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Vom Recht und seiner Realität | Gefängnis | bpb.de

Gefängnis Editorial "Ich wollte mehr sein als diese Haftstrafe". Ein Gespräch über Resozialisierung, den Haftalltag und das Leben danach Sinn und Unsinn von Haftstrafen. Zwei Perspektiven Alternativlose Institution Spaltende Anstalten Vom Recht und seiner Realität. Strafvollzug in Deutschland Geschichte(n) des Gefängnisses Gefängnisnation USA. Eine Geschichte der Macht Geschlossene Gesellschaft. Alltag im Gefängnis Wo, wenn nicht hier? Politische Bildung im (Jugend-)Strafvollzug

Vom Recht und seiner Realität Strafvollzug in Deutschland

Jörg Kinzig

/ 15 Minuten zu lesen

Gefängnisse – oder "Knäste", wie deren "Bewohner" sagen – sind eine geschlossene Gesellschaft. Aus ihnen dringt im Allgemeinen wenig nach draußen. Daher und auch angesichts fehlender "Tage der offenen Tür" haben viele Menschen nur eine vage Vorstellung davon, was sich hinter den Mauern deutscher Anstalten tatsächlich abspielt. Stattdessen wird der Eindruck vom Strafvollzug in der Öffentlichkeit durch Serien wie "Bad Girls", "Wentworth", "Orange Is the New Black", "Prison Break" oder "Oz – Hölle hinter Gittern" geprägt. Dabei handelt es sich allerdings durchweg um Formate, die im Ausland spielen und mit der hiesigen Vollzugsrealität wenig zu tun haben.

Eine gewisse Popularität hat hierzulande zudem die Seifenoper "Hinter Gittern – Der Frauenknast" erlangt, die von 1997 an fast zehn Jahre lang bei RTL ausgestrahlt wurde und immer noch in Wiederholungen läuft. Dass auch sie ein gutes Stück von der Wirklichkeit entfernt ist, zeigt sich schon daran, dass sie in einem Frauengefängnis spielt. Denn die Normalität des Strafvollzugs ist in Deutschland maßgeblich von den großen Anstalten für Männer bestimmt.

Geschehnisse aus dem Gefängnisalltag gelangen meist nur dann ans Tageslicht, wenn sie echte oder auch nur vermeintliche Missstände betreffen: Skandalisiert werden etwa ein Leben in scheinbar luxuriösen Anstalten, Selbstmorde und Gewalt unter Gefangenen sowie Rückfälle nach einer Entlassung. All das wird gemeinhin mit einem verständnislosen Kopfschütteln quittiert.

Im folgenden Beitrag werde ich zunächst einen Überblick über die komplexe rechtliche Materie liefern, die das Leben in den deutschen Gefängnissen bestimmt. Danach soll das Augenmerk auf die Realität des Strafvollzugs gelegt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei verschiedene Formen des Freiheitsentzugs.

Blick zurück

Das Jahr 1977 gilt als Meilenstein für die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik. Denn am 1. Januar dieses Jahres trat das "Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung", kurz: das Strafvollzugsgesetz (StVollzG), in Kraft. Ganz freiwillig hatte der Bundestag dieses Normenwerk allerdings nicht verabschiedet. Motor war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1972.

Ausgangspunkt war die Beschwerde eines Strafgefangenen darüber, dass ein Brief an seine Betreuerin angehalten worden war, in dem er sich abfällig über seinen Anstaltsleiter geäußert hatte. Beanstandet wurde, dass für das Einkassieren des Schreibens keine durch das Parlament beschlossene gesetzliche Grundlage existierte. Stattdessen stützte sich die Obrigkeit für ihre Maßnahme auf eine ungeschriebene Rechtsfigur, die als "besonderes Gewaltverhältnis" bezeichnet wurde. Ein solches sah man in der Beziehung des Staates zu seinen Strafgefangenen, mit der Folge, dass man deren Grundrechte schon durch das Strafvollzugsverhältnis für eingeschränkt hielt. Die Gefangenen belastende Maßnahmen, wie hier das Anhalten des Briefs, wurden bereits auf dieser allgemeinen Grundlage und ohne ein förmliches Gesetz als zulässig erachtet. Das Bundesverfassungsgericht erteilte dieser bis dahin geübten ständigen Praxis eine scharfe Absage. Schon im ersten Leitsatz seiner Entscheidung stellte es klipp und klar fest, dass auch die Grundrechte von Strafgefangenen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können. Folglich forderte es das Parlament auf, ein Strafvollzugsgesetz auf den Weg zu bringen.

