Das Ereignis wiederholt sich alle paar Monate: Eine Zeitung oder eine Nachrichtenagentur meldet neue Zahlen etwa zu Anschlägen auf Flüchtlingsheime, zu antisemitischen Straftaten oder islamfeindlicher Propaganda. Das Interesse an solchen Daten ist groß, regelmäßig sorgen die Meldungen daher für Schlagzeilen. Gelegentlich aber auch für Verwirrung: Was genau wird da eigentlich gezählt? Warum scheinen sich manche Zahlen innerhalb der Statistik zu widersprechen? Und wieso liegen die staatlichen Angaben für Straftaten von rechtsaußen Interner Link: häufig niedriger als unabhängige Zählungen, etwa von Opferberatungen, Stiftungen oder Journalisten?
Die offiziellen Statistiken sind über mehrere Jahrzehnte von den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern entwickelt worden. Inzwischen sind sie sehr komplex, die Feinheiten selbst für Experten teils schwer zu durchschauen. Sieben Fragen und Antworten zur Erklärung.
Wie kommen die üblichen Medienberichte über Straftaten von rechts zustande?
Wenn Medien über offizielle Statistiken solcher Straftaten berichten, sind die Quellen meist Antworten des Bundesinnenministeriums auf Anfragen von Bundestagsabgeordneten. Teilweise seit vielen Jahren stellen einige Fachpolitikerinnen und -politiker – in der Linkspartei beispielsweise Petra Pau oder Ulla Jelpke, bei den Bündnisgrünen etwa Monika Lazar und Volker Beck – monatliche oder vierteljährliche Anfragen und erkundigen sich bei der Regierung nach aktuell erfassten Straf- und Gewalttaten mit beispielsweise ausländerfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund. Während der Großen Koalition von 2013 bis 2017 stellten auch die Fraktionen von CDU/CSU und SPD monatliche Anfragen zu politisch motivierten Straf- und Gewalttaten. Die Antworten der Regierung werden jeweils als Bundestags-Drucksache veröffentlicht und sehr häufig von verschiedenen Zeitungen oder anderen Medien aufgegriffen.
Die von der Bundesregierung auf diese Parlamentsanfragen herausgegebenen Zahlen stammen vom Bundeskriminalamt. Das BKA erhebt die Daten aber nicht selbst, sondern bekommt sie im Rahmen des bundesweiten sogenannten "Kriminalpolizeilichen Meldedienst – Politisch motivierte Kriminalität" (KPMD-PMK) aus den Bundesländern, also vom jeweiligen Landeskriminalamt (LKA). Einmal jährlich, meist im späten Frühjahr, legen die Innenminister von Bund und Ländern selbst einen Jahresbericht zur Kriminalitätsentwicklung in Deutschland vor. Meist treten dazu der Bundesinnenminister und sein Amtskollege aus dem Bundesland, das gerade den Vorsitz der Innenministerkonferenz hat, in Berlin vor die Presse. Ein Berichtspunkt ist dabei stets auch die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität (PMK), die veröffentlichten Unterlagen sind danach im Internet frei verfügbar. Sie sind umfassender als die meisten Antworten auf Bundestagsanfragen – wegen der Vorlage lediglich einmal jährlich aber auch weniger aktuell.
Eine weitere Quelle für Medienberichte über Straf- und Gewalttaten mit rechtem Hintergrund ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Ebenfalls einmal jährlich legt es einen Jahresbericht vor, in dem es stets auch um Rechtsextremismus und Delikte mit entsprechendem Hintergrund geht. Doch das BfV führt keine eigene Statistik zum Thema, auch seine Zahlenangaben gehen auf die beim BKA geführten Datenbanken zurück.
Was genau zählen die offiziellen Statistiken?
Der Fachbegriff in den offiziellen Polizeistatistiken lautet: "politisch motivierte Kriminalität – rechts", kurz: "PMK-rechts". Er wurde im Jahr 2001 eingeführt, weil sich frühere Definitionen als zu eng erwiesen hatten. Bereits seit den 1960er Jahren hatte der "Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Staatsschutzsachen" (KPMD-S) bundesweit Straftaten erfasst, bei denen eine extremistische Motivation festgestellt wurde – die also auf den Sturz des politischen Systems zielten.
