"Die Freiheit kam vom Meer." Unter diesem Motto lief 2014 eine Ausstellung in Cherbourg, mit der die Stadt in der Normandie ihrer Befreiung von deutscher Besatzung am 26. Juni 1944 gedachte. Seinerzeit hatte es bereits kurz darauf, am 14. Juli 1944, einen großen öffentlichen Ball gegeben, an dem neben der lokalen Bevölkerung auch US-amerikanische Soldaten teilgenommen hatten. Nachdem die Deutschen ab 1940 das Begehen des französischen Nationalfeiertages verboten hatten, war dieser Tag für Cherbourg ein ganz besonderer Freudentag, der in der Ausstellung siebzig Jahre später ebenfalls dokumentiert wurde. Die frühen Bilder der Freude und des Glücks sollten jedoch nicht vergessen lassen, dass es bis zur Befreiung des ganzen Landes noch ein opferreicher Weg war.
Die verschiedenen hier genannten Daten deuten auf einen uneinheitlichen Prozess hin, der von unterschiedlichen geografischen, politischen, militärischen und persönlichen Grundvoraussetzungen geprägt war. Auf den folgenden Seiten soll daher analysiert werden, wie sich Frankreich 1944/45 neben der Lösung der aus dem Krieg unmittelbar resultierenden Probleme von einer dreifachen Belastung zu befreien gedachte: der deutschen Besatzung, des Zweiten Weltkriegs und des autoritären Kollaborationsregimes unter Führung von Marschall Philippe Pétain.
Befreiung
Ausgangspunkte für die Befreiung des Landes waren die alliierten Landungen in der Normandie am 6. Juni 1944 und in der Provence ab dem 15. August 1944,
Von höchster symbolischer Bedeutung war die Befreiung von Paris am 25. August 1944. Nachdem die Amerikaner zunächst auf direktem Wege nach Deutschland wollten, konnte Charles de Gaulle, der Anführer der Forces françaises libres und spätere Präsident Frankreichs, den amerikanischen Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower davon überzeugen, Einheiten zur Befreiung der französischen Hauptstadt abzustellen. Zugleich bestand der General darauf, dass sich die 2. Panzerdivision unter Führung von General Philippe Leclerc an die Spitze der Bewegung setzte. Am Abend des 25. August verkündete de Gaulle schließlich vom Balkon des Rathauses aus den Rückgewinn der Hauptstadt, "befreit aus eigener Kraft, befreit durch sein Volk unter Mitwirkung der Armeen Frankreichs, mit Unterstützung und Mithilfe ganz Frankreichs, eines Frankreichs, das kämpft, dieses einen, wahren, ewigen Frankreichs". Am folgenden Vormittag schritt er unter dem Jubel von über 100000 Parisern die Champs-Élysées herunter, hinter ihm führende Widerstandskämpfer und kommende politische Größen der IV. Republik. Nicht nur der Résistance-Mythos war damit geboren, sondern auch die herausragende Rolle de Gaulles für das Nachkriegsfrankreich gesichert.
Die Schlacht um Paris hatte insgesamt 3400 Tote und 5500 Verletzte gekostet, und das Blutvergießen war noch nicht beendet.
Verlust, Zerstörung, soziale Not
Im Moment der deutschen Kapitulation am 7./8. Mai 1945 bot Europa ein Bild der Zerstörung, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit. Dabei galt es anfänglich auch in Frankreich, die Opfer zu zählen. Nachdem im Ersten Weltkrieg über 1,2 Millionen französische Soldaten und rund 40000 Zivilisten getötet worden waren (dazu kamen vier Millionen verwundete Soldaten), gab es 1944/45 nach letzten Erkenntnissen etwa 400000 Opfer zu beklagen (davon mehr als die Hälfte Zivilisten).
Während 1945 weniger Opfer gezählt wurden als 1918, waren die materiellen Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg weitaus stärker. Hatte der Erste Weltkrieg "nur" 13 Départements getroffen, waren es zwischen 1940 und 1944/45 immerhin 74. 500000 Wohnungen waren nicht mehr bewohnbar, was einem Zerstörungsgrad von etwa 20 Prozent entsprach. Die größten Schäden hatte dabei die Normandie zu verzeichnen,
Aus den Zerstörungen erwuchsen in der unmittelbaren Nachkriegszeit Existenzunsicherheit, Arbeitslosigkeit, soziale Not und Hunger, der durch den sich etablierenden Schwarzmarkt nicht gemildert wurde.
