Louise Otto-Peters ist eine der herausragenden Feministinnen des 19. Jahrhunderts. Die Frauenpolitikerin, Schriftstellerin, Journalistin und Publizistin gilt als Schlüsselfigur der frühen Frauenbewegung. Als Initiatorin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1865 erlangte sie die nachhaltigste Bedeutung.
Louise Otto-Peters ist eine der herausragenden Feministinnen des 19. Jahrhunderts. Ihr Bild stellt sich durch die Erschließung neuer und der Auswertung bekannter Quellen unter veränderten Gesichtspunkten und Fragestellungen mittlerweile differenzierter dar. Insbesondere durch die Forschungen von Irina Hundt, Johanna Ludwig und Susanne Schötz wurden entscheidende Voraussetzungen für eine kritische Relektüre von Leben und Werk Louise Otto-Peters’ geschaffen.
Zu ihrem Leben nach der Heirat mit August Peters 1858 wurden bisher kaum authentische Dokumente gefunden. Stattdessen sind eine Reihe von Erinnerungen und Selbstzeugnissen "im Kolorit der Bilder Ludwig Richters" bis in Formulierungen hinein zum Ausgangspunkt ihrer Porträtierung geworden. Damit sind ihre überlieferten Selbstzeugnisse ein früher Ausdruck frauenbewegter Memoirenliteratur. Worin das eigentliche Bestreben dieser schriftstellerischen Erinnerungsarbeit liegt, hinterfragen Julia Paulus und Kerstin Wolff sowie Irina Hundt. Deren Ergebnisse lassen erkennen, dass die Geschichtsschreibung der Frauenbewegung in ihrer Tradierung immer auch von deren gesellschaftlichen Gegebenheiten abhängig ist. Markant zeigt sich dieser Aspekt an der Rezeption von Louise Otto-Peters im Wissenschaftsbetrieb von DDR und Sowjetunion, wo ihre Texte und Lebensleistungen bis in die 1970/80er Jahre weitgehend vom Diskurs ausgeschlossen blieben.
Mit der Gründung der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. 1993 gelang es, einen gemeinnützigen Verein zu initiieren, dessen gleichnamiges Archiv seit 1997 bemüht ist, alle bislang identifizierten Schriften von und über Louise Otto-Peters und ihrem umfangreichen Netzwerk zu sammeln. An dieser Stelle ist es kaum möglich, auf alle diese Veröffentlichungen einzugehen; die von Roselinde Zeitschel erarbeitete Bibliografie für den Zeitraum 1843 bis 1994 bietet einen detaillierten Überblick.
"Wer sich umschaut …" Schriftstellerin und Publizistin
Louise Otto wurde am 26. März 1819 als jüngste Tochter in eine liberal-aufgeklärte bürgerliche Meißner Familie hineingeboren, in der Politik und eine allgemeine Begeisterung für Musik, Theater und Literatur eine große Rolle spielten. Den Privatunterricht ab 1826 konnte sie durch Verschieben der Konfirmation um ein Jahr bis 1835 verlängern. Auch aus eigener Erfahrung kritisierte sie frühzeitig das Bildungssystem des 19. Jahrhunderts, das nur Jungen ein umfassendes und langjähriges Lernen bis zu Abitur und Studium ermöglichte. Zentraler Punkt ihres Wirkens sollte es werden, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen zu verbessern und zu schaffen.
Nach dem Tod der Eltern 1835 und 1836 lebte sie zunächst mit den Schwestern Antonie und Francisca unter der Obhut ihrer Tante, ab 1840 viele Jahre allein mit ihr. Im gleichen Jahr lernte sie den liberal-demokratisch geprägten Juristen und Literaten Gustav Müller kennen, der sie mit aktuellen literarischen und politischen Strömungen bekannt machte. Nach seinem frühen Tod 1841 widmete sie sich verstärkt autodidaktischen Studien von Literatur, Philosophie, Geschichte, Religion, Politik, Medizin und Naturwissenschaften sowie des Französischen. Im Vormärz entwickelte sie freundschaftliche Beziehungen unter anderem zum Oppositionsführer Sachsens und Demokraten Robert Blum, zum Verleger Ernst Keil sowie zu sozialkritischen Dichtern des Jungen Österreich wie Karl Isidor Beck, Karl Herloßsohn, Hermann Rollett, Eduard Mautner und Alfred Meißner, die aufgrund der repressiven Pressepolitik in Österreich ins in dieser Hinsicht progressive Sachsen geflüchtet waren und vor allem in Leipzig Wege zur literarischen Produktion fanden. Die Mitarbeit Louise Ottos an politisch-literarischen Zeitungen und Zeitschriften machten sie bereits zu diesem Zeitpunkt auch außerhalb Sachsens bekannt. Die durch eigene Veröffentlichungen gewonnene finanzielle Unabhängigkeit nutzte sie in den folgenden Jahren wiederholt dazu – zum Entsetzen ihrer Zeitgenoss/innen – allein durch Deutschland zu reisen und sich autodidaktisch zu bilden.
