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"Wir wollen den Frauen Unterstützung geben." Ein Gespräch | Prostitution | bpb.de

Prostitution Editorial "Wir wollen den Frauen Unterstützung geben." Ein Gespräch Zehn Jahre Prostitutionsgesetz und die Kontroverse um die Auswirkungen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung in Deutschland Prostitution – Das "älteste Gewerbe der Welt"? Deutschland – Schweden: Unterschiedliche ideologische Hintergründe in der Prostitutionsgesetzgebung Westliche Konzepte von Prostitution in Afrika Motive der männlichen Nachfrage nach käuflichem Sex

"Wir wollen den Frauen Unterstützung geben." Ein Gespräch

Sabine Reichert Anne Rossenbach

/ 15 Minuten zu lesen

Sarah Laukamp: Auf der Geestemünder Straße haben Prostituierte seit 2001 die Möglichkeit in einem geschützten Raum ihrer Tätigkeit nachzugehen. Wie ist dieses Projekt entstanden?

REICHERT: In der Zeit vor 2001 gab es vor allem in der Kölner Innenstadt viel Straßenprostitution. Rund um den Reichenspergerplatz und den Ebertplatz sind jahrelang Frauen anschaffen gegangen. In diesem Gebiet haben sich vorwiegend drogenabhängige, in den meisten Fällen heroinabhängige, Frauen prostituiert. Da es sich hierbei um ein Wohn-, Büro- und Geschäftsviertel handelt, kam es zu Beeinträchtigungen der Anwohner, die darüber klagten, dass Freier Frauen und auch Kinder angesprochen haben und dass Spritzen und benutzte Kondome in den Vorgärten und auf der Straße gefunden wurden. Die Anwohner haben Lösungen gefordert. Obwohl in Köln ein sogenannter Sperrbezirk gilt, hat er die Zielgruppe der drogengebrauchenden Prostituierten nicht erreicht. Diese haben sich nicht an die Sperrbezirksverordnung gehalten, sondern versucht sie zu umgehen. Nachdem verschiedene Maßnahmen (Platzverweise, Anzeigen und so weiter) erfolglos blieben, war das Projekt Geestemünder Straße sozusagen der "letzte Versuch". Es wurde erkannt, dass es nicht möglich ist, die Straßenprostitution aus der Stadt zu verdrängen, ohne den Frauen Alternativen zu bieten. So entstand der ausgelagerte Straßenstrich auf der Geestemünder Straße in Zusammenarbeit der Stadt Köln, dem Gesundheitsamt, der Polizei und dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF).

Wie stehen Sie zur Einrichtung von Sperrbezirken?

REICHERT: Sperrbezirksverordnungen werden eingeführt zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands. Es ist in vielen Gebieten sinnvoll, zum Schutz der Anwohner Sperrzonen einzurichten. Es ist jedoch problematisch, wenn keine Alternativplätze angeboten werden. Denn irgendwo werden die Menschen arbeiten. Oft führt das dazu, dass Prostitution an den Rand der Stadt gedrängt wird. So ist das zum Beispiel auch im Kölner Süden der Fall. Hierbei stellt sich das Problem, dass die Frauen nicht unter sicheren Bedingungen arbeiten können. Es ist gefährlich, an einem menschenleeren Ort zu einem Freier ins Auto zu steigen. Das erschwert die Arbeit der Frauen und macht sie riskanter.

Sind damals auch andere Maßnahmen diskutiert worden außer der Schaffung eines ausgelagerten Straßenstrich?

