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Westliche Konzepte von Prostitution in Afrika

Diana Carolina Triviño Cely

/ 14 Minuten zu lesen

Das Wort Prostitution bezieht sich nicht nur auf den Austausch von Sex gegen Geld oder Güter, sondern weist vor allem auf ein menschliches Verhalten hin, welches aufgrund von Sexualpraktiken als soziale Abweichung definiert und stigmatisiert wird. Dieses Verständnis von Prostitution ergab sich aus spezifischen historischen Prozessen in der westlichen Welt, vor allem aus der dialektischen Konstruktion einer "legitimen" und einer "illegitimen" Sexualität. Hierbei stellen nur die Ehe oder später auch die partnerschaftliche Beziehung den Ort dar, an dem Sexualität gestattet ist. Die Gültigkeit dieses Verständnisses von Prostitution als "illegitimer" Sexualität dauert noch bis heute an und trotz seiner Entstehung im Westen prägte es auch die Perspektiven, Analysen und Interpretationen über Prostitution in nichtwestlichen Kontexten. Wie wurde dieses Verständnis von Prostitution im Westen konstruiert? Welche Bilder und Bewertungen von Prostitution beziehungsweise Prostituierten wurden dadurch in Bezug auf die Prostituierte bis in die Gegenwart legitimiert? Wie beeinflusst dieses Verständnis von Prostitution die Interpretation des Austauschs von Sex gegen Geld oder Güter in nicht westlichen Kontexten, wie beispielsweise in Afrika?

"Gutes" und "böses" Mädchen

Das heutige Verständnis von Prostitution entwickelte sich im 19. Jahrhundert, insbesondere mit der Einführung der Werte des Bürgertums in den westlichen Gesellschaften. Diese Werte begründeten ein neues bürgerliches Leitbild der Frau. Dieses bezog sich einerseits auf ihre Rolle als Ehefrau, Mutter und jungfräuliche Tochter und stützte sich andererseits auf die Ablehnung und soziale Verweigerung anderer Frauenbilder. Die Zustimmung und Idealisierung spezifischer Aufgaben der Frau implizierte auch die Zurückweisung der Prostituierten.

Dieser historische Prozess muss im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Sichtweise der Moderne in Bezug auf das Verhältnis von Familie, Frau und Sexualität betrachtet werden. Ein Charakteristikum der bürgerlichen Familie war die Erfindung eines gesellschaftlich anerkannten Raums der Sexualität. Das heißt, dass es "im gesellschaftlichen Raum sowie im Innersten jeden Hauses nur einen Ort gab, an dem Sexualität – sofern sie nützlich und fruchtbar war – zugelassen wurde: das elterliche Schlafzimmer". Die Begrenzung der Sexualität auf diesen Ort stützte sich auf die Auffassung, dass das Sexualleben der bürgerlichen Frau nur im Verhältnis zu ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter akzeptiert und legitimiert wurde. Diese Sexualität galt als "gut" und "normal", andere Sexualpraktiken hingegen als abweichend, unmoralisch und anormal. Folglich mussten sie verfolgt und sanktioniert werden. Prostituierte wurden somit von der bürgerlichen Gesellschaft ausgegrenzt. Diese Ausgrenzung besteht in der bürgerlichen Gesellschaft im westlichen Kulturkreis zum Teil bis heute. Diese Position charakterisierte sich in der Unterscheidung der Frau in der Moderne in "gutes und böses Mädchen", welche der dialektischen Konstruktion von Sexualität in "legitime" und "illegitime" entspricht.

Das Sexualverhalten und die Sexualbeziehungen von Prostituierten wurden als soziale Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung angesehen. Ab dem 19. Jahrhundert galt die Kontrolle und Reglementierung der Sexualität seitens des Staates im Allgemeinen als notwendig. Durch die Betrachtung der Prostituierten als Gefahr und ihre Kriminalisierung entstanden verschiedene Kontrollmechanismen. So überwachte die Polizei die Zonen, in denen sich Prostituierte aufhielten. Allerdings wurde eher versucht, die Prostitution durch Verwaltungsmaßnahmen zu reglementieren, als diese auszumerzen.

