Unabhängigkeit war nicht unbedingt die zentrale Forderung aller antikolonialen Gruppen und Bewegungen – eine Tatsache, die ein wenig verschleiert wurde durch die Art und Weise, wie der Prozess der Unabhängigkeitswerdung von den politischen Eliten im postkolonialen Afrika inszeniert wurde. Einige von denen, die später als "Väter der Unabhängigkeit" bezeichnet wurden, haben sich sogar öffentlich gegen diese Option ausgesprochen wie der Senegalese Léopold Sédar Senghor; er erklärte im August 1958, dass die Unabhängigkeit eine "Katastrophe" wäre, wie der Historiker Ibrahima Thioub erinnert. Nur zwei Jahre später, 1960, erlangten 17 afrikanische Länder – darunter der Senegal – den Status eines unabhängigen Landes. Die Bewegungen, welche die Kolonialordnung infrage stellten, verfolgten sehr unterschiedliche Forderungen und Strategien. Waren sie "antikolonial", "nationalistisch", "separatistisch"? Die Antwort hängt sehr vom jeweiligen Land und vom Zeitraum ab, der betrachtet wird. Im Folgenden wird anhand von Beispielen gezeigt, was die Aktivisten beeinflusste und welches ihre Hauptforderungen und Strategien waren.
Zunächst lassen sich einige charakteristische Merkmale anführen, die allen Bewegungen gemein waren: Eine maßgebliche Rolle spielte der Zugang zur Bildung; viele der Aktivisten waren Lehrer, Ärzte oder Anwälte. Auch der Kontakt mit anderen Gesellschaften und ihren Lebenswelten beeinflusste sie: Viele hatten Europa während des Zweiten Weltkrieges als Soldaten erlebt und "nebenbei herausgefunden", dass auch Weiße untergeordnete Tätigkeiten verrichten konnten. Einige hatten US-amerikanische oder europäische Universitäten besucht und Kontakte zu den Gewerkschaften in diesen Ländern geknüpft. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor war die Idee des Sozialismus – häufig neu interpretiert, um die Realitäten des Kontinents, insbesondere die unterschiedlichen Gesellschaftsmodelle, besser abzubilden. Der Panafrikanismus und die Idee einer afrikanischen Besonderheit, die sich in einer Art politischer Einheit konkretisieren konnte, hat zahlreiche "nationalistische" Führer geprägt. Auch Mahatma Gandhis Weg der gewaltfreien Aktion in Indien war ein wichtiger Impuls. Dennoch haben einige Bewegungen, die sich auf ihn beriefen, am Ende den bewaffneten Kampf gewählt, um ihre Ziele zu erreichen.
Die Frage der Gewaltanwendung hat auch die folgende Auswahl der Beispiele ein Stück weit vorgegeben: Hier haben wir den Fall Ghanas, wo die wichtigste nationalistische Bewegung mit friedlichen Mitteln an die Macht gelangte, oder Kameruns, wo der bewaffnete Kampf auf die Liquidierung der wichtigsten separatistischen Führer hinauslief, und schließlich Algeriens, wo sich die Nationalisten nach langem Krieg gegen die Kolonialmacht durchsetzten.
Algerien: Ende einer Illusion
Algerien wurde in Frankreich als Bestandteil des französischen Mutterlandes betrachtet. Es war die einzige wirkliche französische Siedlungskolonie in Afrika. 1960 lebten rund eine Million Europäerinnen und Europäer, darunter besonders viele aus Spanien und Italien, in Algerien – das waren etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung. Dass es Frankreich gelang, das Land auch nach dem Ersten Weltkrieg unter Kontrolle zu halten, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Teile der algerischen Elite an die Idee der "Assimilierung" glaubten, das Versprechen, auf Dauer zu gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern Frankreichs zu werden – ein Phänomen, das man in zahlreichen früheren Kolonien Frankreichs findet.
Doch wurde dieses Versprechen nie eingelöst, und das "algerische Bürgertum" begann, sich Gehör zu verschaffen. Der Historiker Bernard Droz, Autor des Buches "Geschichte der Dekolonisation im 20. Jahrhundert", schrieb, dass sich unter "diesem Einfluss eine erste Opposition abzeichnete, die Bewegung der ‚Jeunes Algériens‘, die um 1910 erstmals in Erscheinung trat".
