In dem vorliegenden Beitrag möchte ich zentrale Thesen aus dem Forschungsprojekt "Warum werden manche Männer Väter, andere nicht? Bedingungen von Vaterschaft heute“
Lange Zeit konzentrierte sich die sozialwissenschaftliche Forschung zu Familiengründung, zu Ursachen von Kinderlosigkeit und zu Fragen rund um den Kinderwunsch, aber auch zu familiären Beziehungen ausschließlich auf Frauen, sprich Mütter. Männer, beziehungsweise Väter, werden in diesen Zusammenhängen erst in den vergangenen Jahren untersucht.
Nicht zuletzt daran zeigt sich auch, dass Vaterschaft stets doppelt verschränkt ist: einerseits mit den vorherrschenden normativen Vorstellungen und Praxen von Mutterschaft, andererseits mit den Normen von Männlichkeit.
Familiengründung und Kinderwunsch bei Männern
Wer sich anschaut, wie Männer Väter werden, sieht, dass der Prozess einer Familiengründung auch für Männer durchaus komplex ist. Entgegen der landläufigen Meinung werden sie keineswegs "einfach so“ Vater. Vielmehr spielen individuell ganz unterschiedliche Ausgangsbedingungen eine Rolle bei der Frage, ob man(n) Vater werden will oder nicht. Neben den biografischen Erfahrungen in der Herkunftsfamilie sind das jeweilige Lebensalter und die aktuelle Lebensphase inklusive der damit einhergehenden sozioökonomischen Situation von zentraler Bedeutung. Wie sich gezeigt hat, sind daneben aber auch die Vorstellungen und Praxen von Männlichkeit und Väterlichkeit, über die jeder Mann verfügt, wichtige Faktoren. Eine entscheidende Voraussetzung für Vaterschaft/Väterlichkeit besteht letztlich darin, "parat zu werden“;
Bei der Analyse des Kinderwunsches hat sich anhand des empirischen Materials
Bei Männern, bei denen im Sinne des Wortes von einem Kinderwunsch gesprochen werden kann, zeigt sich, dass dieser eigenständig – also unabhängig von einer Partnerin – und intrinsisch motiviert ist. Die Vorstellung von der Vater-Kind-Beziehung zeichnet sich durch eine Bilateralität aus, in der das Kind als individuelles Gegenüber gemeint ist. Diese Väter stellen die Beziehung zu ihrem Kind entweder über alltägliche (und damit wiederkehrende) oder außeralltägliche (gleichwohl aber regelmäßig stattfindende) Momente der Zweisamkeit her. Das heißt, je klarer der Kinderwunsch eines Mannes ist, desto engagierter setzt er sich für die (Herstellung der) Vater-Kind-Beziehung ein.
Doch weder ein vorhandener Familien- noch ein Kinderwunsch führt automatisch zu einer Familiengründung. Auffällig ist jedoch, wie viel einfacher eine solche verläuft, wenn auf Seiten des Mannes ein originärer Wunsch der einen oder anderen Spielart vorhanden ist. In den Fällen, in denen beides nicht zutrifft, verlaufen die Familiengründungsprozesse zumeist schwieriger und konfliktreicher.
Heutiges Ideal des guten Vaters
Wenn Männer sich nicht bereits in der Phase des Paratwerdens mit dem aktuellen Väterideal auseinandersetzen (müssen), so doch spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem sie Vater geworden sind. In der Diskussion um heutige Väter taucht häufig der Begriff "neue Väter“ auf. Das Attribut "neu“ rekurriert dabei auf eine "alte“ Form von Väterlichkeit, von der sich eine neue überhaupt erst abzeichnen kann. In dieser als "neu“ bezeichneten Form wird der Vater als liebevoll, antiautoritär und in das Familienleben integriert beschrieben.
Wesentlich für das heutige Idealbild des Vaters ist, dass die alte Form von Väterlichkeit mit der Figur des "abwesenden Ernährers“ – oft auch in deutlicher Abgrenzung vom eigenen Vater – abgelehnt wird. Dies ist, wie gesagt, sogar dann der Fall, wenn die Aufgabenteilung des Paares der traditionellen Form (der Mann als der Ernährer, die Frau als die Hauptverantwortliche für Familie und Haushalt) entspricht. Daran zeigt sich, dass sich das Ideal des "guten“ Vaters in den vergangenen Jahren durchaus gewandelt hat. Auch wenn sich das Arbeitsarrangement äußerlich nicht groß von dem der eigenen Eltern entfernt hat, haben heutige Väter andere Vorstellungen und damit andere Ansprüche an sich als Vater.
