Der Begriff "Rassismus" ist erheblich jünger als der damit bezeichnete Sachverhalt. Das französische Adjektiv "raciste" tauchte zuerst in den 1890er Jahren als Selbstbezeichnung von Nationalisten auf. Das Substantiv "Rassismus" entstand erst in den 1920er Jahren als antirassistischer Kampfbegriff. Es gibt jedoch keine unbestrittene Definition dessen, was damit bezeichnet wird in den zahlreichen sozial-, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Phänomen beschäftigen. Grundsätzlich lässt sich zwischen eher inhaltlichen, auf die biologistische Substanz des Rassismus abzielenden und eher formalen, auf seine sozial-psychologische Funktionsweise fokussierenden Definitionsversuchen unterscheiden. Erstere verstehen unter Rassismus die Überzeugung, dass klar abgegrenzte menschliche "Rassen" existierten, die angeblich die physischen, intellektuellen und charakterlichen Eigenschaften der Individuen bestimmen – und deren Vermischung zu vermeiden sei. Formale Definitionsversuche dagegen betonen die Mechanismen der Ab- und Ausgrenzung zwischen der "eigenen" Gemeinschaft und den "Fremden".
Beide Definitionsweisen haben ihre Probleme. Erstere setzt eine biologistische Theorie voraus. Damit schließt diese Theorie nicht explizit biologistisch motiviertes fremdenfeindliches Handeln aus, selbst wenn dieses gewaltsam ist. Auch neuere Varianten der rassistischen Ideologie wie der Kulturrassismus, die ohne den biologischen Rassenbegriff auskommen, erfasst der biologistische Ansatz nicht. Die zweite Definition schließt umgekehrt eine Vielzahl von Ideologien und Gewaltpraktiken ein, die gemeinhin nicht als rassistisch gelten, denn das "Eigene" und "Fremde" können schließlich anhand vieler verschiedener Merkmale definiert werden. Diese definitorische Unschärfe hat für den Gegenstandsbereich der Rassismusforschung weitreichende Konsequenzen. Während ein Teil der Forschung, der hier im Wesentlichen gefolgt wird, Rassismus als ein spezifisch modernes, auf Europa und Nordamerika sowie die davon in kolonialer Abhängigkeit stehenden Gebiete beschränktes Phänomen analysiert, gehen andere von einer weltgeschichtlichen Phänomen aus.
Entstehung und Verbreitung des Konzepts der "Rasse"
Das europäische 18. Jahrhundert spielt in der Geschichte des Rassismus eine wichtige Rolle. In den vorangegangenen Jahrhunderten war von Europa das groß angelegte koloniale Projekt ausgegangen, das weite Teile der Welt und die dort lebenden Bevölkerungen unterwarf und anschließend ausbeutete. In diesem Zusammenhang nahm in Europa das Wissen über andere Teile der Welt rasant zu. Zu dessen Ordnung etablierten sich naturwissenschaftliche Klassifizierungen der belebten und unbelebten Welt. Sie warfen auch Fragen nach dem Ort des Menschen in diesen Systemen auf: Wo war der Mensch zwischen Gott und dem Tierreich einzuordnen? In welchem Verhältnis standen die sich in ihrer äußerlichen Erscheinung unterscheidenden Menschen in unterschiedlichen Weltregionen zueinander? Und wer gehörte überhaupt alles zur Menschheit?
Im Zusammenhang mit diesen Debatten drang das Konzept "Rasse", das der französische Arzt und Forschungsreisende François Bernier bereits im 17. Jahrhundert zur Einteilung der Menschheit verwendet hatte, im 18. Jahrhundert rasch in das anthropologische (und parallel dazu ins zoologische) Schrifttum Europas ein. So tauchte es etwa in den Abhandlungen von Naturforschern wie Carl von Linné, Comte de Buffon und Johann Friedrich Blumenbach sowie des Philosophen Immanuel Kant auf. In der Regel konstruierten diese Denker vier bis fünf menschliche "Rassen", zu deren Bezeichnung sich bald die Farbbezeichnungen "weiß", "gelb", "rot", "braun" und "schwarz" einbürgerten und denen man spezifische physische, intellektuelle, charakterliche und ästhetische Kollektiveigenschaften zuschrieb. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt leiteten daraus verschiedene Autoren Vorstellungen von einer hierarchischen Ordnung der menschlichen "Rassen" ab, die dann in den folgenden 150 Jahren in den Diskursen des europäisch-nordamerikanischen Imperialismus allgegenwärtig wurden und eine klar zweckrationale Stoßrichtung erhielten. Umstritten war zunächst, ob diese "Rassen" seit Anbeginn der Menschheit existiert hatten oder sich erst im Lauf der Zeit ausdifferenzierten und wie sich generell das Rassenkonzept mit der Bibel in Einklang bringen ließ.
