Die syrische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist geprägt durch die Erfahrung von Fremdherrschaft und Imperialismus sowie die schwierige Herausbildung einer syrischen nationalen Identität, verbunden mit Fragen nach territorialer Integrität und staatlicher Einheit. Hiermit verflochten sind mit rapiden Modernisierungsprozessen einhergehende gesellschaftliche Umwälzungen und der Streit um soziale Gerechtigkeit, um politische und wirtschaftliche Teilhabe. In Anbetracht des begrenzten Raums können diese Themen jedoch nur angedeutet werden, da sich die Darstellung auf einen sehr knappen, politisch-ereignisgeschichtlichen Überblick beschränken muss.
Syrien ist ein junger Staat, der erst seit dem Ende des Ersten Weltkrieges in (mehr oder weniger) seinen heutigen Grenzen existiert; 1946 erlangte er seine vollständige Unabhängigkeit. Dies kontrastiert mit jahrtausendealten Siedlungstraditionen. Auf dem Gebiet des heutigen Syrien waren Zivilisationen beheimatet, die zu den ältesten der Menschheitsgeschichte gehören. Im mittleren Euphrattal wurde bereits etwa 10.000 v. Chr. Ackerbau und Viehzucht betrieben; im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend existierten hier bedeutende Stadtstaaten wie Ebla und Mari.
Die Verwendung der griechischen Bezeichnung Syrien ist seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert belegt; das so umschriebene geografische Gebiet variierte jedoch stark. Erst mit der Annexion durch Pompeius 64 v. Chr. bezeichnete Provincia Syria ein bestimmtes Territorium, das sich vom Euphrat bis Ägypten erstreckte. Zu Beginn der byzantinischen Ära im späten 4. Jahrhundert n. Chr. wurden nur noch die nördlichen Gebiete um Antiochia und Apamea als "Syrien" bezeichnet. Mit der muslimischen Eroberung von Damaskus 635 n. Chr. begann die schrittweise Islamisierung und Arabisierung des Landes. Das arabische al-Scham stand nun für "das Gebiet zur Linken beziehungsweise im Norden" (von der arabischen Halbinsel, der Heimat der Eroberer, gesehen), das im alltäglichen Sprachgebrauch bis heute auch für die Stadt Damaskus verwendet wird. Bilad al-Scham ("das syrische Land") bezeichnete die besiedelten Gebiete zwischen Taurus und Sinai. Während der Herrschaft der Omayyaden (661 bis 750) stieg Damaskus zur Hauptstadt des islamischen Reiches auf, verlor diesen Rang mit dem Machtwechsel zu den Abbasiden jedoch an Bagdad. In den nächsten Jahrhunderten wechselten sich regionale Fürsten und Dynastien ab; Teile Nordsyriens wurden kurzzeitig vom byzantinischen Reich zurückerobert. Die allgemeine Unsicherheit setzte sich mit dem Einfall der Seldschuken im 11. Jahrhundert und der Errichtung seldschukischer Fürstentümer in Aleppo und Damaskus fort. Nach der Etablierung der Kreuzfahrerstaaten in der Levante (1099 bis 1265) waren Damaskus, Homs, Hama, Aleppo und Baalbek den Kreuzfahrern tributpflichtig, blieben aber unabhängig; lokale Herrscher wie Nuraddin (gest. 1174) und Saladin (gest. 1193) waren den Kreuzfahrern starke Gegner. Mit der Eroberung von Akko durch die Mameluken 1291 endete diese Periode. Um die Wende zum 15. Jahrhundert wurden Aleppo und Damaskus von den einfallenden Mongolen unter Timur erobert, geplündert und gebrandschatzt. Die Mamelukenzeit in Syrien endete 1516 mit der Eroberung durch die Osmanen.
