Einleitung
Mit der gesetzgeberischen Umsetzung der Föderalismusreform II ist eine Verschuldungsregel mit Verfassungsrang in Kraft getreten, die in Artikel 109 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) vorschreibt: Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Die Schuldenbremse ist eine Fiskalregel, ein Regime höherrangigen Rechts, das sich den Staatsausgaben und ihrem Verhältnis zu den staatlichen Einnahmen widmet.
Die Schuldenbremse ist der dritte Regulierungsanlauf des Grundgesetzes, um die Staatsfinanzen langfristig tragfähig zu halten. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten noch das statische Schuldenverbot (Kreditaufnahme nur für unmittelbar rentable - betriebswirtschaftliche - Investitionen) der Weimarer Reichsverfassung übernommen, das bis 1969 galt. Die "große" Verfassungsreform von 1969 ersetzte das Verbot dann durch ein neues volkswirtschaftliches Konzept, das der "Goldenen Regel":
Diese ließ zwar Neuverschuldung zu, aber nur in Höhe der jeweiligen "Bruttoinvestitionen", also der Ausgaben für langlebige, allgemein wachstumsfördernde Sachwerte. Eine Ausnahme galt zur Abwehr einer "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". In einem solchen Störungsfall durfte die Neuverschuldung noch höher ausfallen. Die "Goldene Regel" hat es in über vierzig Jahren nicht verhindert, dass Bund und Länder immer neue Kredite aufgenommen haben, und zwar in einem ungebrochenen Trend.
Warum Schuldenbremse?
Schon 2008, noch vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, lag der gesamtstaatliche Schuldenstand in Deutschland bei beachtlichen 65,9% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Diese als Schuldenstandsquote bezeichnete Größe stieg bis 2010 auf über 83%. Die Verschuldung von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen liegt inzwischen bei über zwei Billionen Euro. Der Bund trägt mit 1,3 Billionen zu zwei Dritteln zur Gesamtverschuldung bei.
Die Verschuldung von Bund und Ländern ist seit den 1970er Jahren stetig gewachsen, und zwar auch dann, wenn man die Sondereffekte der Wirtschafts- und Finanzkrise und der Finanzierung der deutschen Einheit außer Betracht lässt. Ebenso kontinuierlich stiegen die Belastungen der öffentlichen Kassen durch den Schuldendienst. Zwar ist nicht exakt bestimmbar, ab welcher Höhe ein Staatsdefizit außer Kontrolle gerät. Aber man weiß aufgrund langjähriger Beobachtungen stabiler und instabiler Volkswirtschaften, dass diese Gefahr mit steigenden Schulden grundsätzlich zunimmt, auch wenn die kritische Grenze wohl mit dem Maastricht-Referenzwert von 60% des BIP noch nicht erreicht ist. Die Einleitung einer Trendwende ist demnach eine prioritäre politische Aufgabe.
Mit der Umsetzung der Föderalismusreform II durch Bundestag und Bundesrat trat die neue Verschuldungsregel des Bundes in Kraft. Ausgehend von für Bund und Länder gemeinsam geltenden Grundregeln für die Begrenzung der Nettokreditaufnahme in Artikel 109 GG wird die "Schuldenbremse" des Bundes durch Artikel 115 GG und ein Ausführungsgesetz (Artikel-115-Gesetz, G 115) konkretisiert.
Wesentliche Eckpfeiler der neuen Regel sind der Grundsatz ausgeglichener Haushalte, ein eng begrenzter struktureller Verschuldungsspielraum (Strukturkomponente), die Bereinigung um finanzielle Transaktionen, die explizite Berücksichtigung der konjunkturellen Einflüsse auf die öffentlichen Haushalte (Konjunkturkomponente), ein sogenanntes Kontrollkonto sowie eine eng gefasste Ausnahmeregelung. Bis zur vollständigen Wirkung im Jahr 2016 wurde außerdem eine Übergangsregelung geschaffen. Die Strukturkomponente der zulässigen Neuverschuldung liegt ab 2016 für den Bundeshaushalt bei 0,35% des BIP und steht damit in Einklang mit dem deutschen Mittelfristziel im Rahmen des europäischen Stabilitätspaktes, das bei einem gesamtstaatlichen Defizit von derzeit 0,5% des BIP liegt. Die Reform folgt damit dem dort verankerten Prinzip "annähernd ausgeglichener oder einen Überschuss aufweisender Haushalte".