Das in der Folge verabschiedete StVollzG atmete mit einer Abkehr vom bis dahin praktizierten Verwahrvollzug in weiten Bereichen den Geist der damaligen sozialliberalen Epoche. So findet sich in §3 StVollzG die bemerkenswerte Regelung, dass das Leben im Vollzug soweit als möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen ist. Konsequenterweise wurde damit auch der sogenannte offene Vollzug, der keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen umfasst, als Regelform der Unterbringung bestimmt (§10 StVollzG). Praktisch umgesetzt wurde diese weitreichende Forderung bis heute jedoch nicht: Hohe Mauern, zunehmend gepaart mit elektronischen Überwachungsmaßnahmen, kennzeichnen seit jeher den Alltag der meisten Strafgefangenen.

Mit dem Einigungsvertrag 1990 erlangte das StVollzG auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Gültigkeit. Dort hatte bis dahin das Gesetz über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug (StVG-DDR) gegolten, das ebenfalls aus dem Jahr 1977 stammte. Programmatisch hatte dieses das Ziel, die Strafgefangenen dahin "zu erziehen, künftig die Gesetze des sozialistischen Staates einzuhalten und ihr Leben verantwortungsbewußt zu gestalten" (§2 Abs. 1 StVG-DDR). Verfolgt wurde demnach ein umfassender (sozialistischer) Erziehungsauftrag, der in der Realität nicht selten mit einer Verletzung der Menschenrechte der Gefangenen einherging.

Rechtsgrundlage

Mitte der 2000er Jahre kam es zu einer folgenschweren Entscheidung von Bundestag und Bundesrat, die den Strafvollzug bis heute prägt. Trotz massiver Proteste einer Vielzahl von Fachleuten wurde im Rahmen der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Bundesländer übertragen. Dieses im Rahmen eines Gesamtpakets vollzogene politische Manöver bedeutete das Ende eines bundeseinheitlich geregelten Strafvollzugs.

Im Laufe der folgenden fast zehn Jahre entstanden in allen 16 Bundesländern eigene Strafvollzugsgesetze unterschiedlicher Bezeichnung und teilweise auch unterschiedlichen Inhalts. Den Anfang machte Bayern mit dem "Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe", das am 1. Januar 2008 in Kraft trat. In Berlin, das diese Gesetzgebungskette zum Abschluss brachte, gilt seit dem 1. Oktober 2016 das "Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Berlin". Die Normenwerke regeln zum Teil ausschließlich den Strafvollzug für Erwachsene, so etwa in Berlin, zum Teil sind sie umfassend angelegt. So trifft etwa Baden-Württemberg in seinem Justizvollzugsgesetzbuch in mittlerweile fünf Büchern nicht nur Regelungen speziell zum Strafvollzug für Erwachsene (Buch 3), sondern sieht darüber hinaus auch allgemeine Vorschriften für alle Haftarten (Buch 1) sowie Bestimmungen für den Untersuchungshaftvollzug (Buch 2), den Jugendstrafvollzug (Buch 4) und den Vollzug der Sicherungsverwahrung (Buch 5) vor.

Zugleich besitzt das StVollzG in einem wichtigen Bereich weiterhin Bedeutung: beim sogenannten gerichtlichen Rechtsschutz. Sucht ein Gefangener etwa eine Antwort auf die Frage, wie er sich gegen eine Maßnahme der Anstaltsleitung wehren kann, wird er nach wie vor nur im StVollzG des Bundes fündig. Das liegt daran, dass "das gerichtliche Verfahren" in der Föderalismusreform bei der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG geregelten konkurrierenden Gesetzgebung und damit vorrangig beim Bund verblieben ist.