Die Idee der Kontrolle der Prostituierten wurde stark von der öffentlichen Debatte über Gesundheit und Hygiene geprägt, da die Prostituierten als Infektionsherd von Geschlechtskrankheiten angesehen wurden. Die Prostituierte wurde insbesondere als Trägerin der Syphilis angesehen, und als "dreckig" oder "verseucht" beschimpft. Aus diesem Grund wurden ärztliche Untersuchungen als Kontrollmaßnahme eingeführt, die zum Teil bis in die Gegenwart weiter praktiziert werden.

Im Gegensatz zu diesen Maßnahmen und mit der Entwicklung der europäischen feministischen Bewegung tauchte Mitte des 19. Jahrhunderts der sogenannte abolitionistische Diskurs der Prostitution auf, der auch die heutige Einschätzung von Prostitution stark beeinflusst. Diese Bewegung plädoyierte zunächst für die Abschaffung der staatlichen Finanzierung der ärztlicher Regulierung der Prostitution in den Bordellen. Später votierte der Abolitionismus auch für die Kriminalisierung der Prostitution und versuchte sich zugleich an der "Rettung" der Prostituierten. In diesem Diskurs wird Prostitution als sexuelle Sklaverei interpretiert, aus der die Prostituierten befreit werden müssen. Er reproduziert des Weiteren die christliche Auslegung von Prostituierten als Opfer, da sie aufgrund ihrer sozialen Situation gezwungen seien, ihre Körper zu verkaufen. Die Prostituierten wurden als Opfer der gesellschaftlichen Gegebenheiten und der Armut dargestellt. Ziel war die Rehabilitation und Wiedereingliederung der Prostituierten in die Gesellschaft .

Die Soziologin Laura María Agustín wertet die Konstruktion der Prostituierten als Opfer als eine Folge des sozialen Aufschwungs des Bürgertums, eine Phase in der die "newly empowered bourgeoisie came in believe that their high level of evolution and sensibility qualified them to rehabilitee inferiors". So wurde die Rettung der Prostituierten zur Aufgabe der korrekten, guten und karitativen bürgerlichen Frau. Jedoch konnten nur die Frauen, die ihr Verhalten bereuten, gerettet werden. Hierfür war es notwendig, dass sich die Prostituierten selbst als Opfer verstanden oder sich zumindest als solche bezeichneten.

Obwohl dieses Verständnis im Westen entstand und eingeführt wurde, prägte es auch die Perspektive der Forschungen, Analysen, Interpretationen und im Allgemeinen auch die Auseinandersetzung mit Prostitution in nichtwestlichen Kontexten. Infolgedessen ist auch ein Großteil der Literatur über den Austausch von Sex gegen Geld oder Güter in Afrika durch die Untersuchung der sozio-ökonomischen Motivation des Phänomens gekennzeichnet.

Einseitige ökonomische Interpretation im afrikanischen Kontext

1980er Jahre: Existiert "Prostitution" in Afrika?

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit "Prostitution in Afrika" beginnt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den 1980er Jahren. Bei diesen ersten ethnologischen, vor allem aber soziologischen Annäherungen stand insbesondere die Frage nach dem Entstehen von Prostitution im Vordergrund. Den Kern der Diskussion bildete dabei die Frage, inwieweit man von Prostitution in einem westlichen Sinn in Afrika überhaupt sprechen kann. Aus dieser Diskussion kristallisierten sich im Wesentlichen drei Positionen heraus:

Die erste Position geht davon aus, dass Prostitution in den afrikanischen Gesellschaften erst mit der Kolonialisierung entstand und fragt nach den Prozessen, die zu ihrer Entstehung führten. Hier wird die Entstehung von Prostitution hauptsächlich als Konsequenz der strukturellen gesellschaftlichen Veränderungen beziehungsweise der Modernisierungsprozesse betrachtet, die während der Kolonialzeit stattfanden. Zentrale Bedeutung kam dabei den Prozessen der Urbanisierung zu.