Dieser eng begrenzte strukturelle Verschuldungsspielraum ermöglicht ökonomische Maßnahmen, die der Stärkung nachhaltigen Wachstums dienen und somit künftigen Generationen zugute kommen. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs wird dadurch nicht in Frage gestellt. Die Strukturkomponente könnte in diesem Verständnis als pauschalierter "Investitionsspielraum" im Sinne der "Goldenen Regel" interpretiert werden. Dem Haushaltsgesetzgeber verbleibt dabei mehr inhaltliche Flexibilität insofern, als dieser Spielraum nicht nur für Investitionen im klassischen Sinne (Beton), sondern auch für Bildung, Forschung und Entwicklung oder wachstumsorientierte Reformen auf der Einnahmeseite verwendet werden darf.
Die Strukturkomponente in Höhe von 0,35% des BIP ist für den Bund nicht als Ausnahme, sondern als Ausgestaltung des Grundsatzes eines ausgeglichenen Haushalts zu verstehen. Dennoch betont die Gesetzesbegründung zutreffend, dass mit der Einräumung eines strukturellen Verschuldungsspielraums keineswegs ein Automatismus beabsichtigt ist, diesen stets schon in der Haushaltsplanung auszunutzen. Vielmehr empfiehlt es sich, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur verfassungsgemäßen Grenze der Strukturkomponente einzuhalten.
Symmetrische Konjunkturregel
Um systematisch eine konjunkturgerechte Finanzpolitik zu ermöglichen, berücksichtigt die Schuldenbremse gesamtwirtschaftliche Rückwirkungen auf die öffentlichen Haushalte explizit mit einer besonderen Konjunkturkomponente. Sie erweitert die maximal zulässige Nettokreditaufnahme in konjunkturell schlechten Zeiten und schränkt sie in konjunkturell guten gegenläufig ein. Gerade die dämpfende Wirkung in guten Zeiten soll den systematischen Aufwuchs struktureller Verschuldung verhindern und so für konjunkturell schlechte Zeiten fiskalische Manövriermasse sichern. Damit soll die Schuldenbremse das Hauptproblem der bisherigen Fiskalpolitik überwinden: In konjunkturell guten Zeiten sollen künftig Schulden getilgt werden, statt sie - wie in der Vergangenheit - sogar noch anwachsen zu lassen. Auch in Zukunft soll der Staat aber nicht gezwungen sein, prozyklisch zu sparen und seine Ausgaben gerade dann zurückfahren, wenn die Volkswirtschaft in einer Situation des wirtschaftlichen Abschwungs bereits unter der Zurückhaltung privater Investoren leidet.
Eine Schuldenregel, die konjunkturelle Effekte berücksichtigen soll, kommt ohne die Definition einer konjunkturellen Normallage nicht aus. Nur mit Hilfe der Berechnung von Abweichungen kann der Konjunktureffekt identifiziert, idealtypisch zwischen konjunkturell "guten" und "schlechten" Zeiten unterschieden und die Höhe der konjunkturellen Defizite bzw. Überschüsse bestimmt werden. Konsequenterweise übernimmt die am Maastricht-Modell des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts entwickelte Budgetregel auch das im europäischen Haushaltsüberwachungsverfahren bewährte Konjunkturbereinigungsverfahren. Dieses Verfahren arbeitet mit der Annahme, dass schlechte Konjunkturlagen mit einer Unterauslastung des Produktionspotenzials einhergehen. In einer Phase der Rezession wird nicht das maximal mögliche, sondern nur ein durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Unterauslastung des Kapitals verringertes BIP erwirtschaftet. Die Differenz zwischen dem Produktionspotenzial und dem tatsächlichen BIP ist die Produktionslücke. Sie wirkt sich - über eine verkleinerte Besteuerungsbasis und verringerte Steuereinnahmen - auf die Einnahmenseite des Bundeshaushalts aus. Bei der Ermittlung dieser sogenannten Budgetsensitivität geht man pragmatisch davon aus, dass es einen konstanten Faktor gibt, mit dem sich eine gesamtwirtschaftliche Produktionslücke auf den Bundeshaushalt auswirkt.
