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Sprache und Ungleichheit

Anatol Stefanowitsch

/ 16 Minuten zu lesen

Das Treffen von Unterscheidungen und damit das Potenzial zur Diskriminierung ist Kernfunktion und Strukturprinzip von Sprache. Diskriminierende Sprache lässt sich nicht ganz vermeiden; umso wichtiger ist ein bewusster Umgang mit ihr.

Einleitung

Guns don't kill people, people kill people", lautet ein Motto der waffenfreundlichen National Rifle Association (NRA) in den USA - Menschen werden nicht von Schusswaffen getötet, sondern von anderen Menschen. Es ist offensichtlich, warum die NRA Gewehre und Pistolen auf ihren Status als Werkzeug reduzieren möchte: In verantwortlichen Händen stellen sie aus dieser Perspektive keine Gefahr dar, sodass es für eine Regulierung oder gar ein Verbot keine Grundlage gibt. Aber die scheinbar simple Logik dieses Mottos täuscht über die Tatsache hinweg, dass Schusswaffen zum Töten konstruiert und zu nichts anderem zu gebrauchen sind. Wer über Sprache und Diskriminierung schreibt und spricht, bekommt häufig eine Abwandlung des NRA-Mottos zu hören: Nicht die Sprache selbst sei diskriminierend, sondern bestenfalls diejenigen, die sie in diskriminierender Absicht verwenden (oder noch besser: diejenigen, die sie als diskriminierend empfinden). Diese Logik ist aber im Falle menschlicher Sprache genauso falsch wie im Falle von Schusswaffen. Wer eine Waffe zweckgemäß einsetzt, tötet oder verletzt damit, und wer Sprache zweckgemäß einsetzt, kann gar nicht anders, als mit ihr zu diskriminieren.

Sprache beruht auf Unterscheidungen

Um das zu verstehen, hilft es, sich Herkunft und Bedeutungsgeschichte des Verbs diskriminieren zu vergegenwärtigen: Es stammt aus dem Lateinischen, wo es wertfrei "trennen" oder "unterscheiden" bedeutete. Mit dieser Bedeutung wurde es im 17. Jahrhundert ins Deutsche (und in andere europäische Sprachen) entlehnt; in einigen Sprachen (etwa im Englischen und Französischen) hat es diese Bedeutung neben anderen bis heute, und auch im Deutschen ist sie in Wörtern wie Diskriminante erhalten geblieben. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam die heutige Bedeutung "herabwürdigen", "benachteiligen" hinzu, und diese Bedeutungsentwicklung ist nicht zufällig. Sie zeigt die innere Logik jeder diskriminierenden Handlung im modernen Wortsinne: Zunächst wird eine Unterscheidung getroffen, dann wird diese mit einer negativen Bewertung (Herabwürdigung) oder einer Ungleichbehandlung verknüpft. Interessanterweise finden sich die ersten Belege für die moderne Bedeutung von diskriminieren in Diskussionen um amerikanische Gesetze, die zwischen "Weißen" und "Schwarzen" unterschieden und damit die Grundlagen für eine Ungleichbehandlung schufen.

Das Treffen von Unterscheidungen ist aber sowohl Kernfunktion als auch grundlegendes Strukturprinzip von Sprache. Jedes Wort (und auch jede grammatische Struktur) unterscheidet die Welt schon auf den ersten Blick in zwei Kategorien: eine, die alles das enthält, was durch das Wort bezeichnet wird, und eine, die alles das enthält, was nicht durch das Wort bezeichnet wird. Auf den zweiten Blick ist es noch komplizierter: Da das Vokabular menschlicher Sprachen hierarchisch gegliedert ist, haben bei jeder Unterscheidung vor allem diejenigen Kategorien eine besondere gegenseitige Prominenz, die unter eine gemeinsame Oberkategorie fallen, die sie durch immer feinere Unterscheidungen ausdifferenzieren.

