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Die UN-Kinderrechtskonvention: Der normative Rahmen

Anna Würth Uta Simon

/ 13 Minuten zu lesen

Mit der UN-Kinderrechtskonvention (Convention on the Rights of the Child, CRC) wurde 1989 ein bindendes internationales Abkommen über die Rechte des Kindes geschaffen. Es legt die Rechtsansprüche von Kindern und die korrespondierenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten nieder sowie die Auswirkungen auf das Handeln anderer Verantwortlicher, darunter Eltern und Lehrkräfte.

Schon vor der Verabschiedung der CRC waren Kinderrechte integraler Bestandteil des internationalen Menschenrechtsschutzes. So entspricht der Großteil der in der CRC enthaltenen Rechte den Garantien früherer internationaler Menschenrechtsabkommen, die für alle Menschen gelten, oder ist eng an sie angelehnt. Die Kinderrechtskonvention schafft also keine Sonderrechte, sondern formuliert die Rechte von Kindern vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrer Bedürfnisse nach Daseinsvorsorge und Schutz.

Die CRC gilt als annähernd einvernehmliches völkerrechtliches Instrument: 193 Staaten haben sie ratifiziert, davon die Hälfte innerhalb von zwei Jahren nach Verabschiedung durch die UN-Generalversammlung. Lediglich Somalia und die USA fehlen; sie haben die CRC nur unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Mit der Ratifizierung gehen Staaten freiwillig eine rechtlich bindende Verpflichtung ein, nämlich die Menschenrechte von Kindern zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Darüber müssen sie regelmäßig berichten und sich einem Prüfungsverfahren durch den UN-Kinderrechtsausschuss, einem gewählten Gremium internationaler Experten und Expertinnen, unterziehen.

Die CRC wird ergänzt durch sogenannte Zusatzprotokolle, denen die Vertragsstaaten zusätzlich zur Kinderrechtskonvention beitreten können (daher auch "Fakultativprotokolle" genannt). Zwei dieser Protokolle aus dem Jahr 2000 konkretisieren einzelne Bestimmungen der CRC zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und vor Zwangsrekrutierung in bewaffneten Konflikten. Ein drittes Zusatzprotokoll steht seit Februar 2012 zur Ratifizierung offen, ist aber noch nicht in Kraft. Es wird nach dem Vorbild anderer Menschenrechtsabkommen ein Individualbeschwerde-Verfahren schaffen, mit dem Kinder ihre Rechte vor dem UN-Kinderrechtsausschuss geltend machen können.

Als Kind im Sinne der CRC gilt, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die CRC definiert Kinder jeglichen Alters als Träger und Trägerinnen von eigenen Rechten, die sie selbstständig ausüben können – darin liegt ein Kern der CRC. Zwar unterstreicht sie die Fürsorgepflicht von Eltern und anderen Erziehungsberechtigten und erkennt deren Rechte an. Da Kinder aber als eigenständige Rechtssubjekte behandelt werden, formuliert die CRC vor allem eigenständige Rechtsansprüche von Kindern gegenüber dem Staat und dessen korrespondierende Verpflichtung. Das Recht aller Kinder auf Bildung korrespondiert so mit der staatlichen Verpflichtung, den Besuch der Grundschule für alle Kinder verpflichtend und unentgeltlich zu machen. Die in der CRC enthaltenen Rechte haben unterschiedslos alle Kinder auf dem Gebiet eines Staates, unabhängig von ihrer Identität oder ihrer Staatsangehörigkeit. Daneben bindet die CRC das Handeln von Staaten auch außerhalb ihres Staatsgebiets, etwa in der Außen- und Entwicklungspolitik (sogenannte extraterritoriale Staatenpflichten).

Inhalte der Kinderrechtskonvention

Die Kinderrechte werden in der Regel in drei Kategorien eingeteilt:

  • Rechte auf Schutz: Kinder haben ein Recht auf besonderen Schutz durch Staaten;

  • Rechte auf Beteiligung: Kinder haben ein Recht, gehört zu werden. Dieses Recht gilt bei allen Angelegenheiten, die sie betreffen (etwa in der Bildung oder bei Sorgerechtsfragen), sowie auch in der Gesellschaft insgesamt;

  • Rechte auf Entwicklung und Förderung: Kinder haben Rechte, die Grundbedürfnisse betreffen, etwa auf einen angemessenen Lebensstandard (sauberes Trinkwasser, Ernährung, angemessene Unterbringung), auf Gesundheit oder Bildung.

