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Analyse: Faktencheck: Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zum Donbass-Konflikt | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Faktencheck: Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zum Donbass-Konflikt

Dennis Bereslavskiy Heiko Pleines Bremen Von Dennis Bereslavskiy und Heiko Pleines

/ 10 Minuten zu lesen

In den Medien mehren sich Stimmen, die beide Minsker Abkommen für gescheitert erklären. Dieser Beitrag macht einen Faktencheck und dokumentiert, welche Vereinbarungen getroffen wurden und inwiefern die Konfliktparteien diese auch einhalten.

Schon der Waffenstillstand von Minsk I scheiterte - spätestens seit der Eroberung des Donezker Flughafens durch die Separatisten in der Ostukraine. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Nach dem schnellen Vorstoß der Separatisten im Donbass Richtung Süden bis zum Asowschen Meer hatten die Minsker Vereinbarungen vom September 2014 (Minsk 1) nicht nur einen Waffenstillstand vorgesehen, sondern auch weitreichende Maßnahmen für eine friedliche Lösung festgelegt. Nach dem erneuten Ausbrechen massiver Kampfhandlungen im Januar 2015 wurde im Februar 2015 ein ergänzendes Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen beschlossen (Minsk 2).

Mittlerweile mehren sich erneut Stimmen, die die Minsker Vereinbarungen für gescheitert halten. Hier soll deshalb eine umfassende Bestandsaufnahme vorgenommen werden, welche Bestimmungen der Minsker Vereinbarungen inwieweit umgesetzt worden sind.

Für eine bessere Übersichtlichkeit werden die Bestimmungen aus allen Bestandteilen der Minsker Vereinbarungen nach inhaltlichen Kriterien zusammengefasst. Der erste Themenkomplex umfasst die Maßnahmen zur Aufnahme, Kontrolle und Stabilisierung eines Waffenstillstands. Der zweite Themenkomplex umfasst die politische Lösung, die sich im Wesentlichen auf die Autonomie der Separatistengebiete bezieht, und der dritte Themenkomplex den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Region.

Waffenstillstand

Minsk 1 sah einen sofortigen Waffenstillstand vor, der durch die OSZE überwacht werden sollte. Als Waffenstillstandslinie wurde der Zustand vom 19. September 2014 festgeschrieben, der in einer Anlage dokumentiert wurde. Schwere Waffen sollten zurückgezogen werden. Ausländische Militärkräfte sollten das Land verlassen. An der ukrainisch-russischen Grenze sollte eine durch die OSZE-überwachte Sicherheitszone geschaffen werden. Es war ein Flugverbot für Kampfflugzeuge und Drohnen vorgesehen, mit Ausnahme von Beobachtungsdrohnen der OSZE. Alle Gefangenen sollten freigelassen werden und alle am Konflikt Beteiligten, sollten unter eine Amnestieregelung fallen.

Der in Minsk 1 vorgesehene Waffenstillstand wurde zwar nicht vollständig umgesetzt, die Kampfhand­lungen ließen aber deutlich nach. Die OSZE Mission bekam die Möglichkeit die Waffenstillstandslinie weitgehend zu überwachen. Die Sicherheitszone an der Grenze zu Russland wurde hingegen nicht eingerichtet. Stattdessen ließ Russland nur die Überwachung von zwei Grenzübergangen durch die OSZE zu. Als Ergebnis langandauernder Verhandlungen kam es im Herbst zu einem schrittweisen Gefangenenaustausch.

Das in Minsk 1 vorgesehene Amnestiegesetz wurde bereits im September 2014 vom ukrainischen Parlament verabschiedet. Es befreit Personen von der Strafverfolgung, die im Zeitraum vom 22. Februar 2014 bis 16. September 2014 Mitglieder einer bewaffneten Gruppe waren oder in Verbindung mit den selbsternannten Organen der Regionen Donezk und Lugansk standen. Ausgeschlossen sind dabei Personen, deren Handlungen zum Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 führten oder die schwere Straftaten begangen haben.

Der Waffenstillstand scheiterte dann offensichtlich im Januar 2015, als die Separatisten begannen den Donezker Flughafen zu erobern und es auch an vielen anderen Stellen zu verstärkten Kämpfen kam. Bis zu den erneuten Minsker Verhandlungen im Februar hatten die Separatisten gegenüber der Waffenstillstandslinie vom September 2014 Geländegewinne von etwa 500 Quadratkilometer erreicht, was bei einer Frontlänge von 400 km einem durchschnittlichen Vorrücken von gut einem Kilometer entspricht.