Osmanisches Syrien
Die Osmanen gliederten die Bilad al-Scham in die drei Provinzen Aleppo, Damaskus und Tripoli; im 17. Jahrhundert kam Sidon hinzu. Mit den Reformen des späten 19. Jahrhunderts wurden die Provinzen neu gegliedert (in Damaskus, Aleppo und Beirut), hinzu kamen Jerusalem als eigenständiger Verwaltungsbezirk und das Libanongebirge. Das Gebiet des heutigen Syriens umfasst Teile der osmanischen Provinzen Damaskus und Aleppo sowie den Bezirk Deir ez-Zor.
Die religiös legitimierten, absolutistisch herrschenden osmanischen Sultane stützten sich auf eine Schicht von Notabeln und Religionsgelehrten, lokale Eliten, die zwischen dem imperialen Zentrum und der Provinz vermittelten. In den Städten, die als Handels- und Verwaltungsmetropolen, Pilgerstationen und religiöse Zentren fungierten, konzentrierte sich die wirtschaftliche, politische und soziale Macht. Die Reichweite staatlicher Kontrolle und die Ausdehnung des Kulturlandes schwankten beträchtlich. Im späten 18. Jahrhundert erreichten sie einen Tiefpunkt. Die Gouverneure von Damaskus und Aleppo waren kaum in der Lage, ihr Hinterland und selbst ihre Städte zu kontrollieren beziehungsweise vor kriegerischen Beduinenstämmen zu schützen; lokale Potentaten agierten weitgehend unabhängig von Istanbul. 1831 besetzte Ibrahim Pascha, Sohn des Regenten von Ägypten, die Bilad al-Scham, doch nach einer Intervention europäischer Mächte, die die Schwächung oder gar den Zerfall des osmanischen Reiches fürchteten, musste er sich 1840 wieder zurückziehen.
Die folgenden Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch vermehrte administrative Reformen und die wachsende politische und wirtschaftliche Dominanz europäischer Akteure. Der Ausbau der Infrastruktur und effektiverer Schutz vor Beduinenüberfällen ließen Landwirtschaft und Handel aufblühen. Dies erleichterte die Integration in internationale Märkte sowie die staatliche Kontrolle der Peripherie. Der zunehmende Import europäischer Waren veränderte die Konsumgewohnheiten in den rasch wachsenden Städten zum Nachteil der einheimischen Handwerker und insbesondere des Textilgewerbes. Steigende Nachfrage aus Europa führte zum vermehrten Anbau von cash crops, von deren Export eine neu entstehende Schicht von Mittelsmännern und Kaufleuten mit guten Beziehungen nach Europa, viele von ihnen Christen oder Juden, profitierte. Politisch trat Frankreich als Schutzmacht der katholischen, Russland als die der orthodoxen Christen auf; 1856 erklärte der Sultan alle Untertanen ohne Ansehen der Religion für gleichberechtigt. All dies verschärfte soziale Spannungen, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewaltsam entluden: 1850 kam es in Aleppo, 1860 in Damaskus zu blutigen Übergriffen auf christliche Viertel; 1860 wurde der Libanon durch brutale Kämpfe zwischen Maroniten und Drusen erschüttert.
Mit dem neuen osmanischen Landrecht von 1858 akkumulierten viele Notabeln ausgedehnten privaten Grundbesitz. Dies führte zu einer Macht- und Ressourcenkonzentration in den Händen der traditionellen Eliten und zur Herausbildung beziehungsweise Verfestigung von Abhängigkeitsbeziehungen. Kollektive (kommunale, tribale) Solidaritätsverhältnisse verschoben sich nach und nach hin zu individuellen oder schichtspezifischen Differenzierungen. Die staatliche Verwaltung wurde zunehmend von einer neuen, gebildeten Beamtenschicht getragen. Eine wachsende Zahl von Bildungseinrichtungen bot neue Aufstiegsmöglichkeiten, und die sich immer weiter differenzierende Presselandschaft wurde zum wichtigen Medium kulturell-literarischer und politischer Diskussionen. Die so entstehende neue Öffentlichkeit war männlich dominiert, schloss aber auch weibliche Leserinnen und Autorinnen ein. Neben die kleinteiligen kollektiven Bezugsrahmen (Dorf, Stamm, Religionsgemeinschaft) traten nun auch übergreifende Bezüge. Die vielschichtige Bewegung des arabischen nationalen "Erwachens" (nahda) zielte unter anderem auf die literarisch-kulturelle Erneuerung der arabischen Hochsprache und Kultur, formulierte aber auch politisch-reformerische und emanzipatorische Forderungen. Die Notwendigkeit religiöser Reform, um traditionelle und moderne Wissensformen in Einklang zu bringen, wurde ebenfalls diskutiert. Doch schlossen arabische und osmanische Loyalitäten und Identifikationen einander nicht unbedingt aus, sondern stellten unterschiedliche Facetten kultureller und politischer Identität dar.