Solche Unterscheidungen können harmlos sein. Nehmen wir das Wort Stuhl: Es unterscheidet eine Klasse von Objekten wie die, auf denen die meisten von uns heute beim Frühstück gesessen haben, vom Rest des bekannten Universums. Alles, was uns begegnet, kann dahingehend kategorisiert werden, ob es ein Stuhl ist oder nicht. Das geschieht anhand von Merkmalen wie "hat eine feste horizontale Fläche, auf der eine Person sitzen kann", "hat eine feste vertikale Fläche, an die man sich anlehnen kann" und "hat (typischerweise vier) Beine". Mittels solcher Merkmale können wir die Mitglieder der sprachlichen Kategorie Stuhl nicht nur identifizieren, sondern auch von eng verwandten Kategorien abgrenzen. Ein Hocker zum Beispiel unterscheidet sich von einem Stuhl durch die Abwesenheit einer Lehne, ein Sessel dadurch, dass Sitzfläche und Lehne nicht fest, sondern weich sind, und eine Bank unterscheidet sich von Stühlen und Hockern dadurch, dass sie eine Sitzfläche hat, auf der mehr als eine Person sitzen kann (ob sie eine Lehne hat oder nicht, spielt dabei keine Rolle).

Man übersieht leicht, dass auch Unterscheidungen, die anhand scheinbar objektiver Merkmale getroffen werden, rein sprachlicher Natur sind; schließlich gibt es keinen zwingenden Grund, ausgerechnet diese Merkmale zur gegenseitigen Abgrenzung von Wortbedeutungen zu machen. Um das zu erkennen, reicht schon ein Blick in eine eng verwandte Sprache wie das Englische, in der zwar mit stool und chair eine ähnliche Unterscheidung getroffen wird wie zwischen Hocker und Stuhl, in der aber keine Unterscheidung zwischen Stuhl und Sessel getroffen wird (letzterer ist hier eine Unterkategorie des ersteren: chair/armchair). Überhaupt liefert die objektive Wirklichkeit keinen Anlass, Wörter für Dinge bereitzustellen, auf denen man sitzen kann: Diese Kategorie ist für uns Menschen nur aus kulturellen Gründen von Bedeutung. Aber wenn solche Kategorien einmal sprachlich kodiert und muttersprachlich erworben wurden, erscheinen uns die zugrunde liegenden Unterscheidungen als selbstverständlicher Teil der Wirklichkeit.

Von der Unterscheidung zur Diskriminierung

Nun spielt es im Falle von Stühlen, Hockern und Sesseln keine Rolle, ob die Unterscheidungen in der Realität verankert sind oder nicht. Es sind unbelebte Objekte ohne Selbstwahrnehmung und ohne Gefühle, und deshalb spielen "Ungleichbehandlung" (beispielsweise Stühle im Esszimmer, Sessel im Wohnzimmer) und "Herabwürdigung" (beispielsweise Hocker gelten als unbequem) keine Rolle.

Bei Menschen ist das anders. Auch hier können Unterscheidungen auf den ersten Blick neutral wirken, vielleicht sogar in der objektiven Wirklichkeit verankert scheinen. Das Wort Frau stützt sich auf das Merkmal "weiblich", um die so bezeichnete Klasse von Personen von der zu unterscheiden, die als Mann bezeichnet wird, und es stützt sich auf das Merkmal "erwachsen", um diese Klasse von der zu unterscheiden, die als Mädchen bezeichnet wird. Frau bezeichnet also eine weibliche, erwachsene Person. Es ist unstrittig, dass hier Unterscheidungen getroffen werden, aber eine Diskriminierung würden darin spontan wohl die wenigsten erkennen. Auch bei dem Wort Schwarze/r wird das diskriminierende Potenzial oft bestritten: Es treffe doch nur eine sachliche Unterscheidung anhand des objektiv nachvollziehbaren Kriteriums der Hautfarbe. Rassistisch würde es erst, wenn es mit rassistischer Absicht verwendet würde. Beim genaueren Hinsehen fällt aber auf, dass selbst solche scheinbar neutralen sprachlichen Unterscheidungen in vielfacher Hinsicht problematisch sind. Die drei wichtigsten Probleme möchte ich herausgreifen.

