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Der Syrien-Konflikt: Internationale Akteure, Interessen, Konfliktlinien | Syrien | bpb.de

Syrien Editorial Wie unser Bild vom Krieg entsteht Ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten Identitäten und Interessen der syrischen Oppositionellen Internationale Akteure, Interessen, Konfliktlinien Syrien, Iran, Hisbollah, Hamas: Bröckelt die Achse? Syrien: Ein historischer Überblick Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien Gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklung Syriens Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall

Der Syrien-Konflikt: Internationale Akteure, Interessen, Konfliktlinien

Kinan Jaeger Rolf Tophoven

/ 17 Minuten zu lesen

Nach über vier Jahrzehnten der Assad-Herrschaft hat sich in Syrien ein enormes soziales und sozioökonomisches Spannungspotenzial aufgebaut, das weit unterschätzt worden ist. Ähnlich wie einst Jugoslawien und der Balkan gleicht heute der syrische Vielvölkerstaat einem hochbrisanten Pulverfass. Aufgrund der internationalen Verstrickungen syrischer Politik könnten die militärischen Auseinandersetzungen der Beteiligten zu erheblichen Veränderungen der gesamtstrategischen Lage in Nahost führen. Nachbarländer, Milizen, Widerstandskämpfer, Separatisten und Dschihadisten sind mittlerweile in die Auseinandersetzungen involviert. Der Ausgang der Krise ist völlig ungewiss – sie könnte sich noch über Jahre hinziehen.

Bereits jetzt wird über Zukunftsszenarien des Landes spekuliert. Zu befürchten sind der Staatszerfall und ein nachhaltiges Machtvakuum (ähnlich Somalia); die Aufsplittung in Milizterritorien ("Libanonisierung") oder neue staatliche Einheiten ("Balkanisierung"); die zunehmende regionale Einflussnahme von Islamisten; ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen bestehender Bündnissysteme mit Veränderungen im strategischen Gleichgewicht; ein neuer Stellvertreterkrieg im Sinne des Kalten Krieges; ein Überschwappen der Unruhen auf Nachbarländer sowie eine unkontrollierte Weiterverbreitung von B- und C-Waffen.

Westliche Perspektive

Der syrischen Regierung wurde von der westlichen Staatengemeinschaft oftmals vorgeworfen, mit terroristischen Organisationen und Staaten zu kooperieren. Eine zügige Distanzierung der westlichen Welt vom Assad-Regime war die Folge, als im Lande Anfang 2011 die ersten Unruhen aufkamen. Heute setzt sich das westliche Lager weitgehend geschlossen für die Ablösung des syrischen Staatschefs ein und hat klar Stellung zugunsten der Opposition bezogen. Eine bedeutende Aufwertung wurde der Opposition zuteil, als sie Ende 2012 von Frankreich und Großbritannien als legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt wurde. Der Vorgang war gewagt, ist doch die Frage nach der Legitimität der Opposition bis heute nicht geklärt. Assad jedenfalls gilt im Westen seither als disqualifiziert und wird als Verhandlungspartner abgelehnt. Ein Großteil der verzeichneten hohen Verluste an Menschenleben im Bürgerkrieg legt der Westen ihm und seinem Regime zur Last. Aus westlicher Perspektive ergeben sich im Hinblick auf den Konfliktherd in Syrien einige spezifische Sicherheitsrisiken.

Syriens geografische Nähe zur EU und die Beeinträchtigung des EU-Mittelmeerdialogs.