Seit der rassistischen Gewaltwelle gegen Interner Link: Asylbewerber Anfang der 1990er Jahre wurden in diesem Rahmen fremdenfeindliche Straftaten separat ausgewiesen, später auch antisemitische. Doch die zentrale Kategorie der Statistiken blieb weiterhin der Begriff Interner Link: Extremismus. Straf- und Gewalttaten wurden dann erfasst, wenn sie direkt auf die Abschaffung des Staates oder seiner freiheitlich-demokratischen Grundwerte zielten. Methodisch fielen daher viele Delikte vor allem aus der militanten Szene durchs Raster, zum Beispiel Angriffe etwa von Neonazi-Skinheads auf Migranten oder Punks. Nach starker öffentlicher Kritik reformierten deshalb die Innenminister aus Bund und Ländern die gesamte Zählmethodik. Seit dem 1. Januar 2001 wird nun – wie es im entsprechenden Beschluss hieß – auf "die politische Motivation unabhängig vom Merkmal der Systemüberwindung" geschaut. Der Täter muss also nicht mehr einer geschlossenen Ideologie anhängen, sondern es genügt, wenn sich diffuse Vorurteile ausmachen lassen. Seitdem wird deshalb nicht mehr von "rechtsextremistischen" Taten gesprochen, sondern von "politisch motivierter Kriminalität-rechts".
Die offizielle Definition lautet seit Jahresbeginn 2017: "Der Politisch motivierten Kriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie … der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen … sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale richten … gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder äußeren Erscheinungsbildes, gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht, bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet".
Als rechts-motiviert sollen Fälle erfasst werden, "wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z. B. nach Art der Themenfelder) einer ‚rechten‘ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Insbesondere sind Taten dazuzurechnen, wenn Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren".
Explizit weist die Definition darauf hin, dass bei der Beurteilung einer Tat auch "die Sicht der/des Betroffenen" einzubeziehen ist. Wenn also ein Opfer den Eindruck hat, aus politischen Gründen angegriffen worden zu sein, soll das ebenfalls als Grund zum Zählen gelten. Und die Definition betont, dass der "wesentliche Kerngedanke einer ‚rechten‘ Ideologie" die Behauptung einer Ungleichheit bzw. Ungleichwertigkeit von Menschen sei – wenn eine solche Vorstellung bei einer Tat erkennbar ist, soll sie also gezählt werden.
Im Klartext: Ein rassistisch motivierter Angriff auf einen Flüchtling soll seit der grundlegenden Reform der Definition im Jahr 2001 in die Statistik einfließen, auch wenn der Täter nicht als Neonazi bekannt ist oder Mitglied einer rechtsextremen Partei ist. Und wird ein Obdachloser von jemandem zusammengeschlagen, der ihn für minderwertig hält, zählt das ebenfalls als "PMK-rechts". Die neue Begrifflichkeit hat die Statistiken erheblich verbessert. Sie hat aber auch dazu geführt, dass ein direkter Vergleich mit Daten aus der Zeit davor nicht mehr möglich ist.
Wie wird gezählt?
Die PMK-Statistik der Polizei ist eine sogenannte Eingangsstatistik. Das heißt, dass Straftaten gleich bei Eingang einer Strafanzeige bzw. bei Aufnahme von Ermittlungen erfasst werden. Die Einschätzung, ob es sich etwa um eine rechts-motivierte Tat handelt, erfolgt also zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Zeigt sich der politische Hintergrund erst später bei den Ermittlungen oder gar erst in einem Gerichtsprozess, dann sollen diese Taten eigentlich nachgemeldet werden, was in der Praxis aber nicht selten unterbleibt. Jedenfalls verändern sich durch Nachmeldungen die PMK-Statistiken meist noch im Nachhinein. Zahlen, die bereits kurz nach Ende eines Monats, Quartals oder Jahres veröffentlicht werden, sind daher nicht sehr verlässlich. Erfasst werden die einzelnen Straftaten durch normale Polizeibeamte in den einzelnen Revieren. Die Meldung, die sie auszufüllen haben ("Kriminaltaktische Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK)", ist sehr detailliert. Abgefragt werden zum Beispiel Tatzeit, Tatort, umfangreiche Daten zu Tatverdächtigen, eventuell verwendeten Waffen, zu Opfern, zu Schäden, zu Verletzungen und so weiter und so fort. Allein die Ausfüllanleitung ist mehr als zehn DIN-A4-Seiten lang. Zwar sind die Inhalte der Abfrage bundesweit zwischen den Innenministerien abgestimmt, die Erfassungskriterien sind also überall dieselben; aber weil die Polizei Ländersache ist, existieren keine einheitlichen Formulare, was im BKA die Auswertearbeit verkompliziert. In der Praxis gibt es, wie Kritiker immer wieder bemängeln und auch interne Untersuchungen zeigten, sowohl von Land zu Land als auch von Polizeirevier zu Polizeirevier teils deutliche Unterschiede bei der Erfassung von Taten.
