Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist ein komplexes Thema. Es bewegt sich in einem Spannungsfeld von Fragen der Kriminalitätsbekämpfung, der Gewährleistung von Menschenrechten, des Opferschutzes sowie der Migrations- und Beschäftigungspolitik.
Was ist Menschenhandel?
Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung liegt nach dem Strafgesetzbuch (StGB) vor, wenn Personen eine Zwangslage oder die sogenannte auslandsspezifische Hilflosigkeit von anderen Menschen ausnutzen, um diese in die Prostitution zu bringen oder sie daran hindern, die Prostitution aufzugeben. Nach der Rechtsprechung gelten Menschen als hilflos, wenn sie durch den Aufenthalt in einem anderen Land so stark in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind, dass sie sich der Arbeit in der Prostitution nicht widersetzen können. Indizien für die Hilflosigkeit liegen zum Beispiel dann vor, wenn Betroffene nicht über ihre Ausweispapiere verfügen, kein Deutsch sprechen, mittellos und auf den Täter angewiesen sind, ihre Rechte nicht kennen sowie weder Zugang zum Hilfesystem noch soziale Kontakte in Deutschland haben.
Frauen
Viele Frauen werden explizit für die Tätigkeit der Prostitution in den Herkunftsländern angeworben oder migrieren selbst organisiert. Diese Frauen stimmen Arbeitsbedingungen zu, die sich in Deutschland nicht realisieren. Sie erhalten nur einen Bruchteil des verdienten Geldes und können nicht frei über Arbeitszeiten, die Auswahl von Kunden oder Sexualpraktiken bestimmen. Verstöße gegen ein ausdifferenziertes, willkürliches und einseitig verordnetes Regelsystem werden mit Geldstrafen belegt und konstruieren eine finanzielle Abhängigkeit. Den Frauen wird mit Abschiebung oder der Offenlegung ihrer wahren Tätigkeit in ihren Herkunftsländern gedroht. Aufgrund der prekären ökonomischen Situation in den Herkunftsländern finden Frauen in der Prostitution in Deutschland selbst unter ausbeuterischen Bedingungen zum Teil bessere Verdienstmöglichkeiten. Laut Bundeskriminalamt waren 2011 etwa ein Drittel (27 Prozent in 2011, 36 Prozent in 2010) der von der Polizei identifizierten Betroffenen von Menschenhandel zum Zeitpunkt ihrer Anwerbung mit der Ausübung der Prostitution einverstanden.
Ein weiterer Weg, auf dem Migrantinnen aus Drittstaaten häufig in die Prostitution gebracht werden, ist die Scheinehe mit einem deutschen Staatsbürger. Das Druckmittel der Täter ist dabei der Aufenthaltsstatus der Frauen, der von der deutschen Staatsbürgerschaft des Mannes und damit von seiner Bereitschaft, die Ehe aufrechtzuerhalten, abhängt.
In Deutschland angekommen, arbeiten die Frauen und Mädchen in den verschiedenen Segmenten der Prostitution. Polizeilich identifizierte Betroffene wurden 2011 schwerpunktmäßig in Bars und Bordellen, Wohnungen oder im Bereich der Straßenprostitution angetroffen.
Menschenhandel ist nicht Prostitution
Menschenhandel ist nicht gleichzusetzen mit Prostitution. In Deutschland arbeiten viele reguläre und irreguläre Migrantinnen sowie deutsche Frauen freiwillig und selbstbestimmt in der Prostitution und anderen Bereichen der Sexindustrie. Diese Frauen pauschal zu in die Prostitution gezwungenen Opfern zu erklären, würde ihre Selbstbestimmungsrechte missachten und einen überwiegenden Teil der Realität in der Sexindustrie leugnen. Am 1. Januar 2002 trat das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten" in Kraft, das die rechtliche Bewertung der Prostitution als sittenwidrig aufgehoben hat.
