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Es gibt eine Vielzahl an Begriffen, die sich auf die Diskriminierungserfahrung von Musliminnen und Muslimen und als muslimisch markierten Personen beziehen. Der Begriff "Islamophobia" erlangte nach einem aufsehenerregenden Bericht des britischen Think Tanks Runnymede Trust von 1997 internationale Popularität
In Deutschland wurde die "Islamophobie" durch die Untersuchungen des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" (GMF) prominent. Zu Beginn der besagten Forschungsreihe unter dem Titel Deutsche Zustände (2002-10) wurde Islamophobie als "generelle ablehnende Einstellungen gegenüber muslimischen Personen und allen Glaubensrichtungen, Symbolen und religiösen Praktiken des Islam"
Die Begriffe Islamophobie und Islam-/Muslimfeindlichkeit werden in deutschsprachigen Publikationen oft synonym verwendet, können aber je nach Kontext entweder Ängste oder (gewaltvolle/-bereite) Feindseligkeit und Hass ins Zentrum rücken. In der GMF-Klassifikation werden sie wegen ihres konzeptionellen Fokus auf Religion und religiöse Praxis ausdrücklich von klassisch biologistischem (Hautfarben-)Rassismus getrennt behandelt.
Daraus ergeben sich meiner Einschätzung nach wesentliche Schwachstellen: Zum einen wirken die Begrifflichkeiten verharmlosend und irreführend. Sie spielen semantisch auf vermeintliche Ängste vor 'dem Islam' und 'den Muslimen' an und vermitteln so den Eindruck, als sei Religion der Ausgangspunkt einer Diskriminierung, die sich in direkter Ablehnung oder Feindseligkeit ausdrücke. Indem auf die Erforschung sozialpsychologischer Ursachen und Vorurteile auf individueller Einstellungsebene fokussiert wird, geraten – ganz zu schweigen von Problemen einer Pathologisierung – politische, strukturelle und institutionelle Dimensionen aus dem Blick. Genauso treten Fragen nach historischen Kontinuitäten und gesellschaftlichen Zusammenhängen in den Hintergrund.
Der Begriff "antimuslimischer Rassismus"
Insgesamt ist der antimuslimische Rassismus gerade deshalb als Rassismus einzustufen, weil Menschen entlang bestimmter Vorstellungen von Kultur, Religion und Herkunft essentialisiert werden, ihnen also nach (angeblicher) Abstammung genuin 'islamische' Eigenschaften zugewiesen werden, die sie von der 'eigenen' Gruppe quasi natürlich unterschieden. Dadurch wird die rassistische Benachteiligung der 'Anderen' ("nicht deutsch") gerechtfertigt und 'unsere' ("deutschen") Privilegien werden gesichert.
Zwanzig Jahre später verwendet der Runnymede Trust in seinem aktuellen Bericht "Islamophobia: Still a Challenge for us all" eine breitere Definition, die sich wesentlich an der Rassismusdefinition der Vereinten Nationen orientiert.
"Islamophobia is any distinction, exclusion, or restriction towards, or preference against, Muslims (or those perceived to be Muslims) that has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life."
In dieser Definition wird nun ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht nur Musliminnen und Muslime, sondern auch als solche wahrgenommene Menschen betroffen sind. Zudem werden jegliche Formen von Abgrenzungen, Einschränkungen oder Ausschluss (auch unbewusst) Islamophobia zugerechnet. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob sie mit Absicht geschehen, sondern, ob sie diskriminierende Effekte haben.
Darüber hinaus zeigt der Bericht, dass das Phänomen – anders als in den erwähnten Islamophobie-Studien in Deutschland – nicht losgelöst von anderen Rassismen untersucht werden kann, dass es also nicht auf eine religionsbezogene Diskriminierung reduziert werden kann: Die Formulierung ist unmissverständlich, "Islamophobia is anti-Muslim racism"
Historische Spuren: Reconquista auf der Iberischen Halbinsel
Antimuslimischer Rassismus lässt sich nicht auf ein Vorurteil reduzieren. Er ist weder Alleinstellungsmerkmal des rechten Randes, noch neu. So lassen sich die Spuren des antimuslimischen Rassismus bis ins späte 15., frühe 16. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel zurückverfolgen, als sich bereits dort Vorstellungen von Religion, Kultur und 'Blutsabstammung' miteinander vermengten und Musliminnen und Muslime, Seite an Seite mit Jüdinnen und Juden, durch Christinnen und Christen als ihrer Herkunft nach fremdartige Minderheiten konzipiert wurden, wie der folgende historische Rückblick zeigt.