Wer sich über den Strafvollzug informieren will, stößt mittlerweile auf ein Dickicht an unterschiedlichen Gesetzeswerken. Das erschwert nicht nur die fachwissenschaftliche Diskussion, sondern nimmt dem Strafvollzug durch die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die einzelnen Bundesländer auch eine prominente politische Bühne: den Bundestag. So fristet das Strafvollzugsrecht neben dem materiellen Strafrecht, in dem, wie etwa im Strafgesetzbuch, einzelne Straftaten geregelt sind, und dem Strafprozessrecht, das das Strafverfahren ausgestaltet, in Wissenschaft und öffentlicher Wahrnehmung ein Schattendasein.

Zugegebenermaßen hat sich aber auch eine Befürchtung nicht bewahrheitet, die in der Diskussion über das Für und Wider einer Verlagerung der Zuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länder vielfach geäußert wurde: Es ist nicht zu einem "Wettbewerb der Schäbigkeit" gekommen. Mit diesem Schlagwort wurde die Befürchtung bezeichnet, dass sich vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Kassen und populistischer Rufe nach möglichst harten Sanktionen die materiellen und für eine Resozialisierung erforderlichen Rahmenbedingungen in den Anstalten verschlechtern werden. Doch auch das Gegenteil ist nicht eingetreten: Ein Rennen zwischen den Bundesländern um eine best practice auf dem Gebiet des Strafvollzugs blieb ebenfalls aus.

Ziel des Strafvollzugs

Das StVollzG normierte 1977 in seinem §2 Satz 1 explizit, dass der Gefangene im Vollzug dazu befähigt werden solle, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel)". Diesem Bekenntnis war ein zweiter Satz angefügt, dass der Strafvollzug "auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten" diene. Daraus wurde ganz überwiegend gefolgert, dass die Resozialisierung das alleinige Vollzugsziel sei und damit dem Schutz der Allgemeinheit vorgehe; oder mit Worten des Bundesverfassungsgerichts von 1973: "Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen." Betont wurde in diesem Urteil zudem, dass auch die Gemeinschaft selbst ein unmittelbares eigenes Interesse an der Resozialisierung und damit daran habe, "daß der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt".

Die Festlegung auf die Resozialisierung als einziges Vollzugsziel ist beileibe nicht nur programmatischer Natur. Sie kann sich darüber hinaus ganz konkret in der Behandlung des einzelnen Gefangenen auswirken, etwa ob einem Gefangenen ein sogenannter (unbewachter) Ausgang aus dem Gefängnis gewährt werden soll. Ist die Resozialisierung vorrangiges oder gar alleiniges Ziel des Strafvollzugs, so kann die Anstaltsleitung – trotz niemals ganz ausschließbarer Gefahr einer Flucht – mehr wagen, als wenn dieser der Schutz der Allgemeinheit gleichgeordnet ist.

Ob das Verhältnis zwischen der Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit zulasten Ersterer neu auszutarieren ist, bildete einen wesentlichen Diskussionspunkt bei der Ausgestaltung der neuen Landesgesetze. Am weitesten entfernte sich Bayern von der früheren bundesweiten Regelung. Nach Art. 2 Satz 1 seines Strafvollzugsgesetzes dient die Freiheitsstrafe nunmehr dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Dass die Gefangenen auch dazu befähigt werden sollen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, wurde dem Sicherungsauftrag erst in Satz 2 nachgestellt und darin etwas nebulös als "Behandlungsauftrag" bezeichnet. Ob diese Änderung als bloße "Gesetzeslyrik" abgetan werden kann oder damit eine handfeste Verschiebung von Bewertungsmaßstäben verbunden ist, ist bis heute nicht abschließend geklärt.