Ein längerer Machtkampf in Damaskus könnte zu erheblichen Störungen im EU- Mittelmeerdialog führen. Dieses Forum bildet einen Grundstein zur Stabilisierung der Sicherheit an der Südost-Flanke der EU. Auch soll der Integrationsprozess im Mittelmeerraum insgesamt gefördert werden. Eine Einbindung Syriens und seines Nachbarn Libanon sind wichtiger Bestandteil des Programms. Hier nehmen bereits Flüchtlingsbewegungen, illegale Zuwanderungen und Menschenschmuggel unerwartet hohe Ausmaße an – Probleme, mit denen in erster Linie die Türkei und Griechenland zu kämpfen haben. Die Sicherheitslage entlang der Peripherie des EU-Raumes scheint mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzungen in Syrien nachhaltig Schaden zu nehmen. Der Bau weiterer Grenzzäune – wie bereits zwischen Griechenland und der Türkei – dürfte die Folge sein.

Syriens gemeinsame Grenze zum Nato-Partner Türkei.

Die Türkei forderte nach dem Beschuss durch Granaten, der offenkundig von syrischem Territorium erfolgte, Unterstützung von ihren Nato-Partnern an. Für die Nato ergibt sich damit ein neuer Einsatzort im Nahen Osten ohne UN-Mandat, und die Gefahr, in eine Auseinandersetzung ohne absehbares Ende hineingezogen zu werden. Auch Deutschland sieht sich hier eingebunden, wenn auch nur durch die Stationierung von defensiv orientierten Patriot-Raketen entlang der türkisch-syrischen Grenze. Kritiker im Deutschen Bundestag monierten, eine Gefährdungslage der Türkei sei herbeigeredet, da Assad nie beabsichtigt habe, sein nördliches Nachbarland anzugreifen. Auch stehe der Einsatz nicht im Kontext nationaler Interessen Deutschlands. Die Bundeswehr ist bereits im Blauhelm-Auftrag der UN durch mehrere Fregatten im östlichen Mittelmeerraum präsent (UNIFIL), die dort möglichen Waffenschmuggel unterbinden sollen. Die von Syrien unterstützte Hisbollah war in den Verdacht geraten, Waffen auf dem Seeweg aus dem Iran zu beziehen, die später gegen Israel eingesetzt würden.

Syrien als Nachbar- und Frontstaat zu Israel.

Der Konflikt in Syrien dürfte auch im Nahost-Friedensprozess zu massiven Rückschlägen führen. Ob Israel sich in der aktuellen Krise um Syrien zu militärischem Eingreifen genötigt sehen wird, hängt von seiner realen wie gefühlten Bedrohungslage ab. Der casus belli wurde von Jerusalem für den Fall angekündigt, dass syrische B- oder C-Waffen in die Hände von Israels Gegnern fallen sollten. Auch eine offene Intervention des Iran könnte Israel auf den Plan rufen. Immerhin hatte Teheran angekündigt, ein türkisches Eingreifen in Syrien – etwa in Form der Etablierung einer "humanitären Schutzzone" – gegebenenfalls als Angriff auf sein eigenes Territorium zu betrachten. Ein direktes iranisches Eingreifen mit möglicher Unterstützung der Hisbollah wäre für Israel keinesfalls tolerierbar. Auch für Deutschland wären dann Konsequenzen zugunsten Israels in Erwägung zu ziehen, hatte doch Bundeskanzlerin Merkel im Jahre 2008 vor der Knesset erklärt, Israels Sicherheit sei "Teil der Staatsräson Deutschlands".

Syriens Rolle gegenüber "Problemstaaten" und geächteten Organisationen.