Wie viele Frauen in Deutschland selbstbestimmt und unabhängig von Dritten der Prostitution nachgehen, als Prostituierte wirtschaftlich ausgebeutet werden oder von Menschenhandel betroffen sind, ist derzeit unklar. Die verschiedenen Professionen, die im Feld der Prostitution arbeiten, kommen diesbezüglich häufig zu konträren Einschätzungen. So gibt es auf der einen Seite des Spektrums einige Strafverfolgungsbehörden, die davon ausgehen, dass der weit überwiegende Teil der Frauen nicht freiwillig arbeitet und zumindest ausgebeutet wird. Die andere Seite, abgedeckt von der sogenannten Hurenbewegung oder dem Bündnis der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, geht von einem Großteil der Frauen und Männer aus, die selbstbestimmt arbeiten. Die Ursachen für diese Diskrepanz liegen wahrscheinlich in einem unterschiedlichen Mandat der Professionen, in den zum Teil unterschiedlichen Ausschnitten der Realität, den die Gruppen in ihrem jeweiligen Berufsalltag sehen, sowie in ihrem politischen Verständnis von Prostitution begründet. Die Diskrepanz verhärtet sich dadurch, dass Strafverfolgungsbehörden wie auch einige Frauenorganisationen die Einführung straf- und ordnungsrechtlicher Maßnahmen wie beispielsweise die Erweiterung der Kontrollbefugnisse der Polizei, die Freierbestrafung oder Maßnahmen der Migrationskontrolle, häufig mit Verweis auf die Bekämpfung des Menschenhandels, fordern.
Selbstbestimmte Prostitution geht im Sinne des Strafgesetzbuches in wirtschaftliche Ausbeutung über, wenn dritte Personen einen erheblichen Teil der Einnahmen der Frauen einbehalten und dies die Betroffenen in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit stark einschränkt. Die Rechtsprechung hat diesbezüglich Kriterien entwickelt, die zumindest einen Anfangsverdacht auf Zuhälterei (§181a StGB) oder Ausbeutung in der Prostitution (§180a StGB) begründen, wenn die Täter und Täterinnen zwischen 50 und 70 Prozent der Einnahmen der Frauen einbehalten.
Menschenhandel ist nicht Schleusung
Menschenhandel und Schleusung sind zwei unterschiedliche Phänomene. Schleuserinnen und Schleuser bringen Menschen unter Umgehung der gesetzlichen Einreisebeschränkungen und zum Teil unter lebensgefährdenden Umständen in andere Länder. Die Schleusung geschieht einvernehmlich. Für die Reise müssen die geschleusten Personen in der Regel größere Geldbeträge im Voraus bezahlen. Das umfasst zum Beispiel die Kosten für Transport, Unterbringung, Visa oder Passbeschaffung, die in der Regel stark überhöht sind. Schleusung kann im Einzelfall in Menschenhandel münden. Etwa, wenn Menschen aufgrund der Schleusung in Abhängigkeit geraten und sie die Kontrolle über ihre Bewegungs- oder Entscheidungsfreiheit verlieren. Frauen aus weiter entfernten Drittstaaten, wie zum Beispiel aus afrikanischen Ländern, haben nicht selten bereits bei ihrer Ankunft in Deutschland bis zu 40.000 Euro "Schulden".
Zu Menschenhandel kommt es in Deutschland auch in Wirtschaftszweigen außerhalb der Sexindustrie. Es liegen strafrechtliche Verurteilungen aufgrund von Ausbeutung in den Bereichen der Gastronomie, Landwirtschaft oder in Privathaushalten vor. Aus Studien und der Beratungspraxis sind weitere Branchen bekannt geworden, die anfällig für Menschenhandel und Arbeitsausbeutung sind, wie das Baugewerbe, die Fleisch verarbeitende Industrie, der Pflegebereich sowie der Reinigungssektor.
Arbeitsausbeutung und sexuelle Ausbeutung weisen in der Praxis durchaus Überschneidungen auf. Insbesondere in Bereichen, in denen Betroffene räumlich eng an ihre Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gebunden sind, wie zum Beispiel im Haushaltsbereich, finden sexuelle Ausbeutung und Arbeitsausbeutung zeitgleich statt. Auch im Bereich der Prostitutionsbetriebe sind die Phänomene nicht immer trennscharf zu unterscheiden. Frauen werden zu sexuellen Dienstleistungen, aber auch zu anderen Arbeitsleistungen in den Betrieben gezwungen. Trotz der Möglichkeit, die Prostitutionstätigkeit als versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis auszugestalten, wird in dem Bereich der erzwungenen Prostitutionsleistung nur zögerlich von Arbeitsausbeutung gesprochen.
Nur wenige Fälle sind der Polizei bekannt
Belastbare Zahlen über das tatsächliche Ausmaß von Menschenhandel gibt es weder national noch international. Derzeit vorliegende Schätzungen über das Ausmaß des Dunkelfeldes unterscheiden sich nach Berechnungsmethode sowie der zugrunde liegenden Definition der zu erfassenden Betroffenengruppen. Sie variieren und reichen bis hin zu 880.000 "Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen" in der EU.