Merkmale und Wirklichkeit.

Das erste Problem scheinbar wertneutraler Unterscheidungen besteht darin, dass sprachliche Merkmale wie "männlich/weiblich" und "erwachsen/nicht erwachsen" oder "schwarz/weiß" ebenso wenig einen direkten Bezug zur objektiven Wirklichkeit haben wie die Merkmale, anhand derer verschiedene Sitzgelegenheiten unterschieden werden. Beim Merkmalspaar "erwachsen/nicht erwachsen" leuchtet das schnell ein: Ab wann eine Person als erwachsen gilt, lässt sich im Prinzip beliebig definieren, und die Grenze variiert sowohl über verschiedene Kulturräume als auch über verschiedene Zeitpunkte hinweg beträchtlich. Beim Merkmalspaar "schwarz/weiß" ist das schon schwerer zu erkennen: Da Hautpigmentierung keinen klar abgrenzbaren Stufen folgt, sondern sich auf einem einzigen fließenden Übergang bewegt, ist es noch nachvollziehbar, dass die Grenzziehung zwischen Schwarzen und Weißen beliebig ist, aber wenigstens an seinen Endpunkten scheint das Kontinuum der Hautfarben eindeutige Kategorisierungen zu erlauben. Die Unterscheidung "männlich/weiblich" schließlich stellt sich zunächst als eindeutig von der Natur vorgegeben dar: Für die meisten Mitglieder unserer Sprachgemeinschaft beruht sie auf den äußeren Geschlechtsmerkmalen, mit denen eine Person zur Welt kommt.

Aber selbst diese sprachliche Unterscheidung ignoriert eine Reihe biologischer Tatsachen - etwa die Möglichkeit einer Mischform "männlicher" und "weiblicher" Geschlechtsmerkmale, einer fehlenden Übereinstimmung zwischen äußeren Geschlechtsmerkmalen und genetischem Geschlecht oder Abweichungen bei der Zahl der Geschlechtschromosomen. Nimmt man menschliche Eingriffe in die biologischen Vorgaben hinzu, wird es noch problematischer: Vielen fällt es schwer, Menschen nach einer Geschlechtsumwandlung (also einer Anpassung der äußeren Geschlechtsorgane und des Hormonhaushalts) neu zu kategorisieren. Die Unterscheidung versagt völlig, wenn das biologische Geschlecht nicht mit der Eigenwahrnehmung übereinstimmt.

Selbst, wenn man also die "Wirklichkeit" zur Grundlage einer Unterscheidung in verschiedene Kategorien von Personen machen will, gibt es außer einer Tradition, deren Ursprünge sich nicht nachvollziehen lassen, keinen besonderen Grund, den Aspekt "äußere Geschlechtsmerkmale bei Geburt" den anderen genannten Aspekten vorzuziehen. Er ist weder wirklicher noch objektiv relevanter. Sprache diskriminiert hier also allein durch ihre Struktur alle diejenigen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht vorrangig über diesen Aspekt definieren können oder wollen. Und auch denjenigen, die sich gut mit dieser Kategorisierung abfinden können, wird es schwer gemacht, die Unterscheidung zu hinterfragen und alternative Unterscheidungen oder gar die Abwesenheit von Unterscheidungen zu denken.

Kategorien und Zuschreibungen.

Das zweite Problem scheinbar wertneutraler Unterscheidungen ist, dass die auf ihnen beruhenden Kategoriebezeichnungen sich zwangsläufig dazu anbieten, sie mit zusätzlichen Eigenschaften aufzuladen. Diese Eigenschaften stehen dann zwar in keinem logischen Zusammenhang mit der ursprünglichen Unterscheidung, stellen sich der Sprachgemeinschaft aber trotzdem als ein natürlicher Aspekt der Wortbedeutung dar. Auf diese Weise werden den Mitgliedern der jeweiligen Kategorie weitere scheinbar allgemeingültige Eigenschaften zugeschrieben.