Zu den Schutzrechten zählen diejenigen Rechte, die der besonderen Verletzlichkeit von Kindern und jungen Menschen Rechnung tragen. Zu ihnen gehören besondere Regeln, zum Beispiel im Strafvollzug, wo Minderjährige unter anderem getrennt von Erwachsenen unterzubringen sind. Die Schutzrechte umfassen auch den Schutz vor jeglicher Form von körperlicher oder psychischer Gewalt, den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten, Schutz vor sexuellem Missbrauch und vor schädlicher Kinderarbeit.

Die Umsetzung der Schutzrechte von Kindern wird auch von UN-Sonderbeauftragten überwacht. Dazu zählen die Sonderberichterstatterinnen zum Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie sowie zum Menschenhandel, besonders mit Frauen und Kindern. Im Jahr 1996 ernannte der UN-Generalsekretär eine Sonderbeauftragte für Kinder und bewaffnete Konflikte und 2007 eine Sonderbeauftragte zu Gewalt gegen Kinder. Alle Sonderbeauftragten erstellen öffentliche Berichte, sprechen Empfehlungen an Regierungen aus und untersuchen in ausgewählten Ländern die Lage vor Ort.

Die Beteiligungsrechte von Kindern umfassen unter anderem das Recht auf Informationsfreiheit sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Auch Minderjährige haben diese bürgerlichen und politischen Rechte, und zwar unabhängig von ihren Eltern und anderen Erziehungsberechtigten. Die Form und der Grad der eigenständigen Ausübung dieser Rechte hängen von Alter und Reife eines Kindes ab. Dieses Prinzip der evolving capacities of the child gilt auch für die Beteiligung und Anhörung von Kindern, besonders in Gerichts- und Verwaltungsfragen, die das Kind betreffen. Staat und Behörden müssen dabei aktiv Bemühungen für eine altersgemäße Beteiligung auch jüngerer Kinder unternehmen. Dazu gehört zum Beispiel die Aufbereitung von Informationen für Kinder und Jugendliche oder die Einrichtung von Institutionen und Verfahren, die für sie zugänglich sind.

Zu den Entwicklungs- und Förderrechten zählen das Recht auf angemessene Lebensbedingungen, einschließlich vollwertiger Nahrungsmittel, sauberen Trinkwassers und angemessener Unterbringung. Eng damit verknüpft ist das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und auf Gesundheitsvorsorge. Die Konvention enthält dazu konkrete Vorgaben, so die Verpflichtung zur Bekämpfung von Säuglings- und Kindersterblichkeit oder zur Überwindung von kulturell gerechtfertigten Praktiken, die für die Entwicklung des Kindes schädlich sind (zum Beispiel weibliche Genitalverstümmelung). Das Recht auf Bildung umfasst unentgeltliche Grundbildung, Zugang zu weiterführenden Schulen und Hochschulen sowie die Förderung von Berufsberatung. Bildung soll dabei auf die volle Entfaltung der Fähigkeiten des Kindes ausgerichtet sein und sowohl kulturelle als auch Menschenrechts- und Umweltbildung einbeziehen.

Daneben legt die CRC das Recht jedes Kindes auf Freizeit, Spiel und Teilnahme am kulturellen Leben fest. Kinder mit Behinderungen haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und spezielle Förderung und Betreuung, und alle Kinder – einschließlich Kinder aus religiösen oder kulturellen Minderheiten – haben das Recht, ihre Kultur auszuüben.

In die Gruppe der Entwicklungs- und Förderrechte fallen auch die Rechte auf eine Identität, auf Registrierung bei der Geburt und auf eine Nationalität, die für die Ausübung aller Menschenrechte eine Grundvoraussetzung sind. Kinder haben darüber hinaus das Recht, ihre Eltern zu kennen und mit den Eltern zu leben – außer, wenn es dem Kind schadet. Kinder, die von ihren Eltern getrennt werden, haben ein Recht auf besonderen Schutz durch den Staat, zum Beispiel bei Binnenmigration oder Flucht ohne die Eltern.