Ein zweiter Ansatz fragt, ob beziehungsweise inwieweit traditionelle Formen des Austausches von Sex gegen Geld oder Güter als "Prostitution" angesehen werden können. Dabei konzentrieren sich die meisten Studien auf die Analyse dieser "traditionellen" Formen und ihrer Veränderungen im Kontext der Kolonialzeit. In diesem Zusammenhang lassen sich zwei wesentliche Positionen in der Literatur finden. Bei der ersten handelt es sich um die Annahme, dass es in Afrika vor der Kolonialisierung traditionelle Formen der Prostitution gab, die sich aber während der Kolonialisierung sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Legitimation verändert haben. Die andere Position umfasst die These, dass in Afrika die traditionellen Beziehungen, in denen ein Austausch von Sex gegen Geld oder Güter stattfand, nicht als Prostitution galten und diese somit erst mit dem Eintreffen der Europäer in Afrika entstand.

Der dritte Ansatz versteht "Prostitution" in Afrika ebenfalls als unmittelbare Folge der Kolonialisierung. Ihm dient das Vorhandensein von Prostitution jedoch im Wesentlichen als Beweis für die "schlechte" Situation, in der sich das postkoloniale Afrika befindet. Hier wird Prostitution als Folge von Armut, Ausbeutung und Ungleichheit aufgefasst. Die Prostituierten werden als Opfer der sozialen und ökonomischen Bedingungen, die in diesen Gesellschaften herrschen, gedeutet.

Obwohl jeder der oben genannten Ansätze eigene Schwerpunkte setzt, teilen sie dasselbe, moderne Verständnis von "Prostitution". Prostitution wird hier von vornherein als soziales Problem betrachtet. Dies dient Autoren dazu, koloniale und postkoloniale Zustände in Afrika kritisch zu betrachten. In dieser Absicht wurde die westliche Bedeutung von "Prostitution" in die afrikanische Literatur über Prostitution eingeführt und verbreitet.

1990er Jahre: "Prostitution", HIV/AIDS und Tourismus.

Im Kontext der Ausbreitung von HIV/AIDS in Afrika gewann "Prostitution" Ende der 1980er Jahre an sozialer Bedeutung. Dies trug wesentlich zur weiteren Polarisierung des Diskurses um Prostitution bei und damit zur Festigung und Verbreitung eines westlich-modernen Verständnisses von Prostitution. Die Forschung befasste sich nun hauptsächlich mit der Motivation der Frauen, ihre Körper zu verkaufen, und beschränkte sich dabei auf die Analyse ihrer sozioökonomischen Bedingungen. In der Folge wurde Prostitution durch die Allgegenwart von Armut und Arbeitslosigkeit beziehungsweise durch Unterentwicklung und "Abhängigkeit" begründet. Für die Durchsetzung dieser Auffassung spielten auch Entwicklungsprojekte zur AIDS-Prävention in Afrika eine zentrale Rolle, die sich hauptsächlich auf die Bekämpfung von Prostitution konzentrierten.

Gegen Ende der 1980er Jahre kritisierte die Ethnologie die Verwendung eines westlichen, modernen Begriffs von Prostitution in nichtwestlichen Kontexten. So vertritt beispielsweise Sophie Day die These, dass dieser Begriff für die Erklärung des Austausches von Sex gegen Geld in bestimmten kulturellen Kontexten nicht adäquat ist, weil dort andere kulturelle Verständnisse von "Prostitution" gelten. Diese Kritik wird allerdings weitgehend ignoriert. Vor allem in der soziologischen Literatur über "Tourismusprostitution" und "Sexualtourismus" in Entwicklungsländern, die seit den 1990er Jahren einen enormen Aufschwung verzeichnet, wird weiter im westlichen Sinn über "Prostitution" gesprochen. Aus dieser Literatur kristallisierten sich einige zentrale Thesen heraus, die dazu beitragen haben, dass weiterhin das eigene Verständnis von Prostitution auf kulturell fremde Kontexte übertragen wird.