So gehen wir beispielsweise wie selbstverständlich davon aus, dass die sprachlichen Kategorien Mann und Frau mehr bezeichnen als die oben erwähnte biologische Unterscheidung. Aussagen wie "Frauen können nicht einparken" und "Frauen gehen gerne shoppen" oder "Männer können ihre Gefühle nicht zeigen" und "Männer gucken gerne Fußball" halten wir vielleicht nicht unmittelbar für wahr, aber doch für ausreichend plausibel, um über ihren Wahrheitsgehalt nachzudenken. Eine solche Aufladung ist bei einfachen Wörtern eher möglich als bei komplexen Wörtern oder Umschreibungen, die offen auf die verwendeten Unterscheidungsmerkmale Bezug nehmen. So klingt ein Satz wie "Frauen können nicht einparken" plausibler als "Menschen mit weiblichen Geschlechtsorganen können nicht einparken", "Blondinen sind dumm" klingt plausibler als "Frauen mit hellen Haaren sind dumm" und "Schwarze tanzen gut" klingt plausibler als "Menschen mit dunkler Hautfarbe tanzen gut".

Das liegt daran, dass der jeweils erste Satz das eigentliche Kategorisierungskriterium implizit lässt und so den fehlenden logischen Zusammenhang zwischen weiblichen Geschlechtsorganen, Haarfarbe oder Hautfarbe mit der Geschicklichkeit beim Einparken, den intellektuellen und den tänzerischen Fähigkeiten verdeckt. Werden diese Verknüpfungen dagegen wie in dem jeweils zweiten Satz ausbuchstabiert, tritt die fehlende Logik deutlich zutage - die Sätze werden nun offensichtlich absurd, und wer sie äußert, müsste mindestens ausführlich begründen, wie und warum es zwischen den jeweiligen Eigenschaften einen Zusammenhang geben sollte.

Dabei sind Wörter umso problematischer, je substanzloser die Unterscheidungen sind, auf denen sie beruhen. Während man sich bei Wörtern wie Mann und Frau noch Zusammenhänge vorstellen kann, in denen die damit einhergehende Unterscheidung trotz ihrer Ungenauigkeit und Eindimensionalität eine Rolle spielt (für viele Menschen etwa bei der Wahl der Sexualpartner/in), ist es a priori kaum vorstellbar, in welchem Zusammenhang Haarfarbe oder Hautpigmentierung von so fundamentaler Bedeutung sein sollte, dass man Wörter braucht, um Menschen nach diesen Eigenschaften einzuteilen (darauf, dass es solche Situation a posteriori geben kann, komme ich am Ende dieses Beitrags zurück).

Ein genauerer Blick zeigt dann auch, dass es bei solchen relativ substanzlosen Kategorisierungen häufig nur sehr bedingt um das eigentliche Unterscheidungsmerkmal geht. Wenn es wirklich wichtig wäre, Menschen nach ihrer Haarfarbe einzuteilen, wäre ja zu erwarten, dass es ein allgemein anwendbares Vokabular dafür gäbe. Das ist aber nicht der Fall: Die Wörter Blondine und Brünette sind ausschließlich auf Frauen anwendbar, entsprechende Bezeichnungen für Männer gibt es nicht. Es geht bei diesen Wörtern also keineswegs um Haarfarbe, sondern um kulturell definierte Schönheitsideale, an denen sich Frauen, nicht aber Männer messen müssen. Nicht nur das Vokabular für Haarfarbe verhält sich so, sondern eine Vielzahl von Adjektiven, die körperliche Eigenschaften beschreiben - nur über Frauen kann man etwa sagen, dass sie drall, kurvig oder üppig sind. Umgekehrt ist es schwierig bis unmöglich, Wörter zu finden, die nur auf Männer anwendbar sind (wenngleich viele Wörter, die auf Männer bezogen positiv interpretiert werden, bei Frauen negativ klingen).