Im Zuge der sogenannten Reconquista wurden Musliminnen und Muslime auf der Iberischen Halbinsel zu Beginn vor die Wahl gestellt, zum Christentum zu konvertieren oder zu migrieren. Wie François Soyer nachweist, folgten diverse Disziplinierungs- und Kontrollmaßnahmen, die zum Christentum zwangskonvertierte Musliminnen und Muslime sowie ihre Nachfahren, auch 'Moriscos' genannt, als verdächtige Konvertitinnen und Konvertiten inmitten der christlichen Nation stigmatisierten, weil sie noch insgeheim dem Islam anhängen würden.
Soyer berichtet von einem 1526 in Granada erlassenen Assimilationsprogramm
Wie jüdisch Markierte waren auch muslimisch Markierte von den Universitäten, religiösen Orden, Stadträten und der durch die Inquisition eingeführten 'Statuten der Blutreinheit', der limpieza der sangré, betroffen. Dieses juristische Konzept unterschied Menschen zwischen 'rein' und 'unrein'.
Die Soziologen Ramón Grosfoguel und Eric Mielants sowie der Arabist Maurits S. Berger teilen die Ansicht, dass es sich beim Fall der limpieza de sangré und der für diese Gruppen maßgeschneiderten Überwachungs- und Erziehungsprogramme sowie ihrer Vertreibung um mehr als eine religiöse Diskriminierung handelte, da sie auf Prozessen der Rassifizierung aufbauen.
Antimuslimischer Rassismus heute
Heutzutage ist der 'Rasse'-Begriff in Deutschland tabuisiert und gesellschaftlich verpönt. Das ändert aber nichts daran, dass rassistische beziehungsweise antisemitische Vorstellungen noch immer das Sprechen über Schwarze, Juden, Sinti und Roma, Muslime sowie andere betroffene Gruppen prägen.
Im AfD-Programm zur Bundestagswahl 2017 heißt es: "In der Ausbreitung des Islam und der Präsenz von über 5 Millionen Muslimen, deren Zahl ständig wächst, sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung."
Wie Yasemin Shooman erklärt, gilt in demographischen Bedrohungsszenarien als muslimisch, "wer von muslimischen Eltern abstammt – und das allein macht ihn oder sie bereits zum Problem oder gar zu Gefahr"
Doch die Vorstellung scheinbar natürlicher Grenzen zwischen den Kulturen und Religionen, deren Kontakt und/oder Vermengung ein Problem für den Erhalt "unserer" Identität und Gesellschaft sei, beschränkt sich nicht auf rechtspopulistische Parteien oder rechte Bürgerbewegungen. Über Parteigrenzen hinweg können Argumente einer Unvereinbarkeit "fremder" Kulturen mit der europäischen und deutschen für defizitorientierte Integrationsmodelle bis hin zu restriktiver Migrations- und Asylpolitik bemüht werden. "Deutschland muss Deutschland bleiben", lautete etwa eine Forderung in der Beschlussvorlage zur CSU-Parteivorstandsklausur 2016. Christsoziale plädierten dafür, die Einwanderung von Menschen aus "unserem christlich-abendländischen Kulturkreis" zu bevorzugen.
Vorstellungen der Überfremdung und Unterwanderung finden auch in der breiten Bevölkerung Anklang: In einer Umfrage der "Leipziger Autoritarismus-Studie 2018" geben 55,8 Prozent der Befragten in Deutschland an, sich "[d]urch die vielen Muslime hier […] manchmal wie ein Fremder im eigenen Land" zu fühlen"
44,1 Prozent der Befragten plädieren in der Umfrage gar dafür, Musliminnen und Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu verbieten
Täter-Opfer-Umkehr
Die Existenz von antimuslimischem Rassismus im öffentlichen Leben Deutschlands wird immer wieder geleugnet oder relativiert. Es heißt dann zum Beispiel, Musliminnen und Muslime stilisierten sich zu Opfern. Sie bildeten sich die Diskriminierung nur ein oder könnten mit 'legitimer Islamkritik' nicht umgehen. Argumentationen dieser Art sind weit verbreitet und gefährlich. Sie machen Betroffene rassistischer Gewalt für ihre Diskriminierungserfahrung selbst verantwortlich; dies nennt man auch "victim blaming". Gesamtgesellschaftliche Diskussionen über antimuslimischen Rassismus bleiben aus, weil das Thema stattdessen verlagert und mit dem Klischeebild des gewalttätigen, sexistischen und radikalen Muslims abgewehrt wird. Aus Opfern werden so Täter gemacht.