Als besonders brisant wird im Westen die Achse zwischen Syrien, dem Iran und der Hisbollah gesehen. Grundstein für diese Allianz war der Beginn des Krieges zwischen dem Irak und Iran (1980 bis 1988). Syrien bezog hier erstmals deutlicher Stellung zugunsten des Iran, da die regierende Baath-Partei politische Differenzen mit Bagdad auszutragen hatte. Beide Seiten haben seither stark von diesem Bündnis profitiert. Syrien bezieht aus dem Iran Öl- und Waffenlieferungen, günstige Kredite und Know-how (etwa bei der Überwachung des Internets). Der Iran hingegen erhält von Syrien Hilfe bei der Unterstützung der schiitischen Hisbollah, die im Südlibanon gegen Israel kämpft. Nicht nur der Westen, auch die arabische Welt betrachtet diese Achse mit großem Misstrauen. So sprach der jordanische König mehrfach von der Gefahr eines "schiitischen Halbmondes", Saudi-Arabien sieht die Macht seines Konkurrenten Iran überproportional stark wachsen und Israel fühlt seine Sicherheit durch den zunehmenden Einfluss des Iran im Libanon und im Nahost-Konflikt gefährdet. Sollte ein Machtwechsel in Syrien den Zusammenbruch der Achse herbeiführen, so müsste der Iran und auch die Hisbollah mit gewaltigen Einbußen ihrer Schlagkraft gegen Israel rechnen. Der massive Einsatz der USA gegen das Regime von Baschar al-Assad könnte daher tatsächlich darauf abzielen, Syrien, als Irans engsten Verbündeten, aus der Allianz herauszulösen. Gewinner hierbei wäre zweifellos der Staat Israel, dem es im Jahre 2006 nicht gelungen war, die Hisbollah zu besiegen.

Syrien als Energie-Transitland.

Seit Jahren bereits versucht die EU, ihre Energiebezugsquellen zu diversifizieren, um sich aus der starken Abhängigkeit von Russland zu lösen. Der östliche Mittelmeerraum und die Landbrücke zum Persischen Golf könnten hier neue Perspektiven bieten. Gerade das Territorium Syriens könnte energielogistisch an Bedeutung hinzugewinnen. Dies gilt umso mehr, als die allmähliche politische Beruhigung im Irak auch zur Ankurbelung der Erdölförderung geführt hat. Gleichzeitig verstärkte sich die Unsicherheit beim Abtransport von Erdöl über den Seeweg um das Horn von Afrika durch zunehmende Piraterie. Syrisches Territorium böte die Möglichkeit des schnellen Abtransports des Erdöls vom Golf in Richtung der EU durch bereits bestehende Pipelinesysteme. Letztere wurden bereits bis Ende der 1970er Jahre für irakisches Öl genutzt. Derartige Projekte wären keinesfalls mit russischen Interessen im Einklang, würden syrische Pipelines doch russisches Territorium umgehen und die EU zunehmend aus der logistischen Abhängigkeit von Russland herauslösen.

Position Russlands

Offizielle Strategie Russlands in der Krise um Syrien ist die Nichteinmischung. Waffenlieferungen und die engen Verbindungen mit dem Assad-Regime sprechen jedoch eine andere Sprache. Tatsächlich ist das Überleben des syrischen Präsidenten eng verknüpft mit dem Wohlwollen Moskaus. Für den Kreml gilt der syrische Präsident nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung. Die offizielle Nichteinmischungspolitik von Seiten Russlands und Chinas kommt nicht von ungefähr. In beiden Vielvölkerstaaten wird ein erhebliches soziales und sozioökonomisches Spannungspotenzial vermutet. Das Beispiel der arabischen Revolutionen könnte in Moskau und Peking Schule machen.

Fraglich ist, bis zu welchem Preis Russland und China im Falle Syriens bereit sind, ihre umstrittene Linie im Sicherheitsrat fortzuführen. Denn auch in Moskau wird zunehmend erkennbar, dass Veränderungen in Syrien kaum noch aufzuhalten sind und die Kompromissbereitschaft der kämpfenden Akteure weiter gegen Null strebt. Der Vorschlag Russlands, eine Syrien-Konferenz unter Beteiligung aller Kräfte in Moskau abzuhalten, zeigte sich nicht ausreichend durchdacht. Die Idee, Russland die Initiative zu überlassen, wurde in Washington rasch verworfen, ebenso wie der Vorschlag, Staaten wie den Iran zu beteiligen. Auch Vertreter der vom Westen bereits anerkannten syrischen Opposition lehnten den Vorschlag Russlands ab. Sie verlangen einen Konferenzort auf arabischem Terrain, eine Entschuldigung Russlands für seine bisherige "Blockadehaltung" und ein vorheriges Abtreten des syrischen Präsidenten.

