In der wissenschaftlichen Debatte und der politischen Praxis mangelt es nicht an der grundlegenden Einsicht, dass schwache und versagende Staatlichkeit von größter Bedeutung für die unmittelbar betroffenen Länder und Bevölkerungen, das jeweilige regionale Umfeld und nicht zuletzt für die internationale Politik ist. Krisenerscheinungen, Gewaltkonflikte und Systemumbrüche belegen die anhaltend hohe Relevanz des Themas in verschiedenen Weltregionen, so etwa in der Sahelzone und im Gebiet der Großen Seen in Zentralafrika oder der Konflikt in und um Afghanistan sowie in verschiedenen Teilen der arabischen Welt. Defekte staatliche Strukturen und schlecht funktionierende oder unzureichend legitimierte Regierungen und die damit einhergehenden Folgeprobleme sind eine zentrale Herausforderung in Entwicklungsländerregionen. Teilweise handelt es sich um besonders schwierige Fälle von gescheiterten Staaten, aber vielfach auch um "verwundbare" oder "anfällige" Systeme. In diesen kann der Staat zwar durchaus wirksam sein, möglicherweise ist er aber nicht in der Lage, sein Gewaltmonopol in allen Landesteilen durchzusetzen oder seine Repräsentanten besitzen keine ausreichende Legitimität.
"Fragilität" ist ein weitverbreiteter, jedoch kein trennscharfer Terminus. In der internationalen Debatte findet die Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) breite Akzeptanz. Ihr zufolge haben eine fragile Region oder ein fragiler Staat nur schwache Fähigkeiten, grundlegende Governance-Funktionen auszuüben und in einen gegenseitigen, konstruktiven Austausch mit der jeweiligen Gesellschaft zu treten.
Es lassen sich zwei Sichtweisen auf Fragilität unterscheiden: zum einen unter humanitären und armutsbezogenen Gesichtspunkten und zum anderen unter dem Aspekt von Sicherheit und Stabilität. Zentrale Ursachen für ausbleibende Entwicklungserfolge oder -rückschritte sind Instabilität und bewaffnete Konflikte.
Von großer Bedeutung sind schließlich die strukturell langfristigen destabilisierenden Wirkungen auf die Konfliktländer selbst sowie die Risiken, die von fragilen Staaten auf die internationale Sicherheit ausgehen. Länder, die von Konflikten bereits betroffen waren, haben ein deutlich höheres Risiko, erneut von Konflikten betroffen zu sein. Nachkriegsländer weisen ein Risiko von etwa 40 Prozent auf, innerhalb eines Jahrzehnts erneut in eine Bürgerkriegssituation zu geraten.
Ansatzpunkte für externe Akteure
In internationalen Debatten besteht ein weitgehender Konsens zur Bedeutung von Fragilität. Schwierig zu beantworten ist allerdings die Frage, was gegen die Ursachen und Folgen von fragiler Staatlichkeit unternommen werden kann. Dies gilt nicht zuletzt für die möglichen Beiträge externer Akteure wie bi- und multilaterale Geber oder internationale Organisationen. Die Fälle, in denen fehlende staatliche Strukturen teilweise und zeitlich begrenzt von außen ersetzt werden können, sind insgesamt selten und dürften in aller Regel Ausnahmefälle bleiben. Hierzu sind die finanziellen Ressourcen und militärischen Kapazitäten weder vorhanden noch politisch zu mobilisieren. Schließlich ist auch der Rückzug aus derartigen Situationen in aller Regel komplizierter und langwieriger, als zunächst erhofft. Am anderen Ende der externen Handlungsmöglichkeiten steht das Nichtengagement der internationalen Gemeinschaft oder ihrer wichtigsten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure.
Mit Blick auf Handlungsmöglichkeiten externer Akteure ist eine Gegenüberstellung von "fragilen" und "funktionierenden" Staaten sinnvoll.
