Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Schutzverantwortung als neues Machtinstrument? | Internationale Sicherheit | bpb.de

Internationale Sicherheit Editorial Sicherheit und Kooperation Schutzverantwortung als neues Machtinstrument? Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – alles nur Rhetorik? Internationale Ordnung: Suche nach Alternativen? Aufarbeiten politischer Gewalt – Beispiel Kenia Internationale Politik des kulturellen Eigentums Indien, China und die drei K Hunger und globale Sicherheit Schutzverantwortung und humanitäre Intervention Rolle des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Konfliktbewältigung und Umgang mit fragilen Staaten Schaffen Waffen Frieden und Stabilität? Verbreitung von Drohnen und unbemannten Flugzeugen Afghanistan: Aus Fehlern lernen Der Nahe Osten vor einem "Kurdischen Frühling"? Deutschlands gewandelte Strategie

Schutzverantwortung als neues Machtinstrument?

Siddharth Mallavarapu

/ 3 Minuten zu lesen

Ein wichtiger Aspekt der internationalen Sicherheit und der globalen Kooperation betrifft die Zukunft sich entwickelnder Normen wie die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P). Aus der Perspektive des Globalen Südens wird häufig die Frage gestellt, inwiefern entstehende Normen wie R2P tatsächlich global sind, welchen Bezug sie zum breiteren Rahmen des Interventionismus haben, welchen humanitären Anspruch sie geltend machen, und wie sie möglicherweise rehabilitiert oder gar neu konzipiert werden müssen, wenn sie als gerechtere und legitimere Instrumente für die Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit wahrgenommen werden sollen. Während mancher den Eingriff in Libyen (2011) als Erfolg betrachtet, diente dieser für den Globalen Süden als Erinnerung, wie plumpe geopolitische Ambitionen jegliche Verlautbarungen vom "guten Samariter" übertrumpfen.

Auf den ersten Blick scheint sich R2P mit den schwersten Verstößen der Menschheit zu befassen. Es geht darum, gemeinsam gegen die Möglichkeit von "Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen" vorzugehen, wie es das Ergebnisdokument des Weltgipfels der Vereinten Nationen (VN) 2005 präzise formuliert. Die Doktrin versucht sich bewusst von ihrer Vorgängerin – der humanitären Intervention – zu distanzieren, die aufgrund von doppelten Maßstäben und Inkonsistenzen, vor allem in ihrer Ausführung, erhebliche Kritik hervorgerufen hatte. Schon jetzt zeigt sich, dass R2P mit ähnlichen Herausforderungen kämpft. Sie wird ihrem eigenen Auftrag nicht gerecht und aus meiner Sicht sprechen drei Gründe dafür, dass sich voraussichtlich wenig daran ändern wird.

Erstens agiert R2P politisch gesehen nicht im luftleeren Raum. Sie stellt sich als neutrales Bemühen um Wiederherstellung der Menschlichkeit auf schlimmen Kriegsschauplätzen dar. Aber in Wirklichkeit ist sie zwangsläufig in der Parteipolitik der Großmächte verhaftet. Wenn viel auf dem Spiel steht (strategische Interessen), versuchen die Großmächte, die Rahmenbedingungen eines Schauplatzes zu ändern, und leiten manchmal – weit über ihr Mandat hinaus – einen "Regimewechsel" ein. Wenn wenig auf dem Spiel steht, reagieren sie gleichgültig oder ablehnend. Dabei wird in keiner Weise die grundlegende strukturelle Dimension der Herrschaftsverhältnisse thematisiert, die überhaupt erst diese groben Übertretungen verursacht. Es ist unwahrscheinlich, dass diese strukturellen Ungleichheiten leicht verändert werden können, da sie die Privilegien der dominierenden Akteure im internationalen System zementieren.

Zweitens mutet der Anspruch, bis zu einem gewissen Grad allgemeingültig zu sein, verdächtig an. Die gegenwärtige Konstellation des VN-Sicherheitsrats (eine weitere asymmetrische Institution) lässt vermuten, dass es keinen Konsens darüber gibt, welche Bedingungen für die Geltendmachung von R2P eintreten müssen. Selbst diejenigen, die eng mit dem R2P-Prozess verbunden sind, wie Edward Luck, Berater des VN-Generalsekretärs, geben zu, dass die "Selektivität" des Engagements ein kontroverses politisches Thema ist und bleibt. China, Russland, Brasilien, Deutschland und Indien enthielten sich bei der Abstimmung zur VN-Resolution 1973 im Jahr 2011. Sie gaben so ihrem Unbehagen angesichts der "Begeisterung" der USA, Großbritanniens und Frankreichs Ausdruck, mit der diese Länder R2P im Falle Libyens geltend machen wollten. Mehrfach wird vertreten, dass die Intervention in Libyen 2011 offensichtlich weit über das genehmigte Mandat hinausging.

Drittens generiert die Neutralitäts- und Universalitätskrise grundlegende Legitimitätsprobleme für die R2P-Doktrin. Im R2P-Arsenal gibt es ein interessantes Sprachrepertoire an gestaffelten Reaktionen auf humanitäre Krisen. Die Anwendung von Gewalt wird als allerletztes Mittel betrachtet. Die Versuchung, die militärische Option früher als gerechtfertigt zu nutzen, wenn viel auf dem Spiel steht, ist jedoch sehr hoch. Auch tiefer liegende Ängste um Wohl und Sicherheit ausgewählter Mächte im internationalen System können solche verfrühten Geltendmachungen hervorrufen und stellen eine ernsthafte Herausforderung dar, wenn es um die Operationalisierung der Doktrin geht.

Aus all diesen Gründen sollten wir zurückhaltender mit R2P umgehen und sie nicht als Allheilmittel gegen die schlimmsten Auswüchse der Menschheit betrachten. Damit will ich keineswegs sagen, dass wir keine einschränkenden Mechanismen brauchen, um die dunklen Seiten menschlichen Verhaltens zu zügeln. Damit jedoch Prinzipien über politisches Kalkül siegen können, braucht es den ehrlichen Willen, wirklich multilateral und inklusiv zu sein – Eigenschaften, die eher selten und nicht im Einklang mit dem herrschenden Zeitgeist zu sein scheinen.

Ph.D.; Professor und Leiter des Deptartment of International Relations an der South Asian University, Neu-Delhi/Indien. E-Mail Link: mallavarapu.siddharth@gmail.com