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Schwarze Organisierung in Deutschland Ein Abriss

Eleonore Wiedenroth-Coulibaly Eleonore Wiedenroth-Coulibaly / Sascha Zinflou

/ 6 Minuten zu lesen

Die Initiative ISD vertritt die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland. Sie interveniert bei Fällen von Diskriminierung, unterstützt die Opfer und bezieht Stellung gegenüber der Öffentlichkeit. Darüber hinaus qualifiziert sie neue anti-rassistische Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bildungs- und Ausbildungsbereich.

Logo der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" (ISD) (© ISD)

Geschichte der ISD

2005 blickt die Neue Schwarze Bewegung auf 20 Jahre zurück. 20 Jahre des Sich-Selbst-Definierens, des Suchens, des Entdeckens und Freilegens verschütteter Wurzeln in diesem Land, 20 Jahre Vernetzung auf persönlicher und organisatorischer Ebene, lokal, regional, bundesweit und international.

Angeschoben wurde die Bewegung von Schwarzen Deutschen, Menschen afrikanischer Abstammung, die für sich aus der Isolation eines Nach-Nazi-Deutschlands ausbrechen wollten bzw. mussten und dabei nach selbstbestimmten Definitionen ihres Daseins und nach eigenen, ihnen angemessenen Lebensentwürfen suchten. Der Begriff "Schwarze Deutsche" – ebenso wie der Begriff "Afro-Deutsche" – sind Eigenbezeichnungen, die in den Anfängen der sich in den 1980er Jahren formierenden Schwarzen Bewegung geprägt wurden. Sie lösten sämtliche bis dato diskriminierenden Bezeichnungen der Mehrheitsgesellschaft ab und erlauben seither die Bezeichnung und Ausformung eines menschenwürdigen (Selbst-)Bildnisses Schwarzer Menschen in Deutschland. Unter dem Namen der ISD (damals noch Initiative Schwarze Deutsche) sprossen in Städten wie München, Stuttgart, Freiburg, Hamburg, Hannover, in großen Teilen NRWs und in der Rhein-Main-Region lokale Initiativen, die jede für sich an der Leitidee weiter arbeiteten und dabei nach und nach ihre Lebenszusammenhänge und ihre Perspektiven und Aspirationen veränderten.

Noch ehe die beiden deutschen Nachkriegsländer 1989 zusammengeschlossen wurden, hatten Schwarze Menschen beiderseits des so genannten "Eisernen Vorhangs" Kontakt miteinander aufgenommen. Auch in der damaligen DDR hatten sich Schwarze Menschen zusammengeschlossen, so z.B. in Berlin (Ost), Dresden oder Leipzig. Mit der Zeit wuchs die Schwarze Bewegung, die immer gleichzeitig lokal und national agierte und orientiert war. ISD und ihre Schwesterorganisation ADEFRA (Afro-deutsche Frauen/Schwarze Frauen in Deutschland) waren dabei stets eine treibende Kraft. ISD bleibt auch weiterhin der Idee von Initiative verbunden, um den Impetus des Neuen nicht vergessen zu lassen. Die Neue Schwarze Bewegung wechselte in den ersten 20 Jahren ihrer Geschichte ihr Selbstverständnis bzw. reagierte auf interne Diskussionen, indem seit Mitte der 1990er Jahre der bundesweit agierende Verein ISD-Bund e.V. den Namen "Schwarze Menschen in Deutschland" annahm – und dies, ohne die Geschichte der Selbstdefinition und Selbstbehauptung zu vergessen, sondern vielmehr auf dieser Geschichte aufbauend.

Geschichte der ISD

ISD hat sich in all ihren Verzweigungen die Aufgabe gestellt, Räume für einen selbstbestimmten Dialog der afrikanischen Diaspora in Deutschland zu schaffen, Schwarze Deutsche Geschichte aufzuarbeiten und zu veröffentlichen und – ganz allgemein – Belange Schwarzer Menschen / Menschen afrikanischer Abstammung sichtbar und hörbar zu machen. In diesem Sinne entstanden immer wieder verschiedene Publikationsorgane, wie Interner Link: afro look (1986-1999), "Afrekete" (Interner Link: ADEFRA in den 1980iger Jahren), Interner Link: Blite-Jugendzeitschrift (ISD-Berlin, 1999-2002) bzw. Online-Foren wie Externer Link: www.afronetz.de, Externer Link: www.afrolink.de oder Websites wie Externer Link: www.cyberNomads.net (siehe Artikel Interner Link: Kultur®evolution) und Externer Link: www.isdonline.de.