1840, bei einer Reise ins sächsische Oederan, ein von der Textilindustrie geprägter Ort nahe Chemnitz, erhielt sie erstmals Einblicke in die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der Weberfamilien. Dies begründete einerseits ihr Interesse an sozialer Gerechtigkeit und an der sich herausbildenden Arbeiterklasse, andererseits begann sie sich mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau auseinanderzusetzen. In der vormärzlichen literarischen Szene, in der Louise Otto verkehrte, wurden auch Frauen gewisse Teilhaberechte eingeräumt. 1842/43 erfolgten erste literarische und journalistische Veröffentlichungen von Gedichten, Reiseliteratur und Rezensionen sowie ihres ersten Romans "Ludwig, der Kellner". 1843 reagierte sie auf die von Robert Blum in den "Sächsischen Vaterlands-Blättern" gestellte Frage nach politischer Teilhabe von Frauen, der die Artikelserie "Frauen und Politik" 1843/44 folgte, die als publizistischer Auftakt der deutschen Frauenbewegung gewertet wird. Auch Louise Otto resümierte diesen Zeitraum als Beginn ihrer journalistischen und literarischen Karriere; sie war damals die erste Frau, die sich zur Rolle der Frau in der Presse positionierte. 1846 erschien ihr Roman "Schloß und Fabrik", der nach Auffinden der Zensurakte durch Johanna Ludwig 1996 erstmals unzensiert publiziert werden konnte, 1847 wurde ihr erster Gedichtband "Lieder eines deutschen Mädchens" veröffentlicht. Als für unverheiratete Frauen ihres Standes zumindest gesellschaftlich anerkannte Einkommensquelle sollte Schreiben insbesondere in den späteren Jahren für ihren Lebensunterhalt und eine Zeit lang für den der Tante sowie der hinterbliebenen Kinder ihrer Schwester sorgen.
Neben dem weithin beachteten Roman "Schloß und Fabrik" lässt sich ihr Engagement für die Arbeiter/innen besonders anschaulich an der viel zitierten "Adresse eines Mädchens" von 1848 illustrieren. Dieser offene Brief überzeugt wie ihre aus dem gleichen Zeitraum stammende Eingabe zur Frauenarbeit an die sächsische Kommission durch frauenemanzipatorische Weitsicht. Louise Otto forderte darin völlig neuartig im gesamten Diskurs um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse, die Situation der Arbeiterinnen explizit einzubeziehen. Erstmals legte sie die Funktion von je nach vorhandenen Möglichkeiten frei gewählter Erwerbsarbeit als Basis von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung offen, während sie zugleich die Vereinbarkeit von Frauenerwerbsarbeit und Mutterrolle durch Kinderbetreuungseinrichtungen im Blick hatte.