Die erste Organisation, die offen die Unabhängigkeit des Landes forderte, war Étoile nord-africaine (Nordafrikanischer Stern). 1926 in Frankreich gegründet, strebte er die Vereinigung der aus dem Maghreb stammenden Arbeiterinnen und Arbeiter an, welche die Kolonialordnung bekämpfen wollten. Entstanden unter dem Einfluss der Parti communiste française (PCF) (Kommunistische Partei Frankreichs) löste er sich nach und nach von dieser und ging von einem maghrebinischen zu einem algerischen Nationalismus über. Eine seiner wichtigsten Forderungen war die Einrichtung von Schulen, in denen in arabischer Sprache gelehrt werden sollte. Zudem forderte er das Wahlrecht für alle und die Abschaffung des Code de l’indigénat (der einen rechtlichen Status begründete, durch den die Einheimischen Algeriens diskriminiert wurden, und der 1946 außer Kraft gesetzt wurde), zudem räumte er der Religion des Islams einen wichtigen Platz ein. Aus den Reihen des wiederholt verbotenen Étoile kam schließlich auch derjenige, der zum Begründer des algerischen Nationalismus werden sollte: Messali Hadj.
Weit weniger radikal in seinen Forderungen war Ferhat Abbas, der eher die Elite des Landes vertrat, die eine Assimilierung befürwortete. Abbas, Apotheker und Journalist, ging in den 1930er Jahren in die Politik. Auch er lehnte den Code de l’indigénat ab. Während des Zweiten Weltkriegs unternahm er zunächst einen Vorstoß bei den Behörden des Vichy-Regimes (1940–1944), dann bei den Exilstreitkräften der Widerstandsbewegung für ein freies Frankreich, um Zusagen hinsichtlich erweiterter Rechte für die muslimische Bevölkerung in Algerien zu erwirken – ohne Erfolg.
Diese Fehlschläge veranlassten ihn, im Februar 1943 das Manifeste du peuple algérien (Manifest des algerischen Volkes) zu veröffentlichen, in dem er die gleichberechtigte Teilhabe aller Einwohnerinnen und Einwohner Algeriens in politischen Angelegenheiten und eine eigene Verfassung forderte. Von einem Bruch mit Frankreich war noch immer keine Rede; es ging vielmehr um eine Art Föderalismus. Abbas sprach in dem Manifest auch die Frage der Landreform an (die Algerier hatten massive Enteignungen zugunsten der französischen Siedler hinnehmen müssen), und er forderte eine Anerkennung von Arabisch als gleichberechtigte Sprache neben dem Französischen. Auch die Rolle der Oulémas (islamische Rechtsgelehrte), die sich ebenfalls zu Beginn der 1930er Jahre organisierten, sollte nicht vernachlässigt werden. Sie haben zum Erwachen des algerischen Nationalismus beigetragen und propagierten die Rückkehr zur Reinheit des islamischen Glaubens, den sie der ausländischen Kolonialpolitik gegenüberstellten.
Keine der genannten Bewegungen, welche die Kolonialherrschaft verurteilten, stellte die Präsenz der Europäer in Algerien grundsätzlich infrage. Wie kam es dennoch zum bewaffneten Kampf und zum Fortzug der meisten Europäer, die doch zum Teil seit Generationen in Algerien gelebt hatten? Im Mai 1945, unmittelbar nach der Kapitulation Deutschlands, gerieten in Setif und Guelma, im Nordosten Algeriens, Feiern, die anlässlich dieses Ereignisses stattfanden, außer Kontrolle. Schüsse fielen, nachdem nationalistische Aktivisten eine algerische Flagge hochgehalten hatten. In der Region brachen Unruhen aus; etwa 100 Europäer wurden getötet. Im Zuge der folgenden Repression seitens der Kolonialverwaltung kamen mehrere Tausend Menschen ums Leben. Diese gewaltsamen Übergriffe stellten einen Wendepunkt in der Kolonialgeschichte Algeriens dar – und für einige Historiker auch in der Geschichte des französischen Kolonialismus. Die folgenden Jahre verliefen relativ ruhig, aber der politische Aktivismus schwächte sich nicht ab, im Gegenteil: Einige Gruppen trafen bereits Vorbereitungen für den bewaffneten Kampf. Laut Bernard Droz "verschaffte die Repression Algerien die trügerische Atempause eines friedlichen Jahrzehnts".
Ferhat Abbas setzte seine Bemühungen auf dem Gesetzesweg fort. Er gehörte der zweiten Verfassungsgebenden Versammlung in Frankreich an, deren Arbeit 1946 in der Verfassung der Vierten Französischen Republik mündete. Aber die weitreichendsten Anträge der einheimischen Repräsentanten – so plädierte Abbas an der Seite von Léopold Sédar Senghor für mehr Föderalismus – wurden in die endgültige Fassung nicht aufgenommen, und 1948 wurden die ersten Wahlen zur algerischen Nationalversammlung von den französischen Behörden manipuliert.