Die Hoffnung vieler Franzosen, dass mit dem Ende der deutschen Besatzung auch das Ende des Mangels gekommen sei, erwies sich als Illusion. Lebensmittelkarten gehörten bis 1949 zum Alltag, was zu Unmutsäußerungen gegenüber Politikern, Landwirten und Zwischenhändlern führte, denen Wucher vorgeworfen wurde, sodass Plünderungen keine Seltenheit waren.
Angesichts dieser schier unüberwindbar erscheinenden Probleme befürchtete auch die politische Führung eine lang anhaltende Durststrecke. De Gaulle sagte den Franzosen im Oktober 1945 noch 25 Jahre unermüdlicher Arbeit voraus, um das Land wieder aufzubauen. Doch bei aller Not zeigte sich bald, dass der Pessimismus der Nachkriegszeit nicht den wirtschaftlichen Realitäten entsprach. Bereits 1948 überschritt Frankreich wieder seine Vorkriegsproduktion an Kohle und Stahl. Bis 1952 wurde schließlich der Steinkohlebergbau auf den Leistungsstand der Vorkriegszeit gebracht.
Entwurzelung
Im Zweiten Weltkrieg war ganz Europa in Bewegung geraten. Mit Kriegsende versiegten die Ströme umherziehender Menschen jedoch nicht, im Gegenteil: "Aus einem Verschiebebahnhof unter den Bedingungen des Krieges wandelte sich Europa nach Kriegsende in einen Verschiebebahnhof unter den Hinterlassenschaften des Krieges: Zerstörungen, Grenzverschiebungen, Entwurzelung, Tod."
Nach 1940 wurden viele Bewohner aus den von britischen und amerikanischen Verbänden zur Befreiung des französischen Territoriums bombardierten Städten evakuiert. Einschneidender für ganz Frankreich war jedoch die Anwerbung von Arbeitskräften durch die deutschen Besatzer im Rahmen des Service du travail obligatoire (STO). Zu den 200000 Franzosen, die sich freiwillig gemeldet hatten, kamen nun noch einmal zwischen 600000 und 650000 französische Zwangsarbeiter. 75721 französische Juden wurden aus "rassischen" Gründen gewaltsam nach Deutschland deportiert, von denen nach der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager nur 2500 zurückkamen. Zwischen 1940 und 1945 waren insgesamt 1,6 Millionen französische Kriegsgefangene in Deutschland; bei Kriegsende waren es noch 1,2 Millionen, die bis Juni 1945 fast alle wieder heimgekehrt waren. Sie wurden zuerst in Auffanglagern untergebracht, bevor sie schließlich in ihre Heimatorte zurückkehren konnten. Nach bisweilen mehrjähriger Trennung verlief die Rückkehr in Familie und Gesellschaft jedoch vielfach nicht ohne Komplikationen.
Säuberungen
In Phasen politischer Umbrüche verbinden Säuberungen unmittelbar die anbrechende neue Zeit mit der jüngsten Vergangenheit. In Frankreich begannen sie bereits vor der eigentlichen libération. Mit einer Verordnung des Comité français de la Libération nationale (CFLN) vom 18. August 1943 wurde eine Säuberungskommission eingesetzt, die verschiedene auf nordafrikanischem Boden festgesetzte Vichy-Beamte aburteilte.
Das ländliche Frankreich zahlte dabei den größten Blutzoll, während die Anonymität der größeren Städte die Verfolgung und Denunziation schwieriger gestaltete. Zudem gelang es den wohlhabenderen Kreisen eher, ihre Anwälte und Netzwerke zu mobilisieren, sodass sie sich oftmals ungerechtfertigt von ihrer Schuld reinwaschen konnten. Insgesamt kamen in den Säuberungen zu Kriegsende etwa 10000 Franzosen ums Leben.
Ein besonderer Platz unter den Opfern der Säuberung soll hier den rund 20000 zumeist jungen Frauen eingeräumt werden, die ein Verhältnis mit einem deutschen Soldaten unterhalten hatten ("horizontale Kollaboration") und nun als "unreine Elemente" gebrandmarkt wurden.
Mit der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung gingen rasch auch die "wilden Säuberungen" zurück. Die Justiz internierte oft präventiv verdächtige Personen und setzte Wahrheitsfindungskommissionen ein, die die Vergangenheit der Internierten durchleuchteten und im Anschluss ein Urteil fällten oder das weitere Verfahren festlegten. Auf diese Weise wurden viele Franzosen vor der Lynchjustiz beziehungsweise Exekution gerettet. Insgesamt wurden zwischen September 1944 und April 1945 über 126000 Personen interniert, von denen 55 Prozent schließlich wieder freigelassen und 45 Prozent der Justiz übergeben wurden. Anders als der Militärgerichtshof in Nürnberg unterließen es Politik und Justiz in dieser Phase jedoch, die Verbrechen zu definieren, bevor sie die Verantwortlichen verurteilten. Weder wurde die Frage gestellt, was ein Kollaborateur ist,
War der Beginn der Säuberungen in Frankreich von heftiger Gewalt geprägt, verlief sich ihr Ende in allgemeiner Gleichgültigkeit und Überdrüssigkeit: "Je länger sich ein Kollaborateur diesen Säuberungsmaßnahmen entziehen konnte, um so glimpflicher kam er davon."
