Einleitung
Rechtsextremismus im Internet ist vielschichtig und multimedial. Die Online-Präsenzen bilden einen Querschnitt an Ideen und Aktionen ab, wie sie seit Jahren in den Pamphleten und Taten rechtsextremer Protagonisten in Erscheinung treten. Einzelne Neonazis, lose Gruppierungen, Kameradschaften, die NPD, Szene-Versandhändler - sie alle nutzen die unterschiedlichen Internetdienste zur Vernetzung und Mobilisierung oder Verbreitung von Hetze und Propaganda. Auch in der Diskussion um die vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) verübten Morde spielten das Internet und insbesondere die Online-Angebote aus der Neonaziszene um den militanten "Thüringer Heimatschutz" eine wichtige Rolle. Im Blick war dabei vor allem die Bedeutung des Mediums für die szeneinterne Netzwerkbildung; zu wenig Beachtung erfuhr es jedoch als in die Breite wirkendes Propagandainstrument, mit dem Rechtsextreme ihre rassistischen und antidemokratischen Botschaften tarnen, jugendgemäß verpacken und den Nährboden schaffen, auf dem Menschenverachtung gedeihen kann.
Jugendliche Medienwelt und Alltagsrassismus
Die Versuche Rechtsextremer, Jugendliche zu ködern, sind vielfältig. Sie können sich mit dem Internet auf ein ständig wachsendes Medium stützen, das bei der Zielgruppe immer beliebter wird. Während Mitte der 1990er Jahre etwa 100.000 Seiten mit deutscher Länder-Domain (.de) existierten, sind es inzwischen knapp 15 Millionen.
Das Internet ist somit auch aus rechtsextremer Sicht mehr denn je ein ideales Rekrutierungsfeld, um junge Menschen anzusprechen und für die eigenen Inhalte zu gewinnen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Studie EU Kids Online zufolge im Jahr 2010 zwölf Prozent der 11- bis 16-jährigen user angaben, im Internet Erfahrungen mit Gewalt und Hass gemacht zu haben. Nimmt man nur die 15- bis 16-Jährigen, steigt die Quote sogar auf 20 Prozent.
Rechtsextreme Agitation richtet sich gegen Feindbilder. Gespeist aus rassistischer Ideologie, einem übersteigerten Nationalismus und Einstellungen, welche die Gleichwertigkeit von Menschen negieren, werden bestimmte Gruppen diskriminiert, verächtlich gemacht und nicht selten zu Freiwild erklärt. Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit sind wiederkehrende Motive, die in rechtsextremen Texten, Kampagnen und Medienangeboten ihren Niederschlag finden. Dabei wird keinesfalls immer offen zu Mord und Totschlag aufgerufen, vieles läuft unterschwellig und knüpft an Alltagsrassismus und Vorurteile an.
So schürte beispielsweise die NPD in den vergangenen Jahren immer wieder klischeebehaftet und reißerisch Angst und Ressentiments gegenüber "kulturfremden Ausländern" und initiierte Proteste gegen Minarette und Moscheen, mithin den Islam und hier lebende Muslime. Slogans wie "Islamunterricht stoppen" sollen in die Mitte der Gesellschaft wirken, diffuse Ängste vor der "fremden" Religion ansprechen und letztlich Bürgerinnen und Bürger gegen Integrationsmaßnahmen aufhetzen. In Nordrhein-Westfalen richtete sich die rechtsextreme Partei im Landtagswahlkampf 2010 mit einem islamfeindlichen Wettbewerb über das Internet auch gezielt an Jugendliche: Die Kampagne "Wir oder Scharia" suggerierte, die Deutschen seien bedroht durch eine "zunehmende Islamisierung". So war die Rede von "ganzen Stadtteilen (...), die man als Deutscher gar nicht mehr betreten" dürfe und in die sich sogar die Polizei "nur noch zugweise und schwer bewaffnet" hineintraue.