Bald breitete sich das Rassenkonzept auch außerhalb der gerade entstehenden Naturwissenschaften aus und fand in der historisch-politischen Publizistik Verwendung. Bereits für den Philosophen und Kulturhistoriker Christoph Meiners war es Ende des 18. Jahrhunderts Schlüsselbegriff der Menschheitsgeschichte. Im 19. Jahrhundert folgten dann zum Beispiel der französische Schriftsteller Joseph Arthur Comte de Gobineau mit seinem "Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen" (1853-1855) und der britisch-deutsche Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain, dessen zu seiner Zeit weit verbreitetes Werk "Grundlagen des XIX. Jahrhunderts" (1899) die Menschheitsgeschichte als Geschichte "rassischer" Gegensätze darstellte. Auch der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei den gesellschaftlichen Eliten Europas und Nordamerikas einflussreiche Sozialdarwinismus enthielt zentrale rassistische Züge. Er übertrug die von Charles Darwin beschriebenen Evolutionsmechanismen auf die menschliche Gesellschaft und betrachtete Überlebenskämpfe zwischen Individuen, Nationen und "Rassen" als notwendig für jeglichen Fortschritt. Schließlich entstanden auch esoterische Lehren, die das Rassenkonzept in pseudoreligiöse Weltdeutungen einpassten. So etwa diejenigen Guido von Lists und Jörg Lanz von Liebenfels’, die beide das Denken Hitlers beeinflussten.
In vielen dieser Theorien spielte die "arische Rasse" eine zentrale Rolle. Die Vorstellung davon war im frühen 19. Jahrhundert entstanden, nachdem Sprachwissenschaftler die Verwandtschaft der altindischen Sprache Sanskrit mit den meisten modernen europäischen Sprachen nachgewiesen hatten. Die Sanskrit-Sprecher, die sich selber als "Arier" bezeichnet hatten, erschienen nun als Resultat einer Verknüpfung anthropologischer und linguistischer Irrtümer als Vorfahren der modernen Europäer und als Begründer einer "Herrenrasse". Zugleich näherte sich der Rassismus einer anderen, im 19. Jahrhundert immer einflussreicher werdenden Ideologie an: dem Nationalismus. Die Begriffe "Rasse", "Nation" und "Volk" wurden immer häufiger vermischt. Die "Nation" wurde zunehmend nicht mehr, wie noch in der Französischen Revolution, als ein durch Zugehörigkeitswillen gebildeter politischer Verband, sondern als eine angeblich in graue Vorzeiten zurückreichende Abstammungsgemeinschaft gesehen. Nationalismus und Rassismus gingen dadurch, ohne deckungsgleich zu werden, eine Verbindung ein, die sich im 20. Jahrhundert verhängnisvoll fortsetzen sollte.
Schon bald hatte die Verbreitung des Rassenkonzepts konkrete gesellschaftliche Auswirkungen sowohl in West- und Mitteleuropa als auch in den durch europäische Staaten kolonisierten außereuropäischen Gebieten. Durch Rassismus wurden Rechtfertigungen für Unterwerfung, Ausbeutung, Abwertung und Versklavung gesucht und gefunden. Die religiös begründete Judenfeindschaft (christlicher Antijudaismus) transformierte sich so im 19. Jahrhundert in den modernen Rassen-Antisemitismus, der sich auch gegen die eben erfolgte Gleichberechtigung richtete. Alte Vorurteile gegen "barbarische" und "heidnische" Nicht-Europäer wurden neu durch die Vorstellung "rassischer" Hierarchien gestützt, die schon die von Europa ausgehende imperialistische Expansion und die Unterdrückungspraktiken in den Kolonien legitimiert hatte und nun aufrecht erhalten werden sollte. Auch die Diskriminierung von Sinti und Roma sowie negative Wahrnehmungen in Mittel- und Westeuropa etwa von Polen, Russen und Südosteuropäern wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend rassistisch aufgeladen.