Ein erster wesentlicher Aspekt ist dabei die Zeit. Ein im heutigen Sinn "guter Vater“ ist einer, der Zeit mit seinen Kindern verbringt. Das heißt, obwohl viele der jetzigen Väter dies bei ihren eigenen Vätern anders erlebt haben, hinterfragen sie den einseitigen Lebensschwerpunkt "Berufsleben“ und äußern vermehrt den Wunsch, am Alltag und am Heranwachsen ihrer Kinder teilzuhaben.
Der Wunsch nach Anwesenheit in der Familie verweist auf einen zweiten wichtigen Aspekt des heutigen Vaterideals: das Bedürfnis nach einer emotionalen Vater-Kind-Beziehung. Wesentlich hierfür ist die Fähigkeit der Väter, ihre Emotionen dem Kind gegenüber auch ausdrücken zu können. Interessanterweise verlieren eher traditionell männlich besetzte Werte wie Ordnung, Regeln, Autorität und Gehorsam an Bedeutung, wenn Väter sich ihren Kindern vermehrt liebevoll zuwenden.
Vater-Kind-Beziehung
Dass Zeit und Nähe wesentliche Bestandteile des Idealbildes eines "guten Vaters“ sind, scheint nicht von ungefähr zu kommen. Beides braucht es, damit eine Beziehung entstehen kann. Es ist von heute aus nicht leicht zu bestimmen, inwieweit das Verhältnis zwischen Vater und Kind immer schon dem Anspruch unterlag, in irgendeiner Form "gut“ zu sein.
Gelingt es den Vätern, im Zusammensein mit dem Kind ihre je individuelle Vorstellung von einer Beziehung umzusetzen, dann beurteilen sie diese als "gut“. Das heißt, ein wichtiger Bestandteil des Ideals ist somit auch der Selbstanspruch, "Beziehungsarbeit“ leisten zu wollen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Konflikt zwischen alten und neuen Idealen
Insgesamt zeigt sich an diesen Ausführungen die wachsende Bedeutung von Betreuung und Erziehung von Kindern als väterliche Aufgabe, und zwar einerseits als zunehmend individuelles Bedürfnis von Männern, andererseits als gesellschaftlicher Anspruch, der verstärkt an Männer adressiert wird. Fürsorglichkeit und Emotionalität werden immer wichtigere Bestandteile von Väterlichkeit und damit auch von Männlichkeit. Gleichzeitig sind sie auch der Grund für ein Spannungsfeld, in dem sich immer mehr Väter wiederfinden.
Denn noch immer stellt die Erwerbsarbeit einen zentralen Bezugspunkt für die Vorstellungen von Männlichkeit dar; das heißt, trotz der sich veränderten Haltung zum Bild des Alleinernährers und dem neuen Ideal, ein aktiver Beziehungspartner für sein Kind sein zu wollen, ist Erwerbsarbeit hauptidentitätsstiftend für Männer. Eine Lebensführung, die auf Berufsarbeit ausgerichtet ist, wird nicht nur gesellschaftlich gefordert, sondern von den meisten Männern auch selbst gewünscht. Auch wenn sie jeweils noch nicht wissen, ob sie später tatsächlich einmal Kinder haben werden oder haben wollen, ist es für Männer wichtig, ausweisen zu können, dass sie im Zweifelsfall eine Familie ernähren können. Männer, die versuchen, eine Form von Väterlichkeit zu leben, die einer tradierten Geschlechternorm entgegensteht (geteilte Verantwortung für Familieneinkommen und Fürsorgearbeit), sehen sich oft großen strukturellen Widerständen ausgesetzt. Das vorherrschende und durchaus widersprüchliche Ideal lässt sich somit als "emotional involvierter, präsenter Ernährer-Vater“ umschreiben.
Diese Gemengelage aus alten und neuen Normen und Praxen von Männlichkeit und Väterlichkeit stellt Männer beziehungsweise Väter vor neue Herausforderungen im Prozess der (Nicht-) Familiengründung. Der Wunsch, alt und neu auf produktive Weise zu vereinbaren, setzt viele unter Druck. Als Folge davon haben nun auch Männer zunehmend ein Vereinbarkeitsproblem. Doch anders als die meisten Frauen stehen sie nicht vor der Frage, wie sie Familie mit Beruf vereinbaren, sondern wie sie ihre (Vollzeit-) Berufstätigkeit mit ihren Vorstellungen von Familie und Väterlichkeit verbinden.
Männer, die gegenwärtig Vater sind oder werden, sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, ihr eigenes Vatersein zu konzipieren und zu leben, ohne auf ein klares Vorbild zurückgreifen und dieses gut erprobt übernehmen zu können. Dies bedingt Fähigkeiten wie beispielsweise Reflektions- und Kommunikationsvermögen, die nicht jedem Mann oder Vater selbstverständlich zur Verfügung stehen.