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Macht der Bilder – Attentate als Medienereignis | Attentate | bpb.de

Attentate Editorial Attentate in der Weltgeschichte: Was haben sie bewirkt? Entweder/Oder: Ein Nachspiel zur Opferung von Jitzchak Rabin 22. November 1963: Ein Tag, der die Welt veränderte? 28. Juni 1914: Beginn des Ersten Weltkrieges? Macht der Bilder – Attentate als Medienereignis "Zwitterhafte Wesen … aus der Hölle gespien" oder: Wer sind Attentäter(innen)?

Macht der Bilder – Attentate als Medienereignis

Charlotte Klonk

/ 16 Minuten zu lesen

Es gibt kaum Bilder, die so nachhaltig im kollektiven Bildgedächtnis verhaftet bleiben wie Aufnahmen von Attentaten. Unvergessen sind in weiten Kreisen der Weltbevölkerung immer noch die Bilder des World Trade Centers in New York vom Morgen des 11. September 2001. Am darauffolgenden Tag erschien auf vielen Titelseiten die gleiche Ansicht – ein Bild des Fotografen Spencer Platt. In blühenden Farbkontrasten sah man, wie sich eine schwarze Rauchwolke von einem der Türme in den Himmel zog, während aus dem oberen Drittel des anderen ein orangefarbener Feuerball quoll. In Erinnerung ist häufig auch noch ein weiteres Bild: Das Foto eines sich in Todesangst aus dem Hochhaus stürzenden Mannes, das Richard Drew am Tag des Anschlags bei der Bildagentur Associated Press einlieferte. In Deutschland brachte es unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" und in Nordamerika die "New York Times". Auch dieses Foto gehört mittlerweile zu den ikonischen Bildern, die man im Kopf hat, wenn man an das Attentat des islamistischen Netzwerks al-Qaida auf die Twin Towers denkt.

Ähnlich selektiv ist auch die Erinnerung an die Bilder vom Anschlag auf das israelische Sportlerteam während der Olympischen Spiele in München im Jahr 1972. Von den vielen Aufnahmen, die damals um die Welt gingen, ist meistens nur noch eine im Gedächtnis: das Bild, das der deutsche Associated-Press-Fotograf Kurt Strumpf von einem Attentäter aufnahm, der sich während der Geiselnahme stark vermummt auf dem Balkon des israelischen Quartiers zeigte. Abgedruckt wurde es damals auf den Titelseiten und im Innenteil vieler nationaler und internationaler Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem vom "Herald Tribune", der "Zeit" und dem "Spiegel".

Ästhetik und Empathie

Diese Bilder haben eine Gemeinsamkeit, die auch erklärt, warum Bildredakteure und -redakteurinnen sie besonders häufig ausgewählt haben und wir uns an sie so gut erinnern. Sie sind, formalästhetisch betrachtet, von äußerster Perfektion. Auf dem Bild von Spencer Platt sieht man ein glühendes Feuerwerk hoch oben am Himmel und bei strahlendem Sonnenschein. Noch stehen die Türme erhaben über der Stadt, und noch ist vom dramatischen Einsturz kurze Zeit später nichts zu erkennen. Die Gebäude und Straßen darunter liegen weitgehend außerhalb der Darstellung, sodass ein fast abstraktes Form- und Farbenbild um die Welt ging.

Auch auf Richard Drews Fotografie (die hier bewusst nicht gezeigt wird) erscheint der fallende Mann so mittig im Bild zwischen den Flächen der beiden Hochhaustürme, dass eine geradezu unheimliche Ausgewogenheit entsteht. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Stelle, an der der Stürzende erscheint. Er ist zu sehen an der unteren Kante des oberen Bilddrittels, die den sogenannten goldenen Schnitt markiert – ein Teilungsverhältnis der Fläche von ungefähr 2:3, das schon seit der Antike als besonders harmonisch gilt. Noch sind seine Arme am Körper anliegend. Nur sein linkes Bein ist vom Sprung in die Tiefe angewinkelt, sodass die menschliche Gestalt geradezu mit einer tänzerischen Leichtigkeit erscheint. Lediglich die horizontalen Architekturunterteilungen deuten den Fall an, indem sie sich zu einer nach rechts unten abfallenden Linie verbinden. Doch da kein Endpunkt in Sicht ist, verlaufen sie ins Unbestimmte. Farblich ist das Bild zweigeteilt. Die vertikalen Bänder des linken Hochhauses erscheinen wesentlich dunkler als die des rechten, sodass der Eindruck entsteht, der Mann befinde sich in einer Schwarz-Weiß-Situation. Es ist eine bildliche Analogie dessen, was er tatsächlich empfunden haben muss, als er zum Sprung ansetzte, in der Hoffnung, dass er dadurch dem infernalischen Tod entkommen könnte. Tiefensog und beruhigende Ausgewogenheit stehen hier in einer auffallenden Spannung miteinander. Noch ist, was folgen wird, nur zu denken. Im Foto ist ein Moment der abgrundtiefen Angst und der aussichtslosen Hoffnung für alle Ewigkeit festgehalten. Damit entstand ein Bild, das noch heute das damalige Drama existenzieller Not mit ikonischer Präsenz vor Augen führt.