So wenig neu das ideologische Gerüst und die damit verbundenen Vorstellungen von Rechtsextremen sind, so sehr hat sich das Erscheinungsbild der Szene modernisiert. Jugendliche sind zu einer wichtigen, wenn nicht der wichtigsten Zielgruppe geworden. Aktivisten locken inzwischen mit Events, Lifestyle-Elementen und multimedialen Anspracheformen. Das Internet hat ihr Agitationspotenzial um die Dimensionen Anonymität, zeit- und grenzenlose Verfügbarkeit sowie schier unendliche Vernetzungs- und Verbreitungsmöglichkeiten erweitert. Dabei werden die Jugendlichen dort angesprochen, wo sie sich ohnehin vorwiegend bewegen: in Sozialen Netzwerken und auf Videoplattformen. Als länderübergreifende Einrichtung für den Jugendschutz im Internet beobachtet "jugendschutz.net" diesen Trend seit Jahren und untersucht die rechtsextreme Internetnutzung im Hinblick auf potenzielle Gefährdungen für Kinder und Jugendliche. Erkenntnisse aus der Arbeit sowie Erfahrungen und Empfehlungen, die sich aus der Frage nach effektiven Gegenstrategien ergeben, werden im Folgenden vorgestellt.
Von statischen Websites ins "Mitmachnetz"
Mit wachsender Bedeutung und Verfügbarkeit des Internets in den 1990er Jahren gehörten auch Rechtsextreme bald zum Nutzerkreis. Zunächst in den USA, kurze Zeit später auch in Deutschland, erschlossen sie sich das Medium als zentrale Propagandaplattform zur Verbreitung von rassistischer Hetze sowie demokratie- und menschenfeindlichem Gedankengut.
Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft schlug sich auch in der gestiegenen Anzahl rechtsextremer Websites nieder - 2009 erreichte sie mit mehr als 1800 einen bisherigen Höchststand.
Eine neue Dimension rechtsextremer Propaganda ging mit dem Aufkommen des Web 2.0 als social web bzw. "Mitmachnetz" einher: Mit seinen vor allem bei Jugendlichen beliebten Sozialen Netzwerken und Videoplattformen hat es dazu geführt, dass Hassbeiträge und neue Szenematerialien inzwischen problemlos und rasend schnell riesigen Nutzergruppen zugänglich gemacht werden können. Facebook, Youtube und Twitter sind gerade bei der Generation der digital natives, die mit dem Internet aufgewachsen sind und die unterschiedlichen Dienste wie selbstverständlich nutzen, extrem beliebt. Das Internet ist längst nicht mehr nur eine digitale Welt aus statischen Homepages, die passiv konsumiert werden. Heute gestaltet die Nutzergemeinde "ihr Netz" aktiv mit. Von usern generierte Nachrichten, Videoclips, Bilder und Texte werden zum Gegenstand des Austauschs, im Sekundentakt millionenfach "gepostet", "getwittert" und "geteilt", mit "Gefällt-mir"-Klicks positiv verstärkt oder kommentiert. All das macht den besonderen Reiz des Internets aus, für arglose, nach Unterhaltung suchende Jugendliche ebenso wie für rechtsextreme Aktivisten.
Die Nutzung Sozialer Netzwerke und Videoplattformen gehört heute zur erklärten Strategie von Rechtsextremen. Sie wollen auf diese Weise über die Szene hinaus Kontakte herstellen. Die NPD ruft beispielsweise in der parteieigenen Monatszeitung zum "Kampf mit modernen Kommunikationsmitteln" auf und schlägt konkret vor, mit "sympathischen" Profilen auf Portalen wie SchülerVZ, Wer-kennt-wen oder Jappy auf Freundefang zu gehen.
Rechtsextremismus im Internet trägt also längst ein modernes Gewand. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, mit welchen Themen und Strategien Rechtsextreme versuchen, Jugendliche für sich zu gewinnen.