Außerdem fließen in die offiziellen Zahlen natürlich nur Taten ein, die bei der Polizei angezeigt werden bzw. von denen sie auf anderem Wege erfährt. Das Anzeigeverhalten von Betroffenen hat deshalb großen Einfluss auf die PMK-Statistik: Beispielsweise verzeichnet sie nur für Berlin rund die Hälfte der bundesweit insgesamt registrierten homophoben Angriffe. Doch dies dürfte weniger daran liegen, dass es in der Hauptstadt besonders viele Schwulenfeinde gibt, sondern eher daran, dass dort Polizei und Staatsanwaltschaft spezielle Ansprechpartner für solche Taten berufen haben und deshalb bei Betroffenen die Hemmschwelle für eine Anzeige niedriger liegen dürfte als anderswo.
Die einzelnen Meldungen aus den lokalen Dienststellen werden in jedem Bundesland im dortigen LKA gesammelt, geprüft und in Datenbanken eingespeist. Deren Inhalte gehen dann weiter ans BKA, wo die Daten ausgewertet und Statistiken zu einer Vielzahl von Fragen erstellt werden. Deren Zweck ist übrigens weniger die Information der Öffentlichkeit. Eigentlich waren und sind sie für interne Zwecke gedacht und gemacht, etwa als Entscheidungshilfe für die Polizeiführung zu Einsatz und Ausbildung der Beamten oder als Grundlage für innen- oder justizpolitische Debatten. Deshalb kann es passieren, dass Fragen, die für Öffentlichkeit oder Medien interessant sein mögen, von den Statistiken nicht beantwortet werden.
Welche Kategorien von Straftaten gibt es in den PMK-rechts-Statistiken?
Salopp gesagt: fast unendlich viele. Seit die neue Zählweise 2001 eingeführt wurde, ist sie bereits mehrfach verändert worden. Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche neue Kategorien für die Erfassung von Straftaten eingeführt, weil sich die politisch motivierte Kriminalität deutlich veränderte, neue Ideologieelemente und Feindbilder hinzukamen, aber auch, weil sich Öffentlichkeit und Politik immer detailliertere Auskünfte wünschten. Veränderungen an der Systematik der PMK-Statistiken sind zäh, denn sie müssen jeweils zwischen 16 Länder und der Bundesebene abgestimmt werden. Für die entsprechende Feinarbeit hat die Innenministerkonferenz eine spezielle Arbeitsgruppe eingerichtet ("AG Qualitätskontrolle"), die sich zweimal im Jahr trifft. Für die Erfassung jeder Tat müssen die einzelnen Polizisten – neben umfangreichen Angaben zu Tat, Tatverdächtigen, Opfern etc. – eine Reihe statistischer Kategorien ankreuzen bzw. eintragen. Auf einer eher allgemeinen Ebene ist die sogenannte Deliktsqualität anzugeben, politisch motivierte Straftaten werden hier (in absteigender Schwere) unterteilt in Terrorismus, Gewalttaten (Körperverletzung, versuchter Mord, Brandanschläge usw.), sonstige Taten (beispielsweise Sachbeschädigungen, Beleidigungen) und Propagandadelikte (z.B. Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole wie dem Hakenkreuz). Anzukreuzen ist außerdem, ob es sich um eine extremistische Tat handelt, ob also – neben der politischen Motivation – auch ein Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder wichtige Verfassungsprinzipien vorliegt. Damit wird quasi die Klassifizierung weiter mitabgefragt, die vor der Reform von 2001 für alle erfassten Taten gelten musste. Der Beamte muss weiterhin entscheiden, welchem "Phänomenbereich" er eine Straftat zuordnet, möglich sind hier "rechts", "links", "ausländische Ideologie", "religiöse Ideologie" und "nicht zuzuordnen".