Am problematischsten sind sprachliche Kategorien, wenn sie nicht nur mit zusätzlichen Bedeutungsaspekten behaftet sind, sondern außerdem historischen Ballast transportieren. Die fast schon verzweifelt anmutende Suche nach einem "akzeptablen" Wort für "Menschen mit dunkler Hautfarbe" - von Neger zu Farbiger oder Schwarzer zu Person of Color (PoC) oder dunkelhäutiger Mensch - verstellt nicht nur den Blick auf die Frage, warum man Menschen überhaupt nach ihrer Hautfarbe kategorisiert, sondern auch auf die geschichtlichen Zusammenhänge, aus denen diese Kategorisierung hervorgegangen und zu denen sie beigetragen hat. Diese Frage lässt sich im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Diskussion natürlich weder in angemessenem Umfang noch in ausreichender Tiefe behandeln, aber ein Denkanstoß sei dennoch erlaubt.

Unser Vokabular für die quasi-ethnische Kategorisierung von Menschen ist auf den ersten Blick sehr heterogen und unsystematisch: Manche Gruppen werden über ihre Hautfarbe kategorisiert (Schwarze, aber nicht (mehr) Gelbe oder Rote); andere über eine grobe geografische Region (Asiat/in, aber selten Afrikaner/in, außer im Kompositum Schwarzafrikaner/in), wobei auch Fehlkategorisierungen sich sprachlich jahrhundertelang halten können (wie bei Indianer/in); wieder andere nach Religion (Moslem). Diese verwirrende Unordnung wird erst in dem Augenblick verständlich, in dem man das Gegenteil zu all diesen Bezeichnungen denkt. Wenn der weiße, europäische Christ der als selbstverständlich vorausgesetzte Normalfall ist, dann kann jede Gruppe über das Merkmal definiert werden, anhand dessen sie am offensichtlichsten von diesem Normalfall unterschieden werden kann. Indem man aber diesen "Normalfall" voraussetzt, wird jede Gruppe, die diesem nicht entspricht automatisch zum "Fremden" und "Anderen". Neutrale Unterscheidungen sind auf dieser Grundlage nicht mehr möglich - die Ungleichbehandlung und Herabwürdigung ist unauflösbar in dieses Modell eingebunden, und kein noch so großer sprachpolitischer Aufwand kann daran etwas ändern, solange der "Normalfall" unausgesprochen und unhinterfragt bleibt.

Relevanz der Unterschiede.

In einigen Fällen, und das ist das dritte Problem, stellen scheinbar wertneutrale Unterscheidungen die Merkmale, anhand derer sie getroffen werden, als durchgängig relevant dar. Im Deutschen und in vielen anderen Sprachen ist das vor allem bei der Unterscheidung nach Geschlechtern der Fall. Diese Unterscheidung ist nicht nur in Wörtern wie Mann und Frau oder Junge und Mädchen kodiert, sondern auch in der Wortbildung (wie mit der Endung -in, die weibliche Personenbezeichnungen aus männlichen ableitet) und der Grammatik (wie mit den Pronomen der dritten Person Singular, er und sie). Wie oben angedeutet, mag es Situationen geben, in denen das (wie auch immer definierte) Geschlecht einer Person eine Rolle spielt, sodass Wörter wie Mann oder Frau nützlich sein können. Aber objektiv betrachtet sind solche Situationen eher selten. Erst die Sprache selbst legt uns nahe, es handle sich um einen wichtigen, alles durchdringenden Unterschied, und es ist unsere Sprache, die uns dazu zwingt, diesen Unterschied auch dort ständig zu erwähnen, wo er nichts zur Sache tut.

Berufsbezeichnungen sind nur eins von vielen Beispielen. Wenn wir beispielsweise über Menschen sprechen, die studieren, Kranke versorgen oder einen Bus lenken - warum sollten wir gezwungen sein, sie nach Geschlecht (Student/Studentin, Krankenpfleger/Krankenpflegerin beziehungsweise Krankenschwester, Busfahrer/Busfahrerin) zu kategorisieren? Schließlich ist das Einzige, was eine Rolle spielen sollte, ihre Qualifikation und ihre Bereitschaft die Tätigkeit auszuüben. Die irrelevante Unterscheidung nach Geschlecht hat sich aber so tief in unser Alltagsdenken eingegraben, dass geschlechtsneutralen Formulierungen (Studierende, Pflegekräfte) häufig mit Spott oder Unwillen begegnet wird.