REICHERT: Es wurden ganz unterschiedliche Ideen zum Umgang mit der Prostitution in der Innenstadt aus ordnungs-, aber auch aus gesundheits- und sozialpolitischer Perspektive diskutiert. Der SkF arbeitet seit 1996 gezielt im Bereich der Straßenprostitution. Wir haben von sehr vielen Frauen erfahren, die Opfer von Gewalt wurden. Wir haben wöchentlich von Vergewaltigungen, Nötigungen und Erniedrigungen gehört. Wir sind der Ansicht, dass, wenn man Prostitution nicht verhindern kann, für die Frauen zumindest die Möglichkeit geschaffen werden muss, in Sicherheit zu arbeiten. Unabhängig davon, wie man zu Prostitution oder Sexarbeit steht, gibt es Menschen, die diese Dienstleistungen anbieten, und andere, die sie in Anspruch nehmen. Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, wie die Frauen arbeiten können, ohne zusätzlich zu dieser belastenden Tätigkeit noch Opfer von Gewalt zu werden. Nach der Diskussion verschiedenster Konzepte haben wir von einem geschützten Straßenstrich in Utrecht in den Niederlanden erfahren, an dem Polizei und Sozialarbeit Hand in Hand arbeiten, um die Sicherheit der Frauen zu erreichen. Zusätzlich gab es Beratungsmöglichkeiten, zum Beispiel um mögliche Wege zum Ausstieg aus der Prostitution aufzuzeigen. Ein weiteres Ziel war die Beschwerdefreiheit der Anwohner und ein Verhindern des Ausuferns der Straßenprostitution. Dieses Konzept fanden wir sehr interessant. Gemeinsam haben die Kooperationspartner dann die Umsetzung für Köln initiiert.

Gibt es in Köln trotz Sperrbezirk und dem Projekt Geestemünder Straße nach wie vor Frauen, die ungeschützt der Straßenprostitution nachgehen?

REICHERT: Im Kölner Süden gibt es einen weiteren Straßenstrich, für den auf Drängen der Anlieger 2011 eine neue Sperrbezirksverordnung erlassen wurde. Um die Brühler Landstraße ist die Prostitution nun in der Nacht erlaubt, in anderen Gebieten kann man rund um die Uhr arbeiten. Es hat sich aber gezeigt, dass die drogengebrauchenden Frauen nicht mit den Zeitfenstern umgehen können und sich auch nicht an Sperrbezirksverordnungen halten. Wenn eine drogenabhängige Frau morgens Entzugserscheinungen hat, wartet sie nicht bis 20 Uhr, bis sie versucht, sich das Geld für ihre Drogen zu beschaffen. Ein schwieriges Gebiet ist Meschenich. Dort gilt der Sperrbezirk. In den letzten Jahren wurden viele Menschen in sozial schwierigen Situationen vom Sozialamt oder Wohnungsamt in Wohnungen am sogenannten "Kölnberg" vermittelt. Von den dort lebenden drogenabhängigen Frauen finanzieren viele ihre Sucht mit Prostitution. Sie sind oft in einem körperlich und seelisch höchst problematischen Zustand und verlassen ihr Wohngebiet kaum. Auch aufgrund ihres Gesundheitszustands ist es für die Frauen naheliegend, nicht weit von ihrem Zuhause nach Kunden zu suchen. Die Frauen sind in Not; sie interessieren sich nicht für die Sperrbezirksverordnung. Deswegen greift diese in diesem Fall nicht. Meschenich ist räumlich weit von der Innenstadt und auch von der Geestemünder Straße entfernt. Es hat sich gezeigt, dass es nicht möglich ist, diese Frauen in unser Projekt zu integrieren. Die Entfernungen sind einfach zu groß. Deswegen arbeiten wir in Meschenich wieder mit aufsuchender Sozialarbeit.

Seit wann ist der SkF in der Prostituiertenhilfe tätig und was waren die Gründe für sein Engagement?

ROSSENBACH: Wir kümmern uns bereits seit der Gründung unseres Vereins 1899 um Prostituierte. Zuvor hatte sich unsere Gründungsmutter Marie Le Hanne Reichensperger bereits in Koblenz in der Prostituiertenhilfe engagiert. Frauen, die nicht den Status Tochter, Ehefrau oder Witwe hatten, waren nicht sozial abgesichert und gerieten schnell in den Verdacht, Prostituierte zu sein oder in moralisch schwierigen Verhältnissen zu leben. Marie Le Hanne Reichensperger hat diesen Frauen mit ihrem pragmatischen Engagement in der Geschlechtskrankenfürsorge geholfen und wir haben das immer weiter geführt. Viele christliche Vereine engagieren sich im Bereich der Prostituiertenhilfe. Sicherlich ist dabei ein Ursprungsgedanke, Menschen wieder auf den "rechten Weg" zu bringen, und zwar nicht über Strafen sondern über Zugewandtheit, über Mildtätigkeit, pragmatisches Handeln und gesellschaftliche Führsprache. Daraus hat sich mit der Zeit Soziale Arbeit entwickelt und professionalisiert. Einen ganz ähnlichen Prozess finden Sie in der Straffälligenhilfe. Dahinter steht sicherlich häufig ein Läuterungsgedanke und der Wille den Menschen wieder ein bürgerliches Leben zu ermöglichen.