In diesen drei Abschnitten des Formulars kann nur jeweils eine Option ausgewählt werden. Straftaten beispielsweise aus der Szene der Interner Link: Grauen Wölfe werden – trotz rechtsextremer Ideologie – unter "ausländische Ideologie" erfasst, weil die Szene ihren Ursprung in der Türkei hat.
Noch komplexer wird es bei den "Themenfeldern", um die es bei der zu erfassenden Tat ging. Hier gibt es einen Katalog, aus dem die Beamten für ihre Meldung passende Begriffe auswählen müssen. Diese Themenfelder werden ganz unabhängig von den Phänomenbereichen vergeben. Weil beispielsweise Antisemitismus sowohl bei Neonazis, Linksextremisten, Islamisten oder Anhängern ausländischer Ideologien vorkommt, kann eine Tat aus dem Themenfeld "antisemitisch" auch allen Phänomenbereichen zugeordnet werden.
Bei den Themenfeldern sind Mehrfachnennungen möglich. Damit soll abgebildet werden, dass bei politischen Taten oft mehrere Motivationen zusammenkommen. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ist die Liste der Themenfelder immer weiter angeschwollen, zahlreiche neue kamen hinzu, aber nur wenige alte fielen weg. Bis heute steht da etwa das Stichwort "Reichstagsbrand", weil dessen Jahrestag vor Jahren für Teile der Neonazi-Szene ein beliebter Anlass für Aktionen war. Inzwischen ist die Liste der Themenfelder eine neun Seiten lange Tabelle. Sie enthält mehr als 20 "Oberbegriffe", die sich in insgesamt mehr als hundert "Unterthemen" aufgliedern. Wichtige Oberbegriffe für den Bereich PMK-rechts sind beispielsweise "Hasskriminalität", "Ausländer/Asylthematik" oder "Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus".
Als Reaktion auf neuere Entwicklungen in der politisch motivierten Kriminalität wurden viele neue Unterthemen eingeführt. Weil beispielsweise bei flüchtlingsfeindlichen Ausschreitungen immer öfter auch freiwillige Helfer angegriffen wurden, wurde Anfang 2016 im Themenfeld "Ausländer/Asylthematik" das Unterthema "Angriffe auf Hilfsorganisationen/ehrenamtliche Helfer“ eingeführt. Die sich häufenden Angriffe auf Politikerinnen und Politiker zogen im Themenfeld "Konfrontation/politische Einstellung" das neue Unterthema "gegen Amts- und Mandatsträger" nach sich. Anfang 2017 wurde das Unterthema „gegen Religion“ ersetzt durch eine Aufschlüsselung in „islamfeindlich“, „christenfeindlich“ und „gegen sonstige Religionen“. Allein zum Themenfeld "Hasskriminalität" gibt es mittlerweile elf Unterthemen, darunter "rassistisch", "fremdenfeindlich", "antisemitisch", "islamfeindlich", "christenfeindlich", "antiziganistisch", "gegen Menschen mit Behinderung", "wegen sexueller Orientierung" usw.
Welche von Sicherheitsbehörden unabhängigen Zählungen zu Straf- und Gewalttaten "von rechts" gibt es?
Sowohl regional wie auch bundesweit existieren eine ganze Reihe von Initiativen, die rassistische, antisemitische, schwulenfeindliche und andere rechtsmotivierte Vorfälle auch jenseits der Interner Link: offiziellen Behördenstatistiken erfassen. Dahinter stehen verschiedene Akteure aus der Zivilgesellschaft, oft Stiftungen oder Menschenrechtsorganisationen, aber auch Journalistinnen und Journalisten.