Und an vielen Stellen lässt das Deutsche solche Formulierungen gar nicht ohne Weiteres zu; für Busfahrer/in und viele andere Berufsbezeichnungen oder für die Pronomen in der dritten Person Singular gibt es keine Formen, die nicht automatisch das Geschlecht der Person mit ausdrücken. Das ist aufgrund der irrelevanten Betonung des Geschlechts problematisch genug, wenn es um konkrete Einzelpersonen geht, die ja (mit allen oben diskutierten Einschränkungen) meistens einem der Geschlechter zugeordnet werden können. Noch problematischer sind aber Situationen, in denen es um gemischte Gruppen oder um abstrakte Verweise auf die Kategorie an sich geht.

Im Sprachgebrauch greifen wir in solchen Situationen häufig zu einer Strategie, bei der nur die maskuline (also im Falle von Berufsbezeichnungen "männliche") Form verwendet wird und es den Zuhörenden überlassen bleibt, zu erkennen, dass damit sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind. Gerechtfertigt wird diese Strategie oft mit der Behauptung, dies sei eine besondere Form des Maskulinums, das "generische Maskulinum", das zwar formal mit dem normalen Maskulinum identisch ist, auf der Bedeutungsseite aber Frauen einschließt. Selbst wenn ein solches "generisches Maskulinum" existieren würde, würde es sich um eine höchst diskriminierende Sprachform handeln. Das Maskulinum - ein "generisches Femininum" gibt es im Sprachgebrauch nicht - wäre der sprachliche Normalfall, auf den man immer dann zurückgreift, wenn die Sprache keine geeignetere Form bereitstellt. Das Merkmal "männlich" wäre damit nicht nur auf der strukturellen Ebene unmarkiert, was sich daran zeigt, dass für weibliche Personenbezeichnungen Wortendungen existieren, die an die nicht explizit markierten männlichen Formen angehängt werden. Es wäre auch auf der Bedeutungsebene unmarkiert - das Weibliche wäre die Ausnahme, die nur dann explizit erwähnt wird, wenn es gar nicht anders geht.

Aber gibt es ein "generisches Maskulinum" überhaupt? Auf der gesellschaftlichen Ebene ist das strittig: Viele Frauen fühlen sich durch die maskuline Form nicht "mitgemeint". Unabhängig von den sprachlichen Fakten wäre es eine Reproduktion von sprachlicher Ungleichheit, das zu ignorieren. Aber die sprachlichen Fakten selbst sprechen gegen die Existenz eines "generischen Maskulinums": Eine Vielzahl psycho-linguistischer Studien zeigt, dass das Maskulinum im Prozess des Sprachverstehens immer zunächst auf männliche Personen bezogen wird und die generische Interpretation erst danach entsteht. Das geschieht möglicherweise auf der Grundlage logischer Inferenzprozesse: Die Hörer/innen erkennen, dass eine rein auf Männer bezogene Lesart in einem bestimmten Zusammenhang keinen Sinn ergibt, und schließen daraus, dass hier wohl Männer und Frauen (oder Männer oder Frauen) gemeint sein müssen.

Fassen wir zusammen: Das Treffen von Unterscheidungen anhand von Merkmalen ist ein grundlegendes Strukturprinzip von Sprache. Die Unterscheidungen stehen in keinem direkten Zusammenhang mit der außersprachlichen Wirklichkeit, sondern entwickeln sich historisch und zumindest zum Teil in Abhängigkeit zu gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen; sind sie erst einmal sprachlich kodiert, erscheinen uns die Unterscheidungen aber selbstverständlich und verleiten dazu, sie mit zusätzlichen Stereotypisierungen aufzuladen. Sprache erschwert so das Nachdenken über alternative Unterscheidungen oder das Weglassen von Unterscheidungen. Außerdem zwingt sie uns häufig, die in ihr kodierten Unterscheidungen auch dann zu treffen, wenn sie eigentlich keine Rolle spielen. Damit schafft Sprache (wahrscheinlich unvermeidlicherweise) die Grundlage für Ungleichheit und Diskriminierung.

