Geschichtskultur in Sprechblasen: Comics in der politisch-historischen Bildung
Christine Gundermann
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Seit gut 20 Jahren haben Geschichtsdidaktikerinnen und -didaktiker und damit auch Geschichtslehrkräfte den Comic für sich entdeckt. Was anfangs als exotische Annäherung an ein jahrzehntelang als verdummend verschrienes Medium der Populärkultur galt, ist nunmehr auf didaktischer und pädagogischer Ebene ein anerkannter Zugang zum historischen Lernen – theoretisch zumindest. Denn nach wie vor findet der Comic nur äußerst selten einen Platz im Unterrichtsalltag und noch seltener im Curriculum. Vorherrschend ist noch immer seine Nutzung als Motivationsquelle für uninteressierte oder "bildungsfernere" Zielgruppen, spezifische Aufbereitungen und damit Angebote für einzelne Unterrichtseinheiten gibt es kaum. Zudem ist das Wissen über das Medium selbst bei Lehrkräften an Schulen und Universitäten noch sehr begrenzt, ebenso wie bei Schülerinnen und Schülern. Gleichzeitig lässt sich ein Trend außerhalb schulischer Bildungsstätten beobachten, hin zu immer mehr und immer gezielterer Arbeit mit Comics. Dieser Beitrag soll daher einen kurzen Einblick in den Markt der Comics mit historischen Inhalten – sogenannte Geschichtscomics – bieten und in einem zweiten Schritt aktuelle geschichtsdidaktische Diskurse rund um das Medium vorstellen, bevor in einem Ausblick derzeitige Nutzungsmodi betrachtet werden.
Zeitgeschichte und sonst nichts?
In den vergangenen Jahren hat sich der Comicmarkt verändert. Trotz digitaler Konkurrenzprodukte und rückläufiger Auflagenhöhen haben sich die sogenannten Graphic Novels mittlerweile fest in Europa etabliert. Im Bereich der Geschichtscomics finden sich in der Masse an Neuerscheinungen nach wie vor hauptsächlich Werke, die Zeitgeschichte thematisieren. Dabei ist vor allem die starke Zunahme biografischer und autobiografischer Werke auffällig – nicht nur über herausragende und historisch allgemein bekannte Persönlichkeiten wie Anne Frank oder Dietrich Bonhoeffer, sondern auch über Personen wie den Boxer Hertzko Haft, die Retterin jüdischer Kinder aus dem Warschauer Getto Irena Sendler oder die Holocaustüberlebende und Comickünstlerin Lily Renée, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Dieser Boom (auto-)biografischer Werke hat mehrere Gründe. Zum einen sind gerade bei Aufarbeitungen der Lebensgeschichten bekannter Persönlichkeiten die ökonomischen Aspekte nicht zu unterschätzen. Der Ansatz, bereits bekannte Biografien in grafischer Form zu bearbeiten, birgt aber auch Potenziale, die über den klassischen Text hinausgehen. Gerade der gewählte Zeichenstil kann in Kombination mit spezifischen beschriebenen Lebensabschnitten neue Interpretationen einer Persönlichkeit eröffnen. Ein ebenso wichtiger Aspekt scheint die Erzählung neuer Heldengeschichten zu sein. Oftmals werden – gerade in Biografien aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges – neue Widerstands- oder Überlebensgeschichten erzählt, die Personen oder Personengruppen eine Stimme verleihen sollen, die bis dahin nicht oder nur selten gewürdigt wurden, wie "Irena’s Jar of Secrets" belegt. Seltener verzichten Zeichnerinnen und Autoren auf solche positiven Plotlinien. Ein gutes Beispiel hierfür ist "Rosa Winkel", einer der ersten Comics, der sich der Verfolgung von Homosexuellen während des Nationalsozialismus und ihrer beschämenden Behandlung als Opfer danach widmet. Comics, die mit Brüchen, Widersprüchen und Reflexionen arbeiten, sind vor allem solche mit autobiografischen Ansätzen. Meist handelt es sich hier um Künstlerinnen und Künstler der zweiten oder dritten Generation, die die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern aufarbeiten. Damit bieten sie einen hervorragenden Einblick und Einstieg in Erinnerungsdiskurse. Den meisten Künstlern gelingt es in diesen Comics, ihre eigene Perspektive und damit die Perspektivität der erzählten Historie grafisch und sprachlich einzufassen und für die Leserinnen und Leser sichtbar zu machen; jüngere Werke wie "We won’t see Auschwitz", "Das Erbe" oder "Kiesgrubennacht" belegen dies.