Staatenpflichten zur Umsetzung der Kinderrechte

Die Umsetzung der Kinderrechtskonvention ist Aufgabe jedes Vertragsstaates in seinem Staatsgebiet. Vertragsstaaten sind zur Achtung (respect), zum Schutz (protect) und zur Gewährleistung (fulfill) der in der Konvention enthaltenen Rechte verpflichtet.

  • Achtungspflichten fordern, dass der Staat Kinder nicht an der Ausübung ihrer Rechte hindert und dafür Sorge trägt, dass Kinderrechte durch staatliche Akteure wie Lehr- oder Polizeikräfte nicht missachtet werden.

  • Schutzpflichten betreffen den Schutz von Kindern vor nichtstaatlichen Akteuren, die der Herrschaftsgewalt des Staates unterstehen. Der Staat muss Kinder vor Übergriffen durch ihre Eltern oder Familienangehörige genauso schützen wie vor Ausbeutung durch privatwirtschaftliche Unternehmen.

  • Gewährleistungspflichten beziehen sich auf alle weiteren Maßnahmen zur Umsetzung der Kinderrechte. Dazu gehören zum Beispiel kindgerechte und zugängliche Rechtsbehelfe sowie am Kindeswohl orientierte nationale Wirtschafts- und Sozialpolitiken, außerdem Schritte zu deren Realisierung wie Infrastrukturmaßnahmen, die sicherstellen, dass es ausreichend Schulen oder Krankenhäuser gibt.

Kinderarbeit

Kinderarbeit ist schädlich und nach Artikel 32 der UN-Kinderrechtskonvention (CRC) verboten, wenn sie die Entwicklungschancen von Kindern untergräbt. Das gilt für solche Arbeiten, die Kinder am Schulbesuch hindern, sowie für gefährliche Arbeiten, welche die Gesundheit und die körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes schädigen.

Das Verbot von schädlicher Kinderarbeit war bereits vor der CRC ein zentrales Anliegen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Zwei der heute gültigen ILO-Abkommen (Abkommen Nr. 138 von 1977 und Nr. 182 von 1999) verpflichten Vertragsstaaten zum Verbot und zur Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Dazu gehören Sklaverei und sklavereiähnliche Formen der Ausbeutung (wie Kinderhandel, Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung in bewaffneten Konflikten), sexuelle Ausbeutung, Kinderpornografie, und der Einsatz von Kindern bei der Produktion und im Schmuggel von Drogen.

Das CRC-Zusatzprotokoll zur Prävention des Kinderhandels, der Kinderprostitution und der Kinderpornografie konkretisiert die Staatenverpflichtungen zur Bekämpfung solch extremer Formen der Ausbeutung (siehe den Kasten zu den Staatenpflichten).


Wie in anderen Menschenrechtsverträgen auch gilt bei der Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Kindern der sogenannte Ressourcenvorbehalt: Staaten müssen Kinderrechte im Rahmen all ihrer verfügbaren Mittel schrittweise verwirklichen (progressive realization), wobei sie zielgerichtet und zweckmäßig vorgehen müssen. Sie dürfen dabei nicht diskriminieren und müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Rückschritte bei bereits verwirklichten Rechten zu vermeiden, also zum Beispiel keine Gebühren für Sekundarbildung einführen, wenn diese vorher kostenfrei war.

Übergreifende Prinzipien der Kinderrechtskonvention

Bei allen Maßnahmen zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention müssen Staaten vier übergreifende Prinzipien berücksichtigen:

Nichtdiskriminierung: Die Rechte der Konvention gelten für alle Kinder. Daher müssen staatliche Organe einzelne Kinder und Gruppen von Kindern identifizieren, die benachteiligt oder diskriminiert werden und geeignete Maßnahmen zu ihrer Förderung ergreifen. Kinder dürfen auch nicht aufgrund des Status, der Tätigkeiten oder Anschauungen ihrer Eltern diskriminiert werden.