Eine ähnliche Verdichtung der bedrohlichen Situation gelang auch Kurt Strumpf, als er 1972 einen mit Maske getarnten Attentäter auf dem Betonbalkon des israelischen Quartiers im Olympiadorf ablichtete. Die Verhüllung und sein Grau-in-Grau lassen den Mann bedrohlich und geisterhaft erscheinen, aufgenommen zu einem Zeitpunkt, an dem das tragische und tödliche Ende der Geiselnahme noch nicht abzusehen war. Im Querformat der Fotografie erscheint der Unbekannte im Moment, da er sich vorbeugt. Gleichzeitig ist er so zentral im Bild positioniert, dass von Bewegung kaum etwas zu spüren ist. Er ist perfekt gerahmt von den sichtbaren Architekturteilen, doch auch ihre Linien verlaufen ins Unbestimmte und in ganz entgegengesetzten Richtungen. Ähnlich wie später das Bild des in Flammen stehenden World Trade Centers und das des fallenden Mannes ist die Erinnerung an die Angst und Verwirrung der Stunde auch in dieser Darstellung mit einer sinnlichen Prägnanz festgehalten, die man nicht so schnell vergisst.

Es gibt viele Aufnahmen von den brennenden Twin Towers. Bei weitem die Mehrheit zeigt sie nicht in jenem glühenden Farbkontrast, den wir heute noch vor Augen haben, wenn wir an das Ereignis denken. Auch Richard Drews Fotografie des fallenden Manns war nicht die einzige dieser Art, die an Bildagenturen versandt wurde. Keines der anderen Fotos vermochte sich jedoch in gleicher Weise im Bildgedächtnis zu verankern – und das, obwohl dieses Bild nach einem Aufschrei in der Bevölkerung bis heute in der nordamerikanischen Öffentlichkeit weitgehend nicht gezeigt wird. Auch den Vermummten auf dem Balkon im Olympiadorf in München haben viele der zu diesem Zeitpunkt scharenweise versammelten Pressefotografen aufgenommen. Doch kein anderes Foto zeigt ihn so mittig und zentriert vor einer sich so unbestimmt nach den Seiten öffnenden Architektur und im Moment, da er sich vorbeugt, sodass sie nicht die gleiche ikonische Präsenz entwickelt haben. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass von den vielen Bildern, die den Bildredakteuren der Zeitungen am Tag der Ereignisse und danach zur Verfügung standen, jene drei besonders häufig abgedruckt und gezeigt wurden, und es ist auch nicht erstaunlich, dass genau diese drei Ikonen noch heute tief im Bildgedächtnis verankert sind.

Den genannten Fotografen ist gelungen, was nur wenigen gelingt: Sie bringen etwas Unvorstellbares in verdichteter Form in der sinnlichen Erfahrungswelt der Menschen zur Anschauung. Allerdings ist hier, wie der Konflikt um das Bild des fallenden Mannes in Nordamerika gezeigt hat, der zeitliche Abstand eine wichtige Voraussetzung für die Möglichkeit der Kontemplation. Erst im Nachhinein entsteht jene Distanz, die notwendig ist, damit sich überhaupt ein Denkraum öffnen kann. Im Moment eines Anschlags ist das nicht der Fall. Wie auch immer ikonisch gefasst ihre Bildkraft ist, zum Zeitpunkt einer Tat wirken alle Bilder, die davon handeln, ganz direkt und überwältigend auf ihre Betrachter. Egal ob man zum Sympathisantenkreis der Attentäter gehört oder ihr potenzielles Opfer sein könnte, Bilder von Anschlägen lassen niemanden unberührt und verlangen nach empathischer Identifikation mit dem Dargestellten, sodass kritische Distanz in diesem Augenblick unmöglich wird.