Moskaus Agitieren im Syrien-Konflikt ist stark machtpolitischen Erwägungen unterworfen. Unvergessen bleibt in Moskau, dass den Russen im Falle Libyens Aufträge über Waffenlieferungen und Bohrkonzessionen in Höhe von etwa zehn Milliarden Dollar wegbrachen – allein, weil die Nato ihren UN-Auftrag zu ihren Gunsten ausweitete. Dem Westen gelang es dadurch, in Libyen neue Verträge zur Ölförderung mit der Übergangsregierung abzuschließen und dadurch seine Energieabhängigkeit von Russland zu verringern. Russland fühlte sich somit doppelt geschädigt. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Moskau heute alles versucht, seinen Einfluss in Syrien aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt eine russische Marinebasis in Syrien (bei Tartus), die der russischen Flotte im Mittelmeer mehr strategisches Gewicht verleiht. Der Ort Tartus scheint gut gewählt, liegt er doch in Nähe der Ölverladestation der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (im türkischen Ceyhan). Von dort aus werden große Mengen kaspischen Öls in Richtung Westeuropa verschifft. Russland hätte somit im Bedarfsfall schnell Einfluss auf Teile der Energieversorgung der EU.

Rolle der Türkei

Von allen Staaten der Region hat die Türkei durch die Syrien-Krise die größten Folgewirkungen zu verzeichnen. Gewinner- und Verliererrolle liegen hier ganz dicht beieinander. Einerseits eröffnet der "Arabische Frühling" der Türkei neue Chancen. So könnte das politische System der Türkei – eine Verbindung demokratischer Grundelemente mit einer islamischen Wertetradition – ein realistisches Modell für die Zukunft Syriens werden. Für die in Ankara regierende sunnitisch geprägte AKP dürfte der Gedanke einer möglichen sunnitischen Regierung im südlichen Nachbarland durchaus Sympathien hervorrufen. Die Tatsache, dass es der Türkei gelang, im Zuge der "Arabellion" ihren Einfluss in der arabischen Welt zu stärken, ließ Kritiker vermuten, Ankara versuche, dem "osmanischen Geist" neues Leben einzuhauchen. Eine Distanzierung zu Israel passte hier durchaus ins türkische Konzept.

Andererseits wurde die Türkei durch den Konflikt in Syrien in Mitleidenschaft gezogen. Sie kämpft derzeit mit den folgenden Problemstellungen, die sich aus der veränderten Lage an der Südgrenze ergeben haben.

Beeinträchtigung der eigenen Sicherheitslage.

Mehrfach wurde die Türkei bereits zum Ziel von Angriffen von syrischer Seite. Neben eingeschlagenen Mörsergranaten ist hier der Abschuss einer türkischen Phantom-Maschine im Juni 2012 zu nennen. Assads Interesse an Zusammenstößen mit der Türkei ist denkbar gering. Der Nato gäben sie eine Legitimation, in Syrien zu intervenieren. Fest steht aber, dass türkisches Staatsgebiet heute – neben dem Libanon – der wichtigste logistische Rückzugsraum für die Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) ist. Das türkisch-syrische Grenzgebiet könnte damit zum eigentlichen Ausgangsgebiet der Destabilisierung des Assad-Regimes werden, möglicherweise auch als Aufmarschgebiet im Falle einer notwendigen Invasion. Um weitere Probleme, wie etwa den schwer kontrollierbaren Waffenhandel, von eigenem Territorium fernzuhalten, setzt sich die Türkei für die Errichtung einer "humanitären Schutzzone" auf nordsyrischem Gebiet ein. Schon heute sind einige Grenzübergänge nicht mehr unter Kontrolle der syrischen Regierung, sondern in Rebellenhand. Dem Schmuggel ist damit Tür und Tor geöffnet. Auch zahlreiche Flüchtlinge nutzen die Schlupflöcher. Bis Anfang 2013 sollen insgesamt drei Millionen Flüchtlinge Syrien verlassen haben – ein Großteil in die Türkei, einige nach Jordanien und in den Libanon.