Vorrangige Erwägung des Kindeswohls (best interest of the child): Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen muss das Kindeswohl vorrangig Berücksichtigung finden. Nach Auffassung des Kinderrechtsausschusses sind alle staatlichen Institutionen (zum Beispiel in der Gesetzgebung, in der Verwaltung oder in der Rechtsprechung) gehalten, nach dem Wohl des Kindes zu handeln und systematisch zu prüfen, wie sich Entscheidungen auf die Rechte und Interessen von Kindern auswirken – ob direkt oder indirekt.

Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung: Das Recht aller Kinder auf Leben, Überleben und Entwicklung müssen Staaten in besonderer Weise achten und schützen. Dazu müssen sie Kindersterblichkeit bekämpfen, die Gesundheitsversorgung verbessern und weitere Maßnahmen ergreifen, welche die körperliche, emotionale, kognitive und soziale Entwicklung von Kindern fördern. Ziel ist es, die bestmöglichen Entwicklungschancen für alle Kinder zu schaffen.

Beteiligung des Kindes und Berücksichtigung seiner Meinung: Staaten müssen sicherstellen, dass Kinder an den sie betreffenden Maßnahmen beteiligt und ihre Meinungen berücksichtigt werden, und zwar entsprechend der Fähigkeit des Kindes, sich eine Meinung zu bilden.

Staatenpflichten zur Bekämpfung von Kinderarbeit

Den Schutz vor Ausbeutung und schädlichen Formen der Kinderarbeit dürfen Vertragsstaaten nicht mit Hinweis auf mangelnde Ressourcen aufschieben. Im Gegenteil: Sie müssen mit sofortiger Wirkung Maßnahmen gegen Kinderarbeit ergreifen. Dazu gehören die Einführung eines gesetzlichen Mindestalters für Erwerbstätigkeit, angemessene Regulierung von Arbeitszeiten und -bedingungen sowie die strafrechtliche Verfolgung ausbeuterischer oder verbotener Formen der Kinderarbeit. Daneben sollen Staaten Kinderarbeit auch durch soziale Maßnahmen und Bildung bekämpfen.

Im CRC-Zusatzprotokoll zur Prävention des Kinderhandels, der Kinderprostitution und der Kinderpornografie verpflichten sich die derzeit 158 Vertragsstaaten, diese Formen der Ausbeutung von Kindern nicht nur unter Strafe zu stellen, sondern bei der Verfolgung der Verbrechen eng zu kooperieren und unter allen Umständen für die Strafverfolgung von Verdächtigen zu sorgen – unabhängig davon, wo die Verbrechen begangen wurden (universelle Gerichtsbarkeit).


Der Kinderrechtsausschuss empfiehlt den Vertragsstaaten auch, dass sie zur Umsetzung der CRC einen nationalen Aktionsplan erstellen und auf Politikkohärenz achten, also darauf, dass die einzelnen Schritte stimmig und aufeinander abgestimmt sind. Geeignete Schulungs- und Ausbildungsprogramme sollen all jenen zur Verfügung stehen, die an der Umsetzung der Konvention beteiligt sind oder mit Kindern arbeiten. Ferner sollen Staaten Daten über die Situation von Kindern erheben und Indikatoren für die Umsetzung der Kinderrechte entwickeln. Der Ausschuss empfiehlt auch, dass im nationalen Haushalt ein gesondertes Budget für Kinder aufgestellt wird.

Weder eine Privatisierung der Daseinsvorsorge noch Dezentralisierung oder föderale Ordnung entbindet den Staat von seiner Verpflichtung für die Umsetzung der Konvention. Vielmehr sollen Staaten die Auswirkungen ihrer wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen auf die Rechte von Kindern überwachen, wie zum Beispiel bei einer wirtschaftlichen Liberalisierung. "Die Umsetzung der Verpflichtungen (…) des Übereinkommens verlangt ein strenges Monitoring der Auswirkungen solcher Veränderungen (…), um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Kindes zu schützen", formuliert der Kinderrechtsausschuss. Der Ausschuss hält neben dem staatlichen Monitoring eine unabhängige Überwachung der Umsetzung aller Rechte aus der CRC für unerlässlich. Die Staaten sollen idealerweise nationale Menschenrechtsinstitutionen mit dieser Aufgabe betrauen und diese entsprechend ausstatten.