Damit stellen diese Bilder während und kurz nach Gewalttaten ihre Betrachter vor besondere Herausforderungen. Auf der einen Seite transportieren sie für die Gesellschaft wichtige Informationen zu dramatischen Ereignissen, auf der anderen sind sie zugleich die effektivsten Erfüllungsgehilfen der Attentäter. Je mächtiger die mediale Bildproduktion, desto stärker ist die Wirkmacht eines Terrorakts. Die Bilder sind hier keine bloßen Dokumentationen eines primären Ereignisses, sondern haben selbst die Fähigkeit, zu treffen. Indem sie ganz direkt körperliche Empfindungen von Angst, Schrecken, Schock oder gar Freude auslösen, werden im Moment des Anblicks auch ihre Betrachter zu Opfern – oder eben zu triumphalen Tätern. Selbst für Unversehrte, die nicht jubilieren, sondern sich empathisch mit dem dargestellten Leid identifizieren, stellt sich schnell das sublime Gefühl der Angstlust ein – vor allem bei jenen Bildern, die in ihrer formalästhetischen Perfektion Schönheitsempfinden und Abgrundangst, Todesfurcht und Sicherheitsbewusstsein zu einer Einheit verschmelzen. Ihre Ausgewogenheit und Harmonie zeugen von Stillstand und heben dadurch die Wahrnehmung akuter Bedrohung auf, die ihr Gegenstand jedoch vermittelt. Für die Bildermaschinerie des Terrors ist diese angstvolle Schaulust zentral. Durch die Bilder werden Ereignisse potenziert und weitere Bildakte produziert, die wiederum Taten und Fakten schaffen, bei denen, und das ist hier das Entscheidende, Menschen ums Leben kommen können. "In diesem Sinne", so fasst der deutsche Politologe Herfried Münkler zusammen, "stellt der Terrorismus eine Form der Kriegführung dar, in welcher der Kampf mit Waffen als Antriebsrad für den eigentlichen Kampf mit Bildern fungiert."

Gibt es, so muss man sich angesichts dieser Situation fragen, ein richtiges, ein angemessenes Verhalten als Betrachter? Gibt es eine Eigenverantwortung im Umgang mit diesen Bildern im Moment einer Tat? Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig, die Dynamik von Bild und Gegenbild zu verstehen, mit der die Medien seit Beginn des modernen Terrors über Attentate berichtet haben.

Bildmuster

Attentate, also politisch motivierte Gewalttaten von Einzeltätern oder Kleingruppen, sind keine Erfindung der Neuzeit. Tyrannenmorde zum Beispiel sind seit der Antike überliefert. Doch erst mit dem Aufkommen der illustrierten Massenpresse im 19. Jahrhundert wurde die breite Öffentlichkeit zu einem von vornherein einkalkulierten Adressaten der Tat. Die erste Gruppe, die in diesem Sinn bewusst auf die verstärkende Wirkung der Medien setzte, waren die international agierenden Anarchisten am Ende des 19. Jahrhunderts. Als es am 13. März 1881 der russischen Gruppe der Bewegung Narodnaya Volya ("Der Volkswille"), gelang, den Zaren Alexander II. zu ermorden, berichtete die internationale Presse ausgiebig und breit über das Ereignis, und in den illustrierten Blättern der Zeit erschienen detaillierte Bildstrecken, die das Attentat mit Hilfe von Augenzeugenberichten rekonstruierten.

Aus London, Leipzig und Paris wurden Künstler nach Sankt Petersburg geschickt, die in der Folgezeit eine Vorstellung von dem Anschlag und seinem Nachleben aufzeichneten und deren Darstellungen anschließend von Graveuren in Stiche übersetzt wurden. Ein Muster etablierte sich in der Bildberichterstattung, das von nun an mehr oder weniger gleich bleiben sollte: Zunächst brachten die Zeitungen dramatische Visualisierungen der Tat, dann Bilder der trauernden Bevölkerung und schließlich Darstellungen der gefassten Täter. Die Serie endete in der Regel mit Bildern von der öffentlichen Hinrichtung der Verurteilten.