Neben dem Plädoyer für Bildung und Erwerbsarbeit sprach sich Louise Otto 1849 als vermutlich erste Frau überhaupt in der Geschichte des Feminismus, des Parlamentarismus und der Demokratiebewegung in der von Louise Dittmar herausgegebenen Zeitschrift "Sociale Reform" für das Frauenstimmrecht aus. Mit ihrem breiten Demokratieverständnis und aus der Enttäuschung heraus, dass die freiheitlich-demokratischen Revolutionäre von 1848/49 Frauenrechte nicht bedachten, gründete sie 1849 die erste langlebigere "Frauen-Zeitung" (bis 1852) als engagiertes feministisches Presseorgan zur Artikulation von Fraueninteressen. Der Germanistin Juliane Schröter zufolge war Louise Otto mit der Zeitung wesentlich an der Herausbildung eines politischen Kollektivsubjekts "die Frauen" beteiligt. Die sprachliche Sichtbarmachung und die überregionale dialogische und vielstimmige Kommunikation etablierten die Vorstellung, dass alle Frauen eine große Gruppe bilden, vertreten durch die integrativ angelegte Kommunikationsgemeinschaft "Frauen-Zeitung" und ein darin entworfenes klassenübergreifendes Programm. Aus dem Blickwinkel des 19. Jahrhunderts wirkte die Zeitung emanzipatorisch-befreiend, indem das sprachlich konstruierte Kollektivsubjekt "die Frauen" gegen diskriminierende ständisch begründete Kategorisierungen von Menschen wie Frauen, Kinder, Dienstbotinnen, Arbeiterinnen als Unmündige und Unselbstständige gerichtet war. Anfang 1853 versuchte Louise Otto die "Frauen-Zeitung" analog einer belletristischen Wochenschrift als "Deutsche Frauen-Zeitung. Blätter für Literatur, Kunst und die höheren weiblichen Interessen" wiederzubeleben. Sowohl äußerlich als auch inhaltlich kam es zu umfassenden Veränderungen, die kaum noch den frauenemanzipatorischen Intentionen Louise Ottos entsprachen, sodass auch hierin das frühe Ende der Zeitschrift im Juli 1853 begründet war.
Louise Ottos ersten und viel beachteten Romane stammen aus den revolutionären 1840er Jahren und befassen sich allgemein mit sozialer Benachteiligung, politischer Repression, kirchlichem Konservatismus, gesellschaftlichen Vorurteilen und überkommenem Standesbewusstsein. Während der Restaurationszeit musste sich auch Louise Otto den Gegebenheiten von Repression und Zensur als Schriftstellerin und Publizistin anpassen. Trotz fehlender systematischer Untersuchung ist bekannt, dass sie sich in dieser Zeit verstärkt der Rolle der Kunst in der Gesellschaft zuwandte, aber auch (kultur-)historischen Themen und der Geschichte der Hexenverfolgung Aufmerksamkeit schenkte. Unter anderem in den "Privatgeschichten der Weltgeschichte" (1868–1872) beteiligte sie sich mit zahlreichen Frauenporträts aus mehreren Jahrhunderten entschieden an einer feministischen Geschichtsschreibung.
Parallel zur literarischen und journalistischen Entwicklung im Vormärz engagierte sich Louise Otto als führende Vertreterin der Demokratiebewegung in Sachsen. Sie wirkte bei der Gründung von Vaterlandsvereinen in Meißen und Leipzig; sie unterstützte die Parlamentswahlen für die Deutsche Nationalversammlung; sie beteiligte sich bei der Organisierung von Arbeiter/innenversammlungen und -petitionen, demokratischen Vereinen und sozialistischen Klubs, und vor allem unterstützte sie illegal deutsche und österreichische Revolutionäre in Gefangenschaft und auf der Flucht. Auch für den oppositionellen Redakteur August Peters, ihren späteren Ehemann, der von 1849 bis 1856 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde, engagierte sie sich teilweise durch Aufwenden ihres Erbes. Louise Ottos Tagebucheinträge, Briefe und Gedichte dieser Zeit geben eindrucksvoll Kenntnis von der psychischen Belastung. In den Folgejahren nahmen die Repressionen auch in ihrer unmittelbaren Umgebung durch Verbote einzelner Vereine und Zeitungen, dann 1850/51 durch die in den meisten Bundesstaaten erlassenen Vereins-, Versammlungs- und Pressegesetze zu. Louise Otto gehörte in der Reaktionsperiode schließlich selbst zu den politisch Überwachten; ihre polizeiliche Akte von Juli 1850 bis Oktober 1854 dokumentiert Verfolgung, Hausdurchsuchungen und Verhöre, Ausweisungen oder Einreiseverbote.