In diesem Sinne hat sich auch die Tradition eines jährlichen bundesweiten Treffens von und für Schwarze Menschen etabliert, auf dem diskutiert, Wissen ausgetauscht, Meinungen gebildet und auch einfach die Gemeinschaft von Jung und Alt in der afrikanischen Diaspora genossen werden. Hieraus entstand das Sankofa-Treffen, ein selbst organisiertes Treffen Schwarzer Eltern und ihrer Kinder sowie – 2004 zum ersten Mal – eine Zusammenkunft der YoungStars, der Schwarzen Jugend und Hoffnungsträgerinnen und -träger. Legendär sind auch die in Berlin entstandenen Veranstaltungen des "Black History Month" (BHM 1990-2001), die eine breite Zusammenarbeit Afrikanischer / Schwarzer Deutscher Gruppierungen förderte. Zwar schlief der "Black History Month" zum großen Bedauern vieler BHM-Touristen und einheimischer Berliner aus organisatorischen Gründen ein, jedoch knüpften 2004 die ersten "Black Community Weeks" an den Erfahrungen und Erfolgen an.

Inzwischen steht die ISD mit ihrem Ansatz in einem bundesweiten Kontext zusammen mit vielen afrikanischen Vereinen und Persönlichkeiten, die ebenfalls die Lebenssituation in Deutschland auf ihre Agenda schreiben. In Jahrestagungen der Black Community kommen Vertreterinnen und Vertreter der Schwarzen Deutschen Diaspora zusammen, um gemeinsame Konzepte für politische, pädagogische Arbeit zu entwickeln und ein gemeinsames Fundament zu errichten, das auf gegenseitiger Akzeptanz und Kommunikation aufbaut. ISD und ADEFRA haben auch hier die Anfänge stark mitbestimmt und bringen eine engere Vernetzung voran.

Politische Felder der ISD

Schwarze Deutsche, die das nationalsozialistische Regime mit seinen Demütigungen, Entrechtungen und (illegalen) Sterilisierungen überlebt hatten, haben gelernt, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Trotz des Artikels 3 in der deutschen Verfassung (Grundgesetz) konnte auch nach dem Nationalsozialismus der seit kolonialen Ansprüchen etablierte Rassismus latent weiter blühen, ohne auf Grenzen zu stoßen. Mit Blick auf die USA (Rassentrennung bzw. Bürgerrechtsbewegung), auf den afrikanischen Kontinent (bis in die 1960er Jahre der Kolonialismus und bis 1989 das Apartheid-Regime Südafrikas) wurde die deutsche Ausprägung rassistischer Handlungsmuster heruntergespielt. Jedoch bedeutete der so genannte "latente" Rassismus nach 1945 für etwa zwei Generationen Schwarzer Deutscher noch immer, der eigenen Stimme, der eigenen Meinung und Empfindung, beruflicher und persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten beraubt, kurz, an den Rand gedrückt zu sein.

Die rassenideologische Begründung, warum Schwarze keine Deutsche sein könnten, war inzwischen ersetzt worden durch ein Auslassen in der Geschichtsschreibung. Dieser Auslassung zufolge konnten Schwarze in Deutschland deshalb keine Deutschen sein, weil sie in der deutschen Geschichte angeblich nicht vorkamen. Die Aneignung Schwarzer Deutscher Geschichte wurde in der Folge zu einem wesentlichen Instrument von Emanzipation. Das anfängliche Desinteresse der Mehrheitsgesellschaft ermöglichte es den Schwarzen Deutschen, auf dem unbestellten Feld ihrer angeblichen Geschichtslosigkeit ein eigenes, selbstbestimmtes Bild Schwarzer Deutscher Geschichte zu entwickeln und der etablierten Geschichtsschreibung entgegenzusetzen. Geschichtsschreibung wurde dabei aus dem eigenen Erleben als Instrument von Herrschaft analysiert und als politisches Handlungsfeld entdeckt.