Die Popularität von Ferhat Abbas litt unter der politischen Blockade Frankreichs, und viele wandten sich Messali Hadj und seinem "integralen Nationalismus" zu. "Seine Partei, das Mouvement pour le triomphe des libertés démocratique (MTLD) (die Bewegung für den Sieg der demokratischen Freiheiten, S.M.), zählte nur einige Tausend Anhänger, erfreute sich aber einer nicht unbeträchtlichen Popularität unter Jugendlichen und algerischen Pfadfindern, ja sogar in den Gewerkschaften."
Acht Jahre später, im März 1962, war es dann auch der FLN, mit dem Frankreich die Verträge von Evian unterzeichnete, die den Weg in die Unabhängigkeit Algeriens bereiteten. Die Stellung der Europäer wurde an und für sich durch diese Verträge abgesichert. Aber in den folgenden Monaten veranlassten die veränderten Kräfteverhältnisse innerhalb der nationalistischen Bewegung sowie die blutigen Attentate der Organisation armée secrète (OAS) (Organisation der geheimen Armee) – einer undurchsichtigen Gruppe von Militärs, deren Ziel es war, Algerien als integralen Bestandteil Frankreichs zu erhalten – die Mehrzahl der Europäer zum Weggang. In dem nun zwischen den Nationalisten ausbrechenden Machtkampf konnte sich schließlich Ahmed Ben Bella (ein Veteran der MTLD von Messali Hadj, der beinahe die gesamten Kriegsjahre im Gefängnis verbracht hatte) mit seiner Groupe de Tlemcen gegen die provisorische Regierung durchsetzen, die 1958 gebildet worden war und sehr auf die internationale Anerkennung der algerischen Nationalbewegung hingewirkt hatte.
Im Juni 1962 wurde in Tripolis ein Programm formuliert. Auf politischer Ebene konnte sich die Option einer Einheitspartei durchsetzen. Auf wirtschaftlicher Ebene stellte das Programm laut Ferhat Abbas eine "schlecht verdaute Version des Marxismus" dar, so zitiert von der Historikerin Malika Rahal.
Kamerun: Ein vergessener Krieg
Togo und Kamerun nahmen einen besonderen Platz unter den französischen Gebieten ein. Die beiden Länder, frühere deutsche Kolonien, waren zu einem Teil Frankreich und zum anderen Teil Großbritannien überantwortet worden, zunächst in Form eines "Mandats" des Völkerbundes, dann als Treuhandgebiet der Vereinten Nationen – ein System, das ausdrücklich darauf zielte, die Entwicklung dieser Gebiete in Richtung Selbstverwaltung oder Unabhängigkeit zu fördern. "Das Dokument des Völkerbundes anempfahl besonders die territoriale Integrität Kameruns, die Freilassung und Gleichstellung der Sklaven, das Verbot der Zwangsarbeit,
Der Romanautor und Essayist Mongo Béti war einer der ersten Autoren, der in seinem Werk "Main basse sur le Cameroun" (Beschlagnahme des Kamerun),
Die Partei fand ihre Anhängerschaft insbesondere unter der ständig wachsenden städtischen Bevölkerung Kameruns. Die vorrangigen Ziele der Partei waren klar: sozialer und ökonomischer Fortschritt für alle Kameruner, die Wiedervereinigung beider Landesteile und die Unabhängigkeit – durch Gewaltlosigkeit. 1949 sandten der UPC angeschlossene Organisationen erste Petitionen an die Vereinten Nationen, in denen die Unabhängigkeit Kameruns gefordert wurde. Im Dezember 1952 wurde Um Nyobé eingeladen, vor dem Treuhandrat der Vereinten Nationen zu sprechen – ein historischer Akt für viele Kameruner. Um Nyobé forderte dort die sofortige Wiedervereinigung mit dem Norden des Landes unter britischer Vormundschaft und die Unabhängigkeit binnen zehn Jahren.
Um den wachsenden Einfluss der UPC zu bekämpfen, wurde eine Konkurrenzpartei gegründet, der Bloc démocratique camerounais (BDC) (Demokratischer Block Kameruns), der die von Frankreich befürwortete Assimilierung unterstützte. Im April und im Mai 1955 wuchs die Spannung zwischen den Anhängern beider Gruppierungen mit einem Schlage. Gewalttätigkeiten brachen aus. Die Repression der Kolonialverwaltung erfolgte mit harter Gewalt. "Man sah, wie die Truppe Afrikaner mit einer Art von sadistischer Gewalt niedermetzelte, sodass noch heute niemand die Zahl der Toten auch nur annähernd schätzen kann."