Nach der Heirat mit August Peters 1858 lebte das Paar ab 1860 in Leipzig, wo beide an der demokratischen "Mitteldeutschen Volks-Zeitung" arbeiteten; Louise Otto-Peters war für das Feuilleton zuständig. Das Ehepaar hatte seit dem Vormärz enge Kontakte zu Schriftstellern, Publizisten und Verlegern sowie einen langjährigen Freundes- und Bekanntenkreis in Leipzig, war im Leipziger Schillerverein und anderen Vereinigungen involviert sowie in der sich neu belebenden Nationalbewegung vernetzt. Es war eine kurze, aber wohl glückliche und moderne Ehe mit gleichermaßen erwerbstätigen und gesellschaftlich integrierten Partnern. Literarisch und publizistisch beteiligte sich Louise Otto-Peters in dieser Zeit mit Gedichten zur Erinnerung an die Leipziger Völkerschlacht und an den Freiheitskämpfer Theodor Körner, ebenso mit Themen zur Erziehung und Erwerbstätigkeit von Frauen.
Louise Otto-Peters ist die Autorin von einer bis heute nicht sicher ermittelten Zahl von Gedichten, 28 meist mehrbändigen Romanen, Novellen, Erzählungen, (kultur-)historischen Schriften, biografischen Skizzen, Reiseliteratur, Essays, Opernlibretti, Literatur-, Theater- und Musikkritiken sowie unzähliger, teilweise unter Pseudonym verfasster journalistischer Beiträge zu gesellschafts- und frauenpolitischen Themen, die keinesfalls hinreichend erforscht sind. Wenngleich ihr Einfluss auf nachfolgende Entwicklungen und ihre Bedeutung für die Frauenbewegungsgeschichte herausragend ist, weist Susanne Schötz in ihrer Darstellung zu Leben und Werk der frauenemanzipatorisch engagierten Demokratin darauf hin, dass der ästhetische Wert ihres schriftstellerischen Werks umstritten sei.
Die erste umfassende Würdigung erfolgte nach Louise Otto-Peters’ Tod durch die ihr nahe stehende Lehrerin für Literatur und Geschichte Auguste Schmidt. Etwa 100 Jahre später entdeckte auch die feministische Literaturwissenschaft ihr vielschichtiges Œuvre. Dabei wurde sie vielfach auf ihre journalistischen Arbeiten im Vormärz und den Roman "Schloß und Fabrik" sowie auf die "Frauen-Zeitung" reduziert. Andere Untersuchungen sehen Louise Ottos Popularität in ihrem unterhaltsamen Romanstil begründet, wobei ihre "soziale Zweckprosa" nicht nur den Unterhaltungs- und Informationsbedarf ihrer Leserschaft abdeckte, sondern die sozialen Probleme der Zeit und die weiblichen Lebenszusammenhänge in den Mittelpunkt rückte. Während letztgenannte Untersuchungen ihren Blick vorwiegend auf die weiblichen Figuren und deren Lebensentwürfe richten, zeigen Einzelstudien der vergangenen Jahre im Umfeld der Louise-Otto-Peters-Forschung, dass das Figurenrepertoire sozial und charakterlich vielschichtig und mit den Figurenkonstellationen ein erheblicher Geschlechterrollenwandel angelegt ist. In fiktionalisierten Konstellationen spiegelt sich somit das neue feministische Bewusstsein wider.
"Ich will mehr als Händefalten …" Organisierte Frauenpolitik
Nach dem Tod ihres Mannes 1864 gelang es Louise Otto-Peters zusammen mit anderen Frauen und Männern den Leipziger Frauenbildungsverein (FBV) zu initiieren, den sie später als "Wiege" der deutschen Frauenbewegung bezeichnete. Von ihrer Person ging die entscheidende inhaltliche Prägung des FBV aus, ebenso die Planung und Vorbereitung der ersten durch diesen Verein einberufenen Frauenkonferenz vom 16. bis 17. Oktober 1865 in Leipzig, "nunmehr aus dem Leipziger Wirkungskreis herauszutreten und auf nationaler Ebene Frauenpolitik zu gestalten". Ergebnis dieser Konferenz war die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) am 18. Oktober 1865 (Entscheidungstag der Völkerschlacht von 1813), dessen Vorsitz Louise Otto-Peters bis zu ihrem Tod 1895 innehatte.