Größeres Interesse fanden nur noch die Prozesse gegen die führenden Köpfe der Kollaboration. Der mittlerweile 88 Jahre alte Philippe Pétain wurde am 15. August 1945 zum Tode verurteilt, doch umgehend von de Gaulle persönlich begnadigt, sodass er seine lebenslange Haft bis zu seinem Tod am 23. Juli 1951 absitzen konnte. Hingerichtet wurde hingegen am 15. Oktober 1945 Pierre Laval, der letzte Ministerpräsident des Vichy-Regimes. Die IV. Republik wollte mit der Aburteilung der führenden Kollaborateure den Bruch mit der Vergangenheit dokumentieren, gleichzeitig aber die Kontinuität der Republik über das Regime von Vichy hinweg belegen.
Politische Neuordnung
Gilt der 6. Juni 1944 gemeinhin als Ausgangspunkt für die libération Frankreichs, so begannen die Planungen für die politische Neuordnung schon früher. Die gaullistische Erinnerung mag hier mit dem 18. Juni 1940 einsetzen, als der General seine Landsleute aus dem Londoner Exil zum Widerstand aufrief und sich selbst zunehmend als legitimer Anführer der France libre durchsetzte. Konkreter wurden die Vorstellungen von der Befreiung jedoch am 3. Juni 1943, als sich die Widerstandskreise um de Gaulle und Henri Giraud in Algier auf die Gründung des CFLN einigen konnten, welches das Pétain-Regime nach der Befreiung ersetzen sollte. Es wurde dabei ab September 1943 von einer beratenden Versammlung unterstützt, die sich aus ehemaligen Abgeordneten der III. Republik und aus Vertretern der Widerstandsbewegungen zusammensetzte und damit eine Verbindung zwischen der Zeit vor und nach Pétain herstellte. Sie fungierte in gewisser Weise als Parlament: Zunächst in Algier, ab September 1944 dann in Paris, verabschiedete die Versammlung Gesetzesvorlagen (unter anderem die Einführung des Frauenwahlrechts und der Sozialversicherung sowie die Verstaatlichung von Kohlegruben), die dann per Dekret durch das CFLN in Kraft treten konnten.
Diese frühen Anstrengungen zur politischen Neuordnung waren besonders für de Gaulle von besonderer Bedeutung, galt es doch, die von den USA geplante Militärverwaltung zu verhindern. Nachdem er sich gegen seinen Konkurrenten Giraud durchgesetzt hatte, machte er den Amerikanern klar, dass die Verwaltung Frankreichs einzig den Franzosen vorbehalten sei. Der spätere Premierminister Michel Debré hatte eine Liste der zukünftigen Kommissare der Republik zusammengestellt, die die Präfekten des Vichy-Regimes ersetzten sollten. Drei Tage vor der alliierten Landung in der Normandie wurde aus dem CFLN schließlich das Gouvernement provisoire de la République française (GPRF) gebildet. Als de Gaulle am 14. Juni 1944 in der Normandie ankam und unter dem Jubel der Bevölkerung seine berühmte Rede in Bayeux hielt, bekam die "Stimme aus London" nun auch ein Gesicht. Er nutzte die Gelegenheit umgehend, um einen Kommissar der Republik einzusetzen und damit die französische Souveränität zu demonstrieren. Nachdem die Alliierten und vor allem US-Präsident Franklin D. Roosevelt dem GPRF anfangs die Legitimation abgesprochen hatten, konnten sie mittelfristig nicht mehr die Augen vor der Realität verschließen; im Oktober erkannte Roosevelt die provisorische Regierung und damit auch de Gaulle an.