Minsk 2 sah erneut einen vollständigen Waffenstillstand vor. Gegenüber Minsk 1 sind die Regelungen präziser und enthalten klare zeitliche Vorgaben. Der Waffenstillstand sollte drei Tage nach Abschluss der Vereinbarung in Kraft treten. Der Abzug schwerer Waffen sollte 16 Tage nach Beginn des Waffenstillstands abgeschlossen sein. Der Abzug ausländischer militärischer Kräfte wurde noch einmal festgeschrieben. Illegale bewaffnete Gruppen sollten entwaffnet werden. Die OSZE wurde erneut mit der Überwachung und Unterstützung der Umsetzung beauftragt. Erneut wurde ein vollständiger Gefangenenaustausch vorgesehen. Dieses Mal mit einer zeitlichen Frist von 21 Tagen nach Beginn des Waffenstillstands.

Auch der neue Waffenstillstand wurde nicht vollständig umgesetzt. In den ersten Tagen des Waffenstillstands setzten die Separatisten ihre Angriffe auf Debalzewo über die Waffenstillstandslinie hinweg bis zur vollständigen Eroberung der Stadt fort. Seitdem haben die Kämpfe deutlich nachgelassen und keine Seite hat nachhaltige Vorstöße über die Waffenstillstandslinie unternommen. Die OSZE-Beobachtermission dokumentiert jedoch täglich Schusswechsel und vor allem am Donezker Flughafen und östlich von Mariupol regelmäßig heftige Gefechte, die u. a. zur fast vollständigen Zerstörung des Dorfes Schyrokyne geführt haben.

Beide Seiten haben einen Teil ihrer schweren Waffen abgezogen. Aber auch nach Verstreichen der für den Abzug vorgesehenen Frist dokumentiert die OSZE auf beiden Seiten den wiederholten Einsatz schwerer Waffen. Die OSZE beklagt außerdem, dass beide Seiten keine ausreichenden Informationen für eine Kontrolle des vollständigen Abzugs schwerer Waffen zur Verfügung stellen.

Die Forderung nach der Entwaffnung illegaler Verbände hat die Ukraine durch die Eingliederung aller Freiwilligen-Bataillone in staatliche Strukturen für die eigene Seite formal gegenstandslos gemacht. Da aus ukrainischer Sicht alle Kämpfer der Separatisten terroristischen Vereinigungen angehören, bedeutet aus dieser Perspektive die Forderung nach der Entwaffnung illegaler Gruppen die vollständige Waffenniederlegung durch die Separatisten.

Beim Gefangenenaustausch hat es auch anderthalb Monate nach Verstreichen der entsprechenden Frist keine Fortschritte gegeben. Amnesty International hat pro-russischen Bataillonen in den Separatistengebieten die Exekution von Kriegsgefangenen vorgeworfen.

Minsk 2 enthält auch die Verpflichtung, die Sicherheit humanitärer Hilfslieferungen im Rahmen eines internationalen Mechanismus zu gewährleisten. Ein internationaler Mechanismus für humanitäre Hilfslieferungen in das Separatistengebiet existiert. Das Internationale Rote Kreuz hat so aus von der Ukraine kontrolliertem Gebiet Hilfslieferungen in das von den Separatisten eroberte Debalzewo betreut. Russland hingegen schickt weiter eigene Hilfskonvois unter Verletzung ukrainischer Hoheitsrechte unkontrolliert direkt in das Separatistengebiet. Dies ist möglich, da die russische Grenze zum Separatistengebiet von der Ukraine nicht kontrolliert wird.

Die Einrichtung der Sicherheitszone an der ukrainisch-russischen Grenze wird in Minsk 2 nicht mehr erwähnt. Da Minsk 2 die Vereinbarungen von Minsk 1 aber nicht ersetzt, sondern ergänzt, gilt die Forderung nach einer Sicherheitszone aber weiterhin. Ergänzend legt Minsk 2 fest, dass nach Abschluss der politischen Lösung des Donbass-Konflikts zum Jahresende 2015 die Ukraine die volle Kontrolle über die gesamte Grenze mit Russland übernimmt.