Besonders spektakulär gestaltete sich die Medienberichterstattung im darauffolgenden Jahrzehnt, als in Paris und Barcelona erstmals einzelne Anarchisten Bombenattentate verübten, bei denen Menschen aus der Bevölkerung ums Leben kamen. Es ist ein Merkmal des modernen Terrorismus, dass seine Kampagnen auf Dauer angelegt sind und nicht mehr allein politische Amtsinhaber zum Opfer haben.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist es häufig sogar erklärtes Ziel der Attentäter, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, sodass der Staat indirekt zum politischen Einlenken gezwungen wird. Die Anschläge von Untergruppen der Anarchisten am Ende des 19. Jahrhunderts stehen hier am Anfang. Orte wie die Oper in Barcelona oder Kaffeehäuser in Paris wurden bewusst zu einem Zeitpunkt attackiert, als sich dort eine besonders große Anzahl von Menschen befand. Die Pariser Anschläge Anfang der 1890er Jahre waren in dieser Hinsicht beispiellos. Sie fanden ihren Höhepunkt am 12. Februar 1894 mit einem Bombenattentat auf das Café Terminus in der Nähe des Gare St. Lazare in Paris, bei dem eine Person getötet und viele schwer verwundet wurden.

Auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten gab es immer wieder in unregelmäßigen Intervallen Terrorattentate, zunächst in Europa und den USA und spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der ganzen Welt. Obwohl die internationalen Sicherheitsdienste bereits in den frühen Jahren, unter anderem durch ihre verstärkte Zusammenarbeit, zunehmend Anschläge verhindern konnten, entstand schon damals durch die dramatischen Bilder, die die Presse veröffentlichte, der Eindruck, dass eine groß angelegte konspirative und vor allem internationale Operation hinter den Gewalttaten stand, die in der Lage war, zu überraschenden Zeitpunkten mit fatalen Anschlägen die vitale Infrastruktur großer Metropolen lahmzulegen. Die Darstellungen, die beispielsweise die französische Presse nach jedem der Anschläge in den 1890er Jahren veröffentlichte, legten es geradezu darauf an, immer aufs Neue zu schockieren. Je populärer die Orientierung der Zeitschrift, desto spektakulärer fielen die Illustrationen aus. Auf den Titelseiten des "Petit Journal" erschienen sie früh bereits in farbiger Ausmalung. "L’Univers illustré" brachte die Bilder des Anschlags auf das Café Terminus zwar noch in schwarz-weiß, doch so, dass der Verlauf des Tathergangs geradezu filmisch zur Anschauung kam.

Anschlag auf das Café Terminus, Paris, 12. Februar 1894 (© L’Univers illustré, 17. 2. 1894/Bibliothèque nationale de France, Paris)

In der oberen Hälfte ist die Explosion selbst dargestellt, die zu einem Zeitpunkt stattfand, als gerade das Orchester, das man links in Aufruhr sieht, zu spielen begonnen hatte. In der unteren Hälfte ist die Festnahme des Attentäters zu sehen, der auf der Straße nach einer Verfolgungsjagd und Schüssen auf einen Polizisten gestellt werden konnte. Rechts in der Mitte wird in einer kleineren runden Darstellung der Attentäter, nun allein und in ruhiger Pose, auf der Wache gezeigt. Dem Terror der Tat ist somit zugleich ein Bild der Ordnung eingefügt, das jedoch in den darauffolgenden Wochen während des Gerichtsverfahrens durch den angeklagten Täter Emil Henry wieder in Frage gestellt wurde. Wie schon andere Anarchisten vor ihm, nutzte auch Henry den Gerichtssaal, um seine wenig beruhigenden politischen Motivationen zu verkünden. Auf die Frage zum Beispiel, warum er normale Bürger attackiert habe, gab er zu verstehen, dass es für ihn keine unschuldige Bourgeoisie geben könne. Erst mit den Darstellungen von Henrys Hinrichtung gelangte das Drama in der Bildberichterstattung zu einem vorläufigen Endpunkt.