Gleichwohl ist zu betonen, dass weder das Produktionspotenzial noch die Produktionslücke beobachtbare Größen sind. Damit lassen sich auch die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt nicht mathematisch exakt ermitteln. Man ist vielmehr auf plausible Setzungen angewiesen, die mit Hilfe eines ökonometrischen Schätzansatzes ermittelt werden. Datengrundlage sind die Angaben der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Statistischen Bundesamtes sowie für die Schätzjahre die jeweils aktuelle gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung der Bundesregierung für die kurze und die mittlere Frist.
Verbindlichkeit im Haushaltsvollzug
Wie das Budgetgebaren in der Vergangenheit eindrucksvoll gezeigt hat, reicht es zur Sicherung tragfähiger öffentlicher Finanzen keinesfalls aus, wenn die Nettokreditaufnahme nur bei der Aufstellung des Haushalts beschränkt wird. Deshalb sieht die neue Schuldenbremse einen Kontroll- und Sanktionsmechanismus vor, der ihre Verbindlichkeit auch im Haushaltsvollzug sicherstellen soll.
Analog zum europäischen Verfahren, das von den Mitgliedstaaten die Einhaltung der Regeln auch und gerade im Haushaltsvollzug fordert, soll ein Kontrollkonto die Verbindlichkeit für den Bund nachvollziehen. Dieses erfasst nicht-konjunkturbedingte Abweichungen von der Verschuldungsobergrenze, die sich im Laufe des Haushaltsjahrs - z.B. in Folge von Fehlveranschlagungen bei der Haushaltsaufstellung - ergeben können. Auch Haushaltsüberschreitungen bei Fehleinschätzung der finanziellen Auswirkungen einer Steuerreform führen zu einer Belastung des Kontrollkontos. Bei Unterschreitung erfolgt eine Gutschrift.
Überschreitet ein etwaiger negativer Saldo des Kontrollkontos einen festgelegten Schwellenwert, so ist diese Überschreitung konjunkturgerecht zurückzuführen. Diese Rückführungspflicht verhindert, dass es zu einem strukturellen Aufbau der Staatsverschuldung kommt. Um die Abbauverpflichtung nicht rezessionsverschärfend zu gestalten, sieht die einfachgesetzliche Ausführungsbestimmung vor, dass im Abschwung kein Abbau des Negativsaldos erfolgen, also nicht prozyklisch gespart werden muss. Der im Aufschwung, also bei positiver Veränderung der Produktionslücke, zu erbringende Abbauschritt muss die Strukturkomponente von jährlich 0,35% des BIP (derzeit ca. 10 Mrd. Euro) nicht unterschreiten.
Das Kontrollkonto dient somit als Sicherheitspuffer und verhindert einen schleichenden Aufbau der Staatsverschuldung, die ansonsten erst nach mehreren Jahren sichtbar würde. Das virtuelle Kontrollkonto kann nicht als "Sparbuch" benutzt werden, das im Falle von Gutschriften Spielraum für Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen bietet. Es kann nicht bei der Haushaltsaufstellung "bebucht" werden.
Ausnahme- und Übergangsregelung
Um die staatliche Handlungsfähigkeit in Ausnahmesituationen sicherzustellen, hat die Schuldenregel eine Ausnahmeklausel. Diese erlaubt es, bei "Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen", die reguläre Kreditobergrenze zu überschreiten. Die Ausnahmeklausel erhöht die prozeduralen Anforderungen, indem sie nur durch einen Bundestagsbeschluss mit Kanzlermehrheit in Anspruch genommen werden kann, und zudem mit einem Tilgungsplan zu verbinden ist. So soll die Rückführung der oberhalb der Regelgrenzen liegenden Kreditaufnahme gesichert werden.