Es gibt andere Organisationen, die strikter ausstiegsorientiert arbeiten. Bewerten diese Ihre Arbeit kritisch?

ROSSENBACH: Wir haben an verschiedenen Stellen Konflikte. Aus der feministischen Bewegung hört man häufig die Position, Prostitution gehöre verboten. Dieser Aussage stehen wir kritisch gegenüber, weil wir nicht glauben, dass Verbote sich umsetzen lassen. Schweden und einige andere Staaten haben Prostitution verboten. Aber auch in diesen Ländern wird weiterhin darüber gestritten, ob diese Verbote wirklich ihre Ziele erreichen. Wir sind da eher für das Ausleuchten der Dunkelfelder. Natürlich haben wir auch Konflikte mit anderen Organisationen, die der Meinung sind, dass unsere Arbeit auf dem Straßenstrich moralisch nicht vertretbar sei und wir die Frauen schneller aus der Prostitution bewegen müssten. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass sich das nach den Menschen richten muss, mit denen wir arbeiten. Die Situation ist jedoch sehr komplex, und es dauert lange, Vertrauen zu den Frauen aufzubauen. Viele der Frauen haben ein Bündel an Problemen. Da kann man nicht gleich mit dem Ziel des Ausstiegs anfangen.

REICHERT: Es geht uns in der Arbeit um das Schaffen von Zugängen. Das ist bei unserer Zielgruppe nicht immer leicht. Wenn man von vornherein das Ziel "Ausstieg" im Kopf hat, dann kann man die Klientinnen auch verschrecken. Es gibt ganz unterschiedliche Frauen mit verschieden gelagerten Problemen. Manche sind mit ihrer Arbeit für den Moment zufrieden und brauchen Unterstützung bei den alltäglichen Problemen des Lebens. Wenn man versucht, diese zum Ausstieg zu motivieren, werden sie vielleicht zu einem anderen Lebenszeitpunkt unsere Hilfe nicht in Anspruch nehmen. Manchmal kommt aber durch kleine Hilfen ein langwieriger Prozess in Gang, der zu einem späteren Zeitpunkt zum Ausstieg führen kann. Wir helfen Frauen in allen Situationen. Wir möchten die Selbstbestimmungsrechte der Frauen nicht verletzen, sie nicht entmündigen. Wir möchten den Frauen nicht vermitteln, dass alles, was sie tun, "schlimm" ist. Selbst wenn wir das manchmal so empfinden mögen. Es kommt auch darauf an, in welcher Szenerie man arbeitet. Wenn man zum Beispiel mit Opfern von Menschenhandel arbeitet, hat die Soziale Arbeit einen anderen Fokus, als wenn es, wie bei uns, darum geht, erst mal wieder einen Kontakt zwischen den beiden Welten herzustellen. Das Milieu ist eine eigene Welt. Frauen, die sich dort sehr sicher fühlen und sehr gut durchsetzen können, sind oft erschreckend eingeschüchtert und komplexbeladen im Kontakt mit der "normalen" Welt und brauchen viel Unterstützung bei kleinen Gängen zum Beispiel zur Arbeitsagentur oder zur Krankenkasse. Die Frauen dort in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken und aufzubauen ist Teil von unserem Job.

Wie setzt sich Ihre Zielgruppe zusammen?