Propaganda 2.0: multimedial, modern und subtil
Multimediale Elemente erhöhen die Attraktivität von Internetangeboten und erleichtern die Ansprache einer jungen Zielgruppe. Das Einbinden von Videoclips gehört heute zum Standard einer Internetpräsenz. So sind Videos inzwischen auch wichtige Träger rechtsextremer Botschaften. Im Netz finden sich Musikclips von Szenebands, Filme von Aufmärschen und modern anmutende Propagandafilme von Autonomen Nationalisten. Viele der Clips wirken professionell, verzichten auf Bezüge zum Nationalsozialismus und transportieren stattdessen unterschwellig rassistische und demokratiefeindliche Botschaften. Junge Aktivisten werden mit schnellen Schnitten und wechselnden Einstellungen in Szene gesetzt. Sie wirken mit ihrer authentischen Sprache und ihren klaren Botschaften vordergründig sympathisch und bieten sich als jugendliche Identifikationsfiguren an. Inhaltlich werden Fragen wie Finanzkrise, Arbeitslosigkeit oder sexueller Missbrauch behandelt - Themen also, die in der Gesellschaft kontrovers, häufig hoch emotional und keinesfalls nur von Rechtsextremen diskutiert werden.
Ein großer Teil der Videos aus dem Spektrum der Neonazikameradschaften zielt auf das Aktionspotenzial von Jugendlichen. Zu sehen sind Graffiti-Aktionen, öffentlichkeitswirksame Verteilaktionen von Flyern oder Flashmobs, meist unterlegt mit fetziger Musik. Zum Beispiel unter dem Motto "Werde aktiv!" sollen junge Menschen dann zum Nachahmen animiert und aufgefordert werden, die eigenen Aktionen im Netz zu dokumentieren. Die Szene setzt hier bewusst auf einen Schneeballeffekt. Dass diese Strategie ihre Wirkung nicht verfehlt, zeigt sich an den Zugriffszahlen: Zu bestimmten Kampagnen finden sich viele Beiträge und Kommentare auf Videoplattformen, zugehörige Videos werden binnen weniger Wochen mehrere Zehntausend Mal aufgerufen.
Ein weiteres Beispiel für rechtsextreme Agitation, die auf die Wirkung multimedialer Präsentationsformen, starke Emotionalisierung und die rasche Verbreitung über das social web setzt, liefert eine Kampagne unter dem scheinbar positiven Motto "Werde unsterblich": Wer den ursprünglichen Clip anklickt, sieht schwarz gekleidete Gestalten, die Gesichter mit weißen Masken verhüllt, in den Händen brennende Fackeln. Ein nächtlicher Zug Jugendlicher, die auf den ersten Blick nicht als Rechtsextreme zu erkennen sind, tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist" sowie der Referenz auf die entsprechende Internetseite vor sich. Dort wird das drohende Aussterben des deutschen Volkes beschworen, gegen "Fremde", die multikulturelle Gesellschaft und "die Demokraten" gehetzt. Was im Frühjahr 2011 in Bautzen mit einem Aufmarsch von wenigen Hundert Neonazis begann, hat bundesweit inzwischen viele Nachahmer gefunden: Die modern aufgemachten und mit dramatischer Musik unterlegten Videos zu den Aktionen finden sich vor allem in Sozialen Netzwerken und auf Videoplattformen. Ergänzend werden Website und Kampagne auch auf der Straße beworben: So reihten sich Rechtsextreme, ausgestattet mit Masken und Transparent, im Februar 2012 bei einem Fastnachtsumzug in Konstanz ein. Als Teilnehmer getarnt mischten sie sich ins bunte Treiben, verschenkten Süßigkeiten und versuchten über mysteriöse Slogans ("Narri Narro - Der Untergang naht, seid ihr froh?") Interesse zu wecken. Die Aktion wurde auf Youtube dokumentiert und wird von der Szene seither als erfolgreiche Aktion der "Unsterblichen" gefeiert. Unkonventionelle und erlebnisorientierte Events dieser Art, subversive Aktionsformen, griffige Slogans und die flankierenden Auftritte in Online-Communitys sollen zunächst vor allem neugierig machen. Symbole wie die weißen Masken etwa faszinieren, schaffen einen Wiedererkennungseffekt und stiften Identität. Die Beiträge auf den Plattformen sind meist zulässig und daher rechtlich nicht angreifbar.