Eine der bekanntesten Zählungen wurde erstmals im September 2000 veröffentlicht. Der Berliner Tagesspiegel und die Frankfurter Rundschau hatten mit großem Aufwand recherchiert, wie viele Todesopfer rechter Gewalt es seit der Wiedervereinigung in Deutschland gegeben hatte – ihr Ergebnis lag rund viermal so hoch wie das offizielle Zahlenwerk. In der folgenden öffentlichen Debatte um die Qualität der Behördenstatistiken räumte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) "Erfassungsdefizite" ein. Daraufhin wurden im Jahr 2001 die offiziellen Zählkriterien für politisch-motivierte Kriminalität (und damit auch für Gewalttaten von rechts) grundlegend überarbeitet und rückwirkend bis 1990 zahlreiche weitere Todesopfer in die offizielle Zählung aufgenommen.
Das Rechercheprojekt wurde seit 2010 vom Tagesspiegel und der Wochenzeitung DIE ZEIT weitergeführt. Diese Statistik wird häufig als "Jansen-Liste" bezeichnet – benannt nach einem der beteiligten Journalisten, dem Tagesspiegel-Redakteur Frank Jansen. Ihre Zählung basiert auf der Auswertung von hunderten Gerichtsurteilen, Berichten von Lokalmedien, Interviews mit Hinterbliebenen, Anwälten und anderen. Im Jahr 2018 verzeichnete die Jansen-Liste 169 Todesfälle, knapp die Hälfte davon war zu jenem Zeitpunkt auch in den staatlichen Statistiken als Opfer rechter Gewalt registriert. Die meisten Differenzen gibt es bis heute bei der Einordnung von Fällen aus den 1990er Jahren, seit der Reform der staatlichen Zählweise 2001 sind die abweichenden Bewertungen seltener geworden.
Ebenfalls seit vielen Jahren veröffentlicht die Amadeu-Antonio-Stiftung mit Sitz in Berlin eine eigene Liste von Todesopfern rechter Gewalt. Ende 2018 verzeichnete sie "mindestens 193" Fälle sowie dreizehn weitere "Verdachtsfälle". Die Erfassungskriterien dieser Statistik sind weiter gefasst als jene der Behörden oder auch der "Jansen-Liste". Die Stiftung betont: Während dort nur Fälle gezählt würden, bei denen "die rechte Motivation tatauslösend und tatbestimmend nachweisbar ist", erfasse man selbst "auch solche Tötungsdelikte, bei denen eine … rechte Motivation mindestens eine tatbegleitende bis tateskalierende Rolle gespielt haben. Darüber hinaus dokumentiert die Stiftung Fälle, bei denen die Täter eindeutig der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind und ein anderes Motiv nicht erkennbar ist."
Gemeinsam mit der Organisation Pro Asyl führt die Amadeu-Antonio-Stiftung seit dem Jahr 2015 zudem eine "Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle". Ihre Grundlage seien "öffentlich zugängliche Berichte in Zeitungsartikeln, Pressemitteilungen der Polizei sowie Meldungen lokaler und regionaler Register- und Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt." Diese Chronik sammelt zum einen Straf- und Gewalttaten, etwa Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte oder tätliche Angriffe auf einzelne Personen, die auch in die behördlichen PMK-Statistiken einfließen. Darüber hinaus erfassen die beiden Nichtregierungsorganisationen aber auch Vorfälle unterhalb der Schwelle des Gesetzesbruchs, zum Beispiel flüchtlingsfeindliche Demonstrationen und Kundgebungen. Auch auf diesen kommt es häufig zu Straftaten (z.B. Volksverhetzung) – weil aber Demonstrationen selbst nicht strafbar sind, liegt die Gesamtzahl von Vorfällen in dieser Chronik zwangsläufig über jener in den offiziellen Statistiken über Straf- und Gewalttaten.