REICHERT: Wir sind sehr ausgerichtet auf die Zielgruppe drogengebrauchender Prostituierter. Angefangen haben wir vorwiegend mit der Arbeit mit heroinabhängigen Prostituierten. Bundesweit geht der Heroinmissbrauch jedoch zurück. Unsere Klientinnen konsumieren unterschiedliche Drogen. Eine Tendenz vom Heroin- zum Kokaingebrauch lässt sich feststellen. Wir haben jedoch auch viele Klientinnen, die tabletten- oder alkoholabhängig sind oder Amphetamine benutzen. Viele sind auch Mischkonsumentinnen. Laut der von uns geführten Statistik und einer wissenschaftlichen Studie konsumieren über 50 Prozent der Frauen, die an der Geestemünder Straße arbeiten, Drogen. Wir vermuten jedoch, dass die Dunkelziffer weit höher ist. Außerdem empfinden sich viele Frauen nicht als drogenabhängig, auch wenn sie Drogen konsumieren. Es kommen Frauen, um ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Andere Frauen konsumieren Drogen, damit ihre Arbeit für sie leichter erträglich wird. Seit einiger Zeit steigt die Zahl der Frauen, die als Arbeitsmigrantinnen in die Prostitution einsteigen. Hier bedarf es neuer Konzepte und Arbeitsansätze.

Verwenden Sie in Ihrer Arbeit den Begriff Sexarbeit oder Prostitution?

REICHERT: Wir unterteilen die Beschäftigung in verschiedene Gruppen. Zum einen unterscheidet man, wo die Frauen arbeiten. Es ist eine andere Art von Prostitution, wenn eine Frau in einem Club arbeitet, als wenn sie auf dem Straßenstrich arbeitet. Die Arbeit hat unterschiedliche Bedingungen, die sich unterschiedlich auf die Frauen auswirken. Es ist ein Unterschied, ob sich jemand aus freien Stücken für die Prostitution entscheidet, sich gezwungen sieht, in die Prostitution zu gehen, um den Lebensunterhalt oder die Sucht zu finanzieren oder durch Zuhälter in die Prostitution gezwungen wurde. Wir selber unterscheiden dann noch verschiedene Problemlagen. Eine Migrantin hat andere Probleme und Beratungsbedarfe als eine Drogenabhängige. Eine "Profifrau" hat wieder ganz andere Schwierigkeiten. Im Hinblick auf unsere Zielgruppe tun wir uns mit dem Begriff Sexarbeit schwer. Unsere Klientinnen sehen sich selten als Prostituierte. Sie wollen schnell Geld machen, um Geld für ihre Droge zu finanzieren. Trotzdem stehen wir dem Begriff Sexarbeit nicht ablehnend gegenüber. Die Professionalisierung, die mit diesem Begriff einhergeht, sehen wir durchaus positiv.

ROSSENBACH: Als über das Prostitutionsgesetz debattiert wurde, waren unter anderem "Huren" aus der sogenannten Hurenbewegung Wortführerinnen, die ein solches Gesetz forderten, um ihre rechtliche und soziale Lage zu verbessern und überprüfbare und regulierbare Arbeitsverhältnisse zu erreichen. Mit dem Prostitutionsgesetz und einem anderen Selbstverständnis haben die Frauen den Begriff Sexarbeit gewählt, als eine Arbeit wie jede andere. Das trifft aber nicht auf die Frauen zu, mit denen wir arbeiten. Sie werden sich oft weder als Prostituierte noch als Hure noch als Sexarbeiterin sehen. Deswegen würde ich sagen, es hängt immer von den Umständen ab, unter denen die Frauen arbeiten. Wir verwenden oft den Begriff, den die Frauen selber verwenden. Im offiziellen Rahmen verwenden wir weiterhin die Begriffe Prostitution und Prostituiertenhilfe.

Welchen Einfluss hatte das vor etwas mehr als 10 Jahren in Deutschland verabschiedete Prostitutionsgesetz auf Ihre Arbeit?