Verpflichtungen im Ausland und in der internationalen Zusammenarbeit

Die Vertragsstaaten sind mit der Kinderrechtskonvention auch zu internationaler Zusammenarbeit verpflichtet, insbesondere für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. In Artikel 4, der die allgemeinen Maßnahmen zur Umsetzung der CRC beschreibt, heißt es, dass Staaten diese Rechte "unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit" umsetzen. Die Verwirklichung der Kinderrechte wird damit zu einer "Kooperationsaufgabe für alle Staaten der Welt".

Auch andere Menschenrechtsabkommen verweisen auf internationale Zusammenarbeit zur weltweiten Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Am deutlichsten sind die Bestimmungen der 2008 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention (BRK): Diese beschreibt in Artikel 32 "angemessene und wirksame" Maßnahmen der internationalen Zusammenarbeit als Voraussetzung zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung und als Teil der extraterritorialen Staatenpflichten. Diese Bestimmung der BRK wirkt auch auf die heutige Interpretation der entsprechenden Artikel in der Kinderrechtskonvention.

Es gibt derzeit keinen Konsens darüber, ob Staaten durch die Menschenrechtsabkommen zur Leistung von Entwicklungszusammenarbeit verpflichtet sind. Bislang empfehlen der Kinderrechtsausschuss und andere UN-Fachausschüsse Geberstaaten regelmäßig, dass sie das 1970 international vereinbarte Ziel erreichen sollten, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Ein wesentlicher Anteil dieser Hilfe soll Kindern zugutekommen und die Höhe dieses Anteils soll im Haushalt erkennbar sein. Staaten sollen zudem die Kinderrechtskonvention als Rahmen für Programme der Entwicklungszusammenarbeit heranziehen und sicherstellen, dass ihre Strategien für Kinder relevante Entwicklungsziele einbeziehen, einen "ganzheitlichen, kinderbezogenen Ansatz" verfolgen und Kinder als Rechtsträger und Rechtsträgerinnen anerkennen.

Um ihren Achtungspflichten nachzukommen, müssen Geberländer sicherstellen, dass sie im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit die Menschenrechte allgemein und somit auch die Rechte von Kindern nicht verletzen. Dies gilt besonders dann, wenn entwicklungspolitische Maßnahmen in die Wirtschaftspolitik und damit in die makroökonomischen Rahmenbedingungen in einem Partnerland eingreifen. Dies erfordert besondere Maßnahmen, so zum Beispiel spezielle Folgeabschätzungen (Child Rights Impact Assessments).

Verpflichtungen nichtstaatlicher Akteure

Als Teil ihrer Schutzpflichten sind Geberländer auch dafür verantwortlich, dass nichtstaatliche Akteure, die ihrer Herrschaftsgewalt unterstehen, im Ausland die Kinderrechte nicht verletzen. Dies gilt zum Beispiel für die Aktivitäten von deutschen Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen im Ausland. Geberländer müssen also durch Regulierung und Aufsicht Menschenrechtsverletzungen verhindern, wie beispielsweise Kinderhandel oder verbotene Formen der Kinderarbeit. Gleichzeitig sind auch die Regierungen des jeweils anderen Landes verpflichtet, Kinder vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen, Organisationen oder Privatpersonen zu schützen – ganz gleich, ob es sich dabei um einheimische oder internationale Akteure handelt.

Zunehmend werden Wirtschaftsunternehmen beim Schutz der Menschenrechte in die Pflicht genommen, auch wenn diese nicht direkt an die Menschenrechtsabkommen gebunden sind. Die Diskussion um die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen betrifft besonders transnational agierende Unternehmen, die teilweise großen Einfluss auf Regierungen und deren Regulierungsaktivitäten ausüben. Unternehmen sollen demnach nicht nur durch Staaten reguliert werden, sondern sich zusätzlich zu freiwilligen Verhaltenskodizes verpflichten. Nach Auffassung des UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen sollten Unternehmen sich dazu verpflichten:

  • grundsätzliche Arbeitsrechte einzuhalten, dazu gehören wesentlich die Verbote der Sklaverei, der Kinderarbeit und der Zwangsarbeit;

  • andere grundlegende Menschenrechte zu achten, wie das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, Bildung und soziale Sicherung;

  • Personen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen werden, bei der Wiedergutmachung zu unterstützen;

  • Zuliefererketten zu überprüfen, um Mittäterschaft bei Menschenrechtsverletzungen auszuschließen.