Die erste These lautet dabei, dass "Tourismusprostitution" und "Sexualtourismus" entscheidend für die Ausbreitung von HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen verantwortlich sind. "Prostitution" wird in diesem Zusammenhang zu einer sozialen Gefahr. Eine weitere These begründet die Zunahme der Prostitution in den Entwicklungsländern mit der Ausdehnung von "Tourismusprostitution". Die Prostitution wird als Ergebnis der sozialen und ökonomischen Ungleichheiten zwischen Entwicklungs- und Industrieländern erachtet. Daraus folgt die Behauptung, die die Prostituierten als Opfer dieser Ungleichheiten darstellt. Die Armut beziehungsweise die ökonomische Situation der Frauen dient auch hier wieder als Begründung für "Prostitution".

Im Gegensatz dazu erschienen seit Mitte der 1990er Jahre wichtige ethnologische Studien, die sich mit der unpassenden Verwendung des westlichen Begriffs von Prostitution in afrikanischen Kontexten auseinandersetzen. Im Mittelpunkt dieser Literatur steht nicht nur die Kritik an der Verwendung des Begriffs "Prostitution", sondern auch die Einführung alternativer Begriffe zur Veranschaulichung des Austausches von Sex gegen Geld oder Güter in nichtwestlichen Kontexten. Beispiele dafür sind die Begriffe survival sex oder transactional sex. Gemeinsames Anliegen ist dabei, die westliche, christlich geprägte Moral zu überwinden, auf der der Begriff "Prostitution" basiert und der auf fremdkulturelle Kontexte übertragen wird. Die im Wesentlichen ökonomische Interpretation des Austausches von Sex gegen Geld oder Güter wurde von den Autorinnen in diesem Zusammenhang allerdings bekräftigt.

Die 2000er Jahre: Alternativen zur "Prostitution": survival sex und transactional sex.

Der Begriff survival sex bezieht sich auf den Austausch von Sex gegen Nahrungsmittel, eine Unterkunft oder andere lebensnotwendige Ressourcen. Hier wird die Knappheit und Armut von Frauen als Begründung und Erklärung des Phänomens dargestellt. Ein zweites zentrales Argument, von survival sex anstelle von "Prostitution" zu sprechen, ist die Tatsache, dass viele der Frauen weder sich selbst als "Prostituierte" verstehen, noch in ihrer Gesellschaft als solche bezeichnet werden. Transactional sex fokussiert sich auf Prozesse des Austausches von Sex gegen Geld oder Güter, die sich nicht in einem professionalisierten Rahmen abspielen. Beteiligte stehen hier in engen sozialen Beziehungen und bezeichnen sich beispielsweise als girlfriend und boyfriend. Bekanntestes Beispiel sind die sogenannten Sugardaddy-Beziehungen im subsaharischen Afrika, in denen ein girlfriend von ihrem Sugardaddy Geschenke oder sogar ihren gesamten Lebensunterhalt im Austausch gegen Sex bekommt. Der Unterschied zwischen survival sex und transactional sex liegt also in den Motivationen, an diesem Austausch teilzunehmen. Dabei entsteht der survival sex aus Armut und Knappheit, während der Zugang zu Konsum das zentrale Motiv des transactional sex bildet.

Aufgrund einer geringeren moralischen Konnotation des Begriffes transactional sex wird dieser vor allem in den neueren ethnologischen Studien über den Austausch von Sex gegen Geld oder Güter in Afrika verwendet. Im Mittelpunkt dieser Studien steht die Analyse von Auswirkungen der Globalisierung auf die sozialen Kontexte der Sexualität. Dabei wird vor allem nach den Rollen gefragt, die Gender, agency, Asymmetrien, Hierarchie, "Rasse" und Ethnizität im Kontext des Austausches von Sex gegen Geld oder Güter spielen. Im Mittelpunkt stehen folgende Ansätze:

Globalisierung und Sexualität:

Dieser Ansatz setzt sich mit dem Einfluss der verschiedenen Formen der Globalisierung auf transactional sex auseinander. Hier werden unter anderem die Liberalisierung von Märkten, die globale Verbreitung medialer Vernetzungen sowie eine verstärkte Mobilität der Menschen als wesentliche sozioökonomische Phänomene betrachtet, die die Motivation von Frauen beeinflussen, bestimmte sexuelle Beziehungen einzugehen. Die zentrale These dieses Ansatzes ist, dass der Austausch von Sex gegen Geld oder Güter nicht unbedingt aus Überlebensgründen, sondern durchaus auch aufgrund wachsender Konsumbedürfnisse erfolgt.