Wirkungsmächtigkeit
Die beinahe allgegenwärtige Präsenz des Rassenkonzeptes hatte verschiedene Konsequenzen. Erstens ließ sie eine rassistische Pseudo-Wissenschaft entstehen, die die Existenz menschlicher "Rassen" und deren Ungleichheit empirisch nachzuweisen trachtete. Die bevorzugte Methode dazu war die anatomische Vermessung und Klassifizierung von Menschen, insbesondere von Schädelform und -volumen. Testresultate, die nicht den Erwartungen entsprachen, wurden dabei in aller Regel nicht zum Anlass genommen, das Rassenkonzept in Frage zu stellen, sondern führten dazu, noch ausgeklügeltere Messmethoden zu fordern.
Eng damit verknüpft war die Eugenik oder, wie sie in Deutschland genannt wurde, "Rassenhygiene", die auf denselben biologistischen Annahmen wie das Rassenkonzept basierte und ab dem späten 19. Jahrhundert ebenfalls einen Aufschwung erfuhr. Nicht nur "rassische" Differenzen, sondern auch eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme wie Kriminalität, Alkoholismus, Prostitution und Nomadismus wurden auf genetische Veranlagung zurückgeführt und sollten zusammen mit verschiedenen Erbkrankheiten durch Maßnahmen wie Eheverbote und Zwangssterilisationen bekämpft werden. Diese Ideen wurden keineswegs nur in Nazi-Deutschland in die Tat umgesetzt, wo an etwa 400.000 Personen Zwangssterilisationen vorgenommen wurden. In den USA wurden von der Jahrhundertwende bis in die 1970er Jahre etwa 70.000 Menschen zwangssterilisiert, darunter viele afroamerikanische Häftlinge. Auch in Skandinavien und der Schweiz gingen solche eugenischen Praktiken noch nach dem Zweiten Weltkrieg drei bis vier Jahrzehnte weiter.
Zweitens führte die Vorstellung "rassischer" Hierarchien und "Überlebenskämpfe" im Verbund mit nationalistischen Vorstellungen ethnisch "reiner" Nationalstaaten zu einer Vielzahl von Gewaltaktionen, die von Vertreibungen bis hin zum Völkermord reichten. Schauplätze waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert insbesondere die kolonisierten Gebiete außerhalb von Europa und der südosteuropäische Raum. Die Ausbreitung der angelsächsischen Siedlerkolonien in Nordamerika und Ozeanien vollzog sich um den Preis der fast vollständigen Ausrottung der indigenen Bevölkerungen durch Krankheiten, aber auch Massaker und Entzug der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen, gefolgt von Ausgrenzung in Reservaten und Versuchen gewaltsamer Assimilation. Eine weitere Form "säubernder" Gewalt entfaltete sich in den weltweiten Besitzungen der Kolonialmächte um 1900. Neben den bisher existierenden Praktiken der Aufstandsbekämpfung wurden durch die Spanier auf Kuba, die Briten in Südafrika, die Amerikaner auf den Philippinen und die Deutschen in ihren afrikanischen Kolonien nun große Teile der Bevölkerung deportiert, in Konzentrationslagern gefangen gehalten und ermordet. Der Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1908), den die deutsche Seite als "Rassenkampf" betrachtete und bei dem durch Kriegshandlungen, Aushungerung und in Zwangsarbeitslagern rund 100.000 Menschen getötet wurden, wird von der heutigen Forschung und seit neuestem auch von der Bundesregierung als Völkermord betrachtet. Bei der Niederschlagung der ostafrikanischen Maji-Maji-Rebellion (1905-1907) setzten die deutschen Truppen auf eine Strategie der verbrannten Erde, der etwa 180.000 Menschen zum Opfer fielen. In Südosteuropa waren die nationalen Befreiungsbewegungen der Serben, Griechen und Bulgaren gegen die Osmanen im 19. Jahrhundert sowie die beiden Balkankriege 1912/13 stets von umfangreichen Vertreibungen begleitet, die insbesondere, aber keineswegs ausschließlich, Türken und andere Muslime betrafen. Während des Ersten Weltkrieges kam es dann im Osmanischen Reich zu Verfolgungen der armenischen, griechischen, jüdischen, aramäischen und assyrischen Minderheiten, die im Fall der Armenier bis zum Völkermord reichten.