Außer zur "Volkstod-Kampagne" mobilisiert die Szene auch zu all ihren anderen zentralen Aktionen über die Kanäle des Web 2.0: Veranstaltungen zum Gedenken an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Trauermärsche "gegen Kinderschänder" oder Musikevents wie "Rock für Deutschland". Recherchen von "jugendschutz.net" zeigen, dass die meisten Beiträge zu diesen Szeneveranstaltungen bei den großen Plattformen Youtube, Facebook und Twitter zu finden sind (94 Prozent).
Wie dies funktioniert, verdeutlicht aktuell ein "Online-Flashmob gegen Kinderschänder" auf Facebook. Der Aufruf beinhaltet lediglich ein Statement zum Kinderschutz, das breit konsensfähig ist: "Sicherheit für unsere Kleinsten!" Die Initiatoren bauen darauf, dass user ihre spontane Zustimmung ausdrücken und der Aktion über massenhafte likes und shares Gewicht verleihen. Dass sich dahinter tatsächlich eine rechtsextreme Propagandaaktion verbirgt, wird erst beim genaueren Hinsehen ersichtlich. Diese Strategie scheint aufzugehen: Schon nach zwei Tagen bekundeten fast 1000 Nutzerinnen und Nutzer virtuell ihre Unterstützung, womöglich ohne sich des extremistischen Hintergrunds bewusst zu sein.
Die Strategie von Neonazis, Materialien und Tonträger im Umfeld von Schulen zu verteilen ("Schulhof-CDs"), gibt es schon länger. Inzwischen wird sie jedoch durch Online-Aktivitäten ergänzt. Die Musikalben werden per E-Mail und in den Sozialen Netzwerken beworben und zugleich zum Download angeboten, wie etwa 2011 auf der rechtsextremen Website mit dem unscheinbaren Titel "Jugend in Bewegung". Internetseite und CD waren bunt gestaltet, enthielten Musik einschlägiger rechtsextremer Bands, NS-verherrlichende Texte, Videos und Aktionsmaterial wie Vorlagen zum Sprühen von Graffitis. Darüber hinaus boten sie niedrigschwellige Möglichkeiten, mit Rechtsextremen in Kontakt zu treten, zum Beispiel via Instant-Messenger-Software. Hierbei handelt es sich um eine Kommunikationsform, die bei Jugendlichen besonders hoch im Kurs steht. Auch die NPD bewarb ihre "Schulhof-CD" "Freiheit statt BRD" breit im Netz. Auf der betreffenden Website wurde den Besuchern eine einfache Möglichkeit geboten, den Link zum Album per Mausklick in der eigenen Online-Community zu verbreiten. Kurz nach Erscheinen wurde die CD dann auch über zahlreiche Twitter-Kurzmeldungen und in den Sozialen Netzwerken in Umlauf gebracht. Selbst in Schüler-Communitys fanden sich Werbeprofile und Downloadlinks. Über einen Kanal bei Youtube namens "NPDindenReichstag" machten Nutzer einzelne Musikstücke zugänglich. Nicht nur die Reichweite solcher Hasspropaganda hat sich durch das Web 2.0 erheblich vergrößert, auch die Geschwindigkeit, mit der sie gestreut wird, ist wesentlich höher.