Um Nyobé, der dem bewaffneten Kampf noch immer zurückhaltend gegenüberstand, wurde von einigen Mitgliedern seiner Bewegung in dieser Frage überholt: Am Vorabend der Wahlen ermordeten Aufständische zwei von den kolonialen Siedlern unterstützte Kandidaten. Der bewaffnete Kampf begann zwar, aber die Nationalisten verfügten über wenig Mittel. Im Übrigen blieb ein großer Teil der Bevölkerung für Politik wenig empfänglich: "Ethnischer und sozialer Partikularismus, archaische Mentalitäten, extreme geografische Zersplitterung, Ignoranz und Mittellosigkeit – all dies trug dazu bei, die ländlichen Massen von der Politik fernzuhalten, das heißt sicherlich 80 Prozent der Bevölkerung."
Um Nyobé wurde am 13. September 1958 im Untergrund getötet. Einige Monate später, nachdem es Frankreich gelungen war, ihm genehme politische Führer durchzusetzen, gewährte es Kamerun die Unabhängigkeit,
Ghana: Accra als Hauptstadt des Panafrikanismus
Die Goldküste, das spätere Ghana, stellt aus mehreren Gründen einen Sonderfall im britischen Weltreich dar. "Das Land, über 40 Jahre wichtigster Kakaoproduzent der Welt, besaß eine vielseitige, prosperierende Landwirtschaft. Von allen afrikanischen Kolonien verfügte es über das fortschrittlichste Bildungssystem und das größte Reservoir an gut ausgebildeten Arbeitskräften", wie der Historiker Martin Meredith beschrieb.
Die britische Verwaltung erkannte die Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Reformen, deren Reichweite sie zu begrenzen wünschte. Sie glaubte zu wissen, mit wem sie zu regieren habe: mit der Intelligenzia des Landes, den Großbauern, Händlern, Anwälten. Letztere wurden seit 1947 von einer eigenen Partei vertreten, der United Gold Coast Convention. Sie forderten eine schnellstmögliche Selbstverwaltung
Die Parteiführung entschied, einen Mann anzuwerben, der sich hauptamtlich dem Aufbau dieser neuen Bewegung widmen konnte. Sie wandten sich an Kwame Nkrumah, der gerade zwölf Jahre im Ausland verbracht hatte. In den USA hatte er Wirtschaft, Theologie, Philosophie und Soziologie studiert und auch seine Leidenschaft für die panafrikanischen Theorien entdeckt. In London hatte er sich erstmals stärker politisch engagiert. Nkrumah, "ein bemerkenswerter Agitator und Organisator",
Tatsächlich wurden Wahlen abgehalten, erstmals nach dem direkten Wahlrecht. Nkrumah verbüßte da eine dreijährige Gefängnisstrafe. Die CPP erzielte einen großen Erfolg, und die britische Verwaltung stimmte zu, ihn vorzeitig zu entlassen und zum neuen "Führer der Regierungsgeschäfte", dann zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Die Tatsache, dass ein Schwarzer an die Spitze der Regierung aufrückte, löste auf dem afrikanischen Kontinent förmlich einen Schock aus, zumal er sich auf den Marxismus berief. Er strebte danach, Ghana zu einem industrialisierten, geeinigten und sozialistischen Land zu entwickeln – ein Modell, das sich nach seinem Willen sodann über ganz Afrika ausbreiten sollte.
Aber vorläufig unterstützten die neuen Institutionen in der Goldküste weiterhin den britischen Gouverneur, der weiterhin die Hand über Polizei, Justiz, Militär und Diplomatisches Corps hielt. Im Juli 1953 wandte sich Nkrumah an das Parlament, um die unverzügliche Selbstverwaltung zu fordern. 1954 wurde abermals eine neue Verfassung angenommen. Diesmal setzte sich die Regierung ausschließlich aus Afrikanern zusammen. Der Nimbus von Kwame Nkrumah in der Goldküste erreichte einen Höhepunkt. Aber er stieß nicht auf einhellige Zustimmung, auch in seiner eigenen Partei nicht; er sah sich mit Austritten konfrontiert. Überdies gefährdete der Verfall der Weltmarktpreise für Kakao den wirtschaftlichen Wohlstand und den sozialen Frieden. Die CPP errang 1956 dennoch einen klaren Wahlsieg. Am 6. März 1957 wurde Ghana zu einem unabhängigen Staat innerhalb des Commonwealth, mit Nkrumah als Ministerpräsident und der Königin von Großbritannien als Monarchin.
Alles in allem erlagen Afrikas politische Führer in der postkolonialen Periode häufig der Versuchung, ein autoritäres Regime zu errichten. Sie schoben das Argument vor, einen starken Staat schaffen zu müssen, der wenig oder gar keinen Platz für politische Opposition ließ. Nur wenige Länder auf dem Kontinent erlebten keinen Staatsstreich – und das Thema bleibt aktuell, wie die Beispiele Mali und Guinea-Bissau in diesem Jahr zeigen.