Politische Lösung

Minsk 1 sah als politische Lösung drei Schritte vor: Fortführung des inklusiven gesamtnationalen Dialogs, vorgezogene Lokalwahlen in den Separatistengebieten entsprechend der ukrainischen gesetzlichen Regelungen und Dezentralisierung des ukrainischen Staatsaufbaus. Minsk 2 ergänzt, dass die Ukraine das Separatistengebiet im entsprechenden Gesetz gemäß der Waffenstillstandslinie vom September 2014 definieren soll und dass spätestens im März der Dialog über die Durchführung der Lokalwahlen beginnen soll. Die Wahlen selber sollen OSZE Standards entsprechen und von der OSZE beobachtet werden. Gleichzeitig wird festgelegt, dass die politische Lösung zum Jahresende 2015 umgesetzt worden sein soll. In beiden Minsker Abkommen wird die konkrete Ausarbeitung der politischen Lösung auf weitere Verhandlungen verschoben.

Nach Minsk 1 hatte die Ukraine umgehend ein Gesetz verabschiedet, dass die Grundlage für separate vorgezogene Lokalwahlen im Separatistengebiet schuf, die im Dezember 2014 stattfinden sollten. Das Gesetz "Über die besondere Regelung der kommunalen Selbstverwaltung in bestimmten Bezirken der Regionen Donezk und Luhansk" sieht für einen Zeitraum von drei Jahren eine Sonderstellung dieser Bezirke vor, die ihnen de facto eine weitreichende Autonomie einräumt. Das Gesetz bezieht sich dabei eindeutig auf die von den Separatisten kontrollierten Bezirke, legt für das entsprechende Gebiet aber keine genauen Grenzen fest. Viele Umsetzungsfragen werden auf spätere Rechtsakte verschoben.

Bereits im November führten die Separatisten dann im von ihnen kontrollierten Gebiet Wahlen durch, die der Minsker Vereinbarung in zentralen Punkten nicht entsprachen, da sie weder ukrainischem Recht noch demokratischen Standards gerecht wurden und nicht als Lokalwahlen sondern als Präsidenten- und Parlamentswahlen eines unabhängigen Staates durchgeführt wurden. Die politische Lösung des Konfliktes wurde anschließend nicht mehr weiterverfolgt.

In Reaktion auf Minsk 2 wurde das Gesetz über den Sonderstatus des Separatistengebietes dann von der Ukraine im März 2015 erweitert. So wurde das Separatistengebiet gemäß Minsk 2 durch die Waffenstillstandslinie vom September 2014 definiert. Gleichzeitig wurde aber festgelegt, dass die Gebiete ihren Sonderstatus mit weitgehenden Autonomierechten erst nach der Durchführung ordentlicher Lokalwahlen erhalten. Die separate gesetzliche Regelung zur Durchführung der Lokalwahlen wird derzeit im ukrainischen Parlament erarbeitet. Entgegen der Vorgabe von Minsk 2 basiert sie aber nicht auf einem Dialog mit den Separatisten.

Bis zur Durchführung der Lokalwahlen gilt für das Separatistengebiet gemäß eines zusätzlichen Erlasses des Parlaments der Status eines vorübergehend besetzten Territoriums. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte explizit, dass an Verhandlungen über Autonomierechte nur in Übereinstimmung mit den Minsker Vereinbarungen gewählte Vertreter der Separatistengebiete teilnehmen könnten.

Für die in den Minsker Vereinbarungen vorgesehene Dezentralisierung der Ukraine ist eine Verfassungsreform erforderlich, da die zentralstaatliche Organisation – einschließlich des Autonomiestatus für die Krim – in der Verfassung festgelegt ist. Anfang März hat Präsident Poroschenko eine Verfassungskommission ins Leben gerufen, die Politiker, nationale und internationale Experten zusammenbringt und die "Versprechen und Verpflichtungen einer Dezentralisierung" erfüllen soll. Der Präsident der Venedig-Kommission des Europarates, Gianni Buquicchio, bezweifelt jedoch, dass eine Verfassungsreform noch bis Ende des Jahres umgesetzt werden kann, wie in Minsk 2 vorgesehen. Laut Buquicchio ist die Umsetzung nur dann möglich, wenn die erste Lesung im Parlament noch vor Juni stattfindet.

Wiederaufbau des Donbass

Minsk 1 behandelte den Wiederaufbau des Donbass nur in sehr allgemeiner Form. In insgesamt zwei Sätzen wurden Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage sowie ein Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau gefordert. Das ukrainische Gesetz vom September 2014 über den Sonderstatus des Separatistengebietes sah auch entsprechende Maßnahmen vor, die aber aufgrund des Scheiterns der politischen Lösung nicht umgesetzt wurden.