Agency und Genderforschung:

Die Agency-Perspektive kritisiert die einseitige Darstellung von "Prostituierten" als Opfer. Durch den Begriff der agency wird die Macht der Frauen betont, selbst über ihre Handlungen entscheiden zu können. Für transactional sex bedeutet dies, dass er nun als Entscheidung der Frauen selbst verstanden wird, ihre ökonomische Situation zu verbessern. Dieses Argument beeinflusst vor allem die Analyse der Motivation der Frauen, auf transactional sex einzugehen. So erläutert Marc Hunter in seinem Text über "The Materiality of Everyday Sex: Thinking Beyond ‚prostitution‘", dass die Frauen in Sundumbili, einer Stadt in Südafrika, ihre Sugardaddy-Beziehungen durch die Möglichkeit begründen, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu gewinnen und dies nicht als einen Akt der Verzweiflung verstehen.

In der Genderforschung geht es um die Frage nach der Rolle, die die soziokulturelle Konstruktion von Geschlecht in der Entstehung von transactional sex spielt. Die Studien legen den Fokus jedoch hauptsächlich auf die Untersuchung sozialer Geschlechterdifferenzen und auf die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen als Erklärung für transactional sex. So erklärt Hunter, dass sich die Sugardaddy-Beziehungen in Sundumbili aufgrund der privilegierten sozioökonomischen Position der Männer ergebe beziehungsweise durch die materielle Ungleichheit der Geschlechter.

Mit diesen neuen Ansätzen werden Themen und Perspektiven für die Analyse des transactional sex eingeführt. Vor allem ist dabei die Abkehr von westlichen, christlich-moralisch befangenen Bedeutungen von "Prostitution" zu nennen sowie ein verändertes Verständnis der Frauen als "Agenten" ihrer Umstände und nicht mehr nur als Opfer. Was bisher allerdings auch im Zusammenhang mit transactional sex unhinterfragt bleibt, ist die eingangs beschriebene dialektische Konstruktion von Sexualität, die Sexualität in der Ehe fundamental von Sexualität in außerehelichen Beziehungen unterscheidet. Denn trotz der Ersetzung des Begriffes "Prostitution" durch die Verwendung anderer Begriffe wie transactional sex und survival sex konzentriert sich die Forschung über den Austausch von Sex gegen Geld oder Güter weiterhin ausschließlich auf die Untersuchung der sozioökonomischen Ursachen, die die Frauen motivieren.

Jenseits des Austausches von Sex gegen Geld oder Güter

Die Prägung und Anwendung des westlichen Verständnisses von Prostitution in der Auseinandersetzung mit dem Austausch von Sex gegen Geld oder Güter im afrikanischen Kontext erzeugte eine einseitige sozioökonomische Interpretation dieses Phänomens, welche sich hauptsächlich mit den Motivationen der Frauen, ihren Körper zu verkaufen, beschäftigte.

Da die Prostitution zudem als Gegenstück von Liebesbeziehungen verstanden wird, wird die sexuelle Praxis der Prostitution als "illegitim" klassifiziert. Dies geschieht, weil sie nicht aufgrund von "Liebe" entsteht, sondern nur als eine Konsequenz der prekären wirtschaftlichen Situation der Frauen gesehen wird. Folglich werden in der Forschung und Interpretation von Prostitution andere Bedeutungen, die Frauen und Männer in diesen Beziehungen erleben, entwickeln, erwarten und konstruieren per definitionem aus diesem Untersuchungsfeld ausgeschlossen. Von großer Bedeutung ist beispielsweise die Frage, welche Rolle Emotionen, Gefühle, Sexualität, Körper und Liebe in diesen Beziehungen spielen.