Im Rückblick wird deutlich, dass bereits zu dieser Zeit Muster und modi operandi etabliert wurden, die auch heute noch die Bildberichterstattung von Attentaten bestimmen. In den ersten Bildern nach einem Anschlag steht immer der Versuch im Vordergrund, die Tat selbst so detailliert und so genau wie möglich zu zeigen, auch wenn das im 19. Jahrhundert bedeutete, dass es sich hierbei immer nur um eine Darstellung nach Augenzeugenberichten handeln konnte. Als es um die Jahrhundertwende möglich wurde, Fotografien in illustrierten Blättern abzudrucken, war diese Nähe zur Tat in den Bildern nicht mehr zu gewährleisten. Wegen der damals noch erforderlichen langen Belichtungszeiten kamen daher oftmals nur noch die vom Anschlag verursachten Trümmer, Zerstörungen und Verletzungen zur Anschauung. Imaginäre Rekonstruktionen wurden selten.

Erst seit den 1970er Jahren machte es die Live-Übertragung des Fernsehens möglich, dass sich ein Attentat vor laufenden Kameras abspielen konnte. Eines der ersten dieser Art war der Anschlag der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" auf das israelische Sportlerquartier im Olympischen Dorf in München im Jahr 1972. Ein einstweiliger Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt ist in dieser Hinsicht das Attentat vom 11. September 2001. Der erste Flugzeugeinschlag in den Nordturm des World Trade Centers stellte sicher, dass alle Kameras zur besten Sendezeit und bei bestem Wetter vor Ort waren, als das zweite Flugzeug 17 Minuten später in den Südturm flog.

Doch schon zu Zeiten, als Live-Übertragungen technisch noch nicht möglich waren, stand zunächst immer das Bedürfnis im Vordergrund, das eigentliche Tatgeschehen so dramatisch und detailliert zur Anschauung zu bringen, wie es eben möglich war. Das Verhältnis zwischen dringend notwendiger Information, Panik schürenden Bildern und reiner Sensationslust war dabei immer schon prekär. Deshalb folgten auf diese ersten Bilder zumeist sehr schnell Darstellungen, die bereits aktive Reaktionen auf das Grauen zeigten und daher zur Beruhigung geeignet waren: der Einsatz von Polizei und Rettungskräften und die Trauerarbeit der betroffenen Überlebenden und Verwandten. Abgeschlossen wurde die Bildberichterstattung immer erst dann, wenn die Täter gefasst und verurteilt werden konnten. Dann erst hatte das Böse ein definitives Gesicht bekommen, erschien begrenzt und die Bedrohung der Vergangenheit anzugehören. Das jedenfalls war die Hoffnung, die sich mit diesen letzten Bildern der gefassten und verurteilten Täter verband.

In den Augen der angegriffenen Staaten sind diese letzten Darstellungen in der Regel notwendige Gegenbilder, mit denen die Rückgewinnung des Gewaltmonopols, das durch die Taten infrage gestellt wurde, demonstriert werden kann. Doch kein Gegenbild dieser Art kann jemals gewährleisten, dass der Bedrohung ein für alle Mal ein Ende gesetzt ist. Im Gegenteil, schon der Anschlag auf das Café Terminus in Paris im Jahr 1894 erfolgte als Racheakt auf die Bilder der öffentlichen Exekution eines Kameraden, und auch in der jüngeren Geschichte gibt es immer wieder Fälle, die zeigen, dass Gegenbilder dieser Art häufig neue Gewalttaten zur Folge haben.

Im Juni 2006 zum Beispiel präsentierte das US-Militärkommando auf einer Pressekonferenz in Bagdad eine Fotografie, die das blutüberströmte Gesicht des kurz zuvor getöteten mutmaßlichen Führers von al-Qaida im Irak, Abu Musab Al-Zarqawi, zeigte. Das Bild diente als Trophäe für die US-Regierung, die damit nach fünf erfolglosen Jahren und ohne Aussicht auf Osama Bin Ladens Festnahme einen ersten Erfolg im "Krieg gegen den Terror" verzeichnete, den George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärt hatte. Entsprechend triumphal wurde das Totenbild vergrößert und gerahmt zur Schau gestellt. Genau dieses Foto jedoch erschien kurze Zeit später auf den Internetseiten radikaler Dschihadisten als Beleg für Zarqawis glorreichen Märtyrertod und wurde in der Folgezeit von den Agitatoren al-Qaidas als wirkungsvolles Rekrutierungsinstrument genutzt.