Erster Weltkrieg
Die Herrschaft der Osmanen endete mit der Niederlage und anschließenden Zerschlagung des Reichs am Ende des Ersten Weltkrieges. Die Kriegsjahre bedeuteten für die syrische Zivilbevölkerung eine Zeit des Leidens. Tausende junger Männer wurden zum Armeedienst gezwungen; hunderttausende Zivilisten starben infolge von Krankheiten und Hunger. Hinzu kamen die militärischen und politischen Auseinandersetzungen. Arabische Intellektuelle und Offiziere, teilweise in Geheimgesellschaften organisiert, verfolgten die Unabhängigkeit von Istanbul; der osmanische Gouverneur von Damaskus reagierte darauf mit brutaler Repression. Im Juni 1916 rief der haschemitische Scherif von Mekka, Husain, zum arabischen Aufstand gegen die Osmanen auf. Zuvor hatte ihm der britische Hochkommissar in Ägypten Unterstützung für ein unabhängiges arabisches Königreich zugesagt. Großbritannien hatte allerdings im Sykes-Picot-Abkommen 1916 und der Balfour-Erklärung von 1917 weitere, widersprüchliche Erklärungen über die Zukunft der arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches abgegeben, die hier aus Platzgründen nicht erörtert werden können, aber Folgen von großer Tragweite hatten.
Nach der Niederlage des osmanischen Reiches wurde Syrien zwischen 1918 und 1920 mit britischer Billigung von einer arabisch-nationalistischen Regierung unter Husains Sohn Faisal regiert. Die Herausbildung politischer Identitäten in jenen Jahren erfolgte im Spannungsfeld panarabischer und territorial orientierter syrischer beziehungsweise libanesischer Loyalitäten sowie (arabisch-)islamischer Bezüge, die einander im Einzelfall nicht unbedingt ausschlossen. Trotz verbreiteter Kritik an Faisals Regierung erklärte ein Syrischer Generalkongress im März 1920 das Land zur unabhängigen konstitutionellen Monarchie unter Faisal.
Die Monarchie war jedoch nur von kurzer Dauer. Im April 1920 einigten sich die Großmächte auf der Konferenz von San Remo auf die Verteilung ihrer Interessengebiete in Form von Mandaten (Libanon und Syrien an Frankreich, Irak, Palästina und Transjordanien an Großbritannien), die 1922 vom Völkerbund bestätigt wurde. Frankreich stellte Faisal ein Ultimatum für den Rückzug seiner Truppen und die Annahme des Mandats. Die aus dem Libanon vordringenden französischen Truppen schlugen ein schwächeres syrisches Kontingent unter Faisals Kriegsminister Yusuf al-Azma bei Maisalun nahe Damaskus am 24. Juni 1920; am folgenden Tag wurde Damaskus von französischen Truppen besetzt und Syrien unter französische Verwaltung gestellt. Faisal floh zunächst nach Palästina und wurde 1921 mit britischer Unterstützung zum König des Irak gekrönt.