Um die einseitige Interpretation der Prostitution auflösen zu können, ist es erforderlich, Prostitution als ein soziales und kulturelles Phänomen zu erfassen. Obwohl der materielle Austausch das allgemeine Merkmal dieses Phänomens ist, übernimmt dieses, je nach Akteuren und kulturellen Kontexten, bestimmte Verständnisse und spezifische Ausgestaltungen. Das bedeutet, dass es nicht nur ein einziges Verständnis von Prostitution gibt, so wie auch kein allgemeingültiges Muster eines konkreten menschlichen Verhaltens besteht, welches Prostituierten zugeschrieben werden könnte.

Darüber hinaus ist es in der Forschung und in der Interpretation über Prostitution grundlegend, diese aus der Sicht der beteiligten Akteure und der damit einhergehenden Beziehungen zu betrachten. Damit werden die Einführung und die Verbreitung fremder kultureller Verständnisse, beispielsweise über eine "legitime" und eine "illegitime" Sexualität, verhindert. Dies eröffnet wiederum die Möglichkeit, neue Perspektiven, Zugangsweisen und Themen in die Auseinandersetzung mit Prostitution einzubeziehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bell Shannon, Reading, writing, and rewriting the prostitute body, Indiana 1994; Laura Agustín, Border Thinking on Migration and Trafficking, Culture, Economy and Sex, London 2007; Dolores Juliano, La prostitución el espejo oscuro, Barcelona 2002; Judith Walkowitz, Gefährlichen Formen der Sexualität, in: George Duby/Michelle Perrot (Hrsg.), Geschichte der Frauen 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1994, S. 417–431.

  2. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M. 1976, S. 11.

  3. Vgl. J. Walkowitz (Anm. 1), S. 418.

  4. Vgl. ebd., S. 424. Siehe auch den Beitrag von Romina Schmitter in dieser Ausgabe (Anm. der Red.).

  5. Vgl. L. Agustín (Anm. 1), S. 108.

  6. Vgl. Kirsten Stoebenau, But then he became my Sipa. The implications of relationship fluidity for condom use among women sex workers in Antananarivo, Madagascar, in: American Journal of Public Health, 99 (2009) 5, S. 811–819, hier: S. 108.

  7. Vgl. J. Walkowitz (Anm. 1), S. 424.

  8. Vgl. Kirsten Stoebenau, Use as directive (by the global AIDS Metropole). The "Prostitute" and "Sex Worker" identities in Antananarivo, Madagascar, in: The International Journal of Feminist Approaches to Bioethics, 2 (2009) 1, S. 105–120, hier: S. 105f.

  9. Vgl. J. Walkowitz (Anm. 1), S. 424.

  10. Vgl. L. Agustín (Anm. 1), S. 192.

  11. Vgl. z.B. Kenneth Little, African Womens in Towns, Cambridge 1973.

  12. Vgl. ders./Francis Ogunmodede, The oldest profession is not so old in Africa, in: New African, 41 (1981) 9; Regine Bold, Selling One’s Kiosk. Bemerkungen zur Prostitution bei den Kikuyo, in: Uta Holter (Hrsg.), Bezahlt, geliebt, verstoßen. Prostitution und andere Sonderformen institutionalisierter Sexualität in verschiedenen Kulturen, Köln 1994; Goli Kouassi, La Prostitution in Afrique. Un cas, Abidjan 1986; Mechtild Maurer, Tourismus, Prostitution, Aids, Zürich 1991; Christopher Bakwesegha, Profiles of Urban prostitution. A case study from Uganda, Nairobi 1982; Gordon M. Wilson, A study of prostitution in Mombasa, in: Erasto Muga (ed.), Studies in Prostitution. East, West and South Africa, Zaire and Nevada, Nairobi 1980.

  13. Vgl. Paulette Songe, Prostitution en Afrique. L’exemple de Yaoundé, Paris 1986; G. Kouassi (Anm. 12).

  14. Vgl. Nici Nelson, Selling her kiosk: Kikuyo notions of sexuality and sex for sale in Mathare, Kenya, in: Pat Caplan (ed.), Cultural Construction of Sexuality, New York 1987; Aidan Soutwall/P.C.W. Gutkind, Marriage, in: E. Muga (Anm. 12).