Soziale Verantwortung der Betreiber
Aktivitäten gegen Rechtsextremismus im Internet müssen möglichst breit ansetzen. "jugendschutz.net" hat in den vergangenen Jahren eine mehrdimensionale Strategie entwickelt, die auf Maßnahmen im nationalen wie internationalen Kontext setzt und medienpädagogische Aktivitäten zur Prävention umfasst. In Kooperation mit Behörden und Providern geht "jugendschutz.net" auf Basis von gesetzlichen Regelungen sowie den Nutzungsbedingungen von Diensteanbietern gegen unzulässige, also strafbare und jugendgefährdende rechtsextreme Angebote vor. Die rasche Entfernung solcher Inhalte ist dabei wichtigstes Ziel. Hierzu werden Fälle, bei denen ein Verantwortlicher bekannt ist, an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) als zuständige Medienaufsicht weitergeleitet. In allen anderen Fällen versucht "jugendschutz.net" dies über einen Kontakt zum Hostprovider (also dem Anbieter des Online-Speicherplatzes) oder zum jeweiligen Betreiber einer Web-2.0-Plattform zu erreichen. Dieser Ansatz ist sehr effektiv und funktioniert häufig auch bei Angeboten, die nicht über einen deutschen Server ins Netz eingestellt werden. Während Provider in Deutschland bei unzulässigen Inhalten zum Handeln verpflichtet sind, ist dies im Ausland anders gelagert: Dort untersagen viele Provider in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Verbreitung von Rassismus und hate speech und entfernen unzulässige Inhalte nach einem Hinweis.
Die wachsende Bedeutung von Communitys, Videoplattformen und sonstigen Web-2.0-Diensten sowie die Masse an Inhalten, die dort tagtäglich eingestellt und abgerufen werden, verändern auch die Strategien, mit denen gegen die Verbreitung von Rechtsextremismus im Internet vorgegangen werden kann. In vielen Fällen ist es mit dem bloßen Entfernen einzelner Beiträge nicht getan, denn die gleichen oder ähnliche Inhalte können problemlos und sekundenschnell erneut hochgeladen werden. Zwar reagieren auch die großen, international operierenden Konzerne auf Hinweise, sie gehen jedoch nicht immer zeitnah und stringent gegen unzulässige Inhalte vor. Hier ist neben einer schnellen Reaktion vor allem mehr soziale Verantwortung gefragt, die auch Vorsorgemaßnahmen einschließt: So müssen Facebook, Youtube und Co. Hassbeiträge beispielsweise über den Einsatz technischer Mittel nachhaltig von ihren Plattformen verbannen. Damit die user einer Community die Betreiber über Problematisches informieren können, ist zudem die Einrichtung von nutzerfreundlichen Beschwerdemöglichkeiten notwendig.
Ansätze zur Bekämpfung rechtsextremer Propaganda im Internet müssen nicht zuletzt der internationalen Dimension des Mediums Rechnung tragen. Daher ist die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg wichtig. Seit 2002 existiert mit dem International Network Against Cyber Hate (INACH, Externer Link: No Titel ) ein Verbund von Onlinemeldestellen gegen Hass im Netz, der mittlerweile 19 Organisationen aus Europa, den USA und Kanada umfasst. INACH setzt sich länderübergreifend für grundlegende Werte und einen respektvollen Umgang im Internet ein und plädiert dafür, die Betreiber von Internetdiensten verstärkt in die Pflicht zu nehmen. "jugendschutz.net" hat in der Vergangenheit auch in Einzelfällen mit Partnerorganisation kooperiert und dadurch die Entfernung transnationaler Neonaziplattformen erreichen können.
Jugendliche für die kritische Auseinandersetzung stärken
Kritische Mediennutzung ist für Kinder und Jugendliche heute eine wesentliche Kernkompetenz. Rechtsextremismus im Internet tritt in vielen Nuancen auf und bewegt sich häufig im Rahmen der Legalität. Gegen viele der Angebote gibt es somit keine rechtliche Handhabe. Da Materialien aus dem Internet nicht immer hinterfragt werden, sind Sensibilisierung, Aufklärung und Information über rechtsextreme Propagandastrategien im Netz unerlässlich. Aus diesem Grund hat "jugendschutz.net" medienpädagogische Workshops entwickelt und erprobt, wie mit jungen Menschen ein kritischer Dialog über rechtsextreme Online-Welten initiiert werden kann.