Scheitern der "Null-Problem-Politik".

Das strategische Konzept der Türkei, eine Null-Problem-Politik mit allen Nachbarn führen zu wollen, brach mit Ausbruch der Syrien-Krise in sich zusammen. Tatsächlich liegt die Türkei heute mit fast allen Nachbarn im Streit. Hatte Ankara sich den Syrern politisch noch vor wenigen Jahren stark angenähert und visafreien Verkehr beschlossen, so gelten die offiziellen Beziehungen nunmehr als völlig zerrüttet. Gleiches gilt für die Beziehungen zum Iran, dem Partner Syriens. Teheran drohte der Türkei bereits, eine Einmischung in Syrien auch als Einmischung in eigene Angelegenheiten zu betrachten. Extrem verschlechtert haben sich auch die Beziehungen der Türkei zu Russland. Hintergrund ist nicht nur die grundsätzliche Pro-Assad-Haltung Moskaus, sondern auch das Aufbringen einer syrischen Verkehrsmaschine im Oktober 2012, die – aus Moskau kommend – waffentechnische Ersatzteile für Damaskus an Bord gehabt haben soll. Moskau wertete dies als unzulässigen Eingriff in die zivile Luftfahrt.

Zunehmende Spannungen in der Kurdenfrage.

Ein Gegner, den die Türkei seit Jahren bekämpft, könnte als großer Gewinner aus der Syrien-Krise hervorgehen – die Kurden. Ihre "Sache" dürfte jetzt neuen Auftrieb erhalten. Ein zusammenhängendes kurdisches Autonomiegebiet im Irak und in Syrien könnte in greifbare Nähe rücken, sollte es den Kurden in Syrien gelingen, sich vom politischen Einfluss in Damaskus zu lösen. Damit wären anschließend die Kurden im türkischen Anatolien unter Zugzwang, nämlich ihren Befreiungskampf gegen Ankara zu forcieren. Zu viel Autonomie für die Kurden dürfte international jedoch auf wenig Gegenliebe stoßen. Der geforderte Kurdenstaat, der wichtige Regionen mit Wasser- und Ölquellen entlang des oberen Euphrat und Tigris umfassen würde, könnte das strategische Gleichgewicht in Nahost in Schieflage bringen. Die Kurden selbst laufen Gefahr, in der Syrien-Krise instrumentalisiert zu werden. Getreu der Devise "der Feind meines Feindes ist mein Freund", unterstützt Syriens Staatschef Assad heute wieder die kurdische Bewegung gegen Ankara, die er noch kurz vor Ausbruch der Syrien-Krise bekämpft hatte. Den Kurden dürfte es recht sein, sollten sie damit ihrem eigenen Staat näher kommen. So erklärte die Führungsspitze der PKK (Partiya Karkeren Kurdistan, Arbeiterpartei Kurdistans), die im Westen als terroristisch eingestuft wird, im Falle eines türkischen Angriffes gegen Assad wolle man auf dessen Seite kämpfen.

Saudi-Arabien und Katar

Sowohl Saudi-Arabien wie auch Katar geben sich innerhalb der Arabischen Liga als "Vorreiter" im Kampf gegen Assad. Ihr starkes Engagement für einen Sturz des syrischen Regimes dürfte dem Misstrauen gegenüber dem mit Syrien verbündeten Iran geschuldet sein, das schon bald die Atombombe besitzen könnte. Der Konkurrenzkampf der Golfanrainer hat eine lange Tradition. Noch heute fürchten sunnitische Muslime ein Übergreifen der schiitischen Revolution in die schiitisch geprägten Golfregionen um Bahrain und Oman. Saudi-Arabien hingegen sieht jetzt die Gelegenheit, den sunnitischen Islam als zukünftige politische Kraft in der saudischen Peripherie zu stärken. Die Unterstützung der sunnitisch geprägten syrischen Opposition gilt als ein Baustein ihres Konzeptes. In Ägypten scheint das Konzept mit der Machtübernahme der Muslimbrüder bereits aufgegangen. Riad geht es nicht um demokratische Reformen, sondern um den Erhalt des Islams in seiner puritanischen Form.