In deutlichem Kontrast zu den hohen Schätzwerten im Bereich Menschenhandel sowie der medialen Aufmerksamkeit steht die geringe Anzahl Betroffener, die im Rahmen von polizeilichen Ermittlungsverfahren identifiziert werden. Dieses sogenannte polizeiliche Hellfeld wird erfasst durch die Kriminalstatistiken, auf denen das jährliche Lagebild des Bundeskriminalamtes basiert. Danach haben die Strafverfolgungsbehörden 2011 in Deutschland insgesamt 482 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung abgeschlossen. Betroffen waren in diesem Zusammenhang insgesamt 640 Menschen, 94 Prozent davon Frauen. 82 Prozent der Betroffenen kamen aus europäischen Ländern; die mit Abstand drei größten Gruppen bildeten Frauen aus Bulgarien, Rumänien und Deutschland.
Restriktive Zuwanderungs- und Arbeitsmarktpolitiken begünstigen Ausbeutung
Menschenhandel hat verschiedene Ursachen. Wenngleich nicht alle Opfer von Menschenhandel Migrantinnen oder Migranten sind, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Menschenhandel und Migration. Zentrale Ursachen sind das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen Herkunfts- und Zielländern sowie die gesellschaftliche Ungleichheit innerhalb der Herkunftsländer. Betroffene entscheiden sich häufig zur Migration, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu sichern oder sich neue, existenzsichernde Perspektiven zu erarbeiten. Traditionelle Geschlechterrollen im Herkunftsland verstärken besonders bei Frauen den Wunsch auszuwandern. Denn oft werden Frauen dort beim Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Sie sind besonders von Einschnitten in die sozialen Rechte betroffen und Gewalt in Nahbeziehungen und am Arbeitsplatz ausgesetzt.
Die nur schrittweise Öffnung des Arbeitsmarktes für EU-Bürgerinnen und -Bürger hat dazu geführt, dass die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit für neun osteuropäische Länder erst im Mai 2011 eingeführt wurde. Staatsangehörige aus Bulgarien und Rumänien können mit Ausnahmen bis spätestens Ende 2013 weiterhin keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland aufnehmen. Niedrig qualifizierte Frauen finden somit kaum eine legale Beschäftigung. Ihnen ist nur erlaubt, als Selbstständige tätig zu sein. Sie sind somit in ihren Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme stark eingeschränkt. Ein Großteil der polizeilich identifizierten Opfer von Menschenhandel kommt aus diesen Ländern.
Restriktive Einwanderungspolitiken und Gesetze verhindern reguläre Migration. Illegalität oder ein unsicherer Aufenthaltsstatus machen Migranten und Migrantinnen verletzlich und ausbeutbar.
Rechtliche und politische Entwicklungen
Die europäische und internationale Rechtssetzung hat im Laufe der vergangenen Jahre verschiedene Instrumente zur Bekämpfung des Menschenhandels und dem Schutz der Betroffenen entwickelt. Die UNO hat Menschenhandel erstmals 2000 in dem sogenannten Palermo-Protokoll
Auch die Rechtsprechung auf der Ebene des Europarates hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit Menschenhandel befasst. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die in Artikel 4 der EMRK geschützten Verbote der Sklaverei, Leibeigenschaft und der Zwangsarbeit in den vergangenen Jahren ausgelegt und in einem Sinne weiterentwickelt, der die tatsächliche Entwicklung des Phänomens widerspiegelt. Der Gerichtshof geht davon aus, dass modernen Formen der Sklaverei nicht mehr – wie im klassischen Konzept der Sklaverei – das Eigentumskonstrukt zugrunde liegt. Trotzdem können die Handlungen, die damit typischerweise zusammenhängen, dieselben Auswirkungen haben: Kontrolle, Zwang, Gewalt und Bedrohung führen zu einer faktischen Verfügungsgewalt über eine andere Person, die in ihren Auswirkungen einer rechtlichen Verfügungsgewalt gleich steht. Darüber hinaus hat der EGMR Menschenhandel ausdrücklich in den Schutzbereich von Artikel 4 EMRK miteinbezogen
2005 wurde in Deutschland der Straftatbestand des Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung eingeführt. Die darüber seit Jahren anhaltende politische Debatte hat dazu beigetragen, dass die Arbeitsausbeutung von Migranten und Migrantinnen in den Sektoren außerhalb der Prostitution sowohl stark in den Fokus der medialen Darstellung gerückt ist als auch auf fachlicher Ebene intensiv geführt wird. Gewerkschaften werden zunehmend in dem Bereich aktiv. Im Zentrum der Beratungsarbeit steht die Durchsetzung der Arbeits- und Sozialrechte der Betroffenen. Leider ist es bisher nicht gelungen, diesen Rechteansatz in den Diskurs über den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zu überführen. Die Durchsetzung der Rechte der Frauen, wie zum Beispiel Schadenersatz, steht nach wie vor im Schatten der Diskussion über die Strafverfolgung der Täter und Täterinnen.