Zum Umgang mit diskriminierender Sprache

Werfen wir zum Abschluss einen kurzen Blick auf mögliche Veränderungen des sprachlichen Status quo. Im Falle eines einzelnen diskriminierenden Wortes scheint eine Veränderung zunächst täuschend einfach: Es wird einfach durch ein anderes, neutraleres Wort ersetzt. Die Sprachgeschichte zeigt jedoch, dass jedes neu eingeführte Wort schnell die negativen Bedeutungsaspekte des ersetzten Wortes übernimmt (man spricht hier manchmal von einer "Euphemismentretmühle"). Das oben erwähnte Beispiel von Bezeichnungen für Menschen mit dunkler Hautfarbe zeigt das sehr gut.

Ein Grund dafür ist, dass die Mitglieder der Sprachgemeinschaft durch den fortgesetzten Versuch, die jeweils aktuelle Bezeichnung durch eine noch wertneutralere zu ersetzen, die aktuelle Bezeichnung unfreiwillig abwerten: Solange die kodierte Unterscheidung selbst nicht hinterfragt wird, ist es schwer, die mit ihr verknüpften negativen Stereotype loszuwerden. Es scheint hier aber zu helfen, die Unterscheidung wenigstens explizit zu benennen: Wie oben angedeutet, lassen sich explizite Benennungen wie hellhaarige Frau oder dunkelhäutige Person nicht ganz so leicht mit zusätzlichen Stereotypen verknüpfen wie implizite Benennungen wie Blondine oder Schwarze. Formulierungen wie "dunkelhäutige Menschen" oder "Mitbürger mit Migrationshintergrund" mögen umständlich wirken, aber da sie dazu anhalten, die betreffenden Merkmale nur dann zu versprachlichen, wenn sie wirklich relevant sind, sind sie ein unverzichtbarer Schritt auf dem Weg zu einem möglichst wenig diskriminierenden Sprachgebrauch.

Im Falle von Unterscheidungen, welche die gesamte Sprache durchziehen, ist eine Veränderung des Sprachgebrauchs von vornherein schwieriger. Auch hier kann man grundsätzlich versuchen, neutrale Wörter zu finden - Wörter, welche die Unterscheidung gar nicht erst treffen. Wie bereits erwähnt, gibt es ja beispielsweise im Bereich der Personenbezeichnungen häufig Alternativen, die geschlechtsneutral sind (Lehrkraft, Amtsperson, Elternteil, Familienmitglied) oder die wenigstens eine geschlechtsneutrale Pluralform haben (Studierende, Vorsitzende).

Manchmal werden diese Formen als umständlich oder übertrieben sensibel kritisiert, aber in vielen Fällen sind sie so gut etabliert, dass sie kaum noch auffallen. Die dahinterstehenden sprachlichen Strategien ließen sich nun problemlos verwenden, um auch dort solche Formen zu schaffen, wo sie bisher nicht oder nur randständig existieren (wie Backkraft statt Bäcker/Bäckerin, Gesellschaftsmitglied statt Bürger/Bürgerin, Regierungsteil statt Minister/Ministerin oder Leitungsperson statt Chef/Chefin). Wenn diese Formen merkwürdig oder umständlich klingen, so liegt das vor allem daran, dass sie ungewohnt sind - ein Effekt, der sich schnell abnutzen würde.