REICHERT: Auf unsere Klientinnen hatte das Prostitutionsgesetz einen geringen Einfluss. Diese Frauen kämpfen nicht für ihre Rechte. Sie kämpfen um ihr Überleben. In diesem Fall greift das Prostitutionsgesetz gar nicht. Ich würde aber sagen, dass das Prostitutionsgesetz das Projekt Geestemünder Straße erst ermöglicht hat. Dadurch, dass die Sittenwidrigkeit aufgehoben wurde, hat sich auch eine neue Gesetzeslage für die Soziale Arbeit ergeben.

ROSSENBACH: Durch die wissenschaftlichen Begleitstudien ist mittlerweile belegt, dass vor allem die Umsetzung schwierig ist, weil viele kommunale Behörden mit unterschiedlichen Kompetenzen eingebunden sind und es keine einheitlichen Durchführungsverordnungen gibt. Grundsätzlich wird mehr über Prostitution gesprochen, auch über Elends- oder Zwangsprostitution. Es handelt sich nicht mehr um ein so großes Tabu, wie vor der Einführung des Prostitutionsgesetzes. Andererseits muss man feststellen, dass es in einer sexualisierten Umwelt auch "salonfähiger" geworden ist, in der Prostitution zu arbeiten. Es ist jedoch fraglich, ob das auf das Gesetz zurückgeführt werden kann.

Besuchen auch Zwangsprostituierte die Geestemünder Straße?

REICHERT: Hier ist die Definition sehr schwierig. Wir wissen von Frauen auf der Geestemünder Straße, die zur Prostitution gezwungen werden. Wir haben auch Klientinnen, von denen wir vermuten, dass sie gezwungen werden. Oft haben die Frauen offiziell keinen Zuhälter, schaffen aber für ihren Partner mit an.

ROSSENBACH: Bei uns findet man jedoch nicht die Fälle von Zwangsprostitution, bei denen Frauen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt oder sogar hierher verschleppt werden. Dafür ist die Kooperation mit Polizei und Ordnungsamt zu eng. Bei uns handelt es sich eher um Mischformen. Wo fängt zum Beispiel der Zwang in der Partnerschaft an? Oft würden wir diese Fälle als Zwang werten, die Frauen selbst haben dazu aber andere Einstellungen. Sie werten diese Konstellation zum Beispiel als partnerschaftliche Verpflichtung, weil sie mit einem anderen Rollenbild aufgewachsen sind.

Welche konkreten Ziele hat Ihre Arbeit?

REICHERT: Zum einen geht es uns darum, Beratungsangebote, nicht zuletzt unser eigenes, innerhalb dieser Szene bekannt zu machen. Denn nur so können wir die Frauen erreichen. Wir wollen den Frauen Unterstützung geben, vor allem, wenn sie Wege aus der Prostitution finden wollen. Wir vermitteln in weitere Beratungsangebote, von psychologischer Unterstützung bis zur Schuldnerberatung. Wenn die Frauen ihren Job weiter ausüben wollen, möchten wir ihnen helfen, ihren Job so sicher wie möglich auszuüben. Hiermit meinen wir nicht nur, ohne Gewalt zu erfahren, sondern auch den Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten.

ROSSENBACH: Auf einer anderen Ebene geht es um die Haltung, dass ein Leben nicht verloren ist. Jeder Mensch hat seinen eigenen Wert. Wir kümmern uns vor allem um diejenigen, die ausgegrenzt sind, die man vielleicht nicht so gerne angucken will, die ganz weit vom eigenen Leben entfernt sind. Das bedeutet nicht, von oben nach unten weise Ratschläge zu geben, sondern den Frauen das Gefühl zu geben: Ich akzeptiere deine Autonomie. Ich akzeptiere dich als Mensch. Ich will dir helfen, da sicher durchzukommen. Wenn du an den Punkt kommst, dass du da raus willst, dann helfe ich dir dabei.

Welche Erfolge können Sie nach etwas mehr als zehn Jahren vorweisen?