Jüngere Publikationen haben gezeigt, dass FBV und ADF inhaltlich-programmatisch und organisatorisch-strukturell innovativ waren. Über Jahre hinweg agierten beide Vereine als Ideenschmieden, Impulsgeber, Experimentierfelder und Botschafter der neuen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Statute und Programme der Vereine enthielten nicht Wohltätigkeit als Satzungszweck. Im Fokus standen die Vermittlung von Bildung und die Ausbildung zur Berufstätigkeit, um wirtschaftliche und soziale Selbstständigkeit zu erlangen. Gleichermaßen zählten ein Recht auf umfassende Bildung, Teilhabe an Kunst und Kultur, also eine ethische und ästhetische Persönlichkeitsentfaltung, zu weiteren satzungsgemäßen Aufgaben. Unter Heranziehung Louise Ottos noch wenig wissenschaftlich untersuchtem Kunstverständnis – Kunst solle für alle offen sein – wird ihr weit greifendes Emanzipationskonzept deutlich, das eine ganzheitliche Bildung für alle Menschen einforderte und diese als grundlegendes geschlechtsspezifisches und klassenübergreifendes Recht verstand. In welchem Maße Arbeiterinnen und andere Frauen aus unteren Gesellschaftsschichten an dem Angebot partizipierten, ist wenig bekannt.
Im ADF konnten nur Frauen Mitglieder werden und damit auch den Vorstand bilden. Die für die damalige Zeit einzigartige Reform ging mit Kontroversen einher. Dennoch waren Männer intensiv als Mitgründer und dann als Ehrenmitglieder mit eingeschränkten Rechten aktiv am Vereinsleben beteiligt. In der späteren Vereinsgeschichtsschreibung wurde dies jedoch nicht mehr adäquat dargestellt. Stattdessen fand das Selbsthilfe-Prinzip und das Verständnis des ADF als reines Frauenunternehmen stärkere Betonung.
Insgesamt stand im lokalen FBV und im überregionalen ADF der Abbau struktureller Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sowie unter den Frauen im Zentrum. In einer Zeit, in der es keine vollständig eingeführte allgemeine Schulpflicht gab, Lehrpläne nach Geschlechtern getrennt waren, Mädchen bis in die 1890er Jahre kein Abitur machen durften und erst ab 1900 teilweise die Zulassung zum Studium erlangten sowie verschiedene Berufszweige für sie verschlossen blieben, war dieses erste eigenständige Frauenprojekt so gewagt wie innovativ. Der Erfolg des Projekts war unbestritten auf Louise Otto-Peters als die wichtigste Initiatorin und langjährige Vorsitzende des ADF zurückzuführen. Um meinungsbildend auf die sich formierende Frauenbewegung zu wirken, übernahm sie aus dieser Führungsposition heraus ab 1866 zielstrebig die Gründung und Herausgabe des Vereinsblattes "Neue Bahnen" bis zu ihrem Tod 1895. Die Zeitung wurde enorm wichtig für die Verbreitung frauenemanzipatorischer Initiativen und Ideen sowie für die Konsolidierung der Frauenbewegung. Ihre inhaltliche Auswertung aber steht erst am Anfang; unbestritten ist eine Doppelfunktion als Informations- und Kommunikationsplattform des Vereins im In- und Ausland und damit eine Wechselwirkung internationaler Einflüsse auf die Programmatik und Strategien des ADF.
"Menschenwürdiges Dasein für Alle …" Zur Aktualität von Louise Otto-Peters
Louise Otto-Peters konnte in ihren vermutlich letzten Aufzeichnungen und Veröffentlichungen zum einen auf ein langes und intensives Leben zurückblicken, zum anderen berichten Tagebuchaufzeichnungen und Bittschriften an die Deutsche Schillergesellschaft zwischen 1864 und 1889 von ihrer trotz unermüdlicher journalistischer und schriftstellerischer Arbeit andauernden prekären Situation. Mindestens seit 1873 drängte sie auf Entlassung aus der aktiven Vorstandsarbeit, um sich alleinig der Schriftstellerei zu widmen, wurde aber noch 1891 zur ADF-Vorsitzenden wiedergewählt. 1892 gab sie die Leitung des FBV an Auguste Schmidt ab; 1894 erlebte sie die Einführung der Gymnasialkurse für Mädchen, die der ADF unter Leitung von Dr. Käthe Windscheid einrichtete, als letzten öffentlichen Auftritt. Am 13. März 1895 verstarb sie 76-jährig an einer Lungenentzündung in ihrer Wohnung in der Kreuzstraße 29 in Leipzig-Reudnitz. Sie wurde an der Seite ihres Mannes auf dem Neuen Johannisfriedhof, dem heutigen Friedenspark, unter einem unbearbeiteten Granitstein ohne Kreuz beigesetzt. Der Grabstein befindet sich heute im Lapidarium des Alten Johannisfriedhofs; eine Baumpflanzung kennzeichnet das eigentliche Grab.