Eine Ausnahmeregelung ist bei regelgebundener Finanzpolitik unabdingbar, weil ansonsten das Risiko bestünde, dass der Staat in Ausnahmesituationen seine Handlungsfähigkeit einbüßt. Gerade für eine Regel, die aufgrund ihrer Verankerung im Grundgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat geändert werden kann, ist die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung für eine effektive Staatspraxis nicht ernsthaft bestreitbar.
Bei der Formulierung der Regel wurde bewusst auf eine abschließende Aufzählung potenzieller Ausnahmetatbestände verzichtet, was zwangläufig Interpretationsspielräume eröffnet. Gleichwohl ist die Ausnahmeregelung deutlich enger gefasst als die bisherige, welche an eine vage definierte "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" angeknüpft hatte. Eine Verbesserung stellt darüber hinaus die neu eingeführte Tilgungsverpflichtung dar, die der Bundestag mit der Inanspruchnahme der Ausnahmeklausel über einen angemessenen Zeitraum umsetzen muss. Verglichen mit dem status quo ante sind der Anwendungsbereich der Ausnahmeklausel kleiner und die mit ihrer Inanspruchnahme verbundenen politischen Kosten größer geworden. In diesem Zusammenhang sollte auch darauf verwiesen werden, dass mit dem Wegfall der Generalermächtigung für Sondervermögen (alter Art. 115 Abs. 2 GG) ein wichtiges Schlupfloch komplett geschlossen wurde.
Die Schuldenbremse ist mit all ihren Elementen ab dem Haushaltsjahr 2011 für Bund und Länder wirksam. Im Rahmen einer Übergangsregelung (Art. 143d Abs. 1 GG) sind für den Bund allerdings bis einschließlich 2015 Abweichungen hinsichtlich der strukturellen Nettokreditaufnahme zugelassen. Die Schuldenregel fordert, dass das strukturelle Defizit des Haushaltsjahres 2010 ab dem Jahr 2011 in gleichmäßigen Schritten bis zur vollen Einhaltung der neuen Grenze im Jahr 2016 zurückgeführt wird.
Neue Schuldenregeln für die Länder
Die Länder müssen nach Art. 109 GG ihre Ausgaben ebenfalls grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten finanzieren. Auch hier gibt es eine Übergangsfrist; die Länder können noch bis einschließlich 2019 von dieser Vorgabe abweichen. Sie können außerdem Regelungen vorsehen, die im Auf- und Abschwung zu einer symmetrischen Berücksichtigung einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung führen. Außerdem dürfen sie eine Ausnahmeregelung schaffen für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Für die Ausnahmeregelung ist analog zum Bund eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Anders als beim Bund fehlt für die Länder jedoch eine strukturelle Verschuldungskomponente. Dies bedeutet, dass die Länder bei konjunktureller Normallage keine neuen Schulden machen dürfen.
Die Länder bestimmen selbst, wie sie Art. 109 GG umsetzen. Das folgt aus ihrer föderalen Haushaltsautonomie. Sie sind aber nach Art. 143d Abs. 1 GG verpflichtet, ihre Haushalte so aufzustellen, dass dem Konsolidierungsziel der grundsätzlichen Nullneuverschuldung im Haushaltsjahr 2020 entsprochen wird. Verschärfte Bedingungen gelten für die Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, die gemäß Art. 142d Abs. 2 GG Konsolidierungshilfen empfangen. Diese Länder sind bereits ab 2011 verpflichtet, sich der ab 2020 geltenden Linie der Null-Neuverschuldung in gleichmäßigen Schritten zu nähern. Wenn eines dieser Länder die jährlich festgeschriebenen Obergrenzen des strukturellen Finanzierungsdefizits nicht einhält, verliert es seinen Anspruch auf Konsolidierungshilfen.