REICHERT: Hier ist die Frage, was man als Erfolg wertet. Gilt es als Erfolg, wenn eine Frau sich nicht mehr prostituiert und den Weg in ein "geregeltes" Leben gefunden hat, dann haben wir wenig quantifizierbare Erfolge vorzuweisen. Wir sind eine niedrigschwellige Einrichtung. Oft geben wir sozusagen die Initialzündung und vermitteln die Frauen an andere Stellen weiter. Auch wenn Frauen der Ausstieg gelingt, teilen sie uns das nicht unbedingt mit. Es gibt Frauen, die ganz klar zu uns kommen und sich bedanken. Hier würde ich das jedoch als Erfolg der Frauen, nicht als unseren Erfolg werten. Es ist für unsere Arbeit zentral, dass den Frauen zu signalisieren und die Selbstbestimmung der Frauen damit zu fördern.

ROSSENBACH: Ganz wichtig sind die Ergebnisse der Studie und die Ergebnisse des Berichts des Gesundheitsamts zu zehn Jahren Straßenstrich. Aus der ordnungspolitischen Perspektive kann man berichten, dass der Straßenstrich in der Kölner Innenstadt nicht mehr existiert. Die Frauen können auf der Geestemünder Straße recht sicher arbeiten. Die Anzahl der gewaltsamen Übergriffe, die früher alle ein bis zwei Tage vorkamen, sind minimiert worden. Die Frauen sind leichter für den Ausstieg zu erreichen, und sie kennen sich besser mit dem Hilfesystem aus. Das Thema Prostitution wurde in den vergangenen zehn Jahren öffentlich. Das Projekt an der Geestemünder Straße war das erste Projekt dieser Art in Deutschland. Wir werten auch als Erfolg, dass Nachfolgeprojekte geschaffen wurden. Ein kleiner Erfolg am Rande betrifft die öffentliche Wahrnehmung. Wenn heute eine Prostituierte verschwindet, berichten die Boulevardmedien darüber. Die Menschen interessieren sich dafür. Das wäre vor zehn Jahren keinen Zeitungsbericht wert gewesen. Auch bei den Akteuren, die sich mit Prostitution beschäftigen, hat sich etwas geändert. Es findet eine andere Zusammenarbeit, insgesamt mehr Kooperation zwischen Polizei, Ordnungsamt, Gesundheitsamt und den in der Prostituiertenhilfe Tätigen statt. Und das nicht nur in Köln.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen in der Sozialen Arbeit mit Prostituierten?

REICHERT: Für mich ist die größte Herausforderung, dass man den Umstand anerkennen muss, dass sich Szene verändert. Die Zielgruppen verändern sich und die Arbeit muss sich stetig mitentwickeln.

ROSSENBACH: Angesichts der Krise der kommunalen Haushalte wird es überall schwieriger, Projekte zu sichern oder auszubauen, die sich an gesellschaftliche Randgruppen wenden, langfristig angelegt und nicht auf "schnelle" oder messbare Erfolge ausgelegt sind. Es braucht aber diesen Platz und diese Zeit, um die Frauen zu erreichen. Als zweite große Herausforderungen sehe ich die Notwendigkeit, den Frauen Perspektiven zu bieten. Wie kann ich einen versäumten Abschluss nachholen? Wie bekomme ich ein berufliches Profil? Wie gestalte ich mein Leben, wenn ich hier raus bin? Da geht es um Themen wie Sucht, um psychische Erkrankungen. Für viele Frauen ist es schon eine Überforderung, die Miete in einer Großstadt zu finanzieren. Es müsste mehr berufliche Perspektiven geben als die hier oft vorgeschlagene Altenpflege mit der Begründung, dass die Frauen schließlich keine Angst vor körperlicher Nähe hätten. Hier müssten sich mehr Kreativität und dauerhafte Lösungsansätze entwickeln.

Auch Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sicher großen Herausforderungen ausgesetzt. Wie versuchen Sie, diese zu unterstützen?