Gefängnispopulation

Von den normativen Vorgaben zur Realität des Strafvollzugs. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich eine erstaunliche Entwicklung vollzogen: Unsere Gefängnisse leeren sich seit Jahren fast kontinuierlich. Befanden sich im März 2007 64700 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in deutschen Anstalten, waren es im März 2020 noch 46054. Das entspricht einem Rückgang von knapp 30 Prozent, der sich durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie seitdem noch einmal verstärkt hat. Mit über 36 Prozent schrumpfte die Zahl der Gefangenen vor allem in den östlichen Bundesländern. Im Einzelnen verlief die regionale Entwicklung sehr unterschiedlich. Während sich die Insassenpopulation im vergleichsweise kleinen Saarland in besagtem Zeitraum kaum verändert hat, ging sie in den großen Flächenländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen um rund ein Viertel zurück. Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben mehr als 40 Prozent weniger Insassen. Brandenburg hat im Vergleich zu 2017 nur noch knapp die Hälfte der Gefangenen unterzubringen.

Tabelle: Gefangene und Verwahrte in deutschen Justizvollzugsanstalten am 31. 12. 2020. (© Jörg Kinzig)

Noch aussagekräftiger als die absolute Zahl der Gefangenen ist die sogenannte Gefangenenrate. Sie wird in der Regel mit der Zahl der Gefangenen pro 100.000 der Wohnbevölkerung angegeben. Im internationalen Vergleich sind die Unterschiede überaus beeindruckend. So war die Gefangenenrate einschließlich der Personen in Untersuchungshaft im September 2021 in den USA mit 629 pro 100.000 der Wohnbevölkerung am höchsten. Im europäischen Raum lässt sich in den vergangenen Jahren speziell in der Türkei ein steiler Anstieg der Gefangenenrate auf mittlerweile besorgniserregende 335 beobachten. Damit gehört das Land zusammen mit Belarus (345) und Russland (327) zu den Spitzenreitern in Europa. Nach einer ganzen Reihe osteuropäischer Länder mit hohen Gefangenenraten folgt mit England und Wales (131) das erste große westeuropäische Land. Deutschland führt mit 70 das letzte Viertel der Tabelle an. Dahinter rangieren bereits seit längerer Zeit unter anderem Schweden (68), Norwegen (56) und Finnland (50).

Unterschiede in der Gefangenenrate sind nicht nur im zwischenstaatlichen Kontext, sondern bemerkenswerterweise auch auf der Ebene der Bundesländer zu finden. So lag die Gefangenenrate in Berlin und Bremen zuletzt bei über 70, in Schleswig-Holstein und Brandenburg dagegen bei unter 40.

Arten des Freiheitsentzugs

Über den Erwachsenenvollzug hinaus existieren weitere Formen des Freiheitsentzugs, die auch einen unterschiedlichen Umgang mit den Inhaftierten erfordern. Bisher nicht angesprochen wurde die Gruppe der Personen in Untersuchungshaft. 2020 waren etwas mehr als 12.000 Personen auf diese Weise inhaftiert (Tabelle). Da sie bisher noch nicht oder zumindest noch nicht rechtskräftig verurteilt wurden, gilt für sie die Unschuldsvermutung. Diese verlangt besondere Regelungen für die Unterbringung – so gibt es etwa keine Arbeitspflicht –, die zum Teil in der Strafprozessordnung, zum Teil in den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen der einzelnen Bundesländer normiert sind.

Etwas mehr als 3.000 Inhaftierte befinden sich derzeit in Jugendstrafe, die in der Regel in besonderen (Jugend-)Strafanstalten vollzogen wird. Auch für diese Gruppe von Gefangenen gelten spezielle Vorschriften etwa zu den Besuchsmöglichkeiten und zur schulischen Ausbildung, die in den Jugendstrafvollzugsgesetzen der 16 Bundesländer wiederum unterschiedlich ausfallen.

Bei der Sicherungsverwahrung handelt es sich um eine sogenannte Maßregel der Besserung und Sicherung, in der Inhaftierte im Anschluss an eine Freiheitsstrafe deswegen untergebracht werden, weil man sie für gefährlich hält. Diese Sanktion betrifft nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Personen, hat aber im Gegensatz zu allen anderen Vollzugsformen nach vielfältigen Reformen vor allem um die Jahrhundertwende einen quantitativen Aufschwung erlebt. Gab es 1995 nur 183 Sicherungsverwahrte, waren es 2020 583. Anlass für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung geben vor allem Verurteilungen wegen Sexualstraftaten und Gewaltdelikten. Auch für die Sicherungsverwahrung existieren in den Ländern eigene Vollzugsgesetze. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Menschen ihre vorangegangene Freiheitsstrafe und damit ihre Schuld bereits verbüßt haben und daher nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gegenüber Normalgefangenen besser zu stellen und in ihren Haftbedingungen zu privilegieren sind ("Abstandsgebot").