Begleitet wurde dieser Prozess von einer Auseinandersetzung um die Staatszugehörigkeit. Die Staatsangehörigkeit sollte in einem demokratisch orientierten Staat nicht nach "völkischen", sondern rein nach formalen Kriterien definiert werden. Eine solche breitenpolitische Grundhaltung würde die Debatten um die deutsche Staatsbürgerschaft, um Einbürgerung und Mehrfachnationalität, um Einwanderung und Einwanderungsgesellschaft entzerren und auf solidere Argumentationsgrundlagen stellen. Deutsche Identitäten würden nicht mehr, ausgehend von einem fragwürdigen Kanon, abgefragt, sondern würden als Spiegelbild "multi-ethnischer" ebenbürtiger Herkunft verstanden werden. Die ISD trägt mit ihrer Arbeit dazu bei, zwei Grundlügen der deutschen "Mehrheits-"Gesellschaft zu entlarven: "In Deutschland gibt es keinen Rassismus" und "Deutschland ist kein Einwanderungsland."

Teilnehmende des ISD-Bundestreffens 2004 bei Berlin. (© ISD-Bund e.V.)

ISD vertritt die Interessen Schwarzer Menschen

Mit Bildern der Angst vor "Überfremdung" wird in der Migrations- und Asylpolitik eine modernisierte Form von Rassismus geschürt. Dass inzwischen gleichzeitig über Einwanderung als Faktum gesprochen wird, ist kein Paradox. Denn die Debatten werden von unterschiedlichen Protagonistinnen und Protagonisten geführt und progressive Ansätze verschwinden sehr schnell hinter restriktivem "sicherheitspolitischem" Kalkül. Im Alltag zeigt sich das Gesicht des "modernen" Rassismus, wenn z.B. BGS-Beamte am Kölner Hauptbahnhof Jagd auf unerwünschte Flüchtlinge machen. Das vermeintliche Erkennen nach undifferenzierten stigmatisierenden Bildern ist bekannt. In der Regel und an erster Stelle treffen solche Parameter Schwarze Menschen – unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen oder staatsbürgerlichen Status. Und dagegen müssen wir auch weiterhin gemeinsam kämpfen.

ISD vertritt die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland gegenüber der Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern. So greift sie etwa durch Stellungnahmen in die Diskussion um ein Antidiskriminierungsgesetz ein. Sie interveniert bei Fällen von Diskriminierung, unterstützt die Opfer und bezieht Stellung gegenüber der Öffentlichkeit. Sie qualifiziert intern und extern neue anti-rassistische, bisweilen afro-zentrierte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bildungs- und Ausbildungsbereich sowie vermittelt Expertinnen- und Expertenwissen.

Wer neugierig geworden ist, findet ISD-Bund unter Externer Link: www.isdonline.de. Hier gibt es interessante Artikel aus der Schwarzen Bewegung national und international sowie Links zu regionalen Gruppen, zu Community-relevanten Organisationen und anderen Vereinen in der Anti-Rassismus-, Anti-Diskriminierungs-, Interkulturellen afrikanisch bestimmten Szene.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Beim Aufarbeiten unserer Geschichte trat auch zu Tage, dass Afrikanerinnen und Afrikaner seit Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in Kolonialmetropolen wie Hamburg und Berlin entsprechende Vereine gegründet haben mit dem Ziel, sich gegenseitig in der Bewältigung des Alltags zu unterstützen und eine Lobby zu bilden für die Menschen afrikanischer Herkunft in den Kolonien wie auch in Deutschland selbst.

Eleonore Wiedenroth-Coulibaly ist Mitgründerin der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" (ISD) und ist heute in deren Vorstand aktiv. Beiträge von ihr sind u.a. erschienen in "Farbe Bekennen" (1986) und "Talking Home: Heimat aus eigener Feder" (1999). Außerdem arbeitet sie bei dem Magazin "The African Courier" mit.