REICHERT: Es ist wahr, dass man bei unserer Arbeit viele schreckliche Geschichten erfährt, glücklicherweise aber nicht nur solche. Wir bieten unseren Mitarbeitern eine flankierende Supervision an, wie es in der Sozialen Arbeit üblich ist. Man muss in unserem Job auch privat sehr gut für sich sorgen und einen Ausgleich für sich suchen, damit der "Elendsblick" nicht auch das Privatleben bestimmt. Wir brauchen inhaltliche Auseinandersetzungen und Fortbildungen, um auch mit Veränderungen umgehen zu können. So brauchen wir zum Beispiel für die Arbeit mit Migrantinnen eine andere Informationsgrundlage für eine Rechtsberatung. Direkt bei der Arbeit kann Humor ein Entlastungspunkt sein. Wir können nicht auf der Straße stehen und den ganzen Tag denken: "schlimm, schlimm, schlimm". Dann könnten wir unsere Arbeit nicht gut machen.

ROSSENBACH: Aus Arbeitgeberperspektive ist hier sehr wichtig, nur Mitarbeiter für diese Tätigkeit einzustellen, die wirklich dafür brennen, die das wollen. Gleichzeitig ist es auch ein Arbeitsgebiet, das Menschen sehr bindet, weil man Beziehungsarbeit macht. Man muss genau beobachten, wann Distanz verloren geht oder die Arbeit keine Freude mehr macht, und dann vielleicht in ein anderes Feld zu wechseln.

Gibt es auch Ansprüche, an denen Sie mit Ihrem Projekt gescheitert sind?

ROSSENBACH: Nein, die Ansprüche, die in Köln an uns und die Kooperationspartner gestellt wurden, haben wir eingelöst. Schwerer ist es, den medialen Ansprüchen an Zahlen, Daten und Fakten gerecht zu werden, die die Darstellung stringenter Lösungsansätze für komplexe Probleme leichter vermitteln.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Ihren Kooperationspartnern?

REICHERT: Wir arbeiten mittlerweile in dieser Kooperation sehr gut miteinander. Hier treffen sehr unterschiedliche Berufsgruppen aufeinander. Jede von diesen hat ihre Eigenarten. Jemand, der zur Polizei geht, ist vielleicht anders gestrickt als jemand, der in die Sozialarbeit geht. Wir mussten uns viel mit unterschiedlichen Haltungen auseinandersetzen. Bis heute ist es wichtig, die Kooperationsstrukturen immer weiter zu entwickeln. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden. Es hängt auch viel von den beteiligten Personen ab. Die Pflege der Kontakte ist für eine gelungene Kooperation notwendig, deswegen gibt es regelmäßige Arbeitstreffen und Fortbildungen. Unser Container ist für alle Kooperationspartner geöffnet, auch für die Polizei. Das Gesundheitsamt ist einmal pro Woche vor Ort.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Politik?

ROSSENBACH: Sehr gut. Das halte ich für eine Qualität der Stadt Köln. Wir haben gemeinsam dieses Projekt entwickelt. Das Projekt ist vom Rat der Stadt abgesegnet. Als es um den Erlass der Sperrbezirksverordnung für den Kölner Süden ging, wurden wir als Kooperationspartner gehört und konnten eine Einschätzung abgeben. Wir sind da in einem sehr intensiven Austausch mit Politik und Verwaltung.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

REICHERT: Wir sind positiv gestimmt. Es ist ein gelungenes Projekt. Die Ziele sind erreicht worden und konnten auch gehalten werden. Prostitution hat sich nicht wieder in der Innenstadt etabliert. Wir bieten Unterstützung für die Frauen an, die angenommen wird. Auch aus der Politik erhalten wir positive Signale. Manchmal hören wir von Leuten: "Ach, ich dachte Euer Platz ist schon lange geschlossen. Das ist für uns ein gutes Zeichen." Es zeigt, dass das Projekt funktioniert, ohne dass Anlieger beeinträchtigt werden.

ROSSENBACH: Auch die Studie hat ergeben, dass die betroffenen Frauen bereit sind, Hilfe anzunehmen und sogar danach suchen. Deswegen hoffen wir, auch aus humanitären Gründen, dass wir das Projekt weiter betreiben können.

Dipl. Soz. Pädagogin; Gruppenleitung Corneliushaus des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) e.V. Köln. E-Mail Link: sabine.reichert@skf-koeln.de

M.A.; Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Ehrenamt beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) e.V. Köln. E-Mail Link: anne.rossenbach@skf-koeln.de