Katars Anliegen in der Syrien-Krise könnte auf die Erschließung neuer Verbindungswege für den Abtransport eigenen Öls in Richtung türkischer Mittelmeerküste zurückzuführen sein. So sollen bereits entsprechende Verhandlungen mit der Türkei geführt worden sein, dazu auch syrisches Territorium zukünftig einzubeziehen. Das Nachsehen hätte klar Russland, das einmal mehr an Einfluss bei der Energieversorgung der EU verlieren würde. Katars Rolle in den arabischen Umbrüchen, darunter auch in Syrien, darf nicht unterschätzt werden. Die finanziellen Mittel für die syrische Opposition fließen zwar weitgehend aus Saudi-Arabien, der Informationsfluss und die Verbreitung von Nachrichten steuert aber zu einem Großteil der in Katar ansässige Sender Al-Dschasira. Er gilt als Assad-kritisch, und hat – auch in der arabischen Welt und in Syrien selbst – hohe Einschaltquoten und damit Einfluss auf die Meinung der Bevölkerung.

Neues Feld für Islamisten und al-Qaida-Aktivisten

Der Beginn des "Arabischen Frühlings" traf Aktivisten von al-Qaida sowie militante Dschihadisten weitgehend unvorbereitet. Im Falle Syriens hingegen werden jetzt "Versäumnisse" nachgeholt, sodass US-Behörden von einer "Wiederauferstehung" al-Qaidas im Nahen Osten sprechen. US-Geheimdienstkoordinator James Clapper warnte bereits im Februar 2012 vor einer Unterwanderung der syrischen Rebellen durch al-Qaida. Ziel scheint nun, durch dschihadistische Ideologie und Kampfführung eine neue Operationsbasis in Syrien aufzubauen, das Assad-Regime zu stürzen, einen Schutzraum für den sunnitischen Islam zu entwickeln und neue Rekruten für sich zu gewinnen.

Als "Galionsfigur" steht der Chef-Ideologe und benannte Nachfolger bin Ladens, Ayman al-Zawahiri, im Vordergrund. Er rief bereits Anfang 2012 Muslime in aller Welt in einem emotionalen Propaganda-Video zur Teilnahme am Kampf des syrischen Volkes gegen den Diktator Assad auf. Dem folgten weitere Videoclips, so am 13. September 2012, in dem Zawahiri sich besonders an die Muslime im Irak wandte und die Umwandlung Syriens in einen islamischen Staat nach der Befreiung vom Assad-Regime forderte. Zudem bezeichnete er Syrien als Sprungbrett und Brücke zur Eroberung Jerusalems. Es ist davon auszugehen, dass die Aufrufe Zawahiris unter Radikalen auf gewisse Resonanz gestoßen sind. Seit Mitte 2012 scheint Syrien "zum Magneten für selbst ernannte Gotteskrieger geworden zu sein – ein neuer Hotspot auf der Weltkarte des Terrorismus". Dschihadistische Webseiten präsentieren regelmäßig die Namen der in Syrien gestorbenen Kämpfer oder Selbstmordattentäter. Diese "Märtyrer" kommen nicht nur aus Syrien, sondern auch aus Libyen, Ägypten, Jordanien und dem Irak sowie Europa; darunter sollen sich auch Deutsche befinden.