Bislang hat eine Reihe von Ländern Initiativen zur Umsetzung der Schuldenbremse ergriffen. Schon die politische Diskussion im Vorfeld der Grundgesetzänderung hat für einen Mentalitätswechsel gesorgt und die Tolerierbarkeit von öffentlicher Verschuldung geringer werden lassen. Investitionen können nicht länger als Rechtfertigung für Kreditaufnahmen dienen, denn das angestrebte Budgetziel ist die Null-Linie - wenn auch in konjunkturbereinigter Betrachtung. Das bedeutet für die Länder, dass die Latte möglicher Ausgabenspielräume nicht an die Jahre mit guter Konjunktur angelegt werden darf, um in schlechten Zeiten die Lücken mit Krediten aufzufüllen. Nur die im langjährigen Mittel erwartbaren Einnahmen dürfen verplant werden. Eine - bewusst in Kauf genommene - Schwäche der Schuldenbremse liegt darin, dass weder in der Zeit der Übergangsregel bis zum 31. Dezember 2019 noch danach Verstöße mit Sanktionen belegt sind. Dies gilt ebenso für den Bund.
Die Länder müssen die Schuldenbremse nicht in ihre Landesverfassung aufnehmen. Ab dem 1. Januar 2020 gilt das grundsätzliche Neuverschuldungsverbot des Art. 109 GG unmittelbar und verdrängt eventuell abweichende Verfassungsregeln einzelner Länder. Umso bedeutsamer ist, dass bereits vier Länder, Schleswig-Holstein, Hessen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, die Schuldenbremse in ihre Verfassung aufgenommen haben. Das drückt nicht nur das klare politische Bekenntnis zu einer nachhaltigen Finanzpolitik aus, sondern ermöglicht die Justiziabilität der Schuldenregel vor dem Landesverfassungsgericht.
Trotz des sehr differenzierten und auch mathematisch anspruchsvollen neuen Regelsystems ist klar, dass eine Schuldenbremse allein noch keine Stabilitätskultur sicherstellt. Wie die wiederkehrenden politischen Auseinandersetzungen um Steuersenkungen oder strukturelle Ausgabensteigerungen belegen, ersetzen institutionelle Vorkehrungen keineswegs die politische Selbstverpflichtung der finanzpolitisch Verantwortlichen. Selbst eine verfassungsrechtlich fixierte, scharf bindende Schuldenbremse ist und bleibt politisch immer angreifbar. Wie die internationale Erfahrung zeigt, wird oftmals mehr Energie darauf verwandt, eine Fiskalregel trickreich zu umgehen als sie materiell einzuhalten.
Offene Fragen und Umgehungsmöglichkeiten
Ein Schwerpunkt des aktuellen akademischen und politischen Diskurses um die Umsetzbarkeit der Schuldenbremse dreht sich um die Frage von Konjunktur und Struktur - im Aufschwung wie im Abschwung. Die Wissenschaft kritisiert zu Recht, dass das Verfahren zur Ermittlung der strukturellen und der konjunkturellen Komponente konzeptionell zu erheblichen Verzerrungen bei den Anpassungspfaden führen und in der Konsequenz im Konjunkturverlauf falsche Signale an den haushaltspolitisch Verantwortlichen geben kann.
Der Erfolg der Schuldenbremse hängt deshalb auch davon ab, wie belastbar die Unterscheidung zwischen konjunktureller und struktureller Neuverschuldung ist. Schwierige Fragen schließen sich an, denn sollte ein Revisionsbedarf festgestellt werden - beispielsweise, weil sich zeigt, dass der konjunkturelle Effekt einer Rezession unangemessen niedrig ausgewiesen wird -, birgt dies die Gefahr eines politischen Sinneswandels. Umgekehrt sollte allerdings auch gelten, dass konzeptionelle Revisionen auf europäischer Ebene oder Neuberechnungen des Produktionspotenzials in der Folge regelmäßiger statistischer Revisionen die Politik nicht vor unerwartete Konsolidierungshürden stellen dürfen. Noch ist das für Deutschland gewählte Verfahren der Konjunkturbereinigung der EU-Kommission in der Praxis nicht ausreichend erprobt worden. Aus diesem Grund wurde die Option auf technische Weiterentwicklung ausdrücklich offen gehalten - ohne damit allerdings den Grundsatz des symmetrischen Ausgleichs aufzugeben.