Eklatant ist der Unterschied zwischen der Anzahl der männlichen und der weiblichen Inhaftierten aller Art. Während sich nach der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 unter den Tatverdächtigen aller Straftaten immerhin noch rund ein Viertel Frauen befindet (24,8 Prozent), sind es unter den Strafgefangenen nur 6 Prozent. Salopp formuliert: je schwerer die Straftat, desto geringer der Anteil der Frauen. Prinzipiell wird nach Geschlechtern getrennt untergebracht, wobei für Frauen angesichts ihrer geringen Zahl nur wenige eigenständige Gefängnisse existieren. Ein Beispiel ist die Justizvollzugsanstalt Schwäbisch-Gmünd in Baden-Württemberg, die im ehemaligen Dominikanerinnenkloster Gotteszell untergebracht ist. Sonderregelungen gibt es in einigen Bundesländern für Schwangerschaft, Geburt und die Zeit nach der Entbindung. Zudem werden in einigen Anstalten sogenannte Mutter-Kind-Einrichtungen betrieben, in denen Frauen gemeinsam mit ihren kleinen Kindern aufgenommen werden können.

Auf eine weitere spezielle Insassengruppe zielen Anstalten für ältere Gefangene, die in verschiedenen Bundesländern vorhanden sind. Für sie besteht ein wachsender Bedarf, da die Zahl derjenigen im Strafvollzug oder in Sicherungsverwahrung, die 60 Jahre und älter sind, zwischen den Jahren 2000 und 2020 von 1.282 auf 2.247 angestiegen ist. Der Sinn dieser gesonderten Einrichtungen liegt zum einen darin, die Senioren vor den Zumutungen durch junge Gefangene im oft rauen Knastalltag zu schützen, zum anderen aber auch in den besonderen Anforderungen, die eine Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit im Rentenalter mit sich bringt.

Ersatzfreiheitsstrafe als besonderes Problem

Zudem bevölkert eine quantitativ beachtliche Zahl an Personen die Justizvollzugsanstalten, obwohl sie nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind: die sogenannten Ersatzfreiheitsstrafler (EFSler). Vorangegangen ist in diesen Fällen die Verurteilung zu einer Geldstrafe, die häufig bis zu 90 Tagessätze beträgt und in der Regel auf leichtere Vergehen wie etwa geringe Eigentumsdelikte oder "Schwarzfahren" zurückzuführen ist. Wenn die Täter den entsprechenden Betrag nicht aufbringen können oder wollen, droht ihnen besagte Ersatzfreiheitsstrafe, wobei ein Tagessatz Geld- zu einem Tag Freiheitsstrafe führt. Waren es vor Beginn der Corona-Pandemie Ende Januar 2020 noch 4.658 EFSler, fiel deren Zahl Mitte des Jahres auf unter 2.000, um Ende 2020 wieder auf 3.002 Personen anzusteigen. Um Ansteckungen mit Covid-19 im Strafvollzug zu vermeiden, verzichteten die Landesjustizverwaltungen zeitweilig auf die Vollstreckung dieser sehr kurzen Strafen.

Die Problematik der Ersatzfreiheitsstrafe liegt auf der Hand. Hier haben es die Justizvollzugsanstalten mit einer besonderen, vielfach belasteten Klientel zu tun. Wegen der Kürze ihres Aufenthalts kann auf diese Gefangenen kaum sinnvoll eingewirkt werden. Dessen ungeachtet produziert der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe enorme Ausgaben. So gibt etwa Baden-Württemberg die Nettokosten eines Gefangenen einschließlich der Bauinvestitionen mit immerhin 130,38 Euro je Hafttag an. Programme, diese Personen stattdessen zum Ableisten gemeinnütziger Arbeit zu bewegen, gibt es zwar, sind aber aus unterschiedlichen Gründen nicht immer von Erfolg gekrönt. Politischen Initiativen, die die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe fordern, wird mehrheitlich entgegengehalten, dass bei einem Verzicht die Geldstrafe an Schlagkraft und damit ihr Rückgrat verlöre. Unbefriedigend bleibt der Zustand allemal.