Wichtig ist dabei, Jugendliche nicht als zu belehrende Mängelwesen zu verstehen, sondern sie mit ihren Kompetenzen und eigenen Fragen an die Thematik ernstzunehmen. Ein zentrales Element der Workshops ist daher die eigene Recherche. Die Jugendlichen erarbeiten sich die Inhalte ausgewählter Beispiele weitestgehend selbstständig und analysieren sie vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen, unterstützt durch Leitfragen. Letzteres hilft, den Lernprozess zu steuern und gezielte Lernakzente zu setzen, sodass sich niemand in den Weiten des Internets verliert. Die Erfahrungen aus den bisherigen Workshops zeigen, dass ein solch verantwortungsvoll gestalteter und am Subjekt orientierter Lernprozess dazu führen kann, Vorurteile sowie eigene Denk- und Verhaltensmuster zu reflektieren. Das gemeinsame Handeln macht den Jugendlichen Spaß und ermöglicht die positive Erfahrung, Rechtsextremen nicht machtlos gegenüberstehen zu müssen.
Parallel zu Angeboten für Jugendliche sind Fortbildungsmodule für pädagogische Fachkräfte wichtig, denn auch dort ist der Bedarf nach Information über das Phänomen Rechtsextremismus im Internet sowie nach Unterstützung bei der Frage, wie man in der schulischen und außerschulischen Bildung die Thematik aufgreifen kann, groß. Erwachsene sind im Umgang mit dem Internet häufig nicht so versiert wie Jugendliche, wissen wenig über deren Mediennutzung und können daher kaum mit ihnen die rechtsextremen Köderversuche im social web reflektieren. Das Thema Rechtsextremismus, aber auch die Frage nach den Medienwelten von Kindern und Jugendlichen sollten daher stärker in die Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen integriert werden.
Fazit: Demokratische Potenziale nutzen
Die Plattformen des Web 2.0 leben von Beteiligung. Deshalb ist es wichtig, dass Nutzerinnen und Nutzer Rassismus und Diskriminierung in ihren Communitys nicht dulden, sondern Stellung beziehen für Toleranz und demokratische Werte. Wer im Internet auf rechtsextreme Inhalte stößt, muss nicht tatenlos zuschauen, sondern kann etwas dagegen unternehmen. Je mehr user sich aktiv an der Gestaltung einer respektvollen Cyberwelt beteiligen, desto weniger Raum bleibt Hassparolen. Ein einfacher und öffentlich sichtbarer Weg ist etwa das Verwenden von Webbannern auf Internetseiten oder Communityprofilen. Hierdurch wird jedem Besucher auf den ersten Blick deutlich: Hass und Intoleranz werden hier nicht akzeptiert.
Auch dort, wo Neonazis unter dem Deckmantel sozialpolitischer Diskussionen Hass auf Minderheiten schüren und geschichtsklitternde Thesen verbreiten, gilt es, sich mit den Opfern zu solidarisieren und die Propaganda als verunglimpfend zu entlarven. Beschwerden über Beiträge nehmen die Betreiber der Plattformen entgegen. Wer sich unsicher ist, wie er Inhalte zu bewerten hat, oder sich im oftmals unübersichtlich gestalteten Beschwerdemanagement der Dienste nicht zurechtfindet, kann Inhalte bei "jugendschutz.net" melden - über ein Formular auf der Website ist dies auch anonym möglich.
Rechtsextremismus im Internet kann nur effektiv bekämpft werden, wenn sich alle relevanten Akteure beteiligen. Zuvorderst dürfen Provider und Plattformbetreiber den Missbrauch ihrer Dienste zur Verbreitung von Hassbotschaften nicht dulden. Parallel müssen rechtsextreme Straftaten im Internet konsequent geahndet werden. Dafür sollten auch international Kräfte gebündelt und die Voraussetzungen geschaffen werden, um Täter länderübergreifend zur Rechenschaft zu ziehen. Nicht zuletzt ist die Online-Community - jede einzelne Nutzerin und jeder einzelne Nutzer - gefordert, neonazistische Äußerungen nicht zu ignorieren, sondern Rechtsextremen im Netz konsequent die Rote Karte zu zeigen.