Louise Otto-Peters war vielleicht die bedeutendste deutsche Feministin des 19. Jahrhunderts, "[d]ie Otto beeinflußte alles, was mit der Bewegung zusammenhing, selbst die Sprache: Sie gab Begriffen wie Selbsthilfe, Pflichten und Rechte, Freiheit, Selbständigkeit jene Bedeutung, die aus der historischen Perspektive für die ganze Frauenbewegung, nicht nur die bürgerliche, sondern auch die wachsende proletarische charakteristisch ist". Sie ist in einem Atemzug mit denjenigen Frauen zu nennen, die auf unterschiedlichsten Wegen für gleichberechtigte Partizipation eintraten und prägte so über ein halbes Jahrhundert aktiv die erste deutsche Frauenbewegung. Louise Otto-Peters schuf die ideellen und praktischen Grundlagen für unsere heutige gesellschaftspolitische Situation mit. Und doch bleiben Fragen und Forschungsdesiderate.
Die Gründung des ADF, der nach übergreifendem Konsens den Beginn der organisierten Frauenbewegung in Deutschland markiert und als erster gesamtnational orientierter Frauenverein gilt, wurde zur "Keimzelle" vieler Fraueninitiativen und Vereinsgründungen, quasi zum "Prototyp eines genuin feministischen Projektes", womit es gelang, eigene Anliegen in öffentliche Debatten zur Diskriminierung von Frauen einzubringen. Sowohl der Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband e.V., die rechtliche Nachfolgeorganisation des ADF, als auch viele andere Frauenorganisationen, die sich nach 1945 und 1968 in Westdeutschland und ab 1989 in Ostdeutschland konstituierten, knüpften wesentlich bewusst und unbewusst an das ADF-Modell an. FBV und ADF schufen für Mädchen und Frauen eine Vielfalt realer sozialer Angebote zur Verbesserung von Bildung und Erwerbsarbeit. Das dort vertretene Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht bis heute Generationen von Frauen ein selbstbestimmtes Leben. Zugleich wurde durch Petitionen und seit Erlangen des Wahlrechts Einfluss auf Politik und Gesetzgebung genommen. Frauen haben seither eine Stimme in Öffentlichkeit und Politik. Dennoch würde Louise Otto-Peters heute – mit Worten und Taten – nicht weniger engagiert sein. Die von ihr in der "Frauen-Zeitung" publizierte Idee einer "untheilbaren Freiheit" forderte politische, soziale und religiöse Grundrechte uneingeschränkt für alle Menschen. Daraus resultierte auch, sich gegen solche Diskriminierungen einzusetzen, selbst wenn sie davon nicht direkt betroffen war.
Für viele, die sich mit Louise Otto-Peters intensiver beschäftigen, ist sie eine couragierte Visionärin mit politischem Weitblick. Sie war ein modern denkender und handelnder Mensch, auch wenn ihre Kritik an rauchenden und trinkenden Frauen in Männerkleidung oder an sexueller Freizügigkeit aus heutiger Sicht einen verengten Blick zeigt. Im Mittelpunkt ihres Konzepts stand nicht die ihrer Ansicht nach hedonistische Selbststilisierung zum Beispiel einer Louise Aston, sondern Selbstentfaltung durch gesellschaftliche Teilhabe und Mitarbeit. Es ist auffällig, wie stark ganzheitlich sie in ihren journalistischen und literarischen Beiträgen argumentiert und Gerechtigkeit im Sinne eines erfüllten menschlichen Lebens fordert. In diesem humanistischen Gedankenexperiment ist für alle Menschen die volle Entwicklung individueller Fähigkeiten und ein gerechter Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen gewährleistet.
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Leipzig. Seit 2014 ist sie Vorsitzende der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. E-Mail Link: sberndt@rz.uni-leipzig.de
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