Mandatszeit
Die Jahre des französischen Mandats waren mit allen Widersprüchlichkeiten in vieler Hinsicht prägend für die Herausbildung des späteren syrischen Nationalstaats. Viele der Transformationsprozesse, die in der späten Osmanenzeit begonnen hatten, wurden in der Mandatszeit fortgesetzt beziehungsweise konsolidiert. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Raymond Hinnebusch erbte das unabhängige Syrien mit dem Ende des Mandats eine patrimoniale politische Kultur, eine fragmentierte Gesellschaft und eine abhängige Ökonomie. Im historischen Rückblick hat die kollektive Erfahrung der französischen "Kolonialisierung" (so wurde die Mandatsherrschaft empfunden) identitätsstiftende und legitimatorische Wirkung entfaltet und wurde in unterschiedlichen Facetten zu einem zentralen Topos syrisch-nationalistischer Diskurse.
Frankreich war seit dem 19. Jahrhundert wirtschaftlich eng mit dem Gebiet verflochten. Noch aus der Osmanenzeit stammende Privilegien französischer Unternehmen wurden nun teilweise verlängert, andere neu vergeben. Die Investitionen konzentrierten sich vor allem auf das Bankwesen, Handel, Infrastruktur und die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe; in die Modernisierung von Industrie und Landwirtschaft wurde hingegen kaum investiert. In dem Bemühen, die traditionellen Eliten an sich zu binden, konsolidierte die Mandatsverwaltung die Macht der Notabeln, indem sie die Privatisierung und Katastrierung von Landbesitz weiter vorantrieb. Nach wie vor überließen die meist in der Stadt ansässigen Großgrundbesitzer die Bewirtschaftung lokalen Pächtern und Lohnarbeitern. Mehr als zwei Drittel der Bauernschaft waren landlose Pächter, während die Hälfte des Grundbesitzes in den Händen von dreitausend Familien konzentriert war.
Die administrative Betonung ethnisch-konfessioneller Partikularismen gemäß einer Politik des divide et impera war ein weiteres Kennzeichen der Mandatsjahre; so wurden Angehörige der alawitischen, drusischen und anderer Minderheiten überproportional zu den einheimischen Militäreinheiten rekrutiert. 1920 unterteilte die französische Verwaltung das syrische Territorium (der Libanon wurde von Beginn an separat verwaltet) in die "Staaten" Damaskus, Aleppo und einen "Alawitenstaat" an der Mittelmeerküste mit der Hauptstadt Latakia. Hinzu kamen als separate Verwaltungsbezirke das Drusenbergland und der Bezirk Alexandretta (Iskenderun). 1924 wurden Damaskus, Aleppo und Alexandretta zum Staat Syrien verbunden, an den von 1936 bis 1939 auch der Alawitenstaat und das Drusenbergland angeschlossen wurden (sie kamen nach einer Phase stärkerer Autonomie 1942 wieder hinzu). Eine Besonderheit war der Bezirk Alexandretta, der 1937 autonomen Status bekam und den Frankreich entgegen syrischer Proteste 1939 endgültig an die Türkei abtrat (die heutige Provinz Hatay).
Die politische Landschaft der Mandatszeit war durch die Auseinandersetzung mit der europäischen Fremdherrschaft geprägt. Seit den späten 1920er Jahren organisierte sich die nationalistische Elite im Nationalen Block (andere Parteien waren bereits vorher gegründet und wieder verboten worden). Ein syrischer Verfassungsentwurf von 1928 sah eine parlamentarische Republik mit Religionsfreiheit für alle Bürger (unter einem muslimischen Präsidenten) vor; aufgrund von sechs Artikeln, die unter anderem die untrennbare Einheit der "syrischen Territorien" (einschließlich Libanon, Transjordanien und Palästina) beschworen und souveräne Befugnisse für den Präsidenten vorsahen, wurde der Entwurf vom französischen Hochkommissariat jedoch abgelehnt. Neben den Notabeln, deren Dominanz sich auch nach der Einführung politischer Parteien und Wahlen fortsetzte, traten als politische Akteure nun auch Angehörige einer wachsenden städtischen Mittelschicht sowie städtische und ländliche Unterschichten in Erscheinung, die mit Generalstreiks, Wahlboykotten, Demonstrationen, Petitionen, Flugblättern und Ähnlichem gegen soziale Bedingungen (Verlust von Arbeitsplätzen oder Boden, steigende Preise und Hunger, Verschuldung) und gegen die französische Herrschaft protestierten. Ab 1919 kam es zu einer Reihe bewaffneter Aufstände, darunter von 1925 bis 1927 der sogenannte Große Syrische Aufstand, die mit großer militärischer Härte niedergeschlagen wurden.