Eigene Statistiken über rassistische, antisemitische, schwulenfeindliche und andere Gewalttaten von rechts veröffentlichen auch die einschlägigen Opferberatungsstellen, meist einmal jährlich. Diese Stellen sind jedoch sehr ungleich über Deutschland verteilt. In manchen Bundesländern sind sie flächendeckend vertreten und vergleichsweise gut finanziell und personell ausgestattet. Dort können sie ein relativ verlässliches Monitoring einschlägiger Vorfälle leisten. In anderen Bundesländern nicht. Bundesweit sind ihre Daten deshalb nicht mit den Behördenstatistiken vergleichbar, für manche Bundesländer (mit größerer Dichte von Beratungsstellen) ist dies jedoch möglich. Hier zeigt sich häufig, dass die Beratungsstellen deutlich mehr Vorfälle registrieren als die Behörden – als Erklärung geben sie an, dass viele Opfer den Kontakt mit Behörden zu vermeiden suchten. "Die Mehrheit der Betroffenen möchten keine Anzeigen bei der Polizei erstatten", heißt es etwa bei der Hamburger Beratungsstelle empower. "Ursachen sind vor allem negative Erlebnisse mit der Exekutive und die Erfahrung, dass rassistische und antisemitische Taten kaum juristisch verfolgt werden."
Zu einigen Themenfeldern rechtsmotivierter Kriminalität werden eigenen Statistiken von spezialisierten oder regionalen Einrichtungen geführt. Beispielsweise existiert 2015 in Berlin (unter anderem gefördert vom dortigen Justizsenator) eine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (rias), die antisemitische Vorkommnisse erfasst. Ebenfalls in Berlin sammelt das Projekt Maneo Vorfälle mit homophobem oder trans*phobem Hintergrund. Auch in solche Zahlenwerke fließen oft Delikte ein, die unterhalb der Hürde der Strafbarkeit liegen oder die von den Betroffenen nicht bei der Polizei angezeigt wurden.
Im Oktober 2018 kündigte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, an, eine zentrale Meldestelle für judenfeindliche Vorfälle zu schaffen und aus Bundesmitteln zu fördern.
Warum weichen offizielle Statistiken und andere Zählungen häufig voneinander ab?
Wenn zivilgesellschaftliche Stellen eigene Statistiken zu rechten Straftaten veröffentlichen, weichen diese teils erheblich von den offiziellen Zahlenwerken ab. Kritiker der Sicherheitsbehörden werfen diesen häufig vor, sie seien auf dem rechten Auge blind. In der Tat hat es immer wieder Berichte über Fälle gegeben, wo Polizeibeamte die politische Motivation von Straftaten nicht erkannt haben. Doch Diskrepanzen zwischen den Statistiken können noch etliche andere Gründe haben. Wie erwähnt werden etliche Taten erst nach der Ersterfassung als politisch motiviert erkannt, aber nicht alle nachträglich in die offizielle Statistik aufgenommen. Auch hat das Anzeigeverhalten von Opfern einen starken Einfluss auf die Statistik – von rechter Gewalt Betroffene suchen oft eher unabhängige Beratungsstellen auf als die Polizei. Grundsätzlich muss bei einem Vergleich verschiedener Statistiken sehr genau auf die verwendeten Definitionen geschaut werden. Die Polizei erfasst nur Taten, die auch tatsächlich Gesetzesverstöße sind. Unabhängige Stellen hingegen sammeln oft auch Vorfälle, die unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegen, etwa antisemitische oder homophobe Alltagsvorfälle. Für die Opfer sind auch diese meist sehr belastend. Wenn es darum geht einzuschätzen, wie weit ausgrenzende Vorurteile in der Gesellschaft verbreitet sind, können solche breiter angelegten Zählungen eine wichtige Ergänzung der offiziellen Statistiken sein.
Wie entstehen die (scheinbaren) Widersprüche der offiziellen Statistiken?
Gelegentlich finden sich in den PMK-Statistiken oder entsprechenden Medienberichten widersprüchliche Zahlen. Das kann daran liegen, dass Journalisten Dinge missverstehen, und natürlich können auch den Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden Fehler unterlaufen. Häufig handelt es sich bei vermeintlichen Widersprüchen oder Fehlern aber auch bloß um Missverständnisse oder um Unklarheiten, die aus der Systematik der Statistik resultieren. Beispielsweise tauchen in den offiziellen Zahlenwerken zu rechtsmotivierter Gewalt gelegentlich Tötungsdelikte auf, aber im entsprechenden Zeitraum keine Todesopfer. Doch dies ist kein Widerspruch, werden doch bei den Tötungsdelikten auch Fälle von versuchtem Mord mitgezählt.