Seit März 2012 können sich Unternehmen zusätzlich an speziellen Kinderrechtsleitlinien orientieren, die von UN-Institutionen und Nichtregierungsorganisationen in Abstimmung mit Unternehmen entwickelt worden sind.

Konsens Kinderrechte?

Das einvernehmliche Bekenntnis der Staatengemeinschaft zu den Kinderrechten sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie politisch die Kinderrechtskonvention und wie anspruchsvoll ihre Umsetzung ist. Viele Akteure widmen ihre Aufmerksamkeit vor allem den Schutzrechten, während die Rechtsträgerschaft von Kindern und ihre eigenständige Rechtsausübung oft in den Hintergrund treten. Doch gerade darin kommt die gesellschaftspolitische Dimension der Kinderrechtskonvention zum Tragen. Kinder als Rechtssubjekte zu stärken und ihre Rechtsausübung zu verbessern heißt, einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Dieser besteht in einer Umverteilung von Macht und Entscheidungsprozessen zugunsten von Kindern – und einem Perspektivwechsel seitens der Erwachsenen.

Bisher fehlt es besonders an Modellen und Instrumenten für eine effektive Beteiligung von Kindern unterschiedlicher Altersgruppen an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen. Staatliche Institutionen und Gerichte müssen Kinderrechte und Elternrechte gegeneinander abwägen; es kann Kontroversen verursachen, wenn das Recht des einen gegen das des anderen steht, oder Schutzrechte von Kindern mit dem Recht auf Beteiligung in Einklang gebracht werden müssen. Deutlich wird dies etwa in bestimmten Debatten um die Kinderarbeit: Wenn arbeitende Kinder ein Recht auf Arbeit und auf gerechte Arbeitsbedingungen einfordern, führt dies zu Kontroversen unter Erwachsenen über ihre Vorstellungen von Kinderschutz.

Der Anspruch, den die Kinderrechtskonvention an Staat und Gesellschaften stellt, ist hoch. Im Wege ihrer Umsetzung steht daher zweifellos noch manche Kontroverse bevor. Und doch sind solche Auseinandersetzungen wichtig, damit sich Gesellschaften der Verwirklichung der Kinderrechte annähern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Teile dieses Beitrags sind im Rahmen einer vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beauftragten Studie erarbeitet worden, für die Kurzfassung vgl. Uta Simon, (K)eine Politik für Kinderrechte? Wege zur Verankerung der Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen in der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, Berlin 2012.

  2. Artikel 43 CRC legt das Verfahren für die Wahl der 18 internationalen Experten und Expertinnen fest. Laut Artikel 44 sind Staaten verpflichtet, erstmalig zwei Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages über den Stand der Umsetzung zu berichten; danach alle fünf Jahre.

  3. Bisher haben 35 Staaten das Protokoll unterzeichnet, zwei Staaten haben es ratifiziert (Stand: 4. Oktober 2012). Mit der Ratifizierung durch mindestens zehn Staaten wird das dritte Zusatzprotokoll in Kraft treten.

  4. Artikel 1 der CRC räumt den Vertragsstaaten den Spielraum ein, in der nationalen Gesetzgebung auch unter 18-Jährige bereits als volljährig einzustufen und damit den Geltungsbereich der Konvention einzuschränken. Der UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes, der die Einhaltung des Vertrages überwacht, empfiehlt Staaten, die Altersgrenze von 18 Jahren anzuerkennen.

  5. Vgl. Philip Alston/John Tobin, Laying the Foundations for Children’s Rights. An Independent Study of some Key Legal and Institutional Aspects of the Impact of the Convention on the Rights of the Child (unter Mitarbeit von Mac Darrow), Florenz 2005, S. 8.