Nach der Kapitulation Frankreichs 1940 stand Syrien zunächst unter Verwaltung der Vichy-Regierung; im Sommer 1941 erfolgte der Einmarsch britischer Truppen und Einheiten des Freien Frankreichs. Trotz alliierter Unabhängigkeitsversprechen blieb die Mandatsverwaltung weiter bestehen; alliierte Truppen standen für die Dauer des Krieges im Land. Im Mai 1945 kam es zu erneuten erbitterten Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Damaskus durch französische Flugzeuge bombardiert wurde. Nach britischem Druck, dem sich die USA und die UN (Syrien gehörte zu den Gründungsmitgliedern) anschlossen, verließen am 15. April 1946 die letzten französischen Truppen Damaskus. Zwei Tage später wurde die unabhängige Syrische Republik ausgerufen.
Unabhängigkeit
Obwohl die alten Eliten zunächst weiter die höchsten Staatsämter besetzten, zeichnete sich in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit der Aufstieg "radikaler Gegeneliten" in neuen Parteien sowie der Armee ab. Sie rekrutierten sich vor allem aus einer wachsenden Mittelschicht, die ihre Bedeutung ausgeweiteten Bildungsmöglichkeiten und Karrierechancen verdankte. Oft waren es Bürger aus ländlichen Kleinstädten oder bäuerlichen Familien, viele von ihnen Angehörige konfessioneller oder ethnischer Minderheiten, die die Aufstiegschancen durch den kostenlosen Besuch von Militär- und Lehrerakademie nutzten und Posten in der expandierenden Bürokratie, der Armee und dem Bildungswesen übernahmen. Gleichzeitig bildeten sich neue Unterschichten (vor allem landlose Bauern beziehungsweise in den Städten eine Industriearbeiterklasse, die sich zunehmend gewerkschaftlich organisierte) heraus.
Die neuen Schichten organisierten sich in Parteien, die teilweise bereits in den Mandatsjahren gegründet worden waren: die Syrische Kommunistische Partei (gegründet 1932) und die Syrische Sozial-Nationalistische Partei, die eine syrische (im Gegensatz zu einer panarabischen) Identität betonte und das Schaffen eines Großsyriens unter Einbeziehung von Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina und Zypern forderte. Seit den 1940er Jahren existierte die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft auch in Syrien, deren Programmatik neben der Ausweitung einer islamischen Rechtsprechung auch sozialreformerische Elemente enthielt. Als politisch am einflussreichsten erwies sich aber die Idee des (pan-)arabischen Nationalismus, die unter anderem von der Baath-Partei (Baath = Wiedererweckung) vertreten wurde. Ihre Gründung in den 1940er Jahren ging auf zwei Lehrer, (den orthodoxen Christen) Michel Aflaq und (den sunnitischen Muslim) Salah al-Din Bitar, zurück. Unter dem Wahlspruch "Einheit, Freiheit und Sozialismus" verfolgte sie ein säkulares, panarabisches und antiimperialistisches Programm, das in den 1950er Jahren unter Intellektuellen, aber auch Militärs und Bauern rasch Anhänger fand.