Regelmäßig wird die Kritik am antimuslimischen Rassismus zum Zwecke einer sogenannten "Islamkritik" verwässert und relativiert oder das Phänomen insgesamt geleugnet. Mit "Islamkritik" werden gesellschaftliche Probleme in Folge depolitisiert und stattdessen islamisiert, wie Iman Attia eindrücklich formuliert.
So funktioniert Umwegkommunikation
Wenn antimuslimischen Worten Taten folgen
Antimuslimische Diskurse gehen gewaltvollen Übergriffen und Anschlägen voraus. Die rechtsextremen, antimuslimischen Terroranschläge in Oslo und auf Utøya im Juli 2011 und in Christchurch, Neuseeland im März 2019 bezeugen das globale Ausmaß eines Problems, das auch hierzulande unterschätzt wird. Rechtsextremer Terrorismus in Gestalt des NSU oder der Gruppe Freital genauso wie antimuslimische Anschläge auf Moscheen und körperliche Angriffe auf offener Straße erfahren noch immer nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Allein im Jahr 2018 zählte die deutsche Kriminalstatistik über 910 islamfeindliche Straftaten.
Einen absoluten Tiefpunkt in Deutschland markiert der antimuslimisch-rassistisch motivierte Mord an Marwa El-Sherbini im Landgericht Dresden am 1. Juli 2009. Die Apothekerin mit Hijab war als Zeugin geladen. Sie hatte Alexander W. angezeigt, weil dieser sie zuvor auf einem Spielplatz als "Terroristin" und "Islamistin" beschimpft hatte. Während der Strafverhandlung wurde die im dritten Monat schwangere Sherbini mit 16 Messerstichen erstochen. Ihr Ehemann, Elwy Ali Okaz, eilte zur Hilfe. Er wurde auch schwer verletzt, von einem Polizisten mit dem Täter verwechselt und angeschossen. Der Rat muslimischer Studierender und Akademiker rief daraufhin den 1. Juli, Sherbinis Todestag, zum Tag gegen antimuslimischen Rassismus aus.
Dennoch findet der antimuslimische Rassismus in Debatten über Sicherheit und Terrorismus bislang keine adäquate (kritische) Berücksichtigung, es sei denn, Musliminnen und Muslime werden (wieder) als (potenzielle) Täterinnen und Täter in den Blick gerückt und ihre Diskriminierungserfahrung als Radikalisierungsfaktor fokussiert. Es sollte nicht verwundern, dass antimuslimische Argumentationen sich auch in Zusammenhängen der Extremismusprävention und Versicherheitlichung bemerkbar machen können.
Fazit
Antimuslimischer Rassismus ist kein ausschließlich rechtes Phänomen. Zwar spielen Debatten über Sicherheit und Terrorismus seit 9/11 eine zentrale Rolle in der Stigmatisierung von Musliminnen und Muslimen. Nichtsdestotrotz blickt die Diskriminierung muslimisch Markierter auf eine lange historische Tradition zurück, die eng mit der Geschichte Europas verzahnt ist. Antimuslimischer Rassismus betrifft nicht nur praktizierende Musliminnen und Muslime, sondern all jene, die als muslimisch wahrgenommen werden. Er liegt dann vor, wenn essentialistische Markierungen des Muslimischen den Zweck erfüllen, die Beobachtung und Kontrolle, die Disziplinierung, Erziehung oder den Ausschluss der Anderen zu rechtfertigen und eigene Privilegien zu sichern. Um die Ungleichbehandlung von Musliminnen und Muslimen zu erklären, wird auf das Narrativ vom muslimischen Aggressor zurückgegriffen: Musliminnen und Muslime gelten – im Unterschied zu 'uns Deutschen' – ihrer Religion und Kultur nach als sexistisch, gewalttätig, antisemitisch, homophob und demokratiefeindlich. Sie stehen unter Verdacht, Demokratie und Rechtsstaat abzulehnen, während für Angehörige der eigenen Gruppe eine Unschuldsvermutung gilt. Dadurch werden Musliminnen und Muslime zum Gegenteil des Deutschen erfunden.
Die Kritik am antimuslimischen Rassismus bedeutet, hinter die Kulissen hegemonialer Islamdebatten zu sehen.
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