Minsk 2 macht dann ausschließlich konkretere Vorgaben für die schnelle Wiederherstellung der sozio-ökonomischen Verbindungen zwischen dem Separatistengebiet und der restlichen Ukraine. Dabei geht es vor allem um die Wiederherstellung eines gemeinsamen Zahlungssystems und der Wiederaufnahme von Sozialleistungen, Zahlungen für die kommunale Versorgung und Steuerzahlungen. Wörtlich heißt es: "Hierzu soll die Ukraine die Kontrolle über das Bankensystem in den vom Konflikt betroffenen Gebieten wiederherstellen und möglicherweise sollte ein internationaler Mechanismus zur Erleichterung solcher Transfers [im Finanzbereich] eingerichtet werden." Aufgrund der andauernden Kampfhandlungen und des Fehlens eines politischen Dialogs erscheint dies derzeit nicht realistisch.

Gemäß eines Beschlusses des ukrainischen Parlaments vom März 2015 gilt für das Separatistengebiet der Status eines vorübergehend besetzten Territoriums. Der Status gilt solange, bis alle illegalen und fremden Truppen das Gebiet verlassen haben und die Zentralregierung in Kiew wieder die Kontrolle über die Grenzen der Ukraine besitzt. Aus ukrainischer Sicht sind Maßnahmen zum Aufbau des Donbass vorher nicht möglich.

Resümee

Die obige Darstellung zeigt, dass eine wirkliche Umsetzung der Minsker Vereinbarungen in weiter Ferne liegt. Zwar wurden die Kampfhandlungen deutlich eingeschränkt, jedoch keineswegs beendet. Die politische Lösung wird zwar im ukrainischen Parlament weiterverfolgt, aber ihre Realisierung erscheint mehr als fraglich. Entgegen der Vorgaben von Minsk 2 gibt es keine weiteren Verhandlungen im Rahmen der Trilateralen Gruppe und thematische Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen sind noch nicht einmal eingerichtet worden.

Beide Seiten haben anscheinend eingesehen, dass eine militärische Lösung des Konflikts zu ihren Gunsten nicht möglich ist. Die Eroberung des wichtigen Verkehrsknotenpunktes Debalzewo durch die Separatisten war wohl die letzte strategische Militäroperation des Konfliktes. Die immer noch andauernden Verletzungen des Waffenstillstands sind daher nicht Ausdruck militärischer Planung, sondern belegen eher das Misstrauen zwischen den Konfliktparteien (und teilweise auch gegenüber der OSZE Beobachtermission) sowie die fehlende Kontrolle über einzelne Kampfverbände.

Offensichtlich haben beide Seiten aber kein Interesse an der politischen Lösung des Konfliktes, wie sie in Minsk 2 vorgesehen ist. Die Separatisten haben direkt nach Abschluss der Verhandlungen die Stadt Debalzewo erobert, die nicht auf ihrer Seite der Waffenstillstandslinie liegt und deshalb im Zuge einer politischen Lösung nicht unter ihrer Kontrolle bliebe. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Separatisten einen Großangriff durchführen, nur um eine Stadt zu erobern, die sie bald wieder abgeben wollen. Gleichzeitig ist es mehr als fraglich, dass die Separatisten freie und faire Lokalwahlen gewinnen würden, insbesondere wenn eine große Zahl von Flüchtlingen zurückkehren würde. Dementsprechend scheint es die Strategie der Separatisten zu sein, den status quo dauerhaft zu verteidigen.

Die ukrainische Regierung wiederum hat offensichtlich kein Interesse, die Separatisten durch einen politischen Prozess zu legitimieren, wie auch Stephan Hensell im folgenden Beitrag argumentiert. Dementsprechend besteht sie darauf, nur mit demokratisch gewählten Vertretern zu verhandeln. Die längerfristige Erwartung mag dabei sein, dass die Separatistengebiete ohne die Versorgung aus der Ukraine nicht lebensfähig sein werden. Gleichzeitig gibt es Anzeichen für ukrainische Versuche, den Konflikt "einzufrieren". Mitte März hat die ukrainische Regierung 35 Mio. Euro bereitgestellt, um die Waffenstillstandslinie nachhaltig zu befestigen. Es gibt derzeit sieben von der Ukraine eingerichtete "Transportkorridore", die mit Passagierscheinen den Übergang vom Separatistengebiet zum ukrainisch kontrollierten Gebiet ermöglichen.

Quellen

Fussnoten

Dennis Bereslavskiy studiert Politikwissenschaft an der Universität Bremen und hat im Rahmen eines Forschungspraktikums am vorliegenden Beitrag mitgearbeitet.

Prof. Dr. Heiko Pleines leitet die Abteilung Politik und Wirtschaft der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.