Die Ideologie des arabischen Nationalismus hatte – gerade in Anbetracht der als künstlich empfundenen Grenzziehung und daraus resultierenden Schwierigkeiten für nationale Integrations- und Identifikationsprozesse – für viele Syrer große Anziehungskraft. Gleichzeitig waren ihr von Beginn an fundamentale Probleme inhärent, die sich in den Folgejahren immer wieder in politischen Konflikten äußern sollten. Ein Punkt war die implizite Infragestellung der Staatsgrenzen durch den Verweis auf die arabische Einheit, die im Widerspruch zu realpolitischen Konflikten mit anderen arabischen Staaten stand. Zudem konnte sich ein relativ großer Teil der Bevölkerung – unter anderem der kurdische Bevölkerungsteil – mit dieser Ideologie nicht identifizieren; viele Kurden schlossen sich daher zunächst der Kommunistischen Partei und später einer Reihe von kurdisch-nationalistischen syrischen Parteien an, deren erste 1957 gegründet wurde.
Das erste Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit war durch ein Wirtschaftswachstum gekennzeichnet, das seine Wurzeln teilweise schon in den Kriegsjahren hatte. Landwirtschaftliche Produkte und deren Verarbeitung spielten hierbei die Hauptrolle. Insbesondere in den östlichen Landesteilen expandierte der Getreideanbau; die exportorientierte Baumwollproduktion verzehnfachte sich; die Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse beflügelte eine modernisierte Industrie. Doch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung hatte am wachsenden Wohlstand teil, soziale Gegensätze verschärften sich. Hinzu kamen außenpolitische Verwerfungen. Die für den Großteil der syrischen Bevölkerung gänzlich unerwartete Niederlage der arabischen Armeen gegen das neu gegründete Israel 1948 erschütterte nicht nur die politische Legitimität der Regierung, sondern trug zur Destabilisierung des Staates insgesamt bei. Eine Phase von Umstürzen folgte, mit der die Dominanz des Militärs in der Politik begann, die den Rest des Jahrhunderts prägen sollte. Allein 1949 wechselte drei Mal gewaltsam die Regierung: Am 30. März putschte der Stabschef der Armee Husni Zaim; dieser wurde am 14. August von einer Gruppe Militärs unter Führung von Sami al-Hinnawi abgesetzt und mit seinem Premierminister hingerichtet; am 19. Dezember kam nach einem weiteren Putsch Oberst Adib al-Schischekli an die Macht, der bis 1954 syrischer Präsident bleiben sollte.
Während des Kalten Krieges distanzierte Syrien sich von der US-amerikanischen Nahostpolitik, intensivierte aber seine Beziehungen zu den sozialistischen Staaten. Es war neben dem Wunsch, panarabische Zielsetzungen zu verwirklichen, und Bewunderung für den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser wohl auch außenpolitischer Druck, der eine Gruppe syrischer Offiziere (unterstützt von einem Teil der Baath) 1958 bewog, ohne Wissen der Regierung nach Kairo zu reisen und in Verhandlungen mit Nasser den Zusammenschluss Syriens und Ägyptens zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR) durchzusetzen – eine andere Form des Militärputsches.
Anders als erhofft, gewann Syrien durch den Zusammenschluss mit Ägypten jedoch nicht an Stärke, sondern musste sich dessen politischem Gewicht unterordnen. Nasser ließ alle Parteien einschließlich der Baath-Partei auflösen; er schwächte die syrischen Offiziere durch die Unterordnung unter Ägypter und Versetzungen. Sicherheitsdienste und Bürokratie kontrollierten das Land, der Staat griff zunehmend in wirtschaftliche Prozesse ein. Gesetze zu Agrarbeziehungen und Landreform von 1958 legten Obergrenzen für Landbesitz fest; mehr als 400.000 Hektar Land wurden enteignet und sollten an landlose Bauern verteilt werden. Die Gewerkschaften wurden entmachtet, das Streikrecht abgeschafft, aber auch eine neue Sozialversicherungsgesetzgebung erlassen. Im Juli 1961 wurde die gänzliche oder teilweise Verstaatlichung von Banken, Versicherungen und großen Industriegesellschaften beschlossen. Die wachsende Unzufriedenheit mit der ägyptischen Dominanz führte zu einem weiteren Militärputsch, der die Mitgliedschaft in der VAR am 28. September 1961 beendete; Syrien wurde zur Syrischen Arabischen Republik. In den nächsten eineinhalb Jahren folgten fünf unterschiedliche Regierungen bürgerlicher Politiker, bis am 8. März 1963 ein erneuter Putsch die Dominanz dieser Gruppe endgültig beendete. Erneut lag die Macht in der Hand von Offizieren, die mit zivilen Politikern zusammenarbeiteten. Ein Nationaler Rat für die Führung der Revolution ernannte eine baathistisch-nasseristische Regierung. Innerhalb des Rats dominierte ein Militärkomitee, das sich auch in der Baath-Partei zum entscheidenden Machtzentrum entwickelte. Die nächsten Jahre waren durch weitere innenpolitische Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Kaufleute und Handwerker, Vertreter des alten Großbürgertums, nasseristische Kräfte sowie religiöse Kreise unter Führung der Muslimbrüder bildeten eine heterogene, überwiegend städtisch-sunnitisch geprägte Opposition. 1964, 1965 und 1967 kam es zu einer Reihe von Protesten und Streiks, die gewaltsam niedergeschlagen wurden.