Neben diesem grundlegenden konzeptionellen Problem wird auch aufmerksam zu beobachten sein, in welchem Umfange sich Tendenzen zeigen werden, Schlupflöcher zu nutzen. Hier kommen die Ausnahmeregeln zu finanziellen Transaktionen (Darlehen anstatt Transfers an die Bundesanstalt für Arbeit), das Outsourcing von öffentlicher Verschuldung in Sonderfonds oder öffentliche Unternehmen, krisenbedingte außerordentliche Haushalte sowie der gesamte Bereich der Öffentlich-Privaten Partnerschaften in Betracht. Die Kreditermächtigungen für Sondervermögen des Bundes unterliegen zwar ab 2011 ebenfalls der Schuldenregel, so dass hier keine Umgehungsmöglichkeiten mehr bestehen. Dies gilt aber nicht für die Bundesländer. Schließlich: Auch wenn das Kontrollkonto nicht aktiv bebucht werden kann, bleiben "Schätzfehler" bei der Haushaltsaufstellung durchaus ein strategisches Instrument.
Top-Down-Budgetierung für den Bundeshaushalt
Um den Vorgaben der nationalen Schuldenregel besser gerecht werden zu können, kam es auf Bundesebene zu einer weiteren wichtigen institutionellen Neuerung. So wird der Bundeshaushalt ab dem Jahr 2012 im Top-Down-Verfahren aufgestellt.
Die Schuldenbremse stellt auf den Haushaltsabschluss des jeweiligen Jahres ab und bewertet damit auch den Vollzug, der nach bisheriger Praxis durchaus maßgeblich vom aufgestellten Haushaltsplan abweichen konnte. Um derartige Abweichungen auf ein Minimum zu reduzieren, muss künftig bereits bei der Haushaltsaufstellung eine deutlich stärkere Selbstverpflichtung auferlegt werden. Der ökonomische Sinn dieses neuen Verfahrens liegt darüber hinaus in der klareren Orientierung an übergeordneten, politischen Zielsetzungen und einer deutlichen, einvernehmlichen Prioritätensetzung. Die darauf aufbauende Mittelverteilung ermöglicht eine größere Eigenverantwortung der Fachressorts. Ausgangspunkt sind nicht mehr die Bedarfsanmeldungen der Ressorts, sondern finanzpolitisch angemessene Budgetvorschläge des Bundesfinanzministeriums.
Daraus ergeben sich jedoch Folgefragen - etwa danach, wie die politische Prioritätenfortschreibung in den folgenden Jahren erfolgt und wie sie sich in Ausgabenlinien übersetzen lässt. Außerdem sind die Anreizstrukturen für die Akteure - Parlament und Exekutive, Politiker und Ressorts - noch nicht ausgereift, etwa hinsichtlich des Umgangs mit Effizienzgewinnen und -verlusten im Haushaltsvollzug. Hier steht perspektivisch die Ergänzung der Top-Down-Budgetierung durch ein systematisches Effizienz- und Effektivitätsmonitoring, sozusagen "bottom up", in der Diskussion. Anleihen aus der Praxis anderer Staaten, etwa der in Großbritannien etablierten Spending Reviews oder des in Schweden praktizierten Systems von Expenditure Ceilings können hier durchaus Orientierung bieten.
Finanzpolitische Perspektive
Sobald das haushaltspolitische Mittelfristziel des ausgeglichenen Haushalts erreicht sein wird, stellt die langfristige Einhaltung der Schuldenregel bei Bund und Ländern eine nachhaltige Rückführung der Schuldenstandsquote sicher. Damit ermöglichen die strukturellen Defizitobergrenzen der Schuldenbremse auch die Unterschreitung der 60%-Schuldengrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Dies ist allerdings ein Prozess, dessen Dauer und Erfolg von der Stärke des künftigen Wirtschaftswachstums abhängen. Damit drängt sich die Frage auf, ob dieser Prozess nicht durch zusätzliche Tilgungsanstrengungen beschleunigt werden müsste.