Externe Akteure können in schwachen oder versagenden Staaten verschiedene Politikinstrumente einsetzen. Die Konzepte sind situativ und reichen von langfristig angelegten Ansätzen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) bis hin zu militärischen Interventionen in ausgewählten, zugespitzten Situationen. Zunächst einmal hat die EZ in nahezu all ihren Ausprägungen und Phasen mit fragiler Staatlichkeit zu tun. Sie kann langfristig helfen, in relativ konsolidierten Systemen Stabilitätserfolge zu sichern, in schwachen Staaten entwicklungsorientierte Regime beim Aufbau funktionsfähiger Strukturen zu unterstützen sowie in versagenden und teilweise in kollabierten Staaten Anreize für staatliches Handeln zu schaffen.
Vielfach ist die Bereitstellung von Hilfe gerade in unmittelbaren Nachkriegssituationen besonders wichtig, um ein erneutes Abgleiten in Gewaltkonflikte zu verhindern. EZ kann nachweisbar dabei helfen, den Nutzen sogenannter Friedensdividenden in Nachkriegsgesellschaften zu erweitern.
1. Seit Ende der 1990er Jahre hat die Debatte über einen möglichst wirksamen Einsatz von Mitteln der EZ zu einer stärkeren Konzentration auf "Good Performers" geführt. Im Entwicklungshilfeausschuss der OECD und ähnlichen Foren wird daher intensiv die Frage diskutiert, wie mit den Ländern, die als fragil eingeschätzt werden und gemessen an ihrem Bedarf wenig Entwicklungshilfemittel erhalten, zukünftig umgegangen werden sollte.
2. Darüber hinaus lässt sich für die EZ ein konzeptioneller Wandel nachzeichnen: Während zu Beginn der 1990er Jahre punktuelle Maßnahmen mit einem Krisenbezug entwickelt wurden und dieser Ansatz zu einem Konzept zur zivilen Krisenprävention weiterentwickelt wurde, stehen mittlerweile übergreifende Ansätze im Mittelpunkt, mit deren Hilfe Beiträge zu Stabilität und Sicherheit geleistet werden sollen. Dabei geht es vor allem um ein stärker vernetztes Denken und Handeln zwischen den sicherheits-, außen- und entwicklungspolitischen Akteuren.
3. Schließlich sind der Staat und damit Governance-Fragen aus der Perspektive fragiler Länder immer mehr in den Mittelpunkt entwicklungspolitischer Ansätze gerückt. Hier gibt es vielfältige inhaltliche Überschneidungen zu anderen Themen wie Demokratieförderung, Dezentralisierung, direkte Krisenprävention und Konfliktbearbeitung.
Whole-of-Government-Ansätze
Es stellt sich die Frage, zu welchen Schritten die internationale Gemeinschaft in zugespitzten Gewaltsituationen, die zu einer humanitären Katastrophe führen oder diese mit sich bringen könnten, bereit ist. Der Einsatz militärischer Mittel kann und darf immer nur das letzte mögliche Mittel sein. Zivilen Ansätzen zur Vermeidung oder Beendigung von Gewaltkonflikten ist anerkanntermaßen eindeutig Vorrang vor militärischen Vorgehensweisen zu geben – letztlich ist nur unter Abwägung der spezifischen Umstände zu klären, ob militärische Mittel dazu beitragen könnten, menschliches Leid zu vermindern und einen langfristigen stabilisierenden Beitrag zu leisten. Denn gerade militärische Vorgehensweisen sind mit erheblichen Unsicherheiten und Risiken für alle Beteiligten verbunden. Sämtliche relevanten internationalen Akteure überlegen sehr genau, wo eine militärische Intervention in Erwägung zu ziehen ist und wo sie unterlassen werden sollte. In diesem Prozess ist das Ausmaß einer menschlichen Katastrophe vor Ort für die Bereitschaft einzelner Staaten oder der internationalen Staatengemeinschaft insgesamt nur ein Entscheidungsaspekt von vielen. Aus eben diesem Grund stellt die Debatte über "Schutzverantwortung" (Responsibility to protect) diese Herausforderung in den Mittelpunkt.
Auch ist der Nutzen militärischer Operationen vielfach unklar.