Die verschiedenen Zielrichtungen des Rassismus und die damit verbundenen Gewaltpraktiken erreichten im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt. Die nationalsozialistische Ideologie beruhte primär auf Rassen-Antisemitismus, Ariermythos und Ultranationalismus, aber schloss auch rassistischen Antislawismus und Antiziganismus, Kolonialrassismus und "Rassenhygiene" mit ein. Millionen von Menschen fielen diesem ideologischen Gemisch zum Opfer: sechs Millionen Jüdinnen und Juden sowie zahlreiche weitere Opfergruppen, darunter zwischen 220.000 und 500.000 ermordete Sinti und Roma, 100.000 Todesopfer der Eugenik- und Euthanasie-Programme sowie eine schwierig bezifferbare, aber in die Millionen gehende Zahl von Opfern des NS-Antislawismus im besetzten Osteuropa sowie den Kriegsgefangenenlagern.
Rassismus ohne "Rassen"
Nach der Erfahrung der NS-Verbrechen war der Rassismus politisch und wissenschaftlich diskreditiert – auch wenn in den Südstaaten der USA und in Südafrika Systeme der institutionalisierten "Rassentrennung" noch bis in die 1960er beziehungsweise die 1990er Jahre Bestand hatten. Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges startete die UN-Sonderorganisation für Kultur und Wissenschaft UNESCO eine internationale Kampagne gegen Rassenvorurteile. Dass bis in die 1960er Jahre die weitaus meisten europäischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erlangten, versetzte rassistischen Überlegenheitsgefühlen einen weiteren Schlag.
In der Folge hielten nur noch rechtsextreme Zirkel explizit und offen am klassischen biologistischen Rassenkonzept als politische Ideologie und Rechtfertigung von Gewalttaten fest. Allerdings bedeutete dies nicht, dass nach 1945 ein allgemeiner Universalismus Einzug hielt, der von einer grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen ausging. In den Debatten über als unterschiedlich betrachtete Menschengruppen ging mit der Entbiologisierung eine Kulturalisierung einher: Unterschiede wurden nun nicht mehr genetisch erklärt, sondern auf kulturelle Faktoren zurückgeführt. Dadurch entstand ein Denkhorizont, der von der einschlägigen Forschung als "kultureller Rassismus", "Neo-Rassismus" oder "Rassismus ohne Rassen" bezeichnet wird.
Theoretisch konzipiert wurde dieses Gedankengut ab den späten 1960er Jahren von der sogenannten "Neuen Rechten" um den französischen Philosophen Alain de Benoist. Im Jahre 1973 prägte der deutsche Rechtsintellektuelle Henning Eichberg den Begriff "Ethnopluralismus". Demgemäß kann sich die Identität einer "Ethnie" nur im Kontext eines Territoriums und einer spezifisch kulturellen Prägung entwickeln und erhalten. Daraus wird die Forderung abgeleitet, unterschiedliche "Ethnien" müssten räumlich getrennt werden, um ihre kulturellen Eigenarten beizubehalten. Fremdenangst erscheint in diesem Weltbild als natürliche Reaktion auf kulturelle Einflüsse von "außen", Multikulturalität als Unmöglichkeit. "Kultur" wird dabei also als feststehende Größe betrachtet, die sich nicht oder nur sehr langsam wandelt und zu der Individuen entweder vollständig oder aber gar nicht gehören. Damit ignoriert diese Vorstellung nicht nur den rasanten kulturellen Wandel in der modernen Welt, sondern blendet auch Phänomene der individuellen oder kollektiven Vermischung kultureller Praktiken und Werte sowie des Kulturtransfers, die in den Kulturwissenschaften etwa als "Hybridität" oder "Transkulturalität" bezeichnet werden, weitgehend aus.