Ein weiterer Trend ist die vermehrte Nutzung von Comics in Museen und Gedenkstätten. In diesem Zusammenhang ist die gezielte Herstellung von Comics zu Themenschwerpunkten und Anniversarien zu beobachten. Gerade Jahrestage beflügeln bekanntlich die Geschichtskultur vieler Länder – anhand von TV-Produktionen ist das besonders deutlich zu erkennen, für den Geschichtscomic gilt das jedoch ebenso. So lassen sich zum Beispiel im Zuge des Gedenkjahres 2014 vermehrt Projekte zum Ersten Weltkrieg beobachten, wie das "Tagebuch 14–18 – Vier Geschichten aus Deutschland und Frankreich" oder auch das neueste Werk von Joe Sacco "Der Erste Weltkrieg. Die Schlacht an der Somme" belegen.
Dass auch Museen und Gedenkstätten immer mehr mit Comics arbeiten, ist zumindest in Deutschland noch oftmals als Pionierleistung von Museumspädagoginnen und -pädagogen zu sehen, in anderen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden ist dies hingegen weitaus häufiger der Fall. Ein gutes Beispiel für die Nutzung von Comics an deutschen Erinnerungsorten bietet die Gedenkstätte Berliner Mauer: Nach einer äußerst erfolgreichen Kampagne für das Haus mit Hilfe des Comics von Flix "Da war mal was … Erinnerungen an hier und drüben", haben die Comickünstler Susanne Buddenberg und Thomas Henseler mehrere Comics über Fluchtgeschichten für die Gedenkstätte erstellt. Ebenso haben verschiedene Gedenkstätten, zum Beispiel die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen, die KZ-Gedenkstätte Moringen, die Gedenkstätte Wewelsburg oder der Lernort Andreasstraße in den vergangenen Jahren immer wieder Comicworkshops für jugendliche Besucherinnen und Besucher angeboten. Jugendliche erstellen hier oftmals selbst Comics auf Basis ihrer Recherchen in den Archiven der Erinnerungsorte, autobiografischer Zeugnisse oder von Gesprächen mit Zeitzeuginnen und -zeugen. Ein solcher Arbeitsansatz fordert und fördert das historische Lernen bei allen Beteiligten enorm. Hier zeigt sich nicht zuletzt der Vorteil außerschulischen Arbeitens für diese Art des sehr zeitintensiven und kreativen Geschichtslernens.
Schließlich ist deutlich zu erkennen, dass der Comic in fluiden oder hybriden Formen neu entwickelt wird. Zum einen zeigt sich das in den im Comic verwendeten grafischen Stilen. Viele Künstler überschreiten heute die Grenzen zwischen Comic und Bilderbuch immer wieder, um neue Ausdrucksformen zu schaffen – Joe Saccos Darstellung des ersten Tages der Schlacht an der Somme ist hierfür ein gutes Beispiel. Solche Veränderungen beziehen sich aber ebenso auf neue Übergänge von klassischen gedruckten zu digitalen Formen, was auf populäre nichthistorische Comics ebenso zutrifft wie auf Geschichtscomics. Comicsequenzen werden zum Beispiel in (Spiel-)Filmen eingesetzt, um Rückblenden oder Reflexionen zu ermöglichen. In Jason Barkers filmischer philosophischer Reflexion "Marx Reloaded" von 2011 arbeitete der Regisseur mit ähnlichen Techniken. Im Internet sind seit geraumer Zeit Angebote zu entdecken, bei denen gezielt Comicsequenzen oder animierte Comicbilder genutzt werden, um zum Beispiel Zeitzeugenberichte in eine neue, emotionalisierende Form zu kleiden. Ein solches Projekt ist Disneys "They Spoke Out: American Voices Against the Holocaust". Die ARD hat zum Gedenkjahr 1914 mit "14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges" ein großes internationales Projekt gestartet, bei dem sich Interessierte parallel zu dokumentarischen Filmen online in einer "Zeitmaschine" eine Biografie aussuchen können und anhand kleinerer Comicsequenzen nach Nationalität, Geschlecht und Alter differenziert erfahren können, so das Angebot, wie "mein Leben vor 100 Jahren ausgesehen (hätte)? Was hätte ich gefühlt, gehört, geschmeckt, gerochen und gesehen?" Die Produzentinnen und Produzenten stützen sich hier nicht nur auf die synästhetischen Funktionsmechanismen des Comics, sondern kombinieren ihn online mit weiteren hinterlegten Quellen.
Erfreulicherweise finden sich seit einigen Jahren auch immer mehr Comics in deutscher Übersetzung, die nicht nur die westeuropäische Zeitgeschichte thematisieren, wie Igorts "Berichte aus der Ukraine" oder Li Kunwus "Ein Leben in China". Solche Projekte sind meist Reportagen oder belegen autobiografische Erfahrungen mit historischen Rückblicken. In der Tat sind also die Neueste und Zeitgeschichte nach wie vor die dominanten Epochen auf dem Markt der Geschichtscomics. Hilfreich ist jedoch, dass auch Historikerinnen und Historiker anderer Epochen den Comic für sich entdecken und auf diese Weise allen Interessierten neue Sekundärliteratur zur Verfügung steht, die zum Beispiel die vielen Abenteuercomics mit antikem Hintergrund als Quelle wesentlich leichter nutzbar machen, wie der von Filippo Carlà herausgegebene Band "Caesar, Attila und Co" demonstriert.
Authentisch oder ästhetisch? Comics in der Geschichtsdidaktik
Noch immer wird der Einsatz von Comics in Situationen historischen Lernens hauptsächlich mit dem Argument begründet, damit ein interessantes, ansprechendes Medium zu nutzen, das ein eher uninteressiertes oder gar bildungsferneres Publikum motivieren kann. In der Tat ist der Einsatz von Comics als Stimulus ein sinnvoller Baustein im methoden- und medienreichen Geschichtslernen. Wichtig ist jedoch, dass dabei ein zentraler Punkt nicht übersehen wird. Der Comic ist ein hochkomplexes Medium, das ganz im Sinne des Kompetenzansatzes der Geschichtsdidaktik eine gewisse Medienkompetenz der Leser voraussetzt, damit die Lernenden ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein ausbilden können. Auch ist es gerade im Zeitalter des visual turn notwendig, Comics als Träger von Geschichtskultur immer auch als "eigenständige Gegenstände der historischen Forschung" zu verstehen. Sie auf einen Anfangsreiz zu reduzieren oder als Ersatz für historiografische Texte zu begreifen, ließe den größten Teil ihres Potenzials ungenutzt.
Versucht man sich diesem Potenzial auf theoretischer geschichtsdidaktischer Ebene zu nähern, stehen zwar mehrere methodenorientierte Basistexte zur Verfügung, es treten jedoch schnell neue Probleme in den Vordergrund. Dabei kristallisieren sich zwei Hauptdiskussionsstränge heraus: Das Problem der Authentizität oder empirischen Triftigkeit im Comic auf der einen Seite und der Umgang mit Ästhetik und Emotionalität im Comic als Teil unserer Geschichtskultur auf der anderen.
Natürlich ist die Frage essenziell, welcher Grad empirischer Triftigkeit in einem Comic vorliegt, der dezidiert für historisches Lernen genutzt werden soll. Die wenigsten Comics sind heute als historiografischer Ersatz gestaltet (sogenannte Lerncomics), der größte Teil der Geschichtscomics weist hingegen eine breite Spanne zwischen fiktionalen und faktualen Narrationen auf, oftmals beruhen diese zudem auf biografischen oder autobiografischen Quellen. Der Comic ist damit kein Spezifikum unserer Geschichtskultur, ganz im Gegenteil wird der Umgang mit der Fiktionalität in Produkten der Public History schon seit Längerem immer wieder kontrovers diskutiert. Das ungenügend geklärte Verhältnis zwischen Wissenschaftlichkeit und historiografischer Erzählkunst ist damit generell immer noch eines der größten Probleme für die Geschichtswissenschaft beim historischen Lernen.
Um für entsprechende Medien überhaupt eine Analyse zu ermöglichen, hat der Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel schon 1993 zwischen verschiedenen Formen von Authentizität unterschieden, so zum Beispiel zwischen Faktenauthentizität, Erlebnisauthentizität (auto-/biografisch) oder Typenauthentizität (einem historisch nachweisbaren Personentypus entsprechend). Eine solche Differenzierung kann sehr hilfreich sein, um die Einsatzmöglichkeiten eines Comics für historische Lernprozesse zu bewerten. So wird klar, inwieweit der Comic als "Ersatzhistoriografie" genutzt werden kann oder mit anderen Darstellungen und Quellen kombiniert werden muss. Das Problem liegt hier jedoch im Detail, genauer in der Funktionsweise des Comics: Beim Comic verschmelzen Bild, Symbol und Text zu einem
Deutungsangebot, das es zu analysieren und interpretieren gilt, um die historiografische Botschaft und damit auch ihren Wahrheitsanspruch zu entschlüsseln. Dabei steht jedem Leser ein relativ großer Interpretationsspielraum zur Verfügung – je nach historischem Vorwissen und ästhetischen Vorerfahrungen. Das liegt vor allem an der Funktionsweise des Comics. Zwischen zwei Panels liegt ein Zeitloch, ein gap, das die Leser selbst füllen müssen, wie Scott McCloud in seiner wunderbaren Einführung in die Comictheorie "Comics richtig lesen" zeigt. Dieser Sprung zwischen zwei Panels verlangt eine Induktion, ein Schließen von einem Panel auf das nächste, das ein sehr individueller Prozess ist (Abbildung 1).
Um also überhaupt über die Narration im Comic oder gar den Wahrheitsgehalt eines Comics einen Austausch zu starten, muss ein gewisses Maß an Medienkompetenz bei allen am Lernprozess Beteiligten vorhanden sein oder zumindest angeboten werden. Das setzt zunächst ein Verständnis der Funktionsmechanismen des Comics voraus: Wie ist er aufgebaut? In welchen Modi erzählt der Comic Geschichte(n)? Wie beeinflusst er seine Leser? Letzteres geschieht vor allem über eine Stimulation von Emotionen durch Formen, Farben, Symbole (und hier besonders Stereotype), gewählte Perspektiven, Sprache und den grafischen Stil, seine inhärenten synästhetischen Potenziale und natürlich über die immer wieder von den Lesern geleisteten Induktionen, die das Gelesene und Gesehene eng – und im eigenen Rezeptionstempo – mit den eigenen Erfahrungen verknüpfen (Abbildung 2). Die Induktionen sind vom medialen Konsumverhalten der Leser beeinflusst, womit sie bestimmte pikturale Codes oder auch Verweise und Anspielungen auf andere Medien, Themen oder Ikonen leichter oder schwerer identifizieren und einordnen können. In vielen Darstellungsmodi hat sich zudem ein "Hollywood-Standard" der Ästhetisierung durchgesetzt. Es ist also sinnvoll, solche methodischen Analysen zumindest teilweise über den eigentlich untersuchten Comic hinaus auszudehnen, und ästhetische Fragen in einem größeren Umfeld zu diskutieren.
Wie mit der ästhetischen Komponente des Comics "richtig" umzugehen ist, streift wiederum einen zweiten zentralen Diskussionspunkt in der geschichtsdidaktischen Theoriedebatte. Dabei geht es vor allem um die Frage, welcher Stellenwert Emotionalität und Ästhetik in historischen Lernprozessen eingeräumt werden soll und wie diese in entsprechende Modelle integriert und dann auch für empirische Überprüfungen operationalisiert werden können. Diese Fragen sind umso dringender, weil die "Grundfesten" der Theorien, maßgeblich das reflektierte Geschichtsbewusstsein, kritisch hinterfragt werden (müssen). Zentral für unser Verständnis von Lernprozessen sind immer noch kognitive Prozesse, die von emotionalen meist losgelöst betrachtet werden oder von diesen in einem Reflexionsprozess abgekoppelt werden sollen. Die geschichtsdidaktische Community hat noch keine richtungsweisende Antwort gegeben auf die Frage, wie wir mit Emotionalisierungen durch geschichtskulturelle Produkte jenseits einer solchen intellektuellen Reduktion umgehen können. Insofern ist es wichtig, die aktuellen Diskurse zu verfolgen, und sie auch für den Einsatz von Comics nutzbar zu machen. Schließlich betrifft diese Diskussion erneut die historische Methodenfrage: Wie müssen methodische Schemata zur Bildinterpretation verändert werden, um ästhetische Komponenten für historisches Lernen fruchtbarer zu machen? Damit einhergehend muss wiederum die Frage nach Faktualität und Fiktionalität neu diskutiert werden.
Maus oder Magneto? Comics als Teil unserer Geschichtskultur
In gewisser Weise werden die oben genannten Diskussionen gerade von unserer Geschichtskultur eingeholt und überholt. Das Genre des Holocaustcomics zeigt, dass Geschichtscomics nicht länger authentisch sein müssen. Das lange Zeit geltende Gebot eines dokumentarischen Wahrheitsanspruches ist nicht mehr notwendig für die positive Rezeption eines Comics über die Shoah. Während sich Art Spiegelmans "Maus" in Deutschland nur durchsetzen konnte, weil er auf (auto-)biografischen Aufzeichnungen beruhte, zeigen zum Beispiel die Diskussionen um Pascal Crocis "Auschwitz", dass ein Comic heute trotz geringer Fakten- oder Erlebnisauthentizität und deutlichen Zitationen von Filmen wie "Schindlers Liste" oder "Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens" als realistische Darstellung angesehen werden kann. Crocis Comic wird heute in vielen französischen Schulen genutzt.
Ähnliches ist in den USA zu beobachten. Aufgrund der großen Popularität der Superheldenserie "X-Men" gab der Marvel-Verlag im Zuge der Comicverfilmungen 2009 eine Miniserie unter dem Titel "X-Men. Magneto Testament" heraus, in der erstmals ausführlich die fiktionale Biografie eines der berühmtesten Schurken der Comciserie, Magneto, erzählt wurde. Er wurde als Holocaustüberlebender dargestellt. Der Autor Greg Pak und der Zeichner Carmine Di Giandomenico verzichteten fast gänzlich auf Verweise der übermenschlichen Kräfte ihres Helden, und mit Unterstützung des Simon Wiesenthal Centers wurde der Comic mit einem Anhang versehen, in dem historische Hinweise und Literatur zum Dargestellten angeboten und ein teachersguide für den Einsatz im Geschichtsunterricht bereitgestellt wird. Auch mit diesem Comicbuch wird in Schulen gearbeitet.
Der erste explizite Lerncomic über den Holocaust in Deutschland, "Die Suche", wurde von der Anne Frank Stiftung Amsterdam herausgegeben und nach einer Pilotstudie seit 2010 in Kombination mit landesspezifischen Lehrmaterialien erfolgreich im deutschen Geschichtsunterricht eingesetzt. Auch hier verzichteten die Gestalter auf Faktenauthentizität und obwohl der Comic genauestens auf Typenauthentizität achtet, sind es nicht mehr reale Biografien, die dem erzählten Geschehen zu Grunde liegen. In Situationen historischen Lernens wird also längst die Grenze von Fakten und Fiktion gesprengt, um zentrale historische Fakten zu vermitteln.
Solche Comics sind damit gewissermaßen Ausdruck einer neuen Art der Wissenschaftspopularisierung, die nicht länger als Top-down-Modell verstanden werden kann und bei der (historisches) Wissen durch den Prozess der Popularisierung "verwandelt, transformiert und schließlich sogar regelrecht neu konstituiert wird". Diese Art von Geschichtscomics zeigt in ihrer Machart und ihrer Rezeption also bereits, welche Teile der Historie Gesellschaften als erinnerungswürdig ansehen – und das ohne einen entsprechenden Input staatlicher Bildungsinstitutionen. In der universitären Ausbildung sollte eine Methodenkompetenz im Umgang mit Comics und deren verwandten und hybriden Medienformen dringend gestärkt werden, um am Ziel eines reflektierten Umgangs mit Geschichte festhalten zu können. Damit wird auch deutlich, dass die moderne Geschichtsdidaktik im Feld der Geschichtskultur operieren muss, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Die Erforschung populärer Geschichtskultur gehört damit ebenso zu ihren Aufgaben wie theoretische Überlegungen zur Operationalisierung daraus folgender Lernziele.
Dr. phil., geb. 1978; Professorin für Public History an der Universität zu Köln, Historisches Institut, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln. E-Mail Link: christine.gundermann@uni-koeln.de
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