Beide Diskussionspunkte zeigen, wie wichtig die Einbeziehung ziviler und militärischer Betrachtungsweisen ist. Dort, wo ein militärisches Engagement stattfindet und erforderlich ist, reicht nur dieses nicht aus, um dauerhafte Friedensstrukturen zu schaffen. Und dort, wo zivile Ansätze zur Prävention oder Beendigung von Gewaltkonflikten nicht ausreichen, können möglicherweise militärische Schritte notwendig sein, um etwa einer akuten Gefahr eines Genozids zu begegnen. Diese Schnittstellen zwischen dem Zivilen und dem Militärischen sind auf mehreren Ebenen von großer Bedeutung und finden seit etwa 15 Jahren verstärkt Beachtung. Für die deutsche Diskussion war in dieser Hinsicht der Kosovo- und vor allem der Afghanistan-Einsatz prägend. Nicht nur in der Bundesrepublik bestand in der Vergangenheit ein hohes Maß an Distanz sowohl für zivile als auch militärische Akteure. Gemeinsame Planungen und Vorgehensweisen – die vielfach als Whole-of-Government-Ansätze bezeichnet werden – fanden kaum statt. Den heutzutage angestrebten vernetzten Ansatz unterstreichen unter anderem die ressortübergreifenden Leitlinien.
In einigen Fällen werden die Schnittstellen aus einer überwiegend militärisch geprägten Perspektive definiert, dies gilt etwa für US-amerikanische Ansätze. Wie können beispielsweise zivile Maßnahmen wie der Wiederaufbau dazu beitragen, ein günstiges Umfeld für einen militärischen Stabilisierungseinsatz zu schaffen und damit die Truppensicherheit zu erhöhen? Dass ein ziviles Vorgehen hiervon unabhängig eine eigenständige Rolle haben muss, wird allzu oft übersehen. Letztlich sind es vor allem die zivilen Ansätze, die langfristige Schritte zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung einleiten können. Dort, wo die Umstände anhaltend fragil sind, kann militärisches Wirken gegebenenfalls weiterhin essenziell sein, eine sinnvolle Arbeitsteilung ist jedoch auch hier von zentraler Bedeutung: Wie können sich zivile und militärische Akteure sinnvoll ergänzen?
Das Verhältnis von Entwicklung und Sicherheit ist kein neues Thema.
Von großer Bedeutung ist die grundlegende Wandlung des Sicherheitsbegriffs.
Resümee
Viele Implikationen des sich verändernden Denkens und neuer Entwicklungs- und Sicherheitskonzepte lassen sich bisher kaum abschätzen. Dies gilt beispielsweise für den Umgang mit Staaten, die dauerhaft nicht ausreichend in der Lage sind, ihr – im besten Falle legitimes – Gewaltmonopol herzustellen. Hier findet zunehmend eine Konfrontation mit alten Denkmustern statt:
Fragile Länder und Regionen sind eine der Hauptherausforderungen für die internationale, Außen- und Sicherheitspolitik und nicht zuletzt für die EZ. Sie verfügt über Instrumente, um etwa Governance-Ansätze zu fördern, staatliche Strukturen aufbauen zu helfen oder Anreize für entwicklungsorientiertes Handeln zu bieten. Instabilität und Unsicherheit, mangelhafte Governance und schwache Umsetzungskapazitäten sind Kennzeichen fragiler Staaten. Hierin besteht ein Spannungsverhältnis zu günstigen Voraussetzungen für Entwicklungszusammenarbeit.
Andererseits sind wirksame entwicklungspolitische Beiträge zur Überwindung dieser Probleme besonders relevant. Es ist daher von zentraler Bedeutung, die entwicklungspolitischen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und nicht das "Ob", sondern das "Wie" in den Mittelpunkt entsprechender Debatten zu stellen. Darüber hinaus ist die Notwendigkeit zur Koordination und Kooperation zwischen zivilen und militärischen Akteuren im Kontext von Gewaltkonflikten gewachsen. Auch dieses Zusammenspiel ist notwendig, gleichwohl auch schwierig, da die Ansätze, Instrumente und auch konkreten Zielsetzungen oftmals nicht direkt vereinbar sind.