Wenn keine geschlechtsneutrale Bezeichnung zur Verfügung steht und die Schaffung neuer Wörter zu radikal erscheint, muss man sich in der gesprochenen Sprache mit Doppelformen wie Studentinnen und Studenten aushelfen. In der Schriftsprache gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese orthografisch zu verkürzen, etwa durch Schrägstriche (Student/innen), das Binnen-I (StudentInnen) oder der "Gender-Gap" (Student_innen). Hier handelt es sich aber aus sprachlicher Sicht um orthografische Kosmetik, denn aussprechbar sind die Formen nicht. Aus der Perspektive einer Bewusstseinsbildung für diskriminierende Sprache können sie trotzdem sinnvoll sein - der "Gender-Gap" etwa soll durch die Verwendung eines Unterstrichs eine gedankliche Lücke schaffen, in der auch die Geschlechter, die sich nicht in die Unterscheidung "männlich/weiblich" einordnen lassen, ihren Platz finden.

Überhaupt ist die Bewusstseinsbildung in Bezug auf diskriminierende Sprache wahrscheinlich der wichtigste und dringendste Handlungsbereich. Es sind eben nicht (nur) diskriminierende Gedanken, die zu einer diskriminierenden Sprache führen, es ist die Struktur menschlicher Sprachen selbst. Eine wirklich diskriminierungsfreie Sprache wird es deshalb nie geben. Wenn wir aber lernen, die Unterscheidungen zu hinterfragen, welche die Sprache uns vorgibt, verlieren sie auch dort einen Teil ihrer Macht zur Diskriminierung, wo wir die Sprache nicht verändern können.

In manchen Zusammenhängen ist es gar nicht wünschenswert, sprachliche Unterscheidungen ganz abzuschaffen, denn das würde es erschweren, über die jahrhundertelange Diskriminierung zu sprechen, die bestimmte Gruppen über sich ergehen lassen mussten und müssen. Menschen mit einer Hautfarbe, die nicht der der (tatsächlichen oder gefühlten) Mehrheit entspricht, werden tagtäglich wegen dieser Hautfarbe einer imaginären "Rasse" zugeordnet und für diese "Rassenzugehörigkeit" diskriminiert, verletzt und getötet. An dieser Stelle brauchen sie - und wir alle - Wörter, um diese Kategorie von Menschen zu benennen und die (tatsächliche oder gefühlte) Mehrheit auf die fortgesetzte Diskriminierung aufmerksam zu machen.

Diese Bezeichnungen können nur von den betroffenen Gruppen selbst kommen, und auch sie werden nie unumstritten sein. Aber das ist in diesem Fall auch wünschenswert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Meinen Betrachtungen zur Struktur von Sprache liegt die kognitive Linguistik zugrunde. Vgl. George Lakoff, Women, Fire and Dangerous Things, Chicago 1987.

  2. Im Folgenden synthetisiere ich die sehr komplexe fachliche Diskussion stark und wähle eine sonst selten gewählte kognitiv-linguistische Perspektive, sodass sich Einzelverweise nur punktuell anbieten. Vgl. zu Sprache und Sexismus: Robin Tolmach Lakoff, Language and woman's place, New York 1975; Luise Pusch, Das Deutsche als Männersprache, Frankfurt/M. 1984. Vgl. zu Sprache und Rassismus: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard, Wie Rassismus aus Wörtern spricht, Münster 2011.

  3. Vgl. Theodor Ickler, Duden - politisch korrekt, 1.8.2006, online: www.fds-sprachforschung.de/ickler/index.php?show=news&id=577 (27.2.2012).

  4. Vgl. R.T. Lakoff (Anm. 2).

  5. Vgl. L. Pusch (Anm. 2).

  6. Vgl. Dagmar Stahlberg/Sabine Sczesny, Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen, in: Psychologische Rundschau, 52 (2001), S. 131-140; Pascale Gygax et al., There is no generic masculine in French and German, in: Language and Cognitive Processes, 23 (2008), S. 464-485.

  7. Vgl. Steven Pinker, Das unbeschriebene Blatt, Berlin 2003.

  8. Vgl. Rudi Keller, Sprachwandel, Tübingen 1990.

Dr. phil. (Rice), geb. 1970; Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin; Autor des Blogs "Sprachlog", Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin. E-Mail Link: a.stefanowitsch@sprachlog.de