Wirksamkeit des Strafvollzugs

Schwierig ist die Frage zu beantworten, wie effektiv die Resozialisierungsbemühungen des Strafvollzugs sind. Die besten Daten dazu liefert die sogenannte Rückfallstatistik des Bundesjustizministeriums. Darin wurden unter anderem alle Personen in den Blick genommen, die im Bezugsjahr 2004 aus dem Vollzug einer Jugend- oder einer Freiheitsstrafe entlassen wurden. Für sie wurden für einen zwölfjährigen Beobachtungszeitraum Auszüge aus dem Bundeszentralregister eingeholt, in dem die neuen Sanktionen, also die Rückfälle, vermerkt sind.

Dabei weisen aus dem Vollzug einer Jugendstrafe Entlassene die höchsten Rückfallraten aller strafrechtlich Verurteilten auf. Nur 15,5 Prozent dieser Gruppe blieben nach der Entlassung langfristig straffrei, während über die Hälfte (53,9 Prozent) sogar zu einer neuerlichen stationären Sanktion verurteilt wurde. Etwas besser sieht die Legalbewährung nach Entlassungen aus dem Erwachsenenstrafvollzug aus. Hier bilden diejenigen, die nicht mehr registriert, also nicht mehr rückfällig wurden (34,3 Prozent), und diejenigen, die in die Gefängnisse zurückkehren mussten (34,5 Prozent), annähernd gleich große Gruppen.

Diese Befunde zu bewerten, fällt nicht leicht. Auf den ersten Blick könnte man eine Rückkehrerquote von über 50 Prozent bei Entlassungen aus dem Jugendstrafvollzug als "Bankrotterklärung" dieser Institution interpretieren. Ein zweiter Blick hingegen zeigt, dass diese Schlussfolgerung zu simpel wäre. Zum einen geht einer Verurteilung zu einer Jugend- oder auch Erwachsenenfreiheitsstrafe sehr häufig eine lange, nicht selten bereits in der Kindheit beginnende Fehlentwicklung voraus, für deren Korrektur den Gefängnissen in der Regel nur eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Zum anderen besitzen die Strafvollzugsanstalten nach der Entlassung keinen Einfluss mehr auf ihre ehemaligen Gefangenen. Und selbst dem Staat steht in Form einer Bewährungshilfe oder einer Führungsaufsicht nur ein limitiertes Instrumentarium zur Verfügung. Am Beispiel eines worst case: Kehrt ein Häftling ohne Arbeit, gesichertes Einkommen und tragfähige soziale Bindungen in sein angestammtes kriminelles Milieu zurück, wird eine neuerliche Straftat nicht lange auf sich warten lassen. Dennoch zeigt die Rückfallstatistik eines deutlich: Der Strafvollzug funktioniert jedenfalls nicht in Form einer "Schnellbleiche", in den man kriminelle Subjekte hineinsteckt und aus dem normtreue Staatsbürger wieder herauskommen.

Ultima Ratio

Durch die Restriktionen in der Pandemie dürften die meisten eine Ahnung davon bekommen haben, wie gravierend bereits leichtere Formen von Freiheitsbeschränkungen sein können. Schon deswegen und auch aufgrund der begrenzten Leistungskraft des Strafvollzugs ist es die Pflicht eines sozialen Rechtsstaats, fortwährend über Alternativen zur Freiheitsstrafe nachzudenken. Dass es zu einer Abschaffung stationärer Sanktionen kommen wird, ist kurz- und auch mittelfristig nicht zu erwarten. Dennoch darf ein Freiheitsentzug stets nur Ultima Ratio sein, sodass auf ihn, wenn immer möglich, zu verzichten ist.