Unter den syrischen Aufständischen sind somit tatsächlich zahlreiche ausländische Dschihadisten präsent. Der Regierung Assads gibt dies die Chance, die Opposition unter anderem als "Terroristen" zu bezeichnen, die vom Ausland gesteuert seien und die es zu bekämpfen gelte. Was viele zunächst als billige Propaganda der syrischen Regierung bewerteten, scheint sich in manchen Punkten in zynischer Weise zu bestätigen. Die genaue Zahl der in Syrien eingesickerten "ausländischen Religionskämpfer" ist allerdings umstritten. Manche Fachleute befürchten, Syrien würde mittlerweile geradezu "überflutet" von islamistischen Kämpfern mit Kontakten zu al-Qaida. Die meisten gelangten über die Türkei und den Grenzübergang Bab al-Hawa ins Land, an dem syrische Rebellen die Kontrolle ausüben. Al-Qaida sei somit dabei, "einen irakisch-syrischen Ableger" aufzubauen.

Andere Experten halten dagegen. Al-Qaidas direkte Involvierung in den Syrien-Konflikt würde von den Medien weit übertrieben. Die Gefahr einer Unterwanderung der syrischen Opposition durch islamistische Kommandos sei zwar höher als in Libyen, Ägypten oder Tunesien. Der Anteil von al-Qaida-Kadern sowie anderer Dschihadisten aus dem Ausland sei im Falle Syriens jedoch vergleichsweise gering. Für die bewaffnete Opposition in Syrien nennen sie Zahlen von etwa 50.000 Mann, darunter vermutete tausend ausländische Kämpfer.

Auch wenn genaue Zahlen spekulativ sind, fest steht, dass der Modus Operandi von al-Qaida-Aktivisten auf dem syrischen Schlachtfeld höchst effektiv ist. Ein ganzes Bündel islamistischer Kampfverbände, so die Vermutung, formiere sich zu einem gemeinsamen Netzwerk – darunter Teile der al-Qaida aus dem Irak, syrische Aufständische wie die Abdullah Azzam Brigaden und Fatah al-Islam sowie salafistische Dschihadisten aus dem angrenzenden Jordanien. Diese Widerstandszirkel operieren weniger durch das Einschleusen größerer Kontingente an Kämpfern, als vielmehr durch logistische Unterstützung des Aufstands. Sie geben Einsatzhilfen, schicken "Ausbilder" und Personen mit Erfahrungen im Bau von Sprengbomben, die sich unter anderem für Selbstmordattentate eignen. US-Geheimdienstkreise bestätigten Anfang 2012 diese Vorgehensweise in Form geheim operierender Zellen. Diese seien in organisierte Netzwerke eingebunden – die Kommunikation und Kooperation auf der Kommandoebene sei von weit höherer Effektivität als früher im Irak und Afghanistan.

Eine Gruppe religiöser Radikaler sticht in Syrien heraus – Dschabhat al-Nusra. Diese Dschihadistengruppierung gilt als erheblich gefährlicher als die ausländischen Kämpfer der al-Qaida. Al-Nusra ist in Syrien selbst beheimatet und kann sich daher auf weit größere Akzeptanz und Unterstützung aus breiten Kreisen der Bevölkerung verlassen als andere. Der vollständige Name bedeutet soviel wie "Unterstützungsfront für das syrische Volk". Erstmals trat die Formation im Januar 2012 militärisch in Erscheinung. Seither zieht die Gruppe fast täglich Berichte über eine Beteiligung an Attentaten nach sich. Ihr Kampf gegen das säkulare Assad-Regime ist gekennzeichnet von Suizidaktionen und Bombenanschlägen. Taktisch und operativ sind eindeutige Parallelen zu al-Qaida zu erkennen. Dies gilt auch für die ideologische Ebene, denn auch Dschabhat al-Nusra propagiert die Errichtung eines Kalifats.