  15. Vgl. Lea Ackermann, Prostitution und Frauenhandel am Beispiel Kenia, in: Regula Renschler (Hrsg.), Ware Liebe. Sextourismus, Prostitution, Frauenhandel, Wuppertal 1987.

  16. Vgl. C.W. Hunt, Migrant Labor and Sexually Transmitted Disease, in: Journal of Health and Social Behavior, 30 (1989) 4, S. 353–373; Mechtild Maurer/Tomas Philipson/Richard Posner, On the Microeconomics of AIDS in Africa, in: Population and Development Review, 21 (1995) 4, S. 835–848.

  17. Vgl. John Caldwell/Pat Caldwell/Pat Quiggin, The social context of AIDS in sub-saharan Africa, in: Population and Development Review, 15 (1989) 2, S. 185–234.

  18. Vgl. C.W. Hunt. Mary Basset/Marvellous Mhloyi, Women and AIDS in Zimbabwe: the making of an epidemic, in: International Journal of Health Services, 21 (1991) 1, S. 143–156; Brooke Schoepf, Women at Risk: Case Studies from Zaire, in: Gilbert Herdt/Shirley Lindenbaum (eds.), The Time of AIDS: Social Analysis, theory and Method, Beverly Hills 1992.

  19. Vgl. Sophie Day, Prostitute women and AIDS: Anthropology, in: AIDS, 2 (1988), S. 421–428.

  20. Vgl. M. Maurer/E. Herold/C. van Kerkwijk, AIDS and Sex Tourism, in: AIDS & Society, 1 (Oct.–Nov 1992) 1, S. 1–8.

  21. Vgl. Dieter Kleiber/Martin Wilke, Sextourismus, ein Motor für die Ausbreitung von HIV und AIDS? in: Vehement Standpunkte, 1 (1995), S. 48–49.

  22. Vgl. L. Ackermann (Anm. 15).

  23. Vgl. Nanci Luke/Kathleen M. Kurz, Cross-generational and Transactional Sexual Relations in Sub-Saharan Africa: Prevalence of Behavior and Implications for negotiating safer Sexual Practices, Washington 2002; Mark Hunter, The Materiality of Everyday Sex: thinking beyond "prostitution", in: African Studies, 61 (2002) 1, S. 99–120; Jennifer Cole, Fresh contact in Tamatave, Madagascar, Sex, money and intergenerational transformation, in: American Ethnologist, 31 (2004) 4, S. 573–588.

  24. Janet Maia Wojcicki, Commercial Sex Work or Ukuphanda? Sex-for-Money Exchange in Soweto and Hammanskraal Area, South Africa", in: Culture Medicine and Psychiatry 26 (2002) 3, S. 339–370.

  25. Vgl Dominique Meekersa/Anne-Emmanuèle Calves, ‚Main‘ Girlfriends, Girlfriends, Marriage and Money: The Social Context of HIV Risk Behavior in Sub-Saharan Africa, in: Health Transition Review, 7 (1997), 361–375; Daniel Jordan Smith, These girls today na war-o. Premarital sexuality and modern identity in southeastern Nigeria, in: Africa Today, 47 (2001) 3–4, S. 98–120; Nancy Luke/Kathleen M. Kurz, Cross-generational and Transactional Sexual Relations in Sub-Saharan Africa: Prevalence of Behavior and Implications for negotiating safer Sexual Practices, ICRW and Population Services International’s AIDS Mark Project 2002.

  26. Vgl. J. Cole/Andrea Cornwall, Spending power: love, money, and reconfiguration of gender relations in Ado-Odo, southwestern Nigeria, in: American Ethnologist, 29 (2002) 4, S. 963–980.

  27. Vgl. M. Hunter (Anm. 23).

  28. Vgl. D. Meekersa/Calvés (Anm. 25).

  29. Vgl. M. Hunter (Anm. 23).

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M. A., geb. 1983; Doktorandin der Ethnologie an der Universität Bayreuth, Oswald-Merz-Str. 2, 95444 Bayreuth. E-Mail Link: dianactrivino@gmail.com