Auch in der Führung und der Baath-Partei kam es zu Machtkämpfen, und am 23. Februar 1966 brachte ein erneuter Putsch Vertreter der Parteilinken an die Macht, die für die Verwirklichung einer sozialistischen Politik eintraten. Der Putsch war unter anderem von Luftwaffenchef Hafis al-Assad, einem Angehörigen der alawitischen Minderheit, unterstützt worden, der zum Verteidigungsminister aufstieg. Nach der Niederlage gegen Israel im Juni 1967 spitzten sich die Auseinandersetzungen innerhalb der syrischen Führung erneut zu. Am 16. November 1970 besiegelte Assad seine zunehmende, auf der Kontrolle des Militärs beruhende Dominanz mit einem erneuten Putsch, indem er Partei- und Staatsspitze verhaften ließ und eine neue Regierung unter seiner eigenen Führung bildete.
Syrien unter Hafis al-Assad
Angesichts der vorhergehenden politischen Instabilität und der starken Spannungen in der syrischen Gesellschaft wirft die 30-jährige Präsidentschaft Hafis al-Assads die Frage auf, wie es ihm gelingen konnte, bis zu seinem Tod 2000 an der Macht zu bleiben. Selbstverständlich ist diese Frage heute nicht abschließend zu beantworten, doch würde jede monokausale Erklärung sicherlich zu kurz greifen. Unterschiedliche Faktoren kamen zusammen: die als Symbiose beschriebene Beziehung zwischen Armee und Baath-Partei, die Gleichschaltung der gesellschaftlich-politischen Kräfte von den Gewerkschaften und Bauernverbänden bis hin zum Bildungs- und Gesundheitswesen und gleichzeitige brutale Unterdrückung jeglicher politischer Opposition, die Bedeutung konfessioneller Solidaritäten und die gelungene Kooptation weiter Kreise der sunnitischen Mittelschichten, insbesondere der Damaszener Händler.
Der relative wirtschaftliche Wohlstand der 1970er Jahre, die Verwirklichung symbolischer Projekte wie der Bau des Euphratstaudamms und nicht zuletzt die syrische Haltung im arabisch-israelischen Konflikt und das als Sieg gefeierte Ergebnis des Oktoberkrieges 1973 machten Assad zunächst durchaus populär. Die ersten Jahre nach seiner Machtübernahme nutzte er zur systematischen Konsolidierung seiner Macht. Er formte die institutionellen Strukturen des Staates in einer Weise um, die ihm selbst als Staatspräsident, Oberbefehlshaber der Armee und Chef der Exekutive überragende persönliche Befugnisse sicherte. Schlüsselpositionen in Staat und Sicherheitsapparat besetzte er mit loyalen Gefolgsleuten und Verwandten. Assad stützte sich auf einen umfangreichen Apparat unterschiedlicher, konkurrierender Geheimdienste sowie eine expandierende Armee. Hierbei nutzte er die andauernde Konfrontation mit Israel als legitimierenden Faktor für den Ausbau des Sicherheitsapparates und der Armee (finanziell unterstützt durch arabische Verbündete und die Sowjetunion) sowie eine weitreichende Hierarchisierung, Mobilisierung und Militarisierung der Gesellschaft. Dies bewirkte gleichzeitig eine wachsende Identifikation mit dem syrischen Staat. Die Baath-Partei (der Assad als Generalsekretär vorstand) wurde in der Verfassung von 1973 zur "führenden Partei in Gesellschaft und Staat" erklärt.