Der berühmte Strafrechtler Franz von Liszt betonte bereits vor weit über 100 Jahren, "daß eine auf Hebung der gesamten Lage der arbeitenden Klassen ruhig, aber sicher abzielende Sozialpolitik zugleich auch die beste und wirksamste Kriminalpolitik darstellt". Daran ist festzuhalten. Entsprechende Präventionsangebote können schon bei der Aufklärung über Gefahren des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft beginnen. Sie sind in den Kindergärten und Schulen mit Unterstützungsangeboten für überforderte Eltern und Kinder fortzusetzen und durch externe Institutionen der Beratung zu ergänzen. Und solange es Gefängnisse gibt, müssen selbige personell und materiell in die Lage versetzt werden, einen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichteten Behandlungsvollzug zu betreiben. Dies gilt auch, obwohl wir wissen, dass diese Bemühungen nicht immer erfolgreich sein werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Geschichte des Strafvollzugs in neuerer Zeit vgl. Klaus Laubenthal, Strafvollzug, Berlin 20198, Rn. 127ff.

  2. Vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 33, 1 (Strafgefangene), 14.3.1972.

  3. Vgl. Steffen Alisch, Zwischen Kontrolle und Willkür – Der Strafvollzug in der DDR, 12.5.2016, Externer Link: http://www.bpb.de/227634.

  4. Zu Strafrecht und Kriminologie vgl. Jörg Kinzig, Noch im Namen des Volkes? Über Verbrechen und Strafe, Zürich 2020.

  5. Das mittlerweile geflügelte Wort war die Überschrift eines Aufsatzes von Martin Klingst, 16.12.2004, Externer Link: http://www.zeit.de/2004/52/Wettbewerb_der_Schaebigkeit und wurde aufgegriffen von Frieder Dünkel/Horst Schüler-Springorum, Strafvollzug als Ländersache? Der "Wettbewerb der Schäbigkeit" ist schon im Gange!, in: Forum Strafvollzug 3/2006, S. 145–149.

  6. Vgl. etwa Frank Neubacher, B. Vollzugsgrundsätze, in: Klaus Laubenthal et al., Strafvollzugsgesetze, München 201512, Rn. 20–87, hier Rn. 28.

  7. BVerfGE 35, 202 (Lebach), 5.6.1973, S. 235f.

  8. Vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege. Strafvollzug – Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3. – 2020, Artikelnummer 2100410207004, S. 10f. und 2007, Artikelnummer 2100410077004, S. 12f.

  9. Siehe hierzu die Datenbank "World Prison Brief" des Institute for Crime & Justice Policy Research: Externer Link: http://www.prisonstudies.org.

  10. Eigene Berechnungen für Strafgefangene und Sicherungsverwahrte (ohne Untersuchungshaft) auf Basis der Daten aus der Strafvollzugsstatistik (Anm. 8) und der Bevölkerungsstatistik (Stand: 31.12.2020) des Statistischen Bundesamtes.

  11. Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Nr. 19359/04 v. 17.12.2009; BVerfGE 128, 326 (Sicherungsverwahrung), 4.5.2011.

  12. Vgl. Frieder Dünkel/Christine Morgenstern, Der Einfluss von Covid-19 auf den Strafvollzug und die Strafvollzugspolitik in Deutschland, in: Neue Kriminalpolitik 4/2020, S. 432–457.

  13. Siehe Externer Link: http://www.justiz-bw.de/,Lde/Startseite/Justiz/datenundfakten.

  14. Siehe dazu etwa die Diskussion bei einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 3.4.2019: Externer Link: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_Recht/anhoerungen/stellungnahmen-632790.

  15. Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.), Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen – Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2013 bis 2016 und 2004 bis 2016, Berlin 2020 (Version Februar 2021).

  16. Vgl. ebd., Tabelle C 2.3.2 mit teilweise eigener Berechnung.

  17. Franz von Liszt, Das Verbrechen als sozial-pathologische Erscheinung, in: Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, Berlin 1905, S. 230–250, hier S. 246.

  18. Vgl. Kinzig (Anm. 4), S. 114ff.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Jörg Kinzig für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Professor für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
E-Mail Link: joerg.kinzig@uni-tuebingen.de