Nunmehr galt es für den General, Frankreich den Rang einer Siegermacht zu verschaffen, um sich an den alliierten Konferenzen über die Zukunft Deutschlands beteiligen zu können. De Gaulle fühlte sich in diesen letzten Kriegsmonaten von den Amerikanern, Sowjets und Briten brüskiert, weil sie ihn in die Verhandlungen nicht einbezogen. Dass seiner Forderung, Frankreich eine eigene Besatzungszone und einen Platz im Alliierten Kontrollrat zuzugestehen, schließlich doch entsprochen wurde, konnte ihn dabei kaum befriedigen. Zur Verwirklichung seines Ziels nahm er das Heft selbst in die Hand und reiste Anfang Dezember 1944 nach Moskau, um direkt mit Stalin über Frankreichs Rückkehr in das Konzert der Großmächte zu verhandeln. Mochte ihm dies auch gelungen sein, so zeigte ihm nichtsdestotrotz seine Abwesenheit auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945, dass Frankreich eben nur eine "verspätete Siegermacht" war. So war es für de Gaulle von entscheidender Bedeutung, die französischen Kolonien an seiner Seite zu wissen, denen er bei seiner Rede in Brazzaville bereits am 30. Januar 1944 politische, soziale und wirtschaftliche Reformen und eine grundlegende Neuordnung der wechselseitigen Beziehungen versprochen hatte. Während des Krieges sollte sich das Empire colonial français am Kampf gegen die deutschen Besatzer beteiligen, nach dem Krieg galt es als Garant für den französischen Weltmachtanspruch. Unruhe und Unabhängigkeitsforderungen konnte Frankreich daher nicht gebrauchen, sodass die Kolonialmacht unter anderem am 8. Mai 1945 einen Aufstand in Sétif (Algerien) blutig niederschlug.
Umgang mit der Vergangenheit
Der von de Gaulle konstruierte Résistance-Mythos ließ wenig Platz für abweichende Erzählungen. Vor besonderen Schwierigkeiten standen dabei die den Gaskammern entkommenen Juden, die in eine französische Gesellschaft kamen, die sich unfähig zur Kommunikation zeigte und Wahrnehmungssperren aufwies. Die Deportierten sahen sich einer tief gespaltenen französischen Gesellschaft gegenüber, die das Trauma der Besatzung so schnell wie möglich vergessen wollte,
Viele Überlebende der Vernichtungslager waren dabei hin- und hergerissen zwischen dem eigenen Verlangen, das Erlebte mitzuteilen, und der eigenen Unfähigkeit, es in Worte zu fassen. Nach Marginalisierung, Stigmatisierung und Deportation schien für die Mehrheit der überlebenden französischen Juden das Schweigen ein Weg, um in die nationale Gemeinschaft zurückzufinden.
Keinen Platz im offiziellen Erinnerungsdiskurs der Nachkriegszeit fanden auch die "Kinder der Liebe", die aus Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und französischen Frauen hervorgegangen waren. Ihnen haftete jetzt der Makel an, "Kinder der Schande" zu sein, passten doch die Liebesbeziehungen zwischen deutschen Soldaten und Französinnen nicht zu dem in der Nachkriegszeit so gerne präsentierten Bild des moralischen Siegers.
Auf offene Ohren mussten auch die Elsässer lange warten. Die besondere Situation dieses "Landes dazwischen" hatte Traumata und tragische Schicksale geschaffen, die sowohl das Verhältnis zu Deutschland belasteten als auch die Beziehungen zu "Innerfrankreich". Darüber hinaus galt es zunächst, sich untereinander zu versöhnen, denn die Schicksale und Erfahrungen der elsässischen Bevölkerung waren uneinheitlich.
Mit der spezifischen Last der Vergangenheit ging Frankreich in eine ungewisse Zukunft. Die Französische Republik konnte sich in ihrem Status als Siegermacht einrichten, musste aber zugleich ihre Integrität und die von de Gaulle angestrebte "Größe" der Nation wiederfinden. Wirtschaftlicher Wiederaufbau und industrielle Modernisierung erfolgten dabei größtenteils über Verstaatlichungen und eine Planwirtschaft à la française. Dabei brachten die Strukturveränderungen und der tief greifende soziale Wandel das Land bisweilen an den Rand des Bürgerkrieges, doch gelang es de Gaulle, mit dem von ihm entworfenen Résistance-Mythos einen positiven Bezug zur Vergangenheit herzustellen, um nach dem Trauma der Besatzungszeit die nationale Versöhnung und ein positives Selbstbild zu befördern. Die Erinnerung an Widerstandshelden und "Märtyrer" ließ dabei nur wenig Platz für abweichende Narrative. Von dieser selektiven Erinnerung waren neben den Überlebenden der Vernichtungslager und den Elsässern auch die französischen Opfer der angloamerikanischen Bombenangriffe betroffen, die über ihr Leid auch deswegen nicht sprachen, weil sie es in der Regel als unumgängliche Vorleistung für die Befreiung ihres Landes von den Deutschen ansahen.