Als Kampfmittel ist die Wirkung von Bildern weit weniger kalkulierbar und beherrschbar als der Einsatz von Waffen, und unbeabsichtigte Folgen sind hier oftmals die Regel und nicht die Ausnahme. Den Akteuren geht es, in den Worten der Politologin Louise Richardson, um "Rache, Ruhm und Reaktion", und die Betrachter seien dabei durchaus keine passiven, gar neutralen Zuschauer. Als Adressaten der Bilder werden sie von Anfang an in den Verlauf der Ereignisse verstrickt. Doch weder Distanz noch kühle Überlegung oder gar kritisches Eingreifen ist hier möglich, denn die Augenzeugenschaft wird erpresst und die erzwungenen Reaktionen sind unwillkürlich und emotional. Ob Rache oder Ruhm auf dem Spiel steht, wird je nach Fall instinktiv entschieden. Diese Situation hat sich durch die technischen Möglichkeiten nach der Jahrtausendwende noch verschärft, sodass man nun allerdings auch vor neuen Herausforderungen steht.

Verantwortung der Betrachter

Die rasante technische Entwicklung des Internets und der digitalen Fotografie hat in den vergangenen Jahrzehnten die Grenze zwischen Konsumenten und Bildproduzenten merklich verwischt. Während zuvor die Verantwortung für die Bilder weitgehend bei den Berufsfotografen und auswählenden Bildredakteuren lag und immer wieder auch staatliche Stellen regulierend in die Bildberichterstattung eingegriffen haben, sind es nun zunehmend Fotos der Opfer selbst oder von am Geschehen direkt Beteiligten, die ohne großen Zeitverlust und ohne Filter an die Öffentlichkeit gelangen und unser Bild von den Ereignissen bestimmen.

So gelangte erstmals kurz nach den Bombenattentaten auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005 die Handyaufnahme eines Opfers auf die Titelseite der "Washington Post". Das dunkle körnige Foto wurde auf einer eigens für Aufnahmen aus der Bevölkerung eingerichteten Website der BBC hochgeladen, von wo aus es in Windeseile um die Welt ging, nachdem die Nachrichtenredakteure es in ihre Online-Berichterstattung zum Ereignis integriert hatten. Während sich die britischen Sicherheitsdienste intensiv bemühten, die Anschlagsorte so weiträumig abzusperren, dass vorwiegend Bilder vom Einsatz der Rettungsdienste in die Presse gelangten, sodass das Ausmaß der Zerstörung nicht in vollem Umfang deutlich werden konnte und die Panik in der Bevölkerung begrenzt blieb, zeigte die Amateuraufnahme die Situation im Tunnel zum Zeitpunkt der Evakuierung kurz nach der Explosion. Hier entschieden noch die Redaktionen der BBC, der "Washington Post" und anderer Zeitungen, dieses vermeintlich authentischere Bild jenen der Berufsfotografen hinter den Absperrzäunen vorzuziehen, obwohl darauf kaum etwas zu erkennen war. Doch das Internet hat mittlerweile auch diese Filterinstanz mehr oder weniger marginalisiert.

Schon Al-Zarqawi wusste die schockmindernden Strategien der westlichen Medien und Zensurbemühungen der Regierungen erfolgreich zu umgehen, als er 2004 seine Enthauptungsvideos direkt im Internet veröffentlichte. Noch 48 Stunden nach Bekanntwerden der Ermordung des 26-jährigen amerikanischen Geschäftsmanns Nick Berg war die al-Qaida-Website "Al Ansar" derart überlastet, dass sie sich nicht mehr öffnen ließ. Nick Berg, das wird hier in aller Grausamkeit deutlich, musste nicht deshalb sterben, weil er als Person irgendeine Bedeutung für al-Qaida hatte, sondern damit die Bilder seiner Ermordung um die Welt gehen konnten. Jeder, der sich die Videos auf "Al Ansar" anschaute, wurde in diesem Moment in gewisser Weise zum Erfüllungsgehilfen der Täter.

Noch einen Schritt weiter ging einer der beiden islamistischen Attentäter, die am 22. Mai 2013 einen britischen Soldaten auf offener Straße in London ermordeten. Das Bekennervideo zur Tat nahm ein Passant auf, nachdem ihn der blutverschmierte Täter dazu aufgefordert hatte. Das Video erschien später exklusiv beim Nachrichtensender ITV, sodass davon auszugehen ist, dass der oder die Filmende Geld dafür erhalten hat.

