikel freilich nicht ab. Vielmehr verschärfte er die Bildsprache der Denkmäler durch die Gegenüberstellung der Lebensläufe zweier ehemaliger Trümmerfrauen und zeichnete so zwei ungleiche Bilder. Während der Ost-Berlinerin ihre Leistungen für den sozialistischen Staat in Form einer Neubauwohnung und einer Qualifizierung zur Verwaltungsfachkraft gedankt worden seien, müsse ihr West-Berliner Pendant in bitterer Armut leben. Für die alleinstehende, ältere Frau im Westen gebe es kein Wirtschaftswunder und keinerlei Berufsperspektive, stattdessen Sozialfürsorge und damit ein Leben am Existenzminimum ohne Aussicht auf Verbesserung. In der Konsequenz bildete der Neid der West-Berliner auf die Ost-Berliner Frau das Fazit des Artikels. Dass es die Option der Sozialfürsorge für die Frau in der DDR hingegen praktisch nicht gab, darüber schwieg sich der Artikel selbstverständlich aus. Denn gerade ledige, geschiedene und verwitwete Frauen sowie Rentnerinnen gehörten zu den Verliererinnen der DDR-Sozialgesetzgebung in den 1950er Jahren. Ziel dieser Politik war es, den Frauen mehr oder minder keine Wahl zu lassen: Sie mussten arbeiten.
Die Trümmerfrau kann somit als eine Figur interpretiert werden, anhand der nicht nur die positiven Leistungen der Frauen hervorgehoben, sondern auch negative Konsequenzen der Frauen- und Sozialpolitik in der DDR verschleiert werden konnten.
Kontinuität und Bruch: Erinnerungen seit den 1960er Jahren
Ausgehend von den mitunter widersprüchlichen Erinnerungsbildern, die in den 1950er Jahren in DDR, Bundesrepublik und West-Berlin virulent waren, kam es in den Folgejahrzehnten zu einer schrittweisen Angleichung der disparaten Trümmerfrauen-Deutungen.
In der DDR war die Trümmerfrau als Vorbild für die neue sozialistische Frau und ihre unbändige Arbeitsmoral von Anfang an positiv aufgeladen worden. Der Topos von der Grundsteinlegerin für die Gleichberechtigung blieb bis in die 1980er Jahre ein elementarer Bestandteil der Nachkriegserinnerung. Dieses Bild wurde über die Jahre weiter ausgestaltet und ausgeschmückt, sodass sie ab den 1960er Jahren auch zur Erbauerin des Sozialismus wurde. In einer Rede des Ost-Berliner Oberbürgermeisters Friedrich Ebert jr. anlässlich einer Feierstunde zu Ehren der ehemaligen Trümmerfrauen 1965 hieß es: "In dieser Zeit haben sich unsere Trümmerfrauen als Bahnbrecher des Fortschritts erwiesen. Sie brachen nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes Bahn durch die mit Trümmern übersäten Straßen. Sie brachen auch Bahn in den Köpfen der Menschen und halfen dort, die geistigen Trümmer überwinden. Ihr Beispiel riß viele Abseitsstehende und Zögernde mit. Sie bauten mit am Fundament des Sozialismus."
Weniger linear lässt sich hingegen die Entwicklung der Erinnerung an die Trümmerfrau in der Bundesrepublik erzählen. Ausgehend von den divergierenden Erinnerungen in West-Berlin und dem Rest des Landes blieb es in der Bundesrepublik auch in den 1960er und 1970er Jahren vergleichsweise still um die Trümmerfrauen. Im Rahmen der aufkeimenden Erinnerungspolitik an das Kriegsende war keine Rede von ihnen, lediglich in historischen Rückblicken in Film und Presse traten die Berliner Trümmerfrauen hin und wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Entscheidende Momente dafür, dass aus der "Berliner Trümmerfrau" in der Bundesrepublik schließlich die "deutsche Trümmerfrau" werden konnte, brachten erst die 1980er Jahre. Vor allem zwei führten dazu, dass die Figur der Trümmerfrau einen regelrechten Boom erlebte und sich als Grundsteinlegerin für das Wirtschaftswunder ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik einbrannte: Dies war zum einen die Rentendebatte um das "Babyjahr" und zum anderen die populär werdende Frauengeschichtsschreibung.
Das sogenannte Babyjahr wurde 1986 nach jahrelangen Auseinandersetzungen durch die Regierung Kohl eingeführt. Seitdem wird Müttern – oder auf Wunsch auch Vätern – das erste Lebensjahr jedes Kindes auf die Rente angerechnet. Ausgeschlossen von dieser Regelung blieben die vor 1921 geborenen Frauen. Gegen diesen Ausschluss regte sich Widerstand. An vorderster Front kämpfte der Seniorenschutzbund Graue Panther für eine Ausweitung der Regelung auf die ältere Rentnerinnengeneration. Um ihrer Forderung Ausdruck zu verleihen, machten sich seine Unterstützerinnen das Bild und den Begriff der "Trümmerfrau" zu eigen. Eine ganze Generation wurde zu Trümmerfrauen erklärt, die erst Deutschland wiederaufgebaut hätten und jetzt von einer Rentenerhöhung nicht profitieren sollten.
Parallel zu dieser Entwicklung hatte sich in den 1980er Jahren die Neue Frauenbewegung etabliert, die unter anderem die Frauengeschichtsschreibung beförderte, deren Schriften sich an eine breite Leserinnenschaft wendeten. Ein Schwerpunktthema bildete die Auseinandersetzung mit der Mütter- und Großmüttergeneration und deren Rolle im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit. In diesen Publikationen wird die deutsche Frau einerseits als Opfer des Krieges und andererseits als Heldin des Wiederaufbaus dargestellt. Eine kritische Verortung der Frauen im NS-System findet hingegen nicht statt. Gerade die Trümmerfrau erscheint vielmehr als starke Frau, die nicht verzagte und der man noch dazu den wirtschaftlichen Aufschwung verdanke. Die Trümmerfrau wurde so nachträglich zur sinnstiftenden Figur der Bundesrepublik erklärt, die nun nicht länger ein Gegenbild zur DDR, sondern zum Nationalsozialismus darstellte.
Somit hatten sich bis zum Umbruch 1989/90 in beiden deutschen Staaten unterschiedliche Erinnerungsbilder der Trümmerfrau etabliert, die aber dennoch miteinander kompatibel waren, um in einen gesamtdeutschen Erinnerungsort münden zu können. Freilich überlebte das Bild von der Erbauerin des Sozialismus die Wiedervereinigung nicht. Dennoch muss festgehalten werden, dass der heutige gesamtdeutsche Erinnerungsort eine sehr viel stärkere ost- als westdeutsche Prägung hat. Zum einen beruhen die Erinnerungen auf der lebensweltlichen Erfahrung von Frauen, die in der SBZ und Berlin lebten. In den westdeutschen Städten war das Phänomen der Trümmerfrau hingegen entweder unbekannt oder von nachrangiger Bedeutung. Zum anderen hatte die Figur der Trümmerfrau davon ausgehend einen festen und vor allem beständigen Platz im Inventar des kollektiven Gedächtnisses der DDR, lange Zeit aber nicht in dem der Bundesrepublik.