Vordringlich steht die Sanierung der Länderhaushalte an, für die der Stabilitätsrat im Mai 2011 eine drohende Notlage - Synonym für die Überschreitung der Schwellenwerte bei vier zentralen Haushaltskennziffern
Perspektivisch stellt sich mit Blick auf die Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern ab dem Jahre 2020 die Frage, wie die Finanzierungsbalance im föderalen Staat aufrechterhalten werden kann. Sowohl der Länderfinanzausgleich als auch die Bundesergänzungszuweisungen laufen Ende 2019 aus. Die Einhaltung der Schuldenbremse wird für die strukturschwachen Länder, die von diesen Einnahmen bislang profitierten, nur gelingen, wenn sie bis dahin Konsolidierungserfolge vor allem auch in struktureller Hinsicht erzielen konnten. Wichtig wird hier ein Finanzierungsfundament sein, das weiterhin eine angemessene Finanzausstattung für notwendige Ausgaben gewährleistet und Anreizstrukturen für nachhaltige Finanzpolitik entwickelt. Umgekehrt muss aber betont werden, dass der horizontale Finanzausgleich, also die Ausgleichszahlungen der Länder untereinander, nur einen Bruchteil der föderalen Finanztransferleistungen darstellt. Beispielhaft genannt seien die Umsatzsteuerverteilung und die Leistungen des Bundes an die Länder, die sich keineswegs auf den Bereich der Ergänzungszuweisungen beschränken. Es ist zu erwarten, dass nicht nur der horizontale Ausgleich, sondern viele weitere Aspekte des föderalen Finanzierungsfundamentes erneut diskutiert werden. Dazu werden erwartbar auch die Erweiterung der Steuergesetzgebungskompetenz der Länder und sogar die Länderneugliederung gehören.
Ein weiterer Problemkreis, der die finanzpolitische Perspektive bestimmt, ist die Verschuldung der Kommunen insbesondere auch in Form von Kassenkrediten. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz haben diese die reguläre Form der Kreditfinanzierung zunehmend abgelöst. Es bleibt abzuwarten, ob sich die von einzelnen Ländern gebildeten Entschuldungsfonds als tragfähig erweisen.
Ausblick
Trotz aller Reformbemühungen bestehen wichtige Herausforderungen auf nationaler und europäischer Ebene fort. Dazu gehört an erster Stelle die Frage, ob es gelingt, bei allen Beteiligten - im nationalen Raum, aber auch im gemeinsamen Währungsraum - mithilfe einer Schuldenbremse eine Stabilitätskultur zu verankern. Denn auch die deutsche Schuldenbremse enthält Schwachpunkte. Ob und inwieweit die Fiskalpolitik sie nutzt und damit die Glaubwürdigkeit der Fiskalregel beschädigt, hängt wesentlich davon ab, wie ausgeprägt der Konsolidierungswille, aber letztlich auch der Einfluss des Stabilitätsrats und last but not least der kritischen Öffentlichkeit auf die finanzpolitischen Akteure sein wird.
Daneben müssen wichtige konzeptionelle Fragen der Schuldenbremse weiter durchdacht und gegebenenfalls aufgrund der sich jetzt einstellenden Praxiserfahrung angepasst werden. In diesem Kontext werden vielfältige Ideen erörtert: Sicherheitsmargen, um für schlechte Zeiten gerüstet zu sein; die vollständige Verwendung von unerwarteten Steuermehreinnahmen für die Konsolidierung oder etwa die Einrichtung einer unabhängigen "Schuldenbremsen-Agentur" zur Verbesserung der Kommunikation und Mediation zwischen Bundesfinanzministerium, Parlament und Öffentlichkeit. Schließlich muss geklärt werden, ob nachhaltige Finanzpolitik ein kaufmännisches Rechnungswesen mit Globalhaushaushalten und verbindlichen Mehrjahresplanungen voraussetzt. Die Schweiz, in Ansätzen aber auch Großbritannien und Österreich, gehen hier beispielgebend voran.
Damit wird deutlich, dass der erste wichtige Schritt einer Implementierung der Schuldenbremse zwar getan ist, doch damit die Arbeit noch keinesfalls abgeschlossen wurde.
Die Verfasserinnen und Verfasser haben den Sammelband "Die neuen Schuldenregeln im Grundgesetz. Zur Fortentwicklung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen" (Berlin 2010) herausgegeben, der die hier kursorisch angerissenen Fragestellungen zur Genese und Wirkungsweise der Schuldenbremse näher erläutert und vertieft.