Immer wieder wird auch die Einführung des Prostitutionsgesetzes 2002 in den Zusammenhang gebracht mit Entwicklungen im Bereich Menschenhandel. Vereinzelte Stimmen gehen davon aus, dass das Prostitutionsgesetz Behörden in ihren Möglichkeiten zur Strafverfolgung von Menschenhandel eingeschränkt hat. Forschung
Keine umfassenden Opferrechte
Trotz der dynamischen Entwicklung auf der Ebene der internationalen Rechtssetzung ist die Entwicklung von Opferrechten in Deutschland nicht ausreichend vorangekommen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Betroffene von Menschenhandel sind eng gekoppelt an ihre Kooperationsbereitschaft mit den Strafverfolgungsbehörden. So erhalten Frauen aus Drittstaaten nach Paragraf 25 Absatz 4a des Aufenthaltsgesetzes nur im Fall der Kooperation eine Aufenthaltserlaubnis, die allerdings mit Abschluss des Strafverfahrens gegen die Täterinnen und Täter endet. In der Praxis kommt es aber häufig gar nicht zu Strafverfahren. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich: Betroffene entscheiden sich zum Beispiel gegen eine Aussage, weil sie Angst haben. Die Täterinnen und Täter können nicht ermittelt werden oder es stellt sich bei polizeilichen Vernehmungen heraus, dass die Frauen nicht über gerichtsverwertbare Informationen verfügen. Gibt es keinen anderen rechtlichen Grund für einen Aufenthalt in Deutschland, müssen sie ausreisen. Besondere psychische oder physische Belastungen aufgrund des Menschenhandels oder des Prozesses, Kindeswohlgesichtspunkte oder die Durchsetzung der eigenen Rechtsansprüche der Betroffenen begründen kein Recht auf einen weiteren Aufenthalt. Auch eine psychosoziale Unterstützung und Alimentierung über einen längeren Zeitraum erhalten betroffene Frauen nur, wenn sie bereit sind auszusagen. Der Rechtsanspruch von Frauen aus Drittstaaten ist im Vergleich zu Frauen aus EU-Ländern auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz reduziert. Sie erhalten eine medizinische Versorgung nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen.
Diese Beispiele sind nur ein Ausschnitt der häufig kritisierten Mängel im Bereich der Opferrechte. Zum Teil ist eine Besserstellung der Betroffenen humanitär geboten, zum Teil verstößt die aktuelle Rechtslage gegen menschenrechtliche Verpflichtungen.
Seltene Entschädigungen
Betroffene von Menschenhandel werden in vielen Bereichen staatlichen Handelns noch nicht als Rechtssubjekte wahrgenommen. Das zeigt sich insbesondere auch daran, dass sich die tatsächliche Gewährung des Rechts der Betroffenen auf eine Entschädigung erst langsam zu entwickeln beginnt. Artikel 15 der Europaratskonvention gegen Menschenhandel verpflichtet die Staaten, den Betroffenen das Recht auf Entschädigung durch die Täter und Täterinnen einzuräumen sowie staatliche Entschädigung zu gewähren. Die Staaten müssen hierfür entsprechende gesetzliche Ansprüche schaffen und sicherstellen, dass diese auch tatsächlich anwendbar sind.
Die Rechtslage und die Rechtswirklichkeit in Deutschland entsprechen Artikel 15 derzeit nur teilweise. Zwar können Betroffene auf dem Papier Ansprüche gegen die Täterinnen und Täter auf Schadenersatz und Schmerzensgeld für erlittene Verletzungen sowie für ihren entgangenen Verdienst geltend machen. Aber nur sehr wenigen Frauen gelingt es derzeit, diese Ansprüche auch zu realisieren. Wenn es ihnen gelingt, bleiben die Summen in der Höhe häufig weit hinter dem zurück, was ihnen zusteht.