Ob eine Beziehung tatsächlich besteht und in welchem Maße, muss hinterfragt werden. Bisher hat sich keine der beiden Organisationen in ihren Erklärungen jeweils auf die andere bezogen oder diese erwähnt. Auffällig ist zudem, dass al-Nusra – im Vergleich zu al-Qaida – versucht, bei inszenierten Anschlägen die Anzahl ziviler Opfer in Grenzen zu halten. Auf diesem Sektor scheint die syrische Gruppierung offensichtlich aus den "Fehlern" al-Qaidas im Irakkrieg gelernt zu haben. Auch Videos mit Geiseln oder brutalen Enthauptungsszenen, wie sie phasenweise unter dem Logo al-Qaidas im Irak die Weltöffentlichkeit schockten, werden vermieden. Dies bringt der Gruppe Kredit bei Teilen der syrischen Bevölkerung ein und wird von anderen Widerstandskommandos "honoriert". Auch die "Professionalität" der al-Nusra-Kader auf dem Gefechtsfeld ist zu beachten. Spätestens mit dem "erfolgreichen" Attentat Mitte 2012, bei dem ein großer Teil des inneren syrischen Regierungszirkels den Tod fand, machen Spekulationen die Runde, wonach Teile der Organisation auch den Regierungsapparat von Assad unterwandert haben könnten. Ihre Verfolgung dürfte syrischen Geheimdienstkreisen aufgrund der dezentralen Operationsweise und intransingenten Strukturen erhebliches Kopfzerbrechen bereiten.

Zukunftsszenarien

Je stärker sich extremistische, vom Dschihad motivierte Zellen und Kader in Syrien fortpflanzen und das Einsickern ausländischer Kämpfer anwächst, umso leichter wird es für al-Qaida und verwandte Gruppen sein, über ihre Ableger im Irak und auf der arabischen Halbinsel logistisches Know-how und finanzielle Hilfe nach Syrien zu transferieren. Der Ausgang dieser Entwicklung ist noch offen, allerdings besteht die Gefahr, dass die eigentlichen Anliegen des syrischen Aufstands, der als Volkserhebung gegen das diktatorische Assad-Regime begann, am Ende nur noch eine Nebenrolle spielen und das Land nach einem Sturz des Diktators in noch größere Zerrissenheit zerfällt.

Ein weiteres Schreckensszenario könnte der ungeklärte Verbleib der syrischen C-Waffen werden. Al-Qaida-Aktivisten, religiöse Fundamentalisten und radikale Organisationen wie die Hisbollah werden ihre Möglichkeiten sorgfältig ausloten, dieser Systeme habhaft zu werden. Im Falle Libyens soll es Dschihadisten gelungen sein, größere Bestände von Gaddafis Boden-Luft-Raketen in den Gazastreifen zu transferieren und der radikalen Hamas zugänglich zu machen. In Syrien ist ähnliches – nur in weitaus größeren Dimensionen – zu befürchten, sollte der UN-Sicherheitsrat sich weiter unentschlossen zeigen. Eine Proliferation vorhandener chemischer Waffen könnte zu militärischen Kettenreaktionen führen und die gesamte Region in Mitleidenschaft ziehen. Es bleibt zu hoffen, dass eine mögliche zukünftige "Rebellenregierung" in Syrien bereit ist, die gefährlichen Waffensysteme kontrolliert zu übergeben – vielleicht im Gegenzug für ihre endgültige Anerkennung. Die UN wäre gut beraten, bereits jetzt Pläne hierfür auszuarbeiten. Vielleicht könnte dies der Startschuss sein für vertrauensbildende Maßnahmen im Nahen Osten, dem zu wünschen ist, eines Tages eine massenvernichtungswaffenfreie Zone zu werden.

Dr. phil., Dipl.-Geogr., geb. 1966; Lehrbeauftragter an der Universität Bonn, Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Lennéstraße 27, 53113 Bonn. E-Mail Link: kk.jaeger@web.de

Studiendirektor a.D.; seit 2003 Direktor des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik (IFTUS), seit 2012 erweitert als Institut für Krisenprävention, Girardetstraße 1–5, 45131 Essen. E-Mail Link: r.tophoven@t-online.de