Prinzipiell werden Fälle in der Statistik jeweils unter dem Delikt ausgewiesen, das im Gesetz mit der höchsten Strafandrohung versehen ist. Deshalb ist es gut möglich, dass eine Lokalzeitung über Sachbeschädigungen am Rande eines Neonazi-Aufmarsches berichtet, diese aber später in der Statistik nicht auftauchen. Hier könnte der Grund sein, dass die Polizei parallel zur Sachbeschädigung (Höchststrafe: zwei Jahre) wegen Landfriedensbruch ermittelt (Höchststrafe: drei Jahre) und der Fall deshalb unter diesem Tatbestand in der Statistik verzeichnet ist. Für Verwunderung sorgt auch, dass manche Brandanschläge auf Flüchtlingsheime in den offiziellen Statistiken zur PMK-rechts nicht auftauchen. Dies kann damit zusammenhängen, dass tatsächlich nicht bei allen Anschlägen eine rechte Tatmotivation vorliegen muss. So gab es nach Angaben der Polizei auch Fälle, wo Brandstifter als Motiv beispielsweise die Sorge um den Wert ihres in der Nachbarschaft liegenden Hauses oder Grundstückes angaben. Solche Taten werden in der Regel zwar als politisch motiviert erfasst, aber unter "nicht zuzuordnen". In den Aufstellungen über PMK-rechts sind sie dann nicht zu finden.
Missverständnisse können auch durch die Vielzahl von Unterthemen entstehen, die in der Statistik vorgesehen sind und die teils sehr ähnlich klingen. Beispielsweise gibt es im Themenfeld "Ausländer/Asylthematik" seit 2014 eine Unterkategorie für Straftaten "gegen Asylunterkünfte". Sie wurde eingeführt, um speziell Anschläge auf Flüchtlingsheime und -wohnungen erfassen zu können. Doch daneben gab es bereits seit vielen Jahren im gleichen Themenfeld ein Unterthema "Unterbringung von Asylbewerbern". Hier fließen zum Beispiel auch Straftaten ein, die im Internet (z.B. rassistische Beleidigungen) oder am Rande von flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen (z.B. Volksverhetzung) verübt werden. Dass diese Zahl größer ist als jene der direkten Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, ist also kein Widerspruch, sondern in der Systematik der Erfassung begründet.
Wie "gut" sind denn nun die staatlichen Statistiken zu rechtsmotivierter Kriminalität?
Darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine Expertenkommission der Bundesregierung bewertete die 2001 erfolgte Reform der Zählweise "insgesamt als erfolgreich". Demgegenüber empfahl der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags in seinem Abschlussbericht 2013 eine "grundlegende Überarbeitung" des Themenfeldkatalogs.
Dieser wird auch von Wissenschaftlern als zu komplex kritisiert. Wegen des hohen Zeitaufwands beim Ausfüllen der Meldungen ist dies bei Polizeibeamten unbeliebt, ihre Hauptaufgabe ist schließlich die Aufklärung von Straftaten und nicht die Datenzulieferung für Statistiken. Monika Lazar, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag für Strategien gegen Rechtsextremismus, kritisiert "erhebliche Strukturmängel" bei den PMK-Statistiken scharf. Zum einen würden bei polizeilichen Ermittlungen rassistische Tathintergründe häufig verkannt, zum anderen sei das PMK-System undurchsichtig und die Einordnung in die Straftaten sorge für "Verwirrung".
Gerd Wiegel, der bei der Bundestagsfraktion der Linken als Fachreferent die PMK-Statistiken auswertet, äußert sich milder: "Verglichen mit früher hat sich die Statistik deutlich verbessert, und sicherlich sind die Sicherheitsbehörden sensibler geworden beim Thema Rechtsextremismus. Die PMK-Zahlen sind bestimmt nicht exakt, denn die Dunkelziffer ist groß. Doch sie dürfte über die Jahre immer ähnlich hoch sein – deshalb kann man zumindest Entwicklungstendenzen und Trends bei der rechtsmotivierten Kriminalität sehr gut Interner Link: an den Statistiken gut ablesen."