Außenpolitisch gewann Syrien an Stärke und demonstrierte seine Ansprüche als Regionalmacht unter anderem mit dem Einmarsch in den Libanon 1976, wo es sich zunächst gegen linke und palästinensische Kräfte stellte, später (nach heftiger innersyrischer Kritik) aber die Seiten wechselte, um seit Mitte der 1980er Jahre schließlich schiitische Milizen zu unterstützen. Syriens militärisches Engagement im Libanon, bis 1982 formell im Rahmen einer "Friedenstruppe" der Arabischen Liga, sollte bis 2005 andauern. Zum ebenfalls baathistisch regierten Irak stand Syrien in einem erbitterten Konkurrenzverhältnis und unterstützte im Iran-Irak-Krieg den Iran, der Syrien wiederum wirtschaftlich unterstützte und Waffen lieferte.
Gegen Ende der 1970er Jahre wuchs die Kritik am Regime aufgrund einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, Korruption, Übergriffen der Sicherheitskräfte und der syrischen Haltung im libanesischen Bürgerkrieg. Ab 1979 erschütterte eine Reihe von Anschlägen das Land; es begann – insbesondere in den konservativen nördlichen Städten Hama und Aleppo – ein blutiger Machtkampf zwischen der islamischen Opposition und dem Regime, der sich von Seiten der Muslimbrüder auch gegen die alawitische Dominanz in Staat und Sicherheitsapparat richtete. Im Februar 1982 griff die Armee die Stadt Hama, eine Hochburg der Opposition, an; bis zu 30.000 Menschen (die genauen Zahlen sind noch immer unbekannt) wurden getötet, die Altstadt in weiten Teilen zerstört. Die syrische Muslimbruderschaft, auf deren Mitgliedschaft seit 1980 die Todesstrafe stand, war zerschlagen; auch linke Oppositionelle wurden reihenweise verhaftet und jahre- oder jahrzehntelang eingesperrt.
Das Massaker von Hama wirkte lange als nachhaltige und wirksame Abschreckung gegen etwaige Aufstandspläne. Weder die Unterlegenheit der syrischen Armee in der erneuten Konfrontation mit Israel im Sommer 1982, noch die fühlbaren Folgen des wirtschaftlichen Abschwungs, die zunehmende Korruption in öffentlicher Verwaltung und Bürokratie, der andauernde Ausnahmezustand und die fortgesetzte Missachtung der Bürgerrechte führten zu einer erneuten umfassenden Aufstands- oder oppositionellen Bewegung. Einzelne Parteien agierten weiter im Untergrund, einzelne Dissidenten und Bürgerrechtler blieben politisch tätig, doch stellten diese Aktivitäten keine ernsthafte Bedrohung für Assads Herrschaft dar. Ein Übernahmeversuch von Assads Bruder Rifat 1984 scheiterte. Nach dem Verlust der Sowjetunion als wichtigem Partner mit dem Ende des Kalten Krieges erlangte Assad außenpolitisch unter anderem durch die Unterstützung der alliierten Koalition gegen den Irak im Zweiten Golfkrieg neuen Spielraum, den er auch für die syrische Politik im Libanon nutzen konnte. Die Stabilität von Hafis al-Assads Regime zeigte sich vielleicht am deutlichsten nach seinem Tod am 10. Juni 2000, als das Präsidentenamt ohne erkennbaren Widerstand auf seinen Sohn Baschar übertragen wurde.