  6. Vgl. die Allgemeine Bemerkung Nr. 5 des UN-Kinderrechtsausschusses, UN, CRC: General Comment No. 5. General Measures of Implementation for the Convention of the Rights of the Child. UN Dok. CRC/GC/2003/5 vom 3.10.2003, Ziffer 12.

  7. Vgl. genauer dazu: Hendrik Cremer, Kinderrechte und der Vorrang des Kindeswohls, Anwaltsblatt 4/2012, S. 327–329. Zu den Auffassungen des Ausschusses vgl. zuletzt zum Beispiel: UN, CRC, Abschließende Bemerkungen, Madagaskar, UN Dok. CRC/C/MDG/CO/3-4, Ziffer 26.

  8. Vgl. UN, CRC, CRC/GC/2003/5, Ziffern 28–73.

  9. UN, CRC, CRC/GC/2003/5, Ziffer 52.

  10. Vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 2 des UN-Kinderrechtsausschusses, UN, CRC: General Comment No. 2. The role of independent national human rights institutions in the promotion and protection of the rights of the child, UN Dok. CRC/GC/2002/2 vom 15.11.2002, Ziffern 19, 25.

  11. UN, CRC, CRC/GC/2003/5, Ziffer 7. Vgl. Sigrun I. Skogly, Beyond National Borders. States’ Human Rights Obligations in their International Cooperation, Antwerpen 2006, S. 101ff.; Wouter Vandenhole, Economic, Social and Cultural Rights in the CRC. Is There a Legal Obligation to Cooperate Internationally for Development?, in: The International Journal of Children’s Rights, 17 (2009) 1, S. 23–63, hier: S. 61.

  12. Vgl. Artikel 2, Absatz 1 UN-Sozialpakt und Artikel 4, Absatz 2 UN-Behindertenrechtskonvention (BRK).

  13. Für eine Zusammenfassung der Diskussion vgl. Andrea Kämpf/Anna Würth, Mehr Menschenrechte in die Entwicklungszusammenarbeit, Berlin 2010, S. 6ff.; vgl. auch W. Vandenhole (Anm. 11); für eine Gegenposition vgl. Michael Wabwile, Implementing the Social and Economic Rights of Children in Developing Countries. The Place of International Assistance and Cooperation, in: The International Journal of Children’s Rights, 18 (2010) 3, S. 355–385. Wabwile argumentiert für eine rechtliche Verpflichtung zur Leistung von Entwicklungshilfe auf der Grundlage, dass Entwicklungsländer die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ihrer Bevölkerungen nur mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft umsetzen können und Geber eine historische Verantwortung haben, diese Hilfe zu leisten.

  14. UN, CRC, CRC/GC/2003/5, Ziffer 62.

  15. Vgl. S.I. Skogly (Anm. 11), S. 193.

  16. Vgl. UN, CRC, CRC/GC/2003/5, Ziffer 43f.

  17. Das Mandat lief von 2005 bis 2011 und mündete in der Erstellung von Leitlinien für die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen. Vgl. UN, Special Representative on Business and Human Rights, Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations "Protect, Respect and Remedy" Framework, UN Dok. A/HRC/17/31 vom 21.3.2011.

  18. Vgl. UN Global Compact, Children’s Rights and Business Principles, online: Externer Link: http://www.unglobalcompact.org/Issues/human_rights/childrens_principles.html (21.9.2012).

  19. Vgl. Jason Hart, Children’s Participation and International Development. Attending to the Political, S. 412f., in: The International Journal of Children’s Rights, 16 (2011) 3, S. 407–418.

  20. Siehe hierzu den Beitrag von Manfred Liebel/Philip Meade/Iven Saadi in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Anna Würth, Uta Simon für bpb.de

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Dr. phil., geb. 1966; Leiterin des Referates Entwicklungspolitik und Menschenrechte am Deutschen Institut für Menschenrechte, Zimmerstraße 26/27, 10969 Berlin. E-Mail Link: wuerth@institut-fuer-menschenrechte.de

M. Sc., geb. 1972; studierte Development Studies; betreut Forschungs- und Trainingsprogramme im Bereich Menschenrechte und internationale Zusammenarbeit, unter anderem für das Deutsche Institut für Menschenrechte (s.o.). E-Mail Link: uta.simon@gmail.com