Hierfür gibt es viele Ursachen. Die Frauen kennen ihre Rechte nicht. Das erschwert die Inanspruchnahme des Rechtssystems in vielen Fällen. Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus wenden sich aufgrund der Gefahr von Ausweisung kaum an die Gerichte. Täterinnen und Täter sind häufig offiziell ohne Vermögen und somit nicht haftbar zu machen. Die Lagebilder des Bundeskriminalamtes zeigen, dass die Strafverfolgungsbehörden in den vergangenen Jahren jeweils nur in drei bis vier Prozent aller Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel Vermögenswerte sichergestellt haben, um die Ansprüche der Betroffenen abzusichern.
Auch die staatliche Entschädigung greift aufgrund enger gesetzlicher Voraussetzungen nur in vereinzelten Fällen von Menschenhandel. Der Staat gewährt Opfern von Gewalttaten Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) bei länger anhaltenden Gesundheitsschäden. Das ist für Betroffene hilfreich, wenn sie beispielsweise nicht krankenversichert sind, eine Therapie benötigen, oder wenn sie aufgrund von Verletzungsfolgen auf dauerhafte Unterstützung wie eine Rente angewiesen sind. Leistungen nach dem OEG können aber nur gewährt werden, wenn der Täter in Deutschland einen direkten "tätlichen Angriff" auf das Opfer verübt hat. Täterinnen und Täter erlangen Verfügungsgewalt über ihre Opfer häufig aber durch Gewalthandlungen, die zum Teil bereits im Herkunftsland ausgeübt werden. Sie üben Gewalt gegen andere Personen aus, um Betroffene zu "disziplinieren" oder sie drohen mit Repressalien wie Abschiebung. Einige Frauen werden über sogenannte Voodoo-Rituale in die Prostitution gezwungen. All diese Frauen werden trotz zum Teil schwerer Gesundheitsschäden nicht entschädigt.
Ausblick
Nachdem die Bundesregierung die Europaratskonvention gegen Menschenhandel ratifiziert hat, ohne die Opferrechte zu stärken, bietet die aktuell zur Umsetzung anstehende EU-Richtlinie gegen Menschenhandel einen neuen Anlass, die rechtliche Situation der Betroffenen von Menschenhandel in Deutschland zu verbessern. Damit sowohl staatliche Akteure wie auch das zivilgesellschaftliche Unterstützungssystem Betroffene von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung konsequent als Rechtsträgerinnen adressieren können, braucht es auf mehreren Ebenen eine grundlegende Abkehr vom bisherigen Ansatz:
Opferrechte müssen unabhängig von der Kooperation der Betroffenen in einem Strafverfahren gegen die Täter und Täterinnen gewährt werden. Dann können Frauen, die in Deutschland Opfer von Menschenhandel werden, in jedem Fall psychosoziale und rechtliche Unterstützung bekommen und zumindest so lange in Deutschland bleiben, bis sie ihre Rechtsansprüche durchgesetzt haben. Einen vergleichbaren Ansatz gibt es bereits seit 1998 in Italien.
Beratungseinrichtungen, die häufig die erste Anlaufstelle der Betroffenen sind, sollten eine umfassend rechtebasierte Beratung anbieten können. So sind zumindest die Weichen dafür gestellt, dass Betroffene das Rechtssystem effektiv nutzen können.
In letzter Konsequenz muss sichergestellt werden, dass Betroffene von Menschenhandel regelmäßig entschädigt werden. So könnten sie zum Beispiel im derzeitigen Reformprozess des Opferentschädigungsgesetz (OEG) als anspruchsberechtigte Gruppe in das Gesetz integriert werden. So wäre zumindest die Entschädigung für länger anhaltende Gesundheitsschäden gewährleistet. Einen anderen begrüßenswerten Ansatz haben die Niederlande gewählt: Schadenersatzansprüche, die Gewaltopfer in Strafverfahren zugesprochen bekommen, werden vom Staat erfüllt, wenn die Täterinnen und Täter nicht innerhalb von acht Monaten gezahlt haben. Der Staat, der Menschen nicht vor Gewaltdelikten schützen konnte, übernimmt damit zumindest das Risiko der Insolvenz der Täterinnen und Täter.