In popularisierter Form wurde kulturrassistisches Gedankengut von zahlreichen Anti-Immigrationsbewegungen propagiert, die seit den späten 1960er Jahren in verschiedenen Ländern West- und Mitteleuropas immer wieder Wahlerfolge erzielen konnten, etwa der Nationaldemokratischen Partei in Deutschland, dem Front National in Frankreich oder der Freiheitlichen Partei in Österreich. Darüber hinaus verbreiteten sich Versatzstücke davon aber auch im gesellschaftlichen und politischen Mainstream. Für Aufsehen sorgte etwa das Buch "The clash of civilizations" (1996) des Harvard-Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington, das die These von Konflikten zwischen acht "Kulturen" in der Welt formulierte. Huntington definierte nicht genau, was er unter "Kulturen" verstand, betonte aber "eine signifikante Entsprechung zwischen der an kulturellen Merkmalen orientierten Einteilung der Menschen in Kulturkreise und ihrer an physischen Merkmalen orientierten Einteilung in Rassen". Kritiker sahen die Theorie als Nachfolgerin der alten Vorstellungen von globalen "Rassenkämpfen".
Zu reden gaben auch Publikationen, die Zusammenhänge zwischen "Kultur", "Ethnie" und Intelligenz nachzuweisen versuchen. Entsprechende Vorstellungen hatten zum Kernbestand des pseudowissenschaftlichen Rassismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert gehört, waren nach 1945 aber zunächst auf rechtsextreme Zirkel in Nordamerika beschränkt. Ab den späten 1960er Jahren wurden derartige Vorstellung in Reaktion auf das Ende der "Rassentrennung" sowie wirtschaftliche Probleme aber in breiteren konservativen Kreisen Nordamerikas wieder salonfähig und zum Gegenstand einer Reihe von Forschungsprojekten. So behaupteten die beiden Harvard-Professoren Charles Murray und Richard J. Herrnstein 1994 in ihrem Buch "The Bell Curve", der Intelligenzquotient von Afroamerikanern sei niedriger als derjenige von Weißen. Die sinkende Intelligenz der amerikanischen Bevölkerung sei für steigende Kriminalität, Verarmung, Arbeitslosigkeit, uneheliche Geburten, Abhängigkeit von der Sozialhilfe und die Verslumung der Städte verantwortlich. Sozialprogramme seien nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv, da sie zur weiteren Ausbreitung intellektuell defizitärer Unterschichten beitrügen. Ähnliche Thesen vertrat 2010 der SPD-Politiker Thilo Sarrazin in seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab", der unter anderem einen Zusammenhang zwischen der Zuwanderung aus muslimischen Ländern und dem angeblich sinkenden Intelligenzdurchschnitt der Bevölkerung in Deutschland nachzuweisen versuchte. Beide Bücher wurden von Fachleuten unter anderem wegen ihrem unsauberen und selektiven Umgang mit statistischen Daten, teilweiser Verdrehung von Ursachen und Wirkungen sowie einem falsch verstandenen Intelligenzbegriff kritisiert.
Die Geschichte des Rassismus hat also 1945 zwar einen bedeutenden Einschnitt erfahren, ist aber noch keineswegs ans Ende gelangt, sondern im späten 20. Jahrhundert in eine neue Phase eingetreten. An den Kern eindeutig rassistischer Ideen und Taten Rechtsextremer schließt sich heute eine breite Grauzone an, die teilweise bis in die gesellschaftliche Mitte reicht.
Literaturhinweise
Christian Geulen: Geschichte des Rassismus. München 2007.
Wulf D. Hund: Rassismus. Bielefeld 2007.
Wulf D. Hund/Christian Koller/Moshe Zimmermann (Hg.): Racisms made in Germany. Berlin 2011.
Christian Koller: Rassismus. Paderborn 2009.
Karin Priester: Rassismus: Eine Sozialgeschichte. Leipzig 2003.
Michael Schwartz: Ethnische "Säuberungen" in der Moderne: Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. München 2013.
Pierre-André Taguieff: Die Macht des Vorurteils: Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000.