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Bevölkerung zum Zeitpunkt eines Anschlags mit neuer Dringlichkeit. Mit routinemäßigen Verweisen auf die Selbstregulierung der Medien, die sich aufgrund des Wettbewerbsdrucks schon immer als ineffektiv erwiesen hat, oder gar Forderungen nach staatlichem Eingreifen, das in der Vergangenheit nicht selten den Charakter von Zensur angenommen hat, ist es nicht mehr getan. Während die vergleichsweise harmlose Schaulust immer schon das Rad des Bilderkampfes angetrieben hat, ist nun eine neue Situation entstanden, welche die Betrachter noch einen Schritt weiter in Richtung aktiver Beteiligung am Geschehen treibt.

Bereits in der Vergangenheit stand manchmal die Würde der Opfer zur Debatte, die im Moment ihres größten Leidens und ohne ihre Einwilligung abgelichtet wurden. Dies war vor allem dann der Fall, wenn man die leidenden Personen deutlich im Bild erkennen konnte. Doch heute kann jeder aktiv im Internet nach Fotografien dieser Art suchen, die sich nicht selten auf dubiosen Seiten wiederfinden, die entweder von den Tätern selbst unterhalten werden oder sadomasochistischen Sexfantasien dienen. Wenn man gar zum Produzenten dieser Bilder wird und somit, wie in London geschehen, zum vermeintlichen Erfolg der Täter beiträgt, dann spätestens ist es an der Zeit, über die eigene Verantwortung nachzudenken. Das bedeutet unter Umständen, dass man als Betrachter bewusst jenen Bildern die Aufmerksamkeit verweigern muss, welche die Würde der Opfer verletzen, dass man die Suche nach Bildern im Internet mit Vorsicht und vielleicht sogar Askese betreibt, dass man solche Bilder nicht verbreitet und verlinkt, und dass man vor allem nicht als Bildkonsument oder -produzent zum Erfüllungsgehilfen der Täter wird. Nur so kann verhindert werden, dass man sich in einem tragischen Kampf, in dem es keine Sieger gibt, mitschuldig macht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Bildberichterstattung zum Anschlag vom 11. September 2001 ist mittlerweile gut erforscht. Vgl. einführend hierzu Gerhard Paul, Bilder des Krieges. Krieg der Bilder, München 2004, S. 433–485.

  2. Vgl. Klaus Forster/Thomas Knieper, Das Blutbad von München, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 2, Bonn 2008, S. 434–441.

  3. "Bildakte" bezeichnen das Potenzial von Bildern, nicht nur Empfindungen hervorzurufen, sondern auch Handlungen zu provozieren. Vgl. Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts, Frankfurt/M. 2010.

  4. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002, S. 197.

  5. Nicht jeder moderne Terrorakt ist jedoch auf Medienwirksamkeit hin konzipiert. Vgl. Matthias Dahlke, Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus, München 2011, S. 28ff.

  6. Vgl. Bruce Hoffman, Terrorismus. Der unerklärte Krieg, Frankfurt/M. 2001.

  7. Vgl. Zeynep Devrim Gürsel, Framing Zarqawi. Afterimages, Headshots and Body Politics in a Digital Age, in: Olga Shevchenko (Hrsg.), Double Exposure. Memory and Photography, Piscataway 2013 (i.E.).

  8. Louise Richardson, Was Terroristen wollen, Frankfurt/M. 2006, S. 117.

  9. Vgl. Thomas Riegler, Terrorismus, Innsbruck u.a. 2009, S. 299.

  10. So verbot etwa die Regierung in Uruguay von 1967 bis 1975 etliche Zeitungen und Fernsehsender, sobald sie nur den Namen der Terrorgruppe Tupamaro erwähnten. In Großbritannien gab es ab den 1970er Jahren bis zum Karfreitagsabkommen 1998 Gesetze, die es untersagten, dass Mitglieder der IRA oder der INLA in den Medien zu sehen oder direkt zu Wort kommen konnten. Vgl. T. Riegler (Anm. 9), S. 321–325.

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Ph. D., geb. 1965; Professorin für Kunst und neue Medien am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin. E-Mail Link